Kinderzahnheilkunde auf der 58. Sylter Woche

Was tun bei Angst, Gewalt oder Trauma?

Die wissenschaftliche Ausrichtung des 58. Fortbildungskongresses der ZÄK Schleswig-Holstein entstand in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde. Die hier vorgestellten Vorträge beleuchten die Bedeutung der Vertrauensbildung zum Kind und die Wichtigkeit der Aufklärung der Eltern, die erforderlichen Maßnahmen beim Verdacht einer Kindesmisshandlung und die Versorgung nach einem dentalen Trauma.

Immer wieder stehen Zahnärzte vor der Situation, dass ein Kind vor ihnen sitzt, dessen Zähne – besonders in der Front – braunschwarz oder gelblich verfärbt sind. In solchen Momenten gilt es, besonnen und strategisch vorzugehen, empfiehlt Prof. Dr. Anahita Jablonski-Momeni aus Marburg. Sie erklärte, warum man in diesem Alter nicht sofort einen Zahnfilm anfertigen sollte, sondern dass es vielmehr zuerst darum geht, das Vertrauen des kleinen Patienten zu gewinnen.

Mit der Kitzelbürste gegen die Angst

Sie stellte einen Fall vor, bei dem sie nach spielerischem Umgang mit einer „Kitzelbürste“, wie sie es nannte, das Kind dazu gebracht hat, eine Zahnreinigung zu tolerieren. Anschließend habe sie problemlos fluoridieren können. „Es braucht etwa zwölf Monate, bis eine Karies am Milchzahn sichtbar wird, wenn ein Kind dann damit kommt und keine Schmerzen hat, liegt die Läsion noch im Schmelz und wir können das vorsichtig angehen.“ Sie betonte aber deutlich, dass anschließend ein Gespräch mit den Eltern folgen muss: „Stecken Sie Ihre Energie in die Aufklärung der Eltern bezüglich der Ernährung und der Zahnhygiene [...] Eltern müssen immer nachputzen und zwar so lange, bis ein Kind flüssig schreiben kann, also bis etwa zum achten Lebenjahr!“

Ihr Tipp für die Detektion von Kariesläsionen besonders im approximalen Bereich ist die fluoreszenzbasierte Kariesdiagnostik: „So sehen Sie eine Läsion schon in einem sehr frühen Zustand, die noch kein Röntgenbild aufdeckt und Sie haben eine gute Erklärung für die Eltern!“ Sie erinnerte daran, dass Kinder unter drei Jahren mit nur einer einzigen Kariesläsion schon als Risikokinder eingestuft werden müssen und einen engen Recall sowie eine gesonderte Intervention benötigen.

Strategien gegen Misshandlung

Die Rechtsmedizinerin Prof. Britta Bockholdt aus Greifswald berichtete, dass Untersuchungen von  Jugendämtern an 20.000 Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten zeigen konnten, dass ein Drittel von ihnen  Gewalterfahrungen hat. Hierzu gehörten Vernachlässigung sowie Misshandlung, beides sei in allen sozialen Schichten zu beobachten. Gerade der Zahnarzt, der „dicht dran ist“ am Kind, könne früh einen Verdacht haben und weitere erforderliche Schritte einleiten. Dabei befinde sich der Zahnarzt aber in einem Interessenkonflikt: Einerseits haben die Eltern als Vertreter des Kindes ein Anrecht auf seine Verschwiegenheit, andererseits hat er eine Garantenstellung seinem kleinen Patienten gegenüber. Dieser Konflikt sei nicht immer einfach.

Sie empfahl, jede Auffälligkeit detailliert zu dokumentieren und möglichst per Foto festzuhalten. Sie gab einige wichtige Diagnosehilfen, da Eltern und Kind selten korrekte Angaben machen: „Achten Sie auch auf Petechien, die bevorzugt am Auge oder im ganzen Gesicht auftreten. Diese deuten auf eine Würgeverletzung hin.“ Wenn Kinder stürzen, dann fallen sie auf exponierte Körperstellen wie Knie, Schienbeine, Stirn und Nase. „Ein blaues Auge jedoch, das daneben vielleicht noch weitere gelbe oder grüne Hämatome zeigt, ist immer eine Folge einer mehrfachen Misshandlung!“ Und: „Achten Sie auf geformte Verletzungen wie durch eine Hand oder eine ausgedrückte Zigarette auf einer Hand oder im Gesicht!“

Auch bei weniger eindeutigen Situationen müsse der Zahnarzt wachsam sein: Wenn der Zahnarztbesuch nach einer offensichtlichen Mund-/Gesichtsverletzung herausgezögert wurde oder wenn sich ein Kind sehr verhaltend und äußerst passiv zeigt. „Diese Kinder weinen trotz ihrer Verletzungen selten, zeigen aber eine ’eisige Wachsamkeit’, das bedeutet, dass sie keinen Blickkontakt suchen, aber genau und aufmerksam beobachten, was gerade in ihrem Umfeld geschieht.“ Sie erinnerte daran, dass bereits die Form einer Vernachlässigung vorliegt, wenn ein Kind mit einer sehr schlechten Mundhygiene in die Praxis kommt, dann aber nach einer verständlichen und umfangreichen Aufklärung der Eltern keine Behandlung erfolgt.

Sowie der Zahnarzt einen Verdacht hegt, sollte er, so die Gerichtsmedizinerin, folgendermaßen vorgehen: „Suchen Sie das Gespräch mit den Eltern. Machen Sie Hilfsangebote. Kontrollieren Sie die Termintreue.

Kontakten Sie – wenn auch nur zur Beratung – Ihre nächste Gerichtsmedizin. Informieren Sie das Jugendamt.“ Als Unterstützung verwies Bockholdt auf einen Dokumentationsbogen der Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern (über E-mail:erhältlich).

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Die richtige Erstversorgung gegen Spätfolgen

Epidemiologische Studien zeigen, dass 50 Prozent aller Kinder und Jugendlichen vor ihrem 18. Geburtstag ein dentales Trauma erleiden. Meistens treten diese an den Milchzähnen auf – und fast immer sind die Frontzähne betroffen, so referierte Prof. Dr. Andreas Filippi aus Basel die Prävalenz. Damit geschehen die häufigen traumatischen Frontzahnverletzungen (70 Prozent) während einer wichtigen Wachstumsphase. Für Filippi verlangen diese Traumen aufgrund der Irreversibilität, der schweren Spätfolgen und der hohen Folgekosten für die Lebensqualität eine konsequente Erstversorgung: „Jeder Zahnarzt sollte eine Erstdiagnostik sowie die Erstversorgung beherrschen!“, forderte er.

Zwei wichtige Beobachtungen habe man machen können: Erstgeborene haben deutlich weniger Zahnunfälle als Nachgeborene und die Unfälle finden fast ausschließlich im Umkreis von 100 Metern vom Zuhause oder von der Schule des Kindes statt. Daraus lasse sich folgern, wie wichtig es ist, hier zum Beispiel mit einer Zahnrettungsbox Vorsorge zu treffen. Sein Tipp: „Achten Sie immer auf einen Tetanusschutz!“

Weiter gibt er folgende Empfehlungen: „Bei Wurzelfrakturen sollten Sie nichts unternehmen, sehr schnell bildet sich eine Dentin/Zement-Apposition zwischen den Bruchstücken.“ Derart frakturierte Zähne könnten sogar nach sechs Monaten wieder kieferorthopädisch verschiebbar sein, versprach der Referent. Bei einer Kronenfraktur empfiehlt er, das Bruchstück mindestens über Nacht zu wässern, bevor es adhäsiv wieder befestigt wird. „Kleben Sie aber das Fragment unbedingt sofort wieder an, wenn es nicht ausgetrocknet ist!“ Er forderte weiter: „Lassen Sie die Finger von apikalen Fragmenten. Sie können alles nur noch verschlimmern. Bei Dislokationen müssen Sie daran denken, dass auch die Wurzel ausgelenkt ist und mit hoher Wahrscheinlichkeit die Knochenlamelle frakturiert hat. Sie kann oft leicht mit dem Daumen repositioniert werden.“

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Weitere Tipps: „Vergessen Sie es, dass ein Kältetest Ihnen weiterhilft. Aber vergessen Sie nicht: Wenn der Sensibilitätstest negativ ist, bedeutet das eine Ischämie der Pulpa!“ Filippi erklärte, dass dann Gefahr drohe, weil sich die Pulpa selbst nicht gegen eindringende Bakterien wehren könne und das Proplem am Apex zu suchen sei. „Machen Sie in einem solchen Fall sofort adhäsiv zu, möglichst unter Kofferdam.“ Viele seiner weiteren Tipps sowie eine Step-by-step- Beschreibung der Therapie eines Kronentraumas wird er bald bei zm-online.de detailliert zeigen. Ein Link zu einem Zahnunfallbogen für die Dokumentation einer interdisziplinären Diagnostik und Therapie ist im Kasten zu finden.

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