Therapie der obstruktiven schlafbezogenen Atmungsstörungen (OSAS)

So kontrollieren Sie Unterkieferprotrusionsschienen

Jörg Schlieper
Die Unterkieferprotrusionsschienentherapie (UPS-Therapie) ist neben der lange Zeit als Goldstandard angesehenen CPAP-Therapie mittlerweile etabliert. Was bisher fehlte, war eine systematische Anleitung zur Kontrolle der erreichten Qualität der diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen. Hier setzt dieser Beitrag an.

Mit „Kontrolle der UPS-Therapie“ ist die Prozessqualität gemeint, die sämtliche diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen innerhalb des gesamten Versorgungsablaufs mit einer UPS unter Berücksichtigung der individuellen Krankheitsmerkmale eines Patienten beschreibt. Dieser Versorgungsablauf, der mit der Dokumentation, Befundsicherung und Indikationsstellung beginnt, in die Eingliederungsphase mit Anpassung und Titration der UPS übergeht, mündet schließlich in der Erhaltungsphase mit deren fortlaufenden und regelmäßigen Kontrolluntersuchungen (Recall).

Die Historie der OSAS-Therapie

Die häufigste Schlafstörung, die Insomnie (Schlaflosigkeit), kommt in der Bevölkerung mit einer Prävalenz von 5,7 Prozent [1] vor und ist vergleichbar mit der Prävalenz der Volkskrankheit Diabetes mellitus mit etwa sieben bis acht Prozent [2]. Schlafstörungen, die durch obstruktive Atmungsstörungen (OSAS) bedingt und gesundheitsgefährdend sind [3, 4, 5, 6], treten bei zwei bis vier Prozent der Erwachsenen im Alter von 30 bis 60 auf [7]. Eine flächendeckende effektive Therapie der OSAS ist deshalb geboten und zahlt sich zudem betriebswirtschaftlich gesehen für das Gesundheitssystem aus [8].

Neben der Therapie der OSAS mit assistierter Beatmung (CPAP-Therapie) ist seit 1984 durch Meier-Ewert et al. eine Therapieoption auf zahnärztlichem Fachgebiet mit Unterkieferprotrusionsschienen (UPS) (Abbildung 1) bekannt. Die UPS haben sich durch die fortlaufende technische Weiterentwicklung und unter zunehmend strukturierter klinischer Anwendung neben der lange Zeit als Goldstandard angesehenen CPAP-Therapie wissenschaftlich etablieren können. Nach Maß angefertigten, zweiteiligen und individuell einstellbaren Schienensystemen (Abbildungen 1a bis 1c) ist hierbei der Vorzug zu geben. Sie gelten als Therapiestandard für die Langzeittherapie [9].

Die mittlerweile wissenschaftlich gut dokumentierte Wirksamkeit [8, 9, 10, 11, 12,13, 14, 15] sowie die bessere Compliance der UPS-Therapie gegenüber der CPAP- Therapie [16] führt heute trotz der respiratorisch gesehen besseren Effektivität der CPAP-Therapie [9, 10, 16, 17, 18] insgesamt gesehen bei leicht bis mittelgradiger OSAS zu einem vergleichbaren positiven gesundheitlichen Effekt dieser beiden Therapieformen [9, 14, 15, 19]. Dies führte 1995 zu der Empfehlung als Therapie der ersten Wahl (first line) im „Positionspapier zur Diagnostik und Therapie schlafbezogener Atmungsstörungen bei Erwachsenen“ [20].

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Vektordiagramme sichern die Prozessqualität

Eine systematische Anleitung im Sinne einer Kontrolle zur Qualitätssicherung der diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen innerhalb des Versorgungsablaufs in der UPS-Therapie ist in der Literatur nicht zu finden. Die Positionspapiere und Leitlinien der medizinischen und zahnmedizinischen Gesellschaften geben zwar wichtige grundsätzliche Empfehlungen ab [20, 21, 22, 23], lassen aber detaillierte Empfehlungen für die Prozessqualität vermissen.

Insofern geht vom Autor die Empfehlung zur Verwendung von Vektordiagrammen aus, deren Prinzip sich – unter anderem – bereits in der Parodontitistherapie bewährt hat [24]. Die Befunde therapierelevanter Krankheitsmerkmale sind als Vektoren im Diagramm leicht visuell zu erfassen, was die Verlaufskontrolle der Befunde erleichtert (Abbildungen 2 – 4). Im Vektorverlauf nimmt das Risiko für eine nicht effektive UPS- Therapie zu und damit der zu erwartende Therapieerfolg mit der UPS ab. Der Vektorverlauf wird in drei therapierelevante Risikoklassen – gering, mäßig und hoch – unterteilt und im Diagramm farblich unterschiedlich hervorgehoben.

Auch mehrere therapierelevante Merkmale lassen sich so mit ihren jeweiligen Vektoren übersichtlich als Befundkonstellation darstellen und ermöglichen eine Optimierung diagnostischer und therapeutischer Entscheidungsprozesse und damit eine Verbesserung der Prozess- und Ergebnisqualität. Schlussendlich dient dies der Verlaufskontrolle der UPS-Therapie im Recall.

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Zahnmedizinischen Befund bei der Therapie beachten

Von den therapierelevanten Krankheitsmerkmalen sind solche Merkmale von besonderem Interesse, die Rückschlüsse auf das Ergebnis der UPS-Therapie ermöglichen. Diese als Prädiktoren bezeichneten Merkmale [25, 26, 27, 28] ermöglichen eine Präzisierung der Entscheidung über diagnostische und therapeutische Maßnahmen für eine erfolgreiche UPS-Therapie.

In der UPS-Therapie sind medizinische (InfoKasten) von zahnmedizinischen Pädiktoren (Tabelle 1a) zu unterscheiden. Die medizinischen Prädiktoren beziehen sich lediglich auf die therapierelevanten Krankheitsmerkmale in der Schlafmedizin. Es sind also ausschließlich Merkmale, die eine Aussage über die Effektivität der UPS-Therapie auf die OSAS erlauben. Eine Aussage darüber, unter welchen zahnmedizinischen Befundkonstellationen diese Effektivität auftritt oder ob eine Veränderung der zahnmedizinischen Befundkonstellation im Laufe der UPS-Therapie zu einer Veränderung der Effektivität führt, ist dagegen nicht möglich. Dieser Gesichtspunkt ist wesentlich, weil die Effektivität der UPS-Therapie auf die OSAS bei unterschiedlichen craniomandibulären Befunden nicht gleich ist, sondern erheblich differieren kann [29].

Für die klinische Bewertung der zahnmedizinischen Prädiktoren in der UPS-Therapie wird in aller Regel auf die in der Zahnmedizin gängigen Indizes und Einteilungen zurückgegriffen (Tabelle 2b). Für die klinische Bewertung des Protrusionsgrades kann auf diesen Rückgriff verzichtet werden. Ein direkter Zusammenhang zwischen Effektivitätssteigerung der UPS-Therapie bei zunehmendem Protrusionsgrad ist in der Literatur gut belegt [30, 31, 32].

###more### ###title### Kontrolle der UPS-Therapie ###title### ###more###

Kontrolle der UPS-Therapie

Grundsätzlich sind nur Patienten mit zahnmedizinisch sanierten Verhältnissen einer UPS-Therapie zuzuführen. Hiervon kann umso mehr abgewichen werden, je deutlicher die vitale medizinische Indikation für eine UPS-Therapie ausfällt, was nur in einem interdisziplinären Konzil zu entscheiden ist.

Vor Beginn der UPS-Therapie ist eine Befunddokumentation unbedingt zu empfehlen. Diese unterteilt sich in die allgemeinzahnärztliche Befundung und in eine erweiterte Befundung für die UPS-Therapie [33]. Zur allgemeinzahnärztlichen Befundung bedarf es an dieser Stelle keiner weiteren Erläuterung. Sie ist Inhalt der zahnärztlichen Behandlung.

In der ergänzenden Befundung zur UPS-Therapie, einschließlich derjenigen des OPTG, sind alle wesentlichen und charakteristischen Krankheitsmerkmale für diese Therapieform zu berücksichtigen. Die hierunter befindlichen Krankheitsmerkmale, die als Prädiktoren gelten können, sollten aus oben genannten Gründen im Vektordiagramm dokumentiert (Abbildung 2) und zu Therapiebeginn nach Möglichkeit in den niedrigsten Risikobereich des Vektors geführt (Abbildung 3) und über den gesamten Behandlungszeitraum hinweg gehalten oder verbessert werden (Abbildung 4).

Bei hohem und sehr hohem Risiko einer oder mehrerer Vektoren – gegebenenfalls auch trotz vorheriger zahnärztlicher Therapie – ist die Indikation für eine UPS-Therapie eingeschränkt (Abbildung 2, Vektor für POB, Zahnlockerung und Taschentiefen mit hohem Risiko). Es gilt dann, falls eine geeignete zahnärztliche Therapie nicht erfolgreich gewesen sein sollte, den positiven Effekt der UPS-Therapie auf medizinischer Seite gegenüber dem negativen Effekt auf zahnärztlicher Seite abzuwägen. Dies gelingt wiederum ausschließlich in einem interdisziplinären Konzil der beiden Fachgebiete Zahnmedizin und Schlafmedizin.

Bei den regelmäßigen Kontrolluntersuchungen im Recall ist auf eine Änderung in der Vektordiagrammhistorie zu achten (vergl. Abbildung 3 mit Abbildung 4) und die UPS-Indikation fortlaufend zu überprüfen. Eine fortlaufende Erfassung der Befundwerte der Prädiktoren im Vektordiagramm ist deshalb unerlässlich.

Abgesehen von diesen Empfehlungen zur Kontrolle der allgemeinzahnärztlichen Befunde und der erweiterten Befundung mit ihren Prädiktoren kann auf Basis der Literaturangaben grundsätzlich folgendes empfohlen werden:

• Titrierung der UPS-Protrusion von einem Ausgangswert von 50 Prozent der maximalen Protrusion bis zur therapeutischen Protrusion

• nachfolgend regelmäßige zahnmedizinische Kontrolluntersuchungen in drei- bis zwölfmonatigen Abständen

• Schlafmedizinische Kontrolluntersuchung nach Titration und in entsprechenden Zeitabständen während der UPS-Therapie [20, 21, 22] durch den Schlafmediziner.

Ziel der Titrierung ist die Maximierung des schlafmedizinischen Therapieeffekts der UPS [11, 35, 36, 37, 38] bei möglichst geringer Protrusion und Bissöffnung, was sich positiv auf die Compliance [32, 37, 38] und die Effektivität [10, 11, 16, 34, 39] auswirkt. Der Beginn der Titrierung bei 50 Prozent der maximalen Protrusion, die langsam auf das maximale therapeutische Maß gesteigert wird, ermöglicht dem craniomandibulären System anscheinend eine Adaptation an die unphysiologische Situation der Protrusion mit geringerer Nebenwirkungsrate und besserer Compliance [32, 40].

Die Zeitabstände zwischen den zahnmedizinischen Kontrolluntersuchungen [16] sollten je nach Erfordernis, die sich aus der Risikoanalyse der Prädiktoren im Vektordiagramm ergeben, in drei-bis zwölfmonatigen Abständen durchgeführt werden. Besonderes Augenmerk ist auf eine mögliche nachlassende Wirkung der UPS [41, 42] und auf mögliche temporäre und reversible Nebenwirkungen (etwa Hypersalivation, Xerostomie, Myalgien) zu richten und durch geeignete Modifikationen der UPS zu begegnen [32, 39, 43]. Bei gegebenfalls auftretenden Myalgien sind physiotherapeutische Übungen zu empfehlen [40].

Von diesen temporären und reversiblen Nebenwirkungen sind die selten auftretenden, bleibenden Veränderungen im skelettalen und im dentoalveolären Bereich abzugrenzen. Diese bleiben aufgrund ihrer klinisch gesehen geringen Ausprägung meistens ohne Relevanz. Bei stärkerer Ausprägung können sie je nach klinischer Ausgangssituation über die Kompensation von Zahn-/Kieferfehlstellungen zu einem zwar anfänglich nicht gewollten, aber schließlich dennoch positiven Effekt führen.

Ist der Effekt nicht positiv, sondern negativ, so ist in Abwägung des therapeutischen Nutzens und der Nebenwirkungen der UPS-Therapie zu entscheiden, ob der negative Effekt zwangsläufig in Kauf genommen werden soll oder ob die UPS-Therapie abgebrochen werden muss [44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51]. Aus diesem Grund ist zu einer Archivierung der Modelle zu raten, auf denen die UPS angefertigt wurde.

Außerdem sind die Modelle mit Markierungen zu versehen, mit denen die anfängliche und die weiteren Protrusionen nachvollzogen werden können. Die Protrusion sollte zudem ausgehend von der mesialen Höckerspitze des ersten Molaren im Oberkiefer vermessen werden und ist definiert als horizontale Strecke zwischen anfänglicher maximaler Interkuspidation und therapeutischer Protrusion (Unterkieferprotrusion bei eingesetzter UPS) [33].

Über die Entscheidung für eine UPS-Therapie, ihre Fortführung nach Effektivitätskontrolle oder ihren Abbruch bei unerwünschten Nebenwirkungen sollte interdisziplinärer Konsens bestehen, an dessen Entscheidungsprozess sowohl die Zahnmedizin als auch die Schlafmedizin mit ihren einzelnen medizinischen Fachdisziplinen beteiligt sind. Denn ohne diesen Konsens zwischen Schlafmedizin und der zahnärztlichen Schlafmedizin mit ihren unterschiedlichen fachspezifischen Kompetenzen wird einer Entscheidung für oder gegen eine UPS-Therapie die notwendige Qualitätsgrundlage entzogen.

Dr. Dr. Jörg Schlieper, M.Sc.Facharzt für MKG-ChirurgieOsdorfer Weg 147, 22607 Hamburgschlieper@kieferchirurg-hamburg.de

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