Der besondere Fall mit CME

Therapie von Schrotschussverletzungen

Elisabeth Goetze
,
Christian Walter
In das Behandlungsspektrum der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie gehört die Traumatologie – unter anderem auch Schussverletzungen. Im Folgenden werden drei Fälle von Schrotschussverletzungen beschrieben.

Fall 1:

Ein 41-jähriger Patient stellte sich nach einer Projektilverletzung bei einer Jagd in der chirurgischen Notaufnahme mit Verletzungen am Kopf und am linken Mittelfinger vor. Bei den Projektilen handelte es sich um Querschläger einer Schrotladung.

Klinisch wies der Patient punktförmige Einschusslöcher an der Wange (Abbildung 1a) und kurz hinter der Stirn-Haar-Grenze (Abbildung 1b) auf. Zur initialen Diagnostik wurden eine CT der Kopf-Hals-Region (Abbildungen 2a und b) und ein Röntgenbild der Hand (Abbildung 3), des Thorax und des Abdomens durchgeführt. Hier zeigten sich im Bereich des Musculus masseter links, an der Kopfschwarte und am linken Mittelfinger röntgenopake Strukturen im Sinne von verbliebenen Projektilen.

Das Projektil am Mittelfinger wurde in der chirurgischen Notaufnahme entfernt, bevor der Patient zur Weiterversorgung in die Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie übermittelt wurde. Hier erfolgten die Auffrischung des Tetanusschutzes und unter antimikrobieller Abschirmung die operative Entfernung der Projektile im  Gesichtsbereich (Abbildungen 1b und c), die über kleine Inzisionen enoral (Projektil im Kieferwinkelbereich) beziehungsweise über eine Inzision an der Schädelkalotte entfernt wurden. Die Wundsituation zeigte sich im Verlauf stabil und es kam zur folgenlosen Abheilung.

Fall 2:

Ein 64-jähriger Patient kam über einen niedergelassenen Unfallchirurgen nach einem Jagdunfall durch Schrotschuss-Querschläger zur Weiterversorgung in die Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie. Bei der morgendlichen Kaninchenjagd waren Schrotkugeln von einem Zaunpfahl abgeprallt und hatten den Patienten im Kopfbereich verletzt. Weitere Verletzungen lagen nicht vor, der Tetanusschutz war suffizient. Klinisch präsentierte sich ein adipöser Patient mit periorbitaler Schwellung links. Einschränkungen von Motorik oder Sensibilität lagen nicht vor, das Auge war nicht verletzt. In der erweiterten Bildgebung mittels digitaler Volumentomografie zeigten sich in den Weichteilen beider Wangen, im Bereich der Orbita links, paranasal links und am linken Ohr metalldichte Strukturen im Sinne von Metallprojektilen (Abbildung 4).

In Intubationsnarkose wurden das infraorbitale, das paranasale und das supraauriculare Projektil entfernt. Die in den Wangenweichteilen befindlichen Schrotkugeln konnten ohne Gefährdung des N. facialis, der intraoperativ mehrfach auf mechanische Reizung reagierte, nicht ohne Erschaffung eines unverhältnismäßig großen Zugangs mit mehr Übersicht geborgen werden, so dass hier auf eine Entfernung letztendlich verzichtet wurde. Postoperativ kam es unter prolongierter Antibiose zu einer raschen Abheilung ohne Anzeichen einer Infektion.

Fall 3:

Ein 79-jähriger Patient mit einer sequestrierten Bisphosphonat-assoziierten Osteonekrose des Unterkiefers links bei Bondronat-Therapie aufgrund eines multiplen Myeloms stellte sich zur operativen Revision vor. In der präoperativen Bildgebung mittels Panoramaschichtaufnahme fielen bereits röntgenopake Strukturen mit Projektion auf Unter- und Oberkiefer auf. In der erweiterten Bildgebung durch eine dentale Volumentomografie (DVT) zeigten sich neben der klinisch bereits zu vermutenden Sequestrierung fünf metalldichte Strukturen (Abbildung 5). Klinisch ließen sich im Bereich der Wange und der Augenbraue links subkutane Verhärtungen tasten, die mit der radiologisch zu vermuteten Lokalisation der Schrotkugeln korrelierten.

Auf Nachfrage erzählte der Patient, er habe im Jahr 1943 mit anderen Kindern mit einer Schrotflinte gespielt, aus der sich ein Schuss gelöst habe. Die Verletzungen seien damals im Krankenhaus versorgt worden, aber eine Entfernung der Fremdkörper sei nicht vorgenommen worden. Beschwerden habe er nicht, so dass er auch keine Entfernung der Projektile wünschte.

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Diskussion

Nicht beabsichtigte Schrotschussverletzungen sind seltene Unfälle und ereignen sich vorwiegend als Jagdunfälle [Hootman, Annest et al., 2000]. Die oben beschriebenen Kasuistiken spiegeln die therapeutische Bandbreite wider – von der Entfernung der Projektile bis zum komplikationslosen Belassen über viele Jahrzehnte.

Für Jagdunfälle zeigt sich typischerweise ein Altersgipfel zwischen 40 und 50 Jahren, wobei Männer deutlich häufiger betroffen sind [Bestetti, Fisher et al., 2015]. In 63 Prozent der Fälle kommt es hier zu Verletzungen durch Schrotmunition [Karger, Wissmann et al., 1996]. Freizeitunfälle ohne Jagdbezug betreffen ebenfalls häufiger Männer, hier wird ein Altersgipfel von 15 bis 24 Jahren angegeben [Hootman, Annest et al., 2000].

Schrotmunition besteht aus einer Patronenhülse, der Zünd- und Treibladung sowie den Projektilen. Im Gegensatz zu einem einzelnen Faust- oder Handfeuerwaffenprojektil kommt es beim Schuss zu einer Streuung der Partikel. Die dadurch entstehende sogenannte Garbe breitet sich fächerförmig aus. Schrotladungen gibt es in unterschiedlichen Körnungen, die in Abhängigkeit von der Beute gewählt werden. Der Tötungsmechanismus beruht hier nicht auf einer Penetration vitaler Strukturen, sondern vermutlich auf einer neuralen Reaktion auf das Auftreffen der Schrotladung.

Der durch die Projektile angerichtete Schaden ist von der Korngröße und von der Entfernung vom Schützen abhängig. Aufgrund der Flugkinetik der Schrotladung kommt es beim Auftreffen von Schrotkugeln gerne zur Ablenkung der Kugel, was auch eine vom Eintrittsort ferne, nicht lineare Penetration von Geweben möglich macht. Dies kann die Bergung der Projektile stark erschweren oder aber auch trotz einer primär ungefährlich wirkenden Eindringregion zur Bedrohung vitaler Strukturen führen. Für Schrotverletzungen werden im Vergleich zu Einzelprojektilen neben Knochendestruktionen auch ausgedehnte Weichgewebedestruktionen beschrieben [Ruda and Kärcher, 1998]. Dies traf jedoch für die oben beschriebenen Fälle nicht zu.

Insgesamt ist die Kopf-Hals-Region bei Schussverletzungen zu zehn Prozent affektiert [Fowler, Dahlberg et al., 2015]. Rein auf Jagdunfälle begrenzt ist diese Region mit 46 Prozent befallen, gefolgt von den Extremitäten mit etwa 38 Prozent [Loder and Farren, 2014].

Zur Diagnostik sollten dreidimensional abbildende Verfahren wie CT oder bei eindeutig geringer Weichteilbeteiligung auch DVT genutzt werden. In zweidimensionalen Abbildungsverfahren ist eine Topodiagnostik auch durch Erweiterung auf eine zweite Ebene nicht immer suffizient möglich. Eine intraoperative Navigation zum Beispiel mittels Sonografie kann das Auffinden von Projektilen insbesondere im Weichteilmantel erleichtern.

Neben der direkten mechanischen Schädigung besteht insbesondere bei Querschläger-Verletzungen Infektionsgefahr. Das abgeschossene Schrotkorn gilt als steril, kann aber bei Kontakt zu weiteren Flächen kontaminieren. Zusätzlich sind die tiefen penetrierenden Wunden infektiologisch ungünstig.

Bei frischen Verletzungen sollte von einer Kontamination der Wunde ausgegangen werden, so dass eine antibiotische Abdeckung angezeigt ist [Finkelstein, Legmann et al., 1997]. Der Status der Tetanusimmunisierung sollte überprüft werden und gegebenenfalls eine Impfung erfolgen. Zusammen mit einer chirurgischen Wundtoilette sollte eine Entfernung der Projektile durchgeführt werden [Ruda and Kärcher, 1998].

Durch die Abgabe von Blei aus der Munition kann es zu einer Bleibelastung des Organismus kommen [Magos, 1994]. Symptome einer Bleivergiftung sind Neuropathien, Anämie, Bluthochdruck, Niereninsuffizienz, Immundefizienz und Einschränkungen der Fruchtbarkeit. Bei Kindern führt eine Bleibelastung zu Hirn- und Nervenschäden mit Folgen wie mentaler Retardierung, verändertem Verhalten bis hin zu Krampfanfällen, Koma und Tod [WHO, 2015].

In Deutschland wird in Bereichen der Arbeitssicherheit durch die AWMF ein Blei-Blutspiegel von 300 bis 400 µg/dl als Grenzwert angegeben. Die Bleibelastung durch einen Schrotschuss ist abhängig von der Menge, der Verformung und der Lokalisation der Projektile. Knochennahe Projektile führen genauso wie eine größere Menge zu höheren Bleiwerten [McQuirter, Rothenberg et al., 2004].

In Abhängigkeit von der Affektion der penetrierten und verletzten Gewebe kann es zu unterschiedlichen Symptomen kommen, beispielsweise Visusverlust und Einschränkungen der Augenbeweglichkeit bei Beteiligung der Orbita.

Bei schwierigem Zugang mit der Gefahr von bleibenden Schäden kann unter Abwägung der Risiken beim Erwachsenen über das Belassen von Projektilen diskutiert werden, wie in einem der oben beschrieben Fälle mit Gefährdung des Nervus facialis. Bei einem solchen Vorgehen sollten eine posttraumatische antibiotische Abdeckung zur Infektionsprophylaxe und eine längerfristige Kontrolle der Blutbleiwerte durchgeführt werden.

Elisabeth Goetze, Ärztin, Zahnärztin, PD Dr. Dr. Christian WalterKlinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie – plastische OperationenUniversitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität MainzAugustusplatz 2, 55131 Mainz

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