Repetitorium Bandscheiben

Die Stoßdämpfer der Wirbelsäule

Heftarchiv Medizin Repetitorium
sp
Wie Gelkissen fangen Bandscheiben Erschütterungen und Stöße auf die Wirbelkörper ab und sorgen für eine gleichmäßige Druckbelastung der Strukturen. Kommt es zum Vorfall, ist das oft mit erheblichen Schmerzen verbunden. Nicht immer ist eine OP indiziert – die Mehrzahl der Bandscheibenvorfälle lässt sich konservativ behandeln. Für Zahnärzte ist das Thema berufsbedingt relevant.

Beim Bandscheibenvorfall kommt es – plötzlich oder auch langsam zunehmend – zu einer Verlagerung oder zum Austritt des Gallertkerns (Nucleus pulposus) der Bandscheibe nach dorsal oder nach lateral. Dies kann eine Kompression des Rückenmarks oder der Nervenwurzel zur Folge haben. Zu differenzieren ist, ob durch den Vorfall eine Läsion des Anulus fibrosus resultiert oder ob dieser intakt bleibt. Kommt es zum Einriss, liegt tatsächlich ein Bandscheibenprolaps vor. Bleibt die Struktur jedoch intakt, handelt es sich lediglich um eine Vorwölbung des Gallertkerns und damit um eine Bandscheibenprotrusion. Diese ist anders als der Prolaps voll rückbildungsfähig.Ursache beim Bandscheibenprolaps wie auch bei der Protrusion ist in aller Regel eine degenerative Veränderung der Wirbelsäule. Ein Bandscheibenvorfall als Folge einer Verletzung ist außerordentlich selten.

Lokalisation und Symptomatik

Zum Bandscheibenvorfall kommt es überproportional häufig im Bereich der Lendenwirbelsäule. Charakteristisch ist somit der luminale Bandscheibenvorfall, er macht etwa zwei Drittel der Krankheitsfälle aus. Deutlich seltener sind mit etwa 30 Prozent der Störungen zervikale Bandscheibenvorfälle, also Ereignisse im Bereich der Halswirbelsäule. Der thorakale Vorfall in der Region der Brustwirbelsäule ist mit zwei Prozent der Fälle noch viel seltener.

Bemerkbar macht sich der Bandscheibenvorfall im Allgemeinen mit akuten, zum Teil sehr starken Schmerzen und einer entsprechenden Bewegungseinschränkung. Die Schmerzen sind in erster Linie Ausdruck einer Nervenwurzelkompression, also nicht direkt durch den Prolaps bedingt, sondern durch den Druck des ausgetretenen Gewebes auf die umgebende Nervenwurzel.

Die Schmerzen können ausstrahlen, zum Beispiel beim lumbalen Bandscheibenvorfall als Ischialgie bis in die Beine und den Fußbereich. Sie verstärken sich häufig beim Husten oder Niesen. Allerdings kann sich ein Bandscheibenvorfall durchaus auch unbemerkt, also ohne ausgeprägte Schmerzreaktion ereignen und quasi als Zufallsbefund entdeckt werden. Bei der Schmerzsymptomatik gibt es zudem, so die Angaben in den Leitlinien, alle Übergänge „vom akuten Hexenschuss, der plötzlich einsetzt und ebenso rasch wieder verschwindet, bis zu chronisch rezidivierenden Schmerzen“.

Dabei korrelieren die Schmerzen nicht unbedingt mit dem kernspintomografischen Befund. So sind lumbale Bandscheibenvorfälle bei 20 bis 30 Prozent der unter 60-Jährigen und bei mehr als 60 Prozent der über 60-Jährigen in der Bildgebung zu finden, ohne dass die Veränderungen mit einer klinischen Symptomatik einhergehen.

Als Risikofaktor für eine Chronifizierung der Schmerzen gelten vor allem psychosoziale Faktoren, Disstress, eine ausgeprägte Depressivität, schmerzbetonte Kognitionen wie ein Katastrophisieren sowie Hilf- und Hoffnungslosigkeit. Getriggert wird die Entwicklung chronischer Schmerzen ferner durch ein ausgeprägtes Schon- und Vermeidungsverhalten sowie durch die Neigung zur Somatisierung.

Weitere häufige Symptome neben den Schmerzen sind Sensibilitätsstörungen bis hin zum Taubheitsgefühl und eventuell Lähmungen bedingt durch die Wurzelkompression, eventuell mit einer Störung der Harnblasen- und der Mastdarmfunktion. Es kann auch zum Ausfall der Reflexe kommen.

###more### ###title### Diagnostik ###title### ###more###

Diagnostik

Basis der Diagnostik sind zunächst die Anamnese und die neurologische Untersuchung. Dabei ist auf das Lasègue-Zeichen zu achten: Positiv ist es, wenn es aufgrund der Schmerzsymptomatik nicht möglich ist, bei dem Betreffenden in Rückenlage das gestreckte Bein aus der Hüfte heraus um 70 bis 80 Grad anzuheben.

Ein zweites Kriterium ist ein positives Bragard-Zeichen. Davon ist auszugehen, wenn in Rückenlage bei der Beugung des gestreckten Beines und passiver Drehung des Fußes nach dorsal Schmerzen im Bein oder im Gesäß auftreten. Beide Zeichen können auf einen Bandscheibenvorfall hinweisen.

Gesichert wird die Diagnose durch die Bildgebung, wobei diese üblicherweise per Computer- oder per Kernspintomografie erfolgt. Differenzialdiagnostisch ist vor allem eine mögliche periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) zu bedenken, eine Spinalkanalstenose oder eine Coxarthrose.

###more### ###title### Behandlung ###title### ###more###

Behandlung

Konservativ:

Die Behandlung des Bandscheibenvorfalls richtet sich im Wesentlichen nach der Symptomatik. In der Mehrzahl der Fälle ist eine konservative Therapie ausreichend. Sie besteht aus allgemeinen physiotherapeutischen Maßnahmen. Dazu gehören beispielsweise eine Wärmeanwendung mittels Fango- oder Moorpackungen, Wärmflasche und/oder Rotlicht sowie Massagen. Auch bewegungstherapeutische Ansätze sind Teil des Behandlungskonzepts. Sie sind möglich in Form der Krankengymnastik und/ oder als Bewegungstherapie im Wasser, also Aqua-Gymnastik. Ferner kann eine Ergotherapie indiziert sein.

Alternative Verfahren:

Zurückhaltend werden in der Leitlinie alternative Verfahren bewertet. So sollte eine Akupunktur-Behandlung den Empfehlungen zufolge beim Bandscheibenvorfall nicht angewendet werden. Nicht evidenzbasiert ist ferner die Verhaltenstherapie, wobei die Experten anmerken, dass bei akuten bandscheibenbedingten Schmerzen eine auf das individuelle Risikoprofil bezogene kognitive Verhaltenstherapie sinnvoll sein kann. Angewandt werden können auch Entspannungsverfahren wie die progressive Muskelrelaxation, wenngleich Studien, die die Wirksamkeit solcher Maßnahmen belegen, bislang fehlen.

Als wichtig erachtet wird eine adäquate Aufklärung des Patienten vor allem hinsichtlich der guten Prognose und der Bedeutung einer raschen Wiederaufnahme der üblichen Alltagsaktivitäten. Hilfreich im Hinblick auf eine langfristige Besserung der Rücken schmerzen ist oft eine Rückenschule, also das präventive Training der Rückenmuskulatur sowie das Erlernen eines rückenschonenden Verhaltens im Alltag. Entsprechend den Ergebnissen eines Cochrane-Reviews gibt es durchaus Hinweise für eine Besserung von Schmerz und Funktion vor allem bei rezidivierenden und chronischen Rückenschmerzen. Die Rückenschule sollte daher, so raten die Leitlinien, insbesondere beim Übergang eines akuten Rückenschmerzes in ein chronisches Stadium zur Anwendung kommen.

Schmerztherapie: Voraussetzung dafür, dass der Patient – vor allem bei der Bewegungstherapie – aktiv mitarbeiten kann, ist in aller Regel eine adäquate Schmerztherapie. Behandelt wird üblicherweise mit peripher wirksamen Analgetika sowie mit Muskelrelaxantien, im Bedarfsfall auch mit Opioiden.

Lokalanästhetisch:

Eine weitere Behandlungsoption stellt die therapeutische Lokalanästhesie dar, bei der schmerzstillende, entzündungshemmende und entquellende Wirkstoffe direkt an den Ausgangspunkt der Nozizeption injiziert werden. Mit der Behandlung ist, so die Leitlinie, eine Schmerzreduktion, eine Herabsetzung der Nervenerregbarkeit, eine lokale Durchblutungssteigerung und eine Desensibilisierung zu erwirken.

Durch die Infiltration von Lokalanästhetika wird eine reversible Ausschaltung der afferenten Fasern erreicht, wobei zuerst die sensiblen und bei höherer Dosierung die motorischen Nervenfasern blockiert werden. Als Angriffspunkt der therapeutischen Lokalanästhesie nennt die Leitlinie in diesem Zusammenhang primär die sensiblen Nervenfasern, die mit einer verminderten Erregbarkeit auf die Infiltration reagieren. Eine vollständige Anästhesie und Paralyse, wie sie durch höhere Konzentrationen erwirkt werden würde, ist für die lokale Infiltrationsbehandlung nicht erforderlich. Denn das primäre Behandlungsziel ist eine Herabsetzung der Erregbarkeit mit Heraufsetzen der Reizschwelle.

Die schmerzlindernde Wirkung hält länger an, als von der Wirkdauer des Lokalanästhetikums

zu erwarten ist. Das ist vor allem bei wiederholter Applikation zu beobachten, wobei nicht selten durch eine Serie von sechs bis zwölf Infiltrationen an aufeinanderfolgenden Tagen eine Dauerwirkung zu erzielen ist. „Die durch die mechanische Bedrängung angeschwollene Nervenwurzel wird durch die Injektionsbehandlung wieder in den ursprünglichen schmerzfreien Zustand gebracht“, so das Fazit in der Leitlinie. Zu beobachten ist eine solche Wirkung demnach beim Bandscheibenprolaps, bei der Bandscheibenprotrusion und bei einer Spinalkanalstenose.

Epidurale Injektionstherapie:

Ist mit den konventionellen Verfahren kein befriedigender Behandlungserfolg zu erwirken, kann auch eine epidurale Injektionstherapie versucht werden. Durch die segmentnahe Infiltration können laut Leitlinie vor allem Beschwerdespitzen abgefangen werden, die früher häufig zur Operation geführt haben.

Operativ:

Ein operatives Vorgehen ist üblicherweise indiziert, wenn entsprechende Warnsymptome bestehen, wenn also infolge sogenannter Red Flags ein dringender Handlungsbedarf besteht. Zu den allgemein bei Kreuzschmerzen geltenden Warnsignalen gehört unter anderem der begründete Verdacht, dass die Symptomatik durch ein schwerwiegendes Trauma bedingt sein kann, beispielsweise als Folge eines Autounfalls oder eines Sturzes aus großer Höhe.

Ein Warnsignal ist ferner der Verdacht auf eine Fraktur als Folge einer Osteoporose sowie die Möglichkeit des Vorliegens eines Tumors als Ursache der Schmerzsymptomatik. An eine solche Möglichkeit ist vor allem bei älteren Menschen zu denken, bei einer Tumorerkrankung in der Anamnese, bei begleitender Symptomatik (wie einem Gewichtsverlust und einer raschen Ermüdbarkeit), bei verstärktem nächtlichem Schmerz sowie bei einem verstärkten Schmerz in Rückenlage.

###more### ###title### Red Flag: Kauda Syndrom ###title### ###more###

Red Flag: Kauda Syndrom

Als Red Flag eines Bandscheibenvorfalls gilt hingegen das sogenannte Kauda-Syndrom. Es ist gekennzeichnet durch eine plötzlich einsetzende Blasen- und/oder Mastdarmstörung (Urinverhalt, vermehrtes Wasserlassen, Inkontinenz), eine perianale oder perineale Gefühlsstörung, zunehmende neurologische Defizite wie Lähmungen und Sensibilitätsstörungen der unteren Extremität sowie ein Nachlassen der Schmerzen bei zunehmender Lähmung bis zum kompletten Funktionsverlust des Kennmuskels (Nervenwurzeltod).

Es gibt unterschiedliche Operationsverfahren. Konventionell erfolgt eine offene Operation mit breitem Zugang oder mit Mikro-Technik. Daneben gibt es das perkutane Verfahren als Chemonukleolyse oder als perkutane automatisierte Diskotomie oder Laserdiskotomie. Möglich sind ferner dorsale und ventrale Fusionen sowie die Implantation künstlicher Bandscheiben.

Laut Leitlinie gibt es dabei gute Gründe, die Operation nicht lange hinauszuzögern: Denn bei frühzeitig operierten Patienten bilden sich Schmerzen und neurologische Defizite rascher zurück als bei nicht oder spät operierten Patienten. Nach Ablauf eines Jahres findet sich allerdings kein signifikanter Unterschied mehr zwischen den beiden Gruppen.

###more### ###title### Absolute und relative OP-Indikationen ###title### ###more###

Absolute und relative OP-Indikationen

Die Sinnhaftigkeit von Bandscheiben- Operationen ist immer wieder Gegenstand von Diskussionen. Laut Leitlinie gibt es eine Reihe vergleichender Untersuchungen zum konservativen und operativen Vorgehen. Ältere Arbeiten belegen demnach eher Vorteile der operativen Verfahren, neuere Untersuchungen räumen zwar eine langfristig höhere Behandlungszufriedenheit bei operierten Patienten ein, betonen aber auch, dass zum Teil Nachoperationen notwendig gewesen seien und dass zudem der Grad der Symptomreduktion und auch der Grad anhaltender Behinderungen in beiden Gruppen vergleichbar sei.

Eine absolute Operations-Indikation besteht entsprechend der aktuellen Experten- Empfehlung bei Vorliegen eines Kauda- Syndroms mit akuter Paraparese bei Massenvorfall oder bei pathologischer Wirbelkörperfraktur und/oder bei Blasen- und Mastdarmlähmungen sowie bei progredienten und akut aufgetretenen schweren motorischen Ausfällen.

Eine relative Indikation ist gegeben, wenn trotz ausreichender intensiver konservativer Maßnahmen (in der Regel für mindestens sechs Wochen) „nicht ausreichend therapierbare Schmerzen bei passender klinischer Symptomatik und zur Klinik passender bildmorphologisch gesicherter Wurzelkompression gegeben sind“.

Die Autorin der Rubrik „Repetitorium“ beantwortet Fragen zu ihren Beiträgen.Christine VetterMerkenicher Str. 22450735 Kölninfo@christine-vetter.de

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.