Praxiskrisen

"In einer Krise muss alles auf den Tisch!"

Wann ist eine Krise bedrohlich, wann nur ein temporärer Engpass? Wie erkenne ich das, welche Orientierungsmarken habe ich? Welche Rolle spielen Standort, Arbeitsschwerpunkte und mein Praxisteam? Und: Wie kann ich ursachengerecht auf eine Praxiskrise reagieren? Antworten auf diese Fragen gibt Dr. David Klingenberger vom Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ) in Köln.

Wie oft kommen Praxiskrisen vor, die bedenklich sind? Was kann man über das Ausmaß dieses Phänomens sagen?

Dr. David Klingenberger:Praxiskrisen im Sinne von temporären Strategie-, Erfolgs- oder Liquiditätskrisen sind vermutlich gar nicht mal so selten, zum Glück aber nur selten für den Praxisinhaber existenziell bedrohlich, wie die vergleichsweise geringe Insolvenzquote von Zahnarztpraxen in Höhe von 0,24 Prozent (Stand: 2008) zeigt.

Die Insolvenz markiert aber gewissermaßen nur die Spitze des Eisbergs, das heißt, hier spielt sich vieles im Verborgenen, unter der Oberfläche und jenseits der Statistik ab. Dass es eine nicht genauer quantifizierbare Dunkelziffer an Beinahe-Insolvenzen gibt, ist ein Hinweis auf vorhandene Schamgefühle der Praxisinhaber. Erfolg gilt als sexy, nicht die Krise. Umso wichtiger ist es, zu verdeutlichen, dass Praxiskrisen zum einen mit zum unternehmerischen Risiko des Zahnarztes gehören, es zum anderen aber auch Möglichkeiten des Gegensteuerns gibt.

Woran kann man erste Anzeichen erkennen?

Wenn man sich gerade neu in eigener Praxis niedergelassen hat und noch nicht über eigene Erfahrungswerte und Daten aus der BWA verfügt, sind statistische Durchschnittsgrößen zur Orientierung ebenso wichtig wie hilfreich. In der Startphase einer Existenzgründung sollte man keinen Blindflug versuchen, sondern immer auf Sicht steuern, das heißt sich an externen Referenzmaßstäben orientieren, um krisenhafte Abweichungen in der eigenen Praxis frühzeitig zu erkennen. Ich betone das im Hinblick auf junge Praxisinhaber vor allem deshalb, weil jüngere Unternehmen laut Creditreform generell krisenanfälliger sind.

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Lassen Sie sich nicht in den Ruinen Ihrer Gewohnheiten nieder!

Bei den bereits etablierten Zahnarztpraxen kommen ergänzend die laufende BWA und der Vergleich mit den Vorjahren und Vorjahresquartalen als Möglichkeit eines internen Benchmarkings hinzu. Aber auch hier gilt es zu beachten, dass die BWA lediglich die betriebswirtschaftlichen Folgen einer Fehlentwicklung anzeigt, in der Regel in Form einer Liquiditätskrise, deren Ursachen aber nicht automatisch mit aufdeckt. Im Fall einer schleichenden Zuspitzung einer krisenhaften Entwicklung kann die BWA der Vorjahre deshalb auch kein geeigneter Referenzmaßstab mehr sein. Ziel sollte immer sein, sich an besseren Methoden und Praktiken (Best Practice) zu orientieren, anstatt sich in den „Ruinen seiner Gewohnheiten“ (Jean Cocteau) niederzulassen.

Welche Rolle spielen Fragen des Standorts oder des Behandlungsschwerpunkts?

Im Zusammenhang mit dem Praxiskonzept sind Aspekte wie der Standort oder die Arbeitsschwerpunkte zentral. Die angestrebten Arbeitsschwerpunkte lassen sich nur bei der hierzu passenden Patientenklientel vor Ort realisieren. Das ist keineswegs selbstverständlich und sollte unbedingt bereits bei der konkreten Entscheidung zur Niederlassung beachtet werden. Wenn das Praxiskonzept nicht stimmig ist, kommt es schnell zu ersten Krisenanzeichen, zur Strategiekrise. Wir haben im Rahmen des Existenzgründungsprojekts AVE-Z im Einzelfall nachvollziehen können, wie zahnärztliche Existenzgründer in einem mühsamen und kostenträchtigen Trial-and-error-Prozess erst Arbeitsschwerpunkte begründet und dann später wieder aufgegeben haben.

Und welche Rolle spielen Personalfragen?

Ohne ein eingespieltes Praxisteam wird es für den Praxisinhaber sehr schwer. Aus dem AVE-Z-Projekt wissen wir auch, dass sich eine hohe Personalfluktuation sehr nachteilig auf den Umsatz auswirkt. Die Aufgabenverteilung innerhalb des Praxisteams und die betriebliche Atmosphäre sollten stimmen. Der Patientenerstkontakt erfolgt zumeist über das Praxisteam. Das Personal ist also quasi die „Visitenkarte“ der Praxis.

Welche Rolle spielen Privatentnahmen aus den Praxisumsätzen?

Bei einer Liquiditätskrise können sicherlich auch zu hohe Privatentnahmen mit ursächlich sein. In der Regel fehlt dann schlicht der Gesamtüberblick und der Praxisinhaber denkt wirtschaftlich zu kurzfristig. Für Erneuerungs- und Erweiterungsinvestitionen, für die Alterssicherung oder auch für Steuernachforderungen des Finanzamtes sollte immer ein mittel- bis langfristiger Finanzierungsplan gemacht werden, um diese Betriebsausgaben über mehrere Jahre verteilen zu können. Aus dem laufenden Umsatz können sie die Praxismodernisierung jedenfalls nicht finanzieren. Privatentnahmen also bitte nicht zulasten notwendiger Rücklagen!

Was ist Ihre Erfahrung/Beobachtung: Reagieren Zahnärzte zu spät auf Schieflagen?

Ich glaube, dass Zahnärzte in der Regel schon frühzeitig auf Schieflagen reagieren, sonst wären die Insolvenzraten höher. Möglicherweise wird aber zu häufig nicht wirklich ursachengerecht reagiert, sondern eher zaghaft an den Symptomen kuriert. Da wird zum Beispiel mit der Bank über einen höheren Kontokorrentrahmen verhandelt, obwohl der das Liquiditätsproblem nicht dauerhaft lösen kann. Eine Erhöhung des Kontokorrents kann im Krisenfall notwendig sein, ist aber niemals hinreichend zur Krisenbewältigung.

Dann andersherum: Was kann konkret helfen?

Auf jeden Fall absolute Offenheit sich selbst gegenüber – und natürlich auch gegenüber den finanziellen Beratern. Da muss dann alles auf den Tisch und kritisch hinterfragt werden. Einer Strategiekrise können Sie nur wirksam begegnen, wenn Sie Ihr Praxiskonzept überdenken. Ein Strategiewechsel muss ja nicht einmal zusätzlich kosten. Manchmal hilft eine andere Praxisorganisation, manchmal der Ausstieg aus einem Arbeitsschwerpunkt, der sich als nicht kostendeckend erweist.

"Don’t cry over spilt milk!"

Was ist nach Ihren Beobachtungen das Schwerste an der Krise?

Aus dem Blickwinkel des Praxisinhabers sicherlich das bittere Eingeständnis, irgendwann falsche Entscheidungen getroffen zu haben, sei es bei der Standortwahl, bei der Personalauswahl oder bei der Anschaffung eines teuren Geräts, dessen Investitionskosten sich – anders als erwartet – nicht wieder einspielen lassen. Aber es hilft nichts: „Don’t cry over spilt milk!“, wie die Angelsachsen so schön sagen.

Wie sehen Sie die Krise aus der Entfernung? Stimmt die Floskel „Krise als Chance“?

Ja, ganz sicher. In der Krise steckt immer auch die Chance, gestärkt hieraus hervorzugehen, sich mit seiner Praxis noch zukunftsfester aufzustellen. Ich möchte das jetzt aber auch nicht zu sehr verklären. Die Niederlassung und freiberufliche Tätigkeit sind nun mal eine Herausforderung, die nicht permanent nur Erfolge hervorbringt. Man hat ja als Praxisinhaber auch nicht alles selbst in der Hand! Die Rahmenbedingungen der zahnärztlichen Berufsausübung unterliegen einem ständigen Wandel. Nach der Reform ist vor der Reform. Und manche gesundheitspolitische Entscheidung verlangt dem Praxisinhaber einiges an zusätzlichen Lasten ab. Hygiene und Qualitätsmanagement sind hierfür prominente Beispiele.

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Entscheidend ist immer die Liquidität!

Ab wann sollte man spätestens etwas unternehmen?

Wenn man illiquide ist und beispielsweise die Gehälter der Mitarbeiter nicht mehr termingerecht zahlen kann, hat man schon zu lange gezögert. Selbst wenn die Umsätze stabil sind oder gar steigen – entscheidend ist immer die Liquidität der Praxis! Sehen Sie daher auch die Betriebsausgaben als eine Größe, die sie sehr wohl beeinflussen können. Was ist vielleicht verzichtbar? Wo kaufen Sie möglicherweise zu teuer ein?

Welche Botschaft möchten Sie den Kollegen mitgeben?

Vermeiden Sie die psychologische Falle „Die Suppe, die ich mir selber eingebrockt habe, muss ich auch alleine auslöffeln“. Die beste Praxis (Best Practice) ist die, die ihre Stärken (und auch ihre verbliebenen Schwächen!) im kritischen Vergleich mit anderen Praxen erkennt. Nutzen Sie daher alle Möglichkeiten des Gedanken- und Informationsaustauschs, sei es mit Kollegen, sei es mit Steuer- oder Finanzberatern, möglichst von Anfang an. „Von den Fehlern anderer lernen“ gilt es ja auch in anderen Hinsichten, beispielsweise im Rahmen des zahnmedizinischen Fehlerberichtssystems CIRS dent. Speziell für die jungen Kollegen gibt es mittlerweile eine Reihe von Mentoren-Programmen. Partizipieren Sie an der Berufserfahrung Ihrer älteren Kollegen. Als Freiberuflicher entscheiden Sie selbst – zum Glück sind Sie dabei aber nicht allein.

Dr. David Klingenberger ist Stellvertretender Wissenschaftlicher Leiter des Instituts der Deutschen Zahnärzte.

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