Nicht nur das fachliche Know-how macht Kranke gesund - sie brauchen auch die Gewissheit, dass ihr Arzt sie versteht. Verstehen, das meint hier in erster Linie zuhören. Lange untersuchten Forscher nur die positive Kraft der Gedanken, genannt Placebo-Effekt.
Genauso stark aber ist die Kraft der negativen Gedanken - der Nocebo-Effekt. Er tritt ein, wenn ein Patient beispielsweise davon überzeugt ist, dass alle bekannten Nebenwirkungen garantiert bei ihm auftreten werden. Oder wenn er (sich) seinem Zahnarzt nicht (an-)vertraut. Wenn er Schmerzen hat, aber nichts von seinen Beschwerden erzählen will.
Aus diesem Grund kommt es im Dialog mit den Patienten darauf an, sich auf sie einzustellen. Auch sprachlich. Klingt logisch, fällt im Tagesgeschäft aber nicht immer leicht. Vor allem, wenn das Wartezimmer voll ist.
Hör mal, wie der spricht
„Ein Zahnarzt sollte mit offenen Fragen starten und dann erst einmal hören, wie sein Gegenüber spricht“, sagt Dr. Anke Handrock, Zahnärztin und seit 20 Jahren Coach für Patientenkommunikation und Teamführung. „Wenn jemand sehr ausführlich redet, mit vielen Nebensätzen, dann sollte man sich diesem Stil anpassen. Wenn ein Patient dagegen kurz angebunden ist, empfiehlt es sich, denjenigen nicht zuzutexten, sondern alle wichtigen Infos schnell auf den Punkt zu bringen. Danach kann man fragen, inwieweit der Patient mehr Informationen wünscht. So kann ein guter Kontakt entstehen.“ Im Idealfall geht aus dem Gespräch auch hervor, wie stark der Patient in die Behandlung einbezogen werden möchte.
„Manche wollen am liebsten über einen Spiegel jeden Schritt mitverfolgen, andere wollen auf keinen Fall etwas sehen“, erklärt Handrock, die seit 2012 das Steinbeis-Transfer-Institut Positive Psychologie und Prävention in Berlin leitet. Laut Handrock bereitet vielen Zahnärzten besonders ein Aspekt Bauchschmerzen: „Häufig wird das Beraten als reines Verkaufen empfunden. De facto ist es natürlich so, dass die Kriterien für den Verkauf einer Leistung gegeben sind. Worum es aber eigentlich geht, ist die Wünsche und Möglichkeiten des Patienten zu erkennen und gemeinsam die optimale Behandlung für ihn zu finden.“
Zwei Beispielfälle zur Patientenkommunikation
Situation: Das Vertrauensverhältnis zu einer langjährigen Patientin ist aufgrund eines Missverständnisses bei der Behandlungsplanung belastet und ich weiß nicht, wie ich es wiederherstellen kann.
Anke Handrock, Zahnärztin und Coach für Patientenkommunikation, empfiehlt: In der Kommunikation gibt es eine Grundregel: Störungen haben Vorrang! Es ist sinnvoll, diese Regel zu beachten und zu versuchen, die Störung aufzulösen. Daher empfiehlt es sich, die Patientin beim nächsten Besuch auf das Missverständnis anzusprechen. Dieses Gespräch sollte man sinnvollerweise in Stichpunkten vorbereiten.
Dann hat man alle Argumente schon einmal durchdacht und wird nicht so leicht aus dem Konzept gebracht.
1. Analyse der Ausgangssituation der Zahnärztin: Was wollte die Zahnärztin?
2. Analyse der Ausgangssituation der Patientin: Was wollte sie (vermutlich)? Was hat sie (vermutlich) verstanden?
3. Wie ist es nach Ansicht der Zahnärztin und gegebenenfalls nach Ansicht anwesender Mitarbeiterinnen zu dem Missverständnis gekommen?
Bei Missverständnissen kommt es häufig zu gegenseitigen Schuldzuweisungen. Das ist nicht hilfreich, da dadurch das Vertrauen auf beiden Seiten eingeschränkt wird. Diese "Schuld" sollte der Zahnarzt daher auf sich ziehen, wenn er das Vertrauen des Patienten zurück gewinnen möchte.
Das Gespräch würde dann etwa folgende Aspekte beinhalten:
• Eine Gesprächseröffnung, etwa: "Ich habe den Eindruck, dass es bei der Behandlung ... zu einem bedauerlichen Missverständnis gekommen ist."
• Das Bedauern der Situation und das Ziel des Gesprächs: "Das tut mir (sehr) leid! Unser Ziel ist, vertrauensvoll mit Ihnen mzusammenzuarbeiten! Deswegen würde ich mich freuen, wenn Sie bereit wären, mir nochmal Ihre Sicht der Dinge zu schildern, ist das in Ordnung für Sie?"
• Anschließend geht es darum, die konkrete Klage der Patientin aufzunehmen und den Inhalt dann zusammenfassend zu wiederholen. Am besten mit einer Einleitung wie "Habe ich richtig verstanden, dass...?".
• Dann erfolgt die Verantwortungsübernahme durch die Zahnärztin: "Das tut mir leid, das habe ich (beziehungsweise das haben wir) nicht korrekt (nicht so) verstanden!" Wichtig ist nun, dass hier keine Begründung erfolgt, warum die Zahnärztin argumentiert hat, wie sie argumentiert hat. Das würde die gerade aufgebaute neue Verstehensbrücke wieder einreißen. Denn eine Rechtfertigung führt quasi immer zu einer Vertiefung eines Konflikts, weil die Rechtfertigung ein Beharren auf dem eigenen Standpunkt bedeutet.
• Stattdessen würde die Zahnärztin jetzt auf das gemeinsame Behandlungsziel fokussieren: "Mein Ziel war und ist, eine für Sie optimale Versorgung zu gewährleisten. Deshalb wäre mir sehr wichtig, dass Sie, sobald sie den Eindruck haben sollten, dass ich Sie nicht richtig verstanden habe, mir das sofort sagen. Ich werde in Zukunft auch immer mal nachfragen, ob ich Sie richtig verstanden habe und ob ich mich verständlich genug ausgedrückt habe. Wäre das so in Ordnung für Sie? Falls Sie das Gefühl haben, dass es wieder zu einem Missverständnis kommen könnte, würde ich mich freuen, wenn Sie das direkt sagen. Mir ist sehr wichtig, dass wir wieder zu einem vertrauensvollen Umgang miteinander zurückfinden!"
Höchstwahrscheinlich wird die Patientin sich dann für das Gespräch bedanken. Vermutlich wird sie auch anderen Patienten, die sie kennt, von dem Bemühen der Zahnärztin um einen guten Kontakt berichten. Es wird allerdings wohl etwas dauern, bis das alte Vertrauensverhältnis vollständig wiederhergestellt ist.
Situation: Mir fällt es schwer, Patienten darauf aufmerksam zu machen, dass sie sich bei der Mundhygiene mehr Mühe geben müssen. Vor allen Dingen, wenn ich jemanden vor mir habe, der eventuell schon älter ist als ich. Manchmal kommen dann beleidigte Kommentare nach dem Motto "Ich weiß doch, wie ich putzen muss!" zurück.
Anke Handrock empfiehlt: Hier ist das Hauptproblem, dass sich der Zahnarzt eine von ihm als peinlich erlebte Situation ersparen möchte. Bestimmte Gespräche sind nicht wirklich angenehm und Gespräche, die – wie hier – die Schamgrenze des Patienten verletzen, gehören auf jeden Fall dazu. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die hilfreich sein können, um das unangenehme Gefühl des Zahnarztes zu minimieren. Einerseits kann der Zahnarzt lernen, dass diese Gefühle zwar unangenehm, aber aushaltbar sind. Andererseits kann er seine Kommunikation so professionalisieren, dass die Situation für den Patienten weniger beschämend wird.
Dazu ist wichtig, dass der Zahnarzt den Patienten nicht direkt auf seine schlechte Mundhygiene hinweist, sondern sie ihm erst einmal demonstriert. Hier ist die Methode der Wahl die Sichtbarmachung der Beläge mithilfe einer Intraoralkamera und gleichzeitig die Beschreibung des Umfangs. In der Regel kommt es dann ja bereits bei der oberflächlichen Entfernung zu Blutungen, die der Patient mitverfolgen kann. Das ermöglicht eine kurze Aufklärung über die Schädigung insbesondere des Parodonts durch diese Beläge.
In der Regel beharrt der Patienten nun darauf, "dass er aber geputzt hat". Hier ist es nicht hilfreich, den Patienten der Lüge zu bezichtigen (auch wenn die Situation dazu einlädt). Viel hilfreicher ist der Hinweis, dass es normal ist, dass bei allen Patienten regelmäßig die Mundhygienetechnik hin und wieder optimiert werden muss, weil man nicht immer bemerkt, wenn man bestimmte Ecken beim Putzen nicht (mehr) mit erwischt. Darauf folgt der Hinweis, dass die Krankenkasse dies deshalb auch als Leistungs- bestandteil ansieht.
Wenn der Patient nun immer noch Kommentare à la "Ich weiß doch, wie ich putzen muss!" verlauten lässt, kann man auch zur provokativen Variante übergehen und etwas humorvoll darauf hinweisen, dass Prophylaxe ja für Zahnärzte und Patienten ein immer wiederkehrendes Thema sei und dass diese für Zahnärzte „ja eigentlich fast schädlich ist“, weil sie dadurch weniger Prothetik machen würden. Anschließend kann dann – ebenfalls mit einem leichten Schmunzeln – darauf hingewiesen werden, dass man sich nun aber einigen müsse, ob man lieber Richtung Prothetik oder lieber Richtung Prophylaxe arbeiten will.
In jedem Fall ist es wichtig, dem Patienten eine Möglichkeit zu lassen, sein Gesicht zu wahren. Natürlich weiß jeder Zahnarzt, dass die Beläge nicht deswegen entstanden sind, weil der Patient gerade heute keine Zeit hatte. Trotzdem ist es nicht immer hilfreich dem Patienten dieses „Feigenblatt“ zu rauben. Ein Patient, der zu sehr beschämt wird, stimmt mit den Füßen ab und verlässt die Praxis. Nützlicher ist es da häufig, mit dem Patienten gemeinsam nach Lösungen zu suchen, wie es ab jetzt besser werden kann.
Eine fundierte Beratung sei die Bedingung dafür, dass man die gute Leistung, die man bringen will, auch bringen kann. „Egal, ob man eine Brennpunkt-Kassenpraxis führt, die kaum Privatleistungen anbietet, oder eine High-End-Praxis: Es geht immer darum, dass die Patienten verstehen, was mit ihnen passiert. Ihnen das verständlich zu erklären, ist die Voraussetzung dafür, dass das Praxiskonzept aufgeht und dass man die Patienten hat, die man möchte“, resümiert die Expertin.
Die Beratung muss stimmen
Dass Patienten beim Zahnarztbesuch vor allem Wert auf eine gute Beratung legen, bestätigt Christoph Kranich, Fachabteilungsleiter Gesundheit und Patientenschutz der Verbraucherzentrale Hamburg. Aus vielen Gesprächen weiß er, was Patienten vor allem monieren: die mangelnde Transparenz bei den Heil- und Kostenplänen. Kranich: „Patienten wünschen sich Unterstützung dabei, die Zusammensetzung der Regel- und Eigenleistungen zu verstehen, damit sie entscheidungsfähig sind. Dafür ist ein gutes Vertrauensverhältnis zu ihrem Zahnarzt wichtig.“
Wie sie besser mit Patienten kommunizieren, können Zahnärzte in Fortbildungen oder mithilfe von Coachings in der Praxis lernen. Auch in Eigenregie lässt sich das Geschick für eine konstruktive Gesprächsführung verfeinern. Ein guter Weg sind Techniken zur Selbstreflexion, die sich einfach ins Tagesgeschäft einbauen lassen.
Zum Beispiel mithilfe von Rollenwechseln. Indem Zahnärzte im Nachhinein ein Beratungsgespräch oder eine Behandlung aus der Perspektive des Patienten Revue passieren lassen oder die Rolle eines Dritten einnehmen, der das Gespräch beobachtet, können sie nachvollziehen, wo der Dialog gut lief - und wo die Situation kippte. Ebenfalls hilfreich: Feedback von außen, beispielsweise im Rahmen einer Super- oder Intervision mit Kollegen.
Alles wird gut
Als Prof. Dr. Ulrich Schwantes, Facharzt für Allgemeinmedizin, Psychotherapie, Geriatrie und Suchtmedizin in den 1970er-Jahren sein Medizinstudium und die anschließende Assistenzzeit absolvierte, waren Seminare über ärztliche Gesprächsführung noch vollkommen unüblich. Es galt das Prinzip Learning by Doing.
„Als junger Arzt bekam ich beispielsweise von meinem Stationsarzt den Auftrag einem 14-jährigen Mädchen mitzuteilen, dass wir ihr Bein amputieren müssen. Er hat mir nicht gesagt, wie man das am besten angeht oder mich begleitet. Ich musste das alleine machen“, erzählt Schwantes, der bis 2008 das Institut für Allgemeinmedizin an der Berliner Charité leitete und am Aufbau des Reformstudiengangs Medizin beteiligt war.
Schwantes erinnert sich aber auch an andere Situationen während seiner Ausbildung. Als er einmal mit einem Patienten, der über heftige Beschwerden klagte, nicht weiterkam und seine Oberärztin dazurief, setzte sie sich als Erstes an das Bett des Mannes und nahm seine Hand. „Sie schaute ihn an und sagte: ’Ich bin jetzt da. Wir passen auf Sie auf, alles wird bestimmt gut werden.’ Sie sagte nur ein paar Sätze und die Anspannung wich aus dem Patienten. Medizinisch war gar nichts passiert, aber es war eine andere Zuversicht im Raum zu spüren. Das hat mich damals sehr beeindruckt.“
Ein Erlebnis, das seine berufliche Laufbahn maßgeblich beeinflusste: Schwantes ist heute neben seiner Tätigkeit als Allgemeinarzt Spezialist für Medizindidaktik, unterrichtet Studierende in ärztlicher Gesprächsführung und bildet Ärzte, Zahnärzte und Therapeuten im Bereich Patientenkommunikation und Burn-out-Prophylaxe weiter.
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