Intraligamentäre Anästhesie

Eine ernst zu nehmende Alternative?

Immer wieder, zuletzt aktuell auf dem Deutschen Zahnärztetag 2015, wird im Zusammenhang mit der Aufklärungspflicht über Risiken, Nebenwirkungen und Alternativen bei der Lokalanästhesie die Frage gestellt, ob die intraligamentäre Anästhesie (ILA) eine übliche Methode der zahnärztlichen örtlichen Betäubung ist.

Zahnärztliche Behandlungen sind in sehr vielen Fällen Patienten nur zuzumuten, wenn vor der anstehenden zahnerhaltenden oder zahnchirurgischen Maßnahme - einer Extraktion, Implantation, Zahnwurzel- oder Parodontalbehandlung – das Schmerzempfinden ausgeschaltet ist. Komplikationen bei der örtlichen Betäubung sind zwar selten, aber nicht zu negieren.

Risiken der örtlichen Betäubung

Da Patienten meistens eine schmerzfreie Behandlung wünschen, ist vor der zahnärztlichen therapeutischen Maßnahme eine örtliche Betäubung gängige Praxis. Dazu wird - gelehrt und praktiziert - im Unterkieferseitenzahnbereich eine Leitungsanästhesie gesetzt, ansonsten wird eine Infiltrationsanästhesie appliziert.

Sowohl bei einer Infiltrationsanästhesie als auch bei einer Leitungsanästhesie am Foramen mandibulare oder mentale kann es durch die Injektionsnadel zu einer Gefäßläsion und zu einer dadurch verursachten Blutung kommen, was durchschnittlich bei mehr als 20 Prozent der Patienten der Fall ist [Eifinger FF et al., 1983; Lipp MDW, 1989]. Die Folge des Gefäßkontakts ist in vielen Fällen ein Hämatom, das im Oberkiefer zu einer Parulis, im Unterkiefer zu einer reflektorischen Kieferklemme führen kann. Die Kieferklemme tritt infolge des Hämatoms meist nach einem Tag auf [Bender W und Taubenheim L, 2013].

Auch wenn beide Effekte nach einigen Tagen ohne Behandlung abklingen, so ist der Patient während dieser Zeit signifikant eingeschränkt. Bei Patienten unter Antikoagulantien-Therapie kann es durch die Blutung zu einer massiven Hämatombildung mit schwerwiegenden Folgen kommen [Schwenzer N und Ehrenfeld M, 2000].

Unbeabsichtigt kann beim Setzen der Leitungsanästhesie ein Nervenstrang (N. lingualis und/oder N. alveolaris inferior) getroffen werden, was beim Patienten einen hellen Schmerz verursacht. Auch ist eine Läsion des Nervs möglich. Nicht selten ist, dass die Schmerzausschaltung nicht oder nur unzureichend eintritt (partieller Anästhesieversager) und eine Komplettierung erforderlich wird. Beim zweiten Anästhesieversuch kann es im Unterkiefer zu einem Nervenkontakt und – wenn auch nur in seltenen Fällen – zu einer Verletzung des Nervs kommen, ohne dass der Patient eine Möglichkeit der Reaktion hat, da der fragliche Bereich meistens bereits betäubt ist.

In Abhängigkeit von der injizierten Anästhetikummenge hält die Betäubung nach Abschluss der Behandlung noch einige Zeit, meist Stunden, an. Artikulation und Mastikation sind während dieser Zeit eingeschränkt. Dadurch sind unbeabsichtigte Bissverletzungen die häufigsten Komplikationen. Nur in sehr seltenen Fällen kommt es zu dauernden Sensibilitätsstörungen, die jedoch für den Patienten zu einer gravierenden Einschränkung der Lebensqualität führen können.

Über diese seltenen, aber möglichen Komplikationen ist der Patient vor der angezeigten Lokalanästhesie und der Behandlung gemäß Patientenrechtegesetz und Rechtsprechung aufzuklären, was heute aber weitgehend gängige Praxis ist.

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Indikationen und Kontraindikationen

Die Methode der Injektion von Anästhetikum in den Desmodontalspalt nahe des zu behandelnden Zahnes wurde bereits Anfang des 20. Jahrhunderts in Frankreich beschrieben [Bourdain C-L, 1925]. In Deutschland wird diese Möglichkeit der Lokalanästhesie – die ILA – nur an wenigen Universitäten gelehrt. In der zahnärztlichen Praxis hat sie sich nur behutsam als eine Variante der örtlichen Betäubung etabliert. „Modern oder ein alter Hut?“ – diese auf dem Deutschen Zahnärztetag 2015 gestellte Frage gilt es zu beantworten, denn nur wenn sie medizinisch gleichermaßen indiziert und eine übliche Methode ist, ist der Patient auch auf die ILA – als Alternative der gemeinhin applizierten Lokalanästhesie-Methoden – hinzuweisen.

Die verbreitete Meinung über die ILA basiert auf einem Stand von Wissenschaft und Technik der 1980er-Jahre, der sich jedoch mindestens in den vergangenen 15 Jahren signifikant verändert hat. Seit dem Ende des vergangenen Jahrhunderts sind sehr sensible Instrumentarien für intraligamentale Injektionen verfügbar, die eine ILA ohne unerwünschte Effekte ermöglichen.

In dieser Zeit durchgeführte evidenzbasierte klinische Studien, deren Ergebnisse alle international publiziert wurden, haben gezeigt, dass diese Lokalanästhesie-Methode den konventionellen Methoden der Schmerzausschaltung mindestens vergleichbar ist, wenn nicht sogar überlegen. Sie ist für die Patienten signifikant weniger belastend und risikoärmer [Benz C, Prothmann M, Taubenheim L, 2015].

Die ILA kann für fast alle Indikationen wie konservierende, restaurative, endodontische und auch chirurgische Maßnahmen (Extraktionen, Osteotomien) angewendet werden. Ausgenommen sind lang andauernde und ausgedehnte dento-alveoläre chirurgische Eingriffe, wo die ILA die Anforderungen der Schmerzfreiheit nicht immer erfüllen kann [Csides M et al., 2009; Dirnbacher T et al., 2003; Glockmann E und Taubenheim L, 2002; Glockmann E und Taubenheim L, 2010; Glockmann E et al., 2005; Glockmann E et al., 2007; Heizmann R und Gabka J, 1994; Khedari AJ, 1982; Langbein A et al., 2012; Malamed SF, 1982; Prothmann M et al., 2009; Zugal W et al., 2005].

Die ILA ist für alle Zähne, im Ober- und im Unterkiefer, im Front- und im Seitenzahnbereich applikabel und für alle Patienten anwendbar [Cichon P und Bader J, 1997; Csides M et al., 2009; Dirnbacher T et al., 2003; Giovannitti JA und Nique TA, 1983; Glockmann E und Taubenheim L, 2002; Langbein A et al., 2012; Malamed ST, 1982; Prothmann et al., 2009]. Beim Patientengut gibt es nur eine Einschränkung: Bei Patienten mit einem Endokarditisrisiko ist eine intraligamentäre Anästhesie kontraindiziert [Benz C, Prothmann M, Taubenheim L, 2015; Glockmann E und Taubenheim L, 2002; Glockmann E und Taubenheim L, 2010]. Die diesem Anästhesieverfahren zugeordneten Nebenwirkungen und Komplikationen (Druckschmerz, Elongationsgefühl, Nekrosen) stehen in direktem Zusammenhang mit dem applizierten intraligamentalen Injektionsdruck, der nicht höher als 0,1 MPa (~5 N) sein sollte.

Mit Injektionssystemen, die dem Stand der Wissenschaft und der Medizintechnik entsprechen (Abbildungen 1 und 2a), ist es kaum möglich, einen höheren Injektionsdruck aufzubauen [Zugal W et al., 2005].

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Methodenvergleich

Bei der Bewertung der genannten drei Lokalanästhesie-Methoden sind die für die Behandlung relevanten Parameter direkt miteinander zu vergleichen, gestützt auf die durch klinische Studien bewiesenen Fakten. Von Relevanz sind die Risiken sowie die Belastungen für den Patienten.

Die ILA ist als eine sichere Methode der zahnärztlichen Lokalanästhesie einzustufen. Voraussetzung ist die Beherrschung der Methode durch den Behandler, die Anwendung moderner Instrumentarien, mit denen ohne nennenswerte Druckbelastung injiziert werden kann, zum Beispiel den Dosierrad-Spritzen vom Typ SoftJect (DIN 13989:2013), und die Verwendung bewährter Anästhetika mit Vasokonstringenzien (Adrenalin) [Gray RJM et al., 1987; Zugal W et al., 2005].

Stand der Medizintechnik

Die dem heutigen Stand der Medizintechnik entsprechenden Instrumente für intraligamentale Injektionen sind standardisiert mit eigener DIN-Norm [zm 2015; (105) 13A: 50] und gelten – aus juristischer Sicht – damit jedem Zahnarzt als bekannt. Neben mechanischen Spritzensystemen stehen heute für intraligamentale Injektionen auch ausgereifte, elektronisch gesteuerte Injektionssysteme, wie das STA-System, zur Verfügung (Abbildung 2a). Die Injektion erfolgt dabei „ohne Spritze“ durch einen „Zauberstab“ (Wand) (Abbildung 2b) und ist daher auch für Spritzenphobiker, Erwachsene wie Kinder, geeignet.

Bei diesem Injektionssystem ist die Geräte-einheit durch einen dünnen Schlauch mit dem sterilen Einweg-Handstück mit der Injektionsnadel verbunden. Das elektronisch gesteuerte Injektionssystem misst den Gewebegegendruck und passt den Injektionsdruck in Echtzeit an die anatomischen Gegebenheiten des Patienten an.

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Patientenaufklärung und Patienteneinverständnis

Nach der erfolgten Standardisierung der Dosierrad-Spritzen für intraligamentale Injektionen ist diese Methode als analog zu den konventionellen Methoden Infiltrationsund Leitungsanästhesie zu bewerten. Man darf davon ausgehen, dass sie im Fall von Rechtsstreitigkeiten mit Sicherheit sowohl bei Medizinrechtsanwälten als auch bei Richtern als eine gleichwertige primäre Methode der oralen Lokalanästhesie für alle Zähne bekannt ist [Bluttner A, Taubenheim L, 2009; Taubenheim L, Glockmann E, 2006].

Der Patient muss darüber als risikoarme Alternative aufgeklärt werden. Nach einem Kommentar eines Richters des BGH im Jahr 2004 darf diese Aufklärungspflicht nicht als Nebensache behandelt werden [Stöhr KH, 2004].

Erspart sich der Behandler jedoch die zeitaufwendige Aufklärung über „Spritzenalternativen“, geht er mit der konventionellen Leitungsanästhesie ein nicht immer kalkulierbares Risiko ein. Denn auch wenn durch eine Leitungsanästhesie generierte dauerhafte Schäden relativ selten – dann aber für den Patienten nachhaltig – sind, können sie nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Bei Unterlassen der Aufklärung über mögliche Alternativen und eingetretenem Schaden haftet immer der Behandler.

Eine Aufklärung über das Risiko einer Gefäß- und/oder einer Nervenläsion kann bei der ILA entfallen, da im Desmodontalspalt keine Blutgefäße und Nervenstränge liegen, die verletzt werden können.

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Schlussfolgerung

Die international publizierten Ergebnisse aller klinischen Studien zeigen, dass die intraligamentäre Anästhesie in der Zahnheilkunde eine medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methode der örtlichen Betäubung ist, die bei wesentlich geringeren Risiken und Belastungen für den Patienten zu einem vergleichbaren Erfolg bei der Schmerzausschaltung führt. Sie ist mit dem Patienten als Alternative zur Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior und zur Terminalanästhesie zu besprechen.

Letztlich entscheidet der Patient, welche Möglichkeit der Schmerzausschaltung er wünscht. Für den Patienten ist es leichter, sich mit den geplanten Maßnahmen, den zu erwartenden Ergebnissen und auch den damit verbundenen Risiken vertraut zu machen und seine Einwilligung zu erteilen, wenn er eine verständliche Beschreibung von seinem behandelnden Arzt erhält.

Die Entscheidung des Patienten muss dokumentiert werden, was über eine schriftliche Einverständniserklärung erfolgen könnte. In karteilos geführten Praxen ist es möglich, über eine PAD-Lösung die Unterschrift des Patienten zu dokumentieren und abzuspeichern.

Die intraligamentale Applikation von Anästhetikum in den Desmodontalspalt ist – bei Anwendung sensibler Instrumentarien – leicht zu erlernen. Die Handhabung – von der Insertion der Kanüle in den Desmodontalspalt, die fast drucklose Injektion des bewährten Anästhetikums (mit Adrenalin) bis zum Druckabbau nach durchgeführter Injektion – wird vom behandelnden Zahnarzt visuell kontrolliert. Der Anästhesieerfolg kann sofort überprüft werden, da bei der ILA der Anästhesieeffekt ohne Latenz eintritt.

Dr. med. dent. Wolfgang BenderFlachskampstr. 65 40627 Düsseldorf

dr.w.bender@gmx.de

Lothar TaubenheimAm Thieleshof 2440699 Erkrath

LT.Lothar.Taubenheim@t-online.de

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