Warten vor dem Zähneputzen?
Nach dem Konsum von sauren Nahrungsmitteln wird häufig und fälschlicherweise generell empfohlen, mit dem Zähneputzen zu warten. In der Folge wird die Frage bezüglich der Wartezeit nach einem Essen behandelt, bei dem auch Saures genossen wurde. Bezüglich der mechanischen Zahnreinigung sollte von der allgemeinen Empfehlung, nach dem Konsum säurehaltiger Substanzen zumindest 30 Minuten mit dem Zähneputzen zu warten, Abstand genommen werden.
Es entspricht zwar den Tatsachen, dass durch Säure erweichter Zahnschmelz durch mechanische Alteration leichter entfernt wird [Addy und Shellis, 2006] und diese Zahnhartsubstanz in Anwesenheit von mit Mineralien gesättigten Lösungen wie Speichel wieder remineralisiert werden kann [Amaechi und Higham, 2001]. Jedoch kommen im Speichel auch Proteine vor, die die Ausfällung der Mineralien und in Folge die Remineralisation hemmen [Helmerhorst et al., 2007].
Statherine, PRP (=“proline-rich phosphor), Cystatine, Albumine und weitere Proteine haben eine große Affinität zu Hydroxylapatit und hemmen so die (Re-)Mineralisation. Sie sind auch dafür verantwortlich, dass der mit Kalzium und Phosphat übersättigte Speichel nicht ausfällt und kristallisiert [Helmerhorst und Oppenheim, 2007; Jin und Yip, 2002]. Da diese Proteine wegen ihrer Größe kaum in eine Initialläsion (Kreidefleck) eindringen, kann dort mithilfe von Fluorid Remineralisation stattfinden, wobei dieser Prozess auch unter optimalen Verhältnissen längere Zeit beansprucht [Iijima et al., 1999].
Bei erosiven Läsionen mit ihrer erweichten Oberfläche im Mikrometerbereich können diese Proteine eindringen und so die Remineralisation hemmen. So konnten schon Garberoglio und Mitarbeiter im Jahr 1979 zeigen, dass mit 50 Prozent Phosphorsäure geätzter Schmelz über Monate sein Ätzmuster behält, dass also keine Remineralisation stattfand [Garberoglio et al., 1979]. Phosphorsäure erzeugt eine Veränderung der Schmelzoberfläche, die mit erosiven Substanzen, wie zum Beispiel Zitronensäure, vergleichbar ist. Laboruntersuchungen zur Remineralisation nach Erosion wurden und werden mit künstlichem Speichel durchgeführt, der eine ausgezeichnete Remineralisation zeigt, weil er die oben erwähnten Proteine nicht enthält. Diese Versuchsanordnung hat dann zu falschen Folgerungen für die Klinik geführt. Auch nach neueren Untersuchungen ist selbst nach einer Dauer von mehreren Stunden keine relevante Remineralisation von Zahnschmelz erreichbar [Ganß et al., 2007; Lussi et al., 2014].
Infolgedessen ist ein Zuwarten mit dem Zähneputzen im Normalfall nicht sinnvoll, da es Stunden bis Tage braucht, bis der mit Säure erweichte Schmelz einen gewissen Schutz vor Abrasion (wie durch das Zähneputzen) zeigt [Ganß et al., 2012; Garberoglio und Cozzani, 1979] (Abbildung 7). Auch die vorliegende Untersuchung an mehr als 3.000 Patienten hat klar gezeigt, dass Zuwarten nach dem Essen nicht sinnvoll ist.
Im Gegenteil, längere Wartezeiten führten eher zu mehr Abrasion (Odds ratio nach 26 bis 44 Min.: 1,41). Es könnte sein, dass gesundheitsbewusste Personen mit der Zahnreinigung warten und dann die Zähne besonders intensiv reinigen. Dieser Sachverhalt wurde auch bei der Untersuchung überempfindlicher Zähne, bei denen Dentin exponiert ist, bestätigt [West et al., 2013]. Sofern durch den Speichel eine effiziente Remineralisation stattfinden würde, müsste verzögertes Zähneputzen die Dentintubuli verschließen und so eine schützende Wirkung zeigen. Warten führte jedoch in dieser Untersuchung nicht zu weniger überempfindlichen Zähnen. Da viele saure Getränke auch noch Zucker enthalten (oft rund zehn Prozent), schadet eine Wartezeit von einer halben oder einer Stunde höchstens, weil in der Zwischenzeit vorhandene Bakterien den im Getränk enthaltenen Zucker zu Säure abbauen und dadurch Karies entstehen kann. Karies ist heute immer noch das Hauptproblem für die Zähne. Hinzu kommt, dass während einer Mahlzeit sowohl Saures als auch Süßes eingenommen wird und ein Warten somit nicht sinnvoll ist. Eine Wartezeit von einer halben bis zu einer Stunde zu instruieren, ist auch gesundheitspolitisch gesehen kontraproduktiv, da in diesem Fall die Zähne unter Umständen gar nicht gereinigt werden. Eine Ausnahme von dieser Regel ist bei häufigem Erbrechen angebracht, wo man den Mund sofort spülen, aber auf eine sofortige mechanische Reinigung verzichten sollte.
Bei der Involvierung von Dentin zeigt sich morphologisch ein anderes Bild. Aufgrund des geringen Anteils an Mineralien des Dentins im Vergleich zum Zahnschmelz zeigt die durch Säure demineralisierte Oberfläche eine gewisse Stabilität gegenüber weiteren chemischen und mechanischen Einwirkungen [Ganß et al., 2009]. In diesem Fall ist der weitere Verlust von Zahnhartsubstanz in Form der organischen Matrix durch kollagen abbauende Enzyme verursacht. Inwiefern hier eine Wartezeit zwischen dem Konsum säurehaltiger Substanzen und dem Zähneputzen Einfluss hat, bedarf weiterer Untersuchungen. Ob es sich nun um Schmelz oder Dentin handelt, Remineralisation ist und bleibt ein Prozess, der langsam vor sich geht. Die guten Ergebnisse bei der Anwendung fluoridhaltiger Lacke bei fortgeschrittenen Erosionen [Magalhaes et al., 2012] sind wahrscheinlich nicht dem Fluorid, sondern Resten der Lackbasis zuzuschreiben [Carvalho et al., 2014].
Prof. Dr. Adrian Lussi
Dr. Thiago S. Carvalho, PhD
Universität Bern
Klinik für Zahnerhaltung, Präventiv- und Kinderzahnmedizin
Freiburgstr. 7, CH-3010 Bern
adrian.lussi@zmk.unibe.ch
Dr. Barbara Cvikl
Medizinische Universität Wien
Abteilung für Zahnerhaltung und Parodontologie
Sensengasse 2a, A-1090 Wien
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