Sie berichtete über ein leichtes, je nach Schlafposition intermittierendes Schnarchen mit gelegentlicher Unterbrechung des Nachtschlafs. Eine stete Tagesmüdigkeit beklagte die Patientin nicht. Sie war normalgewichtig. Neben der Retrognathie und einem anamnestischen Nikotinabusus zeigte sie keine weiteren Risikofaktoren eines obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms. Eine ausführliche schlafmedizinische Diagnostik mittels Polysomnografie oder Watch-Pat© lehnte die Patientin ab. Primär stand die Therapie der Retrognathie im Vordergrund.
In der Auswertung des FRS (Fernröntgenseitenbildes) lag eine relative Rücklage sowohl des Ober- als auch des Unterkiefers vor. Der gemessene ANB-Wert, der die Lagebeziehung zwischen Maxilla und Mandibula beschreibt, lag bei 5° und der WITS-Wert (intermaxilläre sagittale Relation) betrug 2 mm (Klasse II). Tendenziell lag bei der Patientin ein skelettal bedingter offener Biss vor.
Während ihrer Behandlung wurde sowohl prä- als auch postoperativ ein digitales Volumentomogramm (DVT) angefertigt. Präoperativ und im weiteren diagnostischen Verlauf erfolgte die Untersuchung der oberen Atemwege mittels der Dolphin-3D©-Software. Präoperativ lag das Atemwegsvolumen der Patientin bei 13,8 ml. Die Mindestquerschnittsfläche der Atemwege betrug 142,3 mm². Die ermittelte sagittale Atemwegsfläche lag bei 501,0 mm² (Abbildung 2).
Nach einer Narkosefähigkeitsuntersuchung und der Aufklärung über mögliche Therapieoptionen, erfolgte im ersten Schritt die Vorverlagerung des Mittelgesichts in der LeFort-I-Ebene. Als zweiten Schritt hatte sich die Patientin gegen eine sagittale Spaltung und zu einer Distraktionsosteogenese entschlossen. Dazu wurde anhand des DVT-Datensatzes ein 3-D-Modell des Unterkiefers der Patientin generiert, an dem individuelle Distraktoren mit ihren Fixierungsplatten im Mesh-Design vorgebogen und angepasst wurden (Abbildung 3).
Das Mesh erlaubt sowohl ein einfaches Anpassen und Einkürzen als auch die Berücksichtigung von Vektoren. Der modulare Aufbau bietet darüber hinaus die Möglichkeit, verschiedene Distraktorlängen mit variablem Ansatz (End-, Middle-, Front-Driven) zu verwenden (Abbildung 4). Im Rahmen des zweiten operativen Eingriffs wurde der Unterkiefer (UK) über eine 2 cm bis 4 cm lange Schleimhautinzision, unter Bildung eines Mukoperiostlappens regio 37 und 47, beidseitig dargestellt.
Mittels Piezo-Surgery erfolgte eine inkomplette Kortikotomie des UK, wobei auf Höhe des Nervverlaufs lateral eine 2 mm messende Kortikalisbrücke verblieb. Zur Komplettierung der Kortikotomie wurde nach Einschrauben des vorbereiteten Distraktors mit seinen Fixierungsplatten die Kortikalisbrücke mit dem Piezo-Surgery und einem feinen Meißel durchtrennt.
Der Distraktor wurde anschließend probeweise um 2 mm aktiviert, wieder zurückgestellt und abschließend die Schleimhautwunde speicheldicht verschlossen. Der postoperative Verlauf gestaltete sich insgesamt komplikationslos. Nach sieben Tagen waren die Abschwellung sowie die Abheilung der Weichteilwunde und die Bildung der ersten Kollagenfasern soweit fortgeschritten, dass die erstmalige Aktivierung des Distraktors um beidseitig jeweils 0,5 mm vorgenommen werden konnte.
Um die angestrebte Zielposition zu erreichen, wurden die Segmente täglich um 0,5 mm distrahiert. Die Aktivierung war mit dem Erreichen der Idealposition der sagittalen, der vertikalen und der transversalen Dimension nach 24 Tagen abgeschlossen. Insgesamt lag danach eine Verlagerungsdistanz von 12 mm vor. Die Distraktion des Unterkiefers erweiterte das Volumen der oberen Atemwege um 6,5 ml. Das postoperative Atemwegsvolumen lag somit bei 20,3 ml. Die Mindestquerschnittsfläche konnte mit diesem Verfahren auf 188,3 mm², die sagittale Atemwegsfläche auf 575,5 mm² erweitert werden (Abbildung 5).
Entwickelt sich während der Distraktion ein offener Biss, so kann dieser zum Abschlusszeitpunkt der Distraktion durch Lösen der anterioren Rotationsschraube binnen zwei Tagen geschlossen werden. Bei dem in diesem Fall verwendeten Distraktor handelt es sich um eine technische Besonderheit eines in unserer Klinik weiterentwickelten Distraktors. Im Therapieverlauf erfolgte nach drei Monaten im Rahmen der Metallentfernung eine Kinnplastik. Die Behandlung der Patientin erfolgte in enger kieferorthopädischer Zusammenarbeit.
Die postoperative kieferorthopädische Aufgabe bestand in der okklusalen Feineinstellung. Zusätzlich wurden der Patientin eine logopädische sowie eine physiotherapeutische Behandlung empfohlen. Seit ihrer Entlassung stellt sich die Patientin in halbjährlichen Abständen in der Klinik vor, ihre Befunde werden weiterhin dokumentiert. Derzeit gibt es keine Anzeichen weder auf ein relatives noch auf ein absolutes Rezidiv. Die Patientin äußert sich sehr zufrieden über den Therapieverlauf und das Behandlungsergebnis (Abbildung 6).
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