Editorial

Kein Sack Reis

Wie gesund Kinder sind, hängt in Deutschland maßgeblich davon ab, ob ihre Eltern arm oder reich sind. Bestätigt wird die traurige Wahrheit jetzt erneut durch eine aktuelle repräsentative Untersuchung: Die „Health Behavior in School-aged Children“ checkt alle vier Jahre die Schulkinder der Klassen 5, 7 und 9 durch. Nicht nur Billigwaffeln in der Butterbrotdose, Ringe unter den Augen und Hände, die keinen Ball fangen können, verraten den Ärzten, aus welchen Verhältnissen die Kids stammen. Die Zähne tun es zunehmend auch, und zwar auf den ersten Blick.

Kein Wunder, dass mittlerweile auch bei Kindern zerstörte Gebisse als peinlich gelten, als Indiz für Hartz IV, für kaputte Elternhäuser und für das Abgehängtsein allgemein.

Dass wir uns nicht schicksalsergeben damit abfinden müssen, dass ein Mensch schon im Alter von 10, 12 Jahren abgeschrieben ist, zeigen Zahnärzte in Jena.

Vor sieben Jahren haben sie ein Präventionsprogramm gegen frühkindliche Karies aufgesetzt, das es in der Form bei uns noch nicht gegeben hat. Jetzt präsentieren sie die Ergebnisse der Evaluation. Und Überraschung: ECC-Vorsorge funktioniert!, lautet ihre Botschaft.

Statistisch gesehen leiden inzwischen 10 bis 15 Prozent der Kinder in Deutschland an Milchzahnkaries, in sozialen Brennpunkten steigen die Prävalenzen auf bis zu 40 Prozent. In Jena hatten die betreuten Kinder nach fünf Jahren einen d3-4mft von 0,4 ± 0,9, die in der Kontrollgruppe kamen auf 4,3 ± 3,2 d3-4mft. Im Unterschied zu vielen Vorsorgemodellen, die in der Gesundheitslandschaft so nebeneinander her existieren beziehungsweise vor sich hin dümpeln, viel Geld kosten, während in China ein Sack Reis mehr umfällt, hat dieses Programm also wirklich Erfolg.

Woran liegt das?

In erster Linie daran, dass die Jenaer Zahnärzte bestimmte Dinge NICHT getan haben. Sie haben nicht auf – ich nenne sie mal – „Feel-Good-Konzepte“ gesetzt, die viel versprechen, aber dann leider doch nur die Latte-macchiato-Mütter und -Väter erreichen, also die, die helikoptermäßig ohnehin schon alles richtig (und viel mehr) machen und selbstverständlich auch bei der Mund- und Zahnpflege ihrer Kinder Vorzeigeeltern sind. Sie haben auch nicht weiter in ineffiziente, weil einseitig fokussierte Konzepte investiert, die sich auf das rein zahnärztliche Netzwerk beschränken. Stattdessen haben sie sich überlegt, wer alles am Kindeswohl beteiligt ist, und diese Akteure zusammengebracht. Außer der Zahnklinik in Jena sind das die städtischen Ämter und natürlich: die Eltern. In der Praxis sah das so aus: Hebammen, Sozialarbeiter und Krankenschwestern schauten nach der Geburt regelmäßig bei den Eltern vorbei, um sie über Ernährung, Gesundheit und Erziehung zu informieren. Parallel erfolgte eine engmaschige Betreuung durch Zahnärzte. Am Ende starteten diese Familien im Durchschnitt erheblich früher mit der Zahnpflege, gingen früher das erste Mal zum Zahnarzt und litten – siehe oben – deutlich weniger an Milchkaries.

Die Antwort heißt also: ECC-Prävention ist dann erfolgreich, wenn sie gezielt die Risikofaktoren bekämpft, eine enge Zusammenarbeit zwischen Zahnärzten, Pädiatern, Kitas und Eltern initiiert und Anreize für einen frühen Zahnarztbesuch schafft.

Eine Botschaft, die KZBV und BZÄK übrigens seit Jahren im Bundesgesundheitministerium wie ein Mantra wiederholen und die sie in ihrem ECC-Konzept von Anfang 2014 umfassend erklärt haben. Und siehe da! Die Schwingungen sind angekommen: Ab Juli sind im Gelben Heft sechs Verweise vom Arzt zum Zahnarzt verankert.

Kein Sack Reis, im Gegenteil: ein großer Schritt, um die Präventionslücke bei den 0- bis 3-Jährigen zu schließen.

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