Literaturübersicht zur Sehschärfe

Visus und Vergrößerungshilfen in der Zahnmedizin

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Klaus W. Neuhaus
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Adrian Lussi
In dieser Literaturübersicht werden Studien zur Sehschärfe in der Zahnmedizin zusammengefasst und deren klinische Relevanz diskutiert. Einbezogen werden dabei Arbeiten, die auf objektiven Sehtests in zahnärztlicher Arbeitsdistanz beruhen. Die vorhandenen Studien zeigen, dass es große individuelle Unterschiede bei der Detailerkennung im zahnärztlichen Arbeitsfeld gibt.

Vergrößernde optische Hilfsmittel gehören zur Grundausstattung in der Mikrochirurgie und ermöglichen Uhrmachern seit mehr als einem Jahrhundert ihre präzise Arbeit. Die empirische Erkenntnis, dass die Grenzen der feinmotorischen Präzision weniger von den Händen als viel mehr von den Augen bestimmt wird, ist entsprechend alt. In der Zahnmedizin hat die Verwendung von Lupenbrillen oder Mikroskopen in den vergangenen Jahren Eingang in die Lehrmeinung vieler Universitäten gefunden und wird auch von Herstellerseite intensiv beworben. Entsprechend finden diese Vergrößerungshilfen zunehmende Verbreitung in den Zahnarztpraxen [Meraner Nase, 2008; Farook et al., 2013; Eichenberger et al., 2015]. Fast alle Benutzer von Lupen und Mikroskopen sind der festen Überzeugung, dass diese Instrumente Vorteile mit sich bringen und sowohl die Qualität der Arbeit als auch die Ergonomie verbessern [Meraner Nase, 2008; Eichenberger et al., 2015].

Die Diskrepanz zwischen diesem subjektiven Eindruck und der wissenschaftlichen Evidenz dazu ist jedoch eklatant. Die zahnärztliche Literatur zum Thema beschränkt sich größtenteils auf Fallberichte, Übersichtsartikel oder Expertenmeinungen und ist von entsprechend geringer sogenannter externer Evidenz [Van Gogswaardt, 1990; Syme et al., 1997; Millar et al., 1998; Perrin et al., 2000; Forgie et al., 2001; Friedman, 2004; James Gilmour, 2010]. Zudem zeigen die wenigen relevanten Studien aus den Bereichen Endodontologie, Kariesdiagnostik und restaurative Zahnmedizin teilweise widersprüchliche Resultate [Lussi et al., 1993; Haak et al., 2002; Lussi et al, 2003; Zaugg et al., 2004; Erten et al, 2005; Tzanetakis et al., 2007; Mendes et al., 2006; Keinan et al., 2009; Kottor et al., 2010; Mitropoulos et al, 2012]. Dies hat offensichtlich auch methodische Ursachen, weil genügend kleine und damit sensitive Nahsehtests für zahnmedizinische Bedürfnisse lange fehlten [Eichenberger et al., 2011]. In entsprechenden Studien waren Rückschlüsse auf den Visus und dessen Beeinflussung durch Vergrößerungshilfen nur indirekt möglich. Als Ausnahme ist eine Studie aus Neuseeland zu erwähnen, bei der normal gedruckte Sehtests in einer Apparatur durch Linsen zusätzlich verkleinert und der Nah-Visus einer Gruppe von Zahnärzten und Zahnmedizinstudenten bestimmt wurde [Burton Bridgman, 1990]. Ein Nachteil dieser Methode ist die fehlende Übertragbarkeit in die klinische Situation.

In einer Reihe von aktuellen Studien wurden neuartige, miniaturisierte Sehtests für die Zahnmedizin validiert [Eichenberger et al., 2011] und zeigten sowohl unter standardisierten als auch unter klinischen Bedingungen erstaunliche Unterschiede in der Sehschärfe der getesteten Zahnärzte und einen großen Einfluss der Alterssichtigkeit [Eichenberger et al., 2011; Eichenberger et al., 2013; Perrin et al., 2014a; Perrin et al., 2014b; Eichenberger et al., 2015].

Ziel der vorliegenden Übersichtsarbeit ist eine Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse zum zahnärztlichen Visus, die aus den wissenschaftlichen Studien mit objektiven Nahsehtests gewonnen werden können. Die für die vorliegende Arbeit relevanten Begriffe sind im Glossar definiert.

Material und Methoden

In der Datenbank PubMed wurde eine Literatursuche für den Zeitraum von 1950 bis September 2014 mit den Suchbegriffen „visual acuity and dentistry“ und „near vision test and dentistry“ durchgeführt. Einschlusskriterium war ein durchgeführter Sehtest der Probanden in zahnärztlicher Arbeitsdistanz. Es wurden nur Originalarbeiten ausgewertet und diskutiert. Zusätzlich wurde eine Handsuche der Referenzen der eingeschlossenen Originalarbeiten durchgeführt. Zudem wurden Publikationen in diese Arbeit eingeschlossen, die die Einschlusskriterien zwar nicht erfüllen, aber zum Verständnis der diskutierten Studien beitragen.

Ergebnis der Recherche

Die PubMed-Literatursuche ergab insgesamt 206 Titel (Abbildung 1). Nach Elimination der doppelt vorkommenden Titel verblieben 201 Titel, wovon 178 vom gesuchten Thema abweichend waren. Von den 24 Abstracts wurden acht Literaturübersichten und sieben Arbeiten ohne Nahsehtest ausgeschlossen. Von den übrigen neun Artikeln erfüllten nur sechs das Suchkriterium eines durchgeführten Nahsehtests. Fünf dieser Artikel stammen aus unserer Forschungsgruppe [Eichenberger et al., 2011; Eichenberger et al., 2013; Perrin et al., 2014a; Perrin et al., 2014b; Eichenberger et al., 2015], eine Arbeit aus einer Forschungsgruppe in Neuseeland [Burton Bridgman, 1990].

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Diskussion

Nahsehtests:

Die Messung der Sehschärfe in zahnärztlicher Arbeitsdistanz bedingt genügend kleine Sehtests, um Resultate der ganzen Bandbreite zu erhalten. Dies ist mit klassischen Nahsehtests aufgrund der Grenzen traditioneller Buchdrucktechnik nicht möglich [Rawlinson, 1988 und 1993; Forgie et al., 2001]. Eine Voraussetzung für aussagekräftige Studien über den zahnärztlichen Visus und den Einfluss von Vergrößerungshilfen ist deshalb die Entwicklung von miniaturisierten Sehtests in geeigneter Dimension. Burton und Bridgman verkleinerten durch passende Linsen einen gedruckten Sehtest und konnten damit in zahnärztlicher Arbeitsdistanz den Nah-Visus evaluieren [Burton Bridgman, 1990]. Wie erwähnt, kann mit dieser Technik aber die klinische Situation nicht simuliert werden.

Eine Simulation der klinischen Situation ist auf der Basis von Diapositiv-Filmen möglich [Eichenberger et al., 2011; Eichenberger et al., 2013; Perrin et al., 2014a; Perrin et al., 2014b; Eichenberger et al., 2015]. Mit einer standardisierten Aufnahmetechnik können darauf Sehtests in definierten Größen abgebildet werden, bis hin zu mehrzeiligen Sehtafeln innerhalb eines einzigen Millimeters. Diese Sehtests sind transparent und können im Durchlicht bei einem fixen Abstand von 30 cm über dem Röntgenbetrachter verwendet werden (Abbildung 2). Sie bieten damit standardisierte Voraussetzungen, um den individuellen Nah-Visus, den Einfluss des Alters und der Vergrößerungshilfen zu bestimmen [Eichenberger et al., 2011; Perrin et al., 2014b].

Die miniaturisierten Sehtafeln können aber auch ausgeschnitten, weiß hinterlegt und in Zahnkavitäten eines Phantomkopfs geklebt werden (Abbildung 3). Damit können Sehtests intraoral am eigentlichen Ort des Interesses und damit kliniknah durchgeführt werden (Abbildung 4) [Eichenberger et al., 2011; Eichenberger et al., 2013; Perrin et al., 2014a; Perrin et al., 2014b; Eichenberger et al., 2015]. Klinisch relevant ist hier nicht der Visus, sondern die Frage, ob eine bestimmte Struktur unter den gegebenen Verhältnissen erkannt werden kann. Diese Detailerkennung ist durch eine Reihe von Variablen geprägt. Während der Arbeitsabstand, die optischen Hilfsmittel und die Lichtquelle definiert werden können, sind beispielsweise die intraoralen Lichtverhältnisse am Sehtest beeinflusst durch die Position des Spiegels, durch die genaue Lokalisation der Tests und durch mögliche Lichtreflexe.

Einfluss des Individuums:

Bei rund 300 Zahnärztinnen und Zahnärzten wurden mit den beschriebenen miniaturisierten Sehtafeln standardisierte Messungen in zahnärztlicher Arbeitsdistanz durchgeführt [Eichenberger et al., 2011; Eichenberger et al., 2013; Perrin et al., 2014b]. Mit Arbeitsbrille, aber ohne Vergrößerungshilfen zeigten diese Messungen stets ein ähnliches Resultat: Die Detailerkennung, also die Dimension der kleinsten erkannten Struktur, variierte unabhängig vom Alter oder von der Herkunft aus Universität oder Privatpraxis jeweils in der Größenordnung von 250 bis 300 Prozent. Das bedeutet, dass es in jedem gemessenen Kollektiv Zahnärzte oder Studierende gab, die zwei- bis drei- mal kleinere Strukturen sahen als andere [Eichenberger et al., 2011; Eichenberger et al., 2013; Perrin et al., 2014b]. Mit Fragebogen konnte gezeigt werden, dass sich ein beträchtlicher Teil der Probanden seiner visuellen Defizite in keiner Weise bewusst war. Rund ein Drittel (32 Prozent) der Probanden mit einem Nah-Visus unter dem Median des Probanden-Kollektivs glaubte in eigener Überschätzung, eine adäquate bis sehr gute Sehschärfe als Zahnarzt zu haben [Eichenberger et al., 2015]. Zahnärzte über 40 Jahre waren dabei überdurchschnittlich stark vertreten.

Einfluss des Alters:

Die Alterssichtigkeit oder Presbyopie ist verbunden mit einer Einschränkung der Akkommodation, einem erhöhten Lichtbedarf, einer verminderten Kontrast- und einer verstärkten Blendungsempfindlichkeit [Gilbert, 1980; Woo Ing, 1988; Pointer, 1995]. Diese Einschränkungen beginnen um das 40. Altersjahr, was durch die erwähnten Studien mit miniaturisierten Sehtests bestätigt wurde [Eichenberger et al., 2011; Eichenberger et al. 2013; Perrin et al., 2014b]. Burton Bridgman unterzogen 172 Zahnärzte und Zahnmedizinstudenten einem standardisierten, optisch verkleinerten Sehtest in 25 cm und in 33 cm Arbeitsdistanz [Burton Bridgman, 1990]. Einerseits konnte in dieser Studie eine klar reduzierte Nahsehschärfe mit zunehmendem Alter nachgewiesen werden: 96 Prozent der Probanden mit ungenügendem Testresultat waren über 45 Jahre alt. Zudem wählten ältere Zahnärzte eine signifikant größere Arbeitsdistanz als Studenten und verkleinerten damit ihr Arbeitsfeld [Burton Bridgman, 1990].

Die Alterssichtigkeit wird oft erst im Zusammenhang mit Schwierigkeiten im Alltag wahrgenommen. Im Vordergrund steht hier das Lesen kleiner Schriften. Die Dimensionen kleiner Druckbuchstaben liegen jedoch weit über den für die Zahnmedizin relevanten Dimensionen. Dies führt in der Praxis dazu, dass altersbedingte visuelle Defizite im zahnärztlichen Alltag meist über Jahre unerkannt bleiben. Die erwähnte Selbsteinschätzung mittels Fragebogen zeigte entsprechend eine gehäufte Überschätzung des eigenen Visus ab dem 40. Altersjahr [Eichenberger et al., 2015]. Es erscheint klinisch relevant, dass die Jahre der unerkannten visuellen Einschränkungen in die vielleicht beste Berufszeit als Zahnärztin und Zahnarzt fallen.

Zur Kontrolle kleiner Details wird der Arbeitsabstand nach Möglichkeit verringert und die natürliche Vergrößerung durch Nähe genutzt. Die Auswirkungen der Alterssichtigkeit für den klinischen Alltag waren deshalb am klarsten mit Arbeitsbrille und in freier Arbeitsdistanz zu erkennen (Abbildung 5) [Eichenberger et al., 2013].

In den folgenden Abschnitten wird auf die Kompensationsmöglichkeiten der Alterssichtigkeit mit Vergrößerungshilfen eingegangen:

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Vergrößerungshilfen:

Ist Lupe gleich Lupe? Die Palette der verfügbaren Lupen ist groß und für Laien unübersichtlich. Grundlegend ist die Kenntnis der im Glossar beschriebenen Einteilung in Ein-Linsen-Lupen, Galilei-Lupen und Kepler-/Prismen-Lupen. Bei der Wahl einer Lupe stellt sich das Dilemma zwischen Optik und Ergonomie: Ein brillantes, stark vergrößertes Bild muss mit zusätzlichem Gewicht, kleinerer Tiefenschärfe und kleinerem Gesichtsfeld erkauft werden. Dieser Zusammenhang basiert auf physikalischen Gesetzen und kann nicht umgangen werden. Aus Marketinggründen besteht deshalb die Versuchung, dass Lupen-Hersteller die Vergrößerung ihrer Lupen falsch deklarieren. Bei nach außen gleichem Vergrößerungsfaktor können sie damit ein größeres Gesichtsfeld und eine größere Tiefenschärfe als die Konkurrenz anbieten. Zur Abklärung dieser Frage wurden Lupen verschiedener Hersteller an einer technischen Fachhochschule (NTB, Buchs, Schweiz) optisch verglichen [Neuhaus et al., 2013]. Das Spektrum der optischen Eigenschaften war erwartungsgemäß groß (Abbildung 6). Erstaunlich war das Ausmaß der Diskrepanz zwischen deklarierter und effektiver Vergrößerung vor allem bei Galilei-Lupen. So verfügte die mit 2,8x ausgeschriebene Lupe eines renommierten Herstellers lediglich über eine Vergrößerung von 2,2x. Bei keiner der getesteten Galilei-Lupen entsprach die angegebene Vergrößerung dem effektiven Wert. Mittlerweile steht ein sehr einfacher optischer Test zur Verfügung, mit dem der reale Vergrößerungsfaktor von Galilei-Lupen bestimmt werden kann (http://www.meridentoptergo.fi/Liitetiedostot/Chart%20MO_13–03–26.pdf).

Dabei wird die Galilei-Lupe seitenverkehrt über ein Muster von parallelen Linien gehalten, die in Übereinstimmung gebracht werden müssen. Daraus lässt sich der effektive Vergrößerungsfaktor der entsprechenden Lupe ablesen. Es gilt aber festzuhalten, dass ein unpräzise deklarierter Vergrößerungsfaktor nichts über die optische Qualität der Lupe aussagt. Diese manifestiert sich viel eher in der Abbildung der Randzonen des Arbeitsfeldes (Abbildung 6).

Galilei- versus Kepler-/Prismen-Lupen:

Grundsätzlich führte die Verwendung von Lupenbrillen zu einer besseren Sehschärfe in sämtlichen Probandengruppen [Eichenberger et al., 2011; Eichenberger et al., 2013; Perrin et al., 2014a; Perrin et al., 2014b]. Für junge Probanden bringen Galilei-Lupen jedoch gemäß unseren Resultaten viel eher ergonomische als visuelle Vorteile, während sie in der Gruppe über 40 Jahre die Alterssichtigkeit fast vollständig kompensieren können. Kepler-/Prismen-Lupen sind den Galilei-Lupen deutlich überlegen [Eichenberger et al., 2011; Eichenberger et al., 2013;

Perrin et al., 2014b]. Sie ermöglichten in sämtlichen Altersgruppen eine deutliche Verbesserung der Detailerkennung, je nach Alter in der Größenordnung von 200 Prozent bis 400 Prozent im Vergleich zum unbewaffneten Auge (Abbildung 5) [Eichenberger et al., 2013]. Dies wurde einerseits auf den höheren Vergrößerungsfaktor zurückgeführt, andererseits aber auch auf die überlegenen optischen Eigenschaften der Kepler-/Prismen-Lupen im Vergleich zu den Galilei-Systemen [Eichenberger et al., 2011].

Operationsmikroskop:

Mit den miniaturisierten Sehtests in Zahnkavitäten wurde das Sehvermögen von Zahnärzten unter dem Operationsmikroskop gemessen [Eichenberger et al., 2013]. Die verwendeten Sehtests waren aufgrund ihrer Dimension für Vergrößerungen von 4x und 6,4x geeignet. Höhere Faktoren, wie sie in der klinischen Arbeit mit dem Operationsmikroskop durch aus üblich sind, konnten nicht evaluiert werden. Obwohl die untersuchten Vergrößerungen im Bereich der Kepler-/Prismen- Lupen lagen, war die Detailerkennung mit dem Mikroskop unter klinischen Bedingungen deutlich erhöht (Abbildung 7). Ob der Grund für diese Überlegenheit eher bei der völlig statischen, vom Kopftremor ungestörten Position des Mikroskops zu suchen ist oder in dessen unterschiedlicher optischer Konstruktion, bleibt offen und kann Gegenstand weiterer Untersuchungen sein.

Alterssichtigkeit und Vergrößerungshilfen:

Die altersbedingten Unterschiede wurden mit zunehmender optischer Qualität der Lupen kleiner. Beim Mikroskop verschwanden sie fast vollständig (Abbildungen 5 und 7) [Eichenberger et al., 2013; Perrin et al., 2014a]. Testpersonen über 40 Jahre erkannten mit einer 2.5x-Galilei-Lupe die gleichen Strukturen wie jüngere Probanden mit bloßem Auge (Abbildung 5) [Eichenberger et al., 2013]. Die Alterssichtigkeit kann somit durch Verwendung einer Lupenbrille problemlos kompensiert werden. Die Detailerkennung in der klinischen Situation wurde umgekehrt bei jungen Probanden mit einer Galilei-Lupe kaum erhöht (Abbildung 5) [Eichenberger et al., 2013]. Grund für dieses mehrfach bestätigte Resultat ist der Verlust der erwähnten natürlichen Vergrößerung, weil die Arbeitsdistanz aus ergonomischen Gründen relativ groß gewählt und eine Annäherung an den Patienten durch die Brennweite der Lupe verhindert wird. Kepler-/Prismen-Lupen und Mikroskope führten dank stärkerer Vergrößerungsfaktoren und besserer Optik bei jeder Altersgruppe zu einer besseren Detailerkennung (Abbildungen 5 und 7) [Eichenberger et al., 2013].

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Spezialfall Endodontologie:

Wurzelkanalbehandlungen finden traditionellerweise als einzige zahnärztliche Behandlung im Dunkeln statt. Sie sind geprägt von Erfahrung, Tastsinn und Röntgendiagnostik. Seit mittlerweile über zwei Jahrzehnten wird das Operationsmikroskop mit seiner wählbaren Vergrößerung und der orthograden Beleuchtung als Meilenstein in der Endodontologie propagiert. Es ermöglicht eine Visualisierung des Pulpacavums und erlaubt endodontische Behandlungen unter Sicht [Carr, 1992; Velvart, 1996]. Ob dies auch mit Lupen möglich ist, wird in der Literatur kontrovers diskutiert. So verglich eine retrospektive Studie anhand von 312 klinischen Fällen die Häufigkeit, mit der ein zweiter mesiobukkaler Kanal in oberen Molaren gefunden wurde, je nach Verwendung des bloßen Auges (18 Prozent), einer Lupe (55 Prozent) oder einem Operationsmikroskop (57 Prozent) [Buhrley et al., 2002]. Der indirekte Rückschluss auf die Wirkung der Vergrößerung wies zwar auf einen hochsignifikanten Einfluss hin, jedoch in gleicher Weise für Lupe und Mikroskop.

Eine andere Studie zum Auffinden von zweiten mesiobukkalen Kanälen in oberen Molaren verglich eine 2,5-fache Lupe und das Operationsmikroskop bei achtfacher Vergrößerung [Schwarze et al., 2002]: Hundert extrahierte und eröffnete Molaren wurden zuerst mit der Lupe, anschließend unter dem Mikroskop untersucht. Mit der Lupe wurden 41 Prozent, mit dem Operationsmikroskop 94 Prozent der histologisch vorhandenen Kanäle identifiziert. Der Unterschied war hochsignifikant.

Mit dem Ziel, die Frage nach der Visualisierung endodontischer Behandlungen objektiv zu beantworten, wurden in einer Studie die beschriebenen Mikro-Sehtests in die Wurzelkanäle eines extrahierten Molars geklebt: mesiobukkal am Kanaleingang, distobukkal in 5 mm Tiefe und palatinal am Apex [Perrin et al., 2014a].

Der Zahn wurde wie oben beschrieben in einem Phantomkopf auf den Behandlungsstuhl gebracht und die Sehtests in den Kanälen unter verschiedenen optischen Bedingungen durchgeführt:

A) Arbeitsbrille mit freiem Abstand und OP-Lampe,

B) Galilei-Lupe 2.5x mit integrierter Lichtquelle,

C) Operationsmikroskop sechsfach.

In die Studie einbezogen wurden 26 Zahnärzte im Alter zwischen 27 und 60 Jahren. Als Grenzwert für eine genügende Sicht wurden E-Optotypen mit der Dimension des feinsten endodontischen Instruments (Feilenspitze 06) gewählt [Perrin et al., 2014a].

Innerhalb der Wurzelkanäle bot nur das Operationsmikroskop eine genügende Sicht. Dies galt für alle Testpersonen und war unabhängig vom Alter. Am Wurzelkanaleingang konnte die Dimension 0,06 mm von Zahnärzten 40 Jahre mit Galilei-Lupe und Licht erkannt werden; ältere Zahnärzte über 40 Jahre waren auch hier auf das Operationsmikroskop angewiesen. Eine weitere, noch unpublizierte Studie zeigt, dass mit einer stärker vergrößernden Kepler-/Prismen-Lupe (4.3x) auch diese ältere Gruppe die Bedingung 0.06 mm am Wurzelkanaleingang ausnahmslos erfüllen kann. Innerhalb des Wurzelkanals erlauben aber auch diese Lupen keine ausreichende Sehleistung. Die Detailerkennung mit dem Mikroskop war weder von der Lokalisation des Sehtests noch vom Alter des Probanden abhängig.

Mit miniaturisierten Sehtests im Pulpacavum konnte objektiv und unter simulierten klinischen Verhältnissen die Sonderstellung des Operationsmikroskops für die Endodontologie gezeigt werden. Für die Suche der Kanaleingänge kann es partiell durch Lupen ersetzt werden.

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Licht und Ergonomie

Das Licht als Einflussfaktor für das Sehen in der grundsätzlich dunklen Mundhöhle ist nicht Gegenstand dieser Übersichtsarbeit. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Beleuchtung einen relevanten und altersabhängigen Einfluss auf das zahnärztliche Sehen hat.

Auf die ergonomischen Vorteile von Vergrößerungshilfen bezüglich Arbeitsdistanz und Körperhaltung wird regelmäßig hingewiesen. Auch dieser Aspekt wurde hier nicht untersucht. Immerhin ist darauf hinzuweisen, dass diese Vorteile zumindest im Fall der Lupen aufgrund der eingeschränkten Bewegungsfreiheit bei gleichzeitig schräger Kopfhaltung zu diskutieren sind.

Schlussfolgerungen

Der zahnärztliche Visus unter klinischen Bedingungen variiert massiv und sollte regelmäßig kontrolliert werden. Insbesondere muss der frühe Beginn der Alterssichtigkeit um das 40. Lebensjahr beachtet werden. Lupen sind in der Lage, visuelle Defizite auf einfache Weise zu kompensieren. Das Operationsmikroskop ermöglicht eine hervorragende Detailerkennung auch bei geringer Vergrößerung. Ob eine bessere Erkennung von Details die klinische Prognose der zahnärztlichen Arbeit verbessert, ist wissenschaftlich nicht erwiesen und bedarf weiterer Studien. Ebenfalls sollten der Einfluss des Lichts und die Bedeutung der Ergonomie in Bezug auf das zahnärztliche Sehen in weiteren Studien untersucht werden.

Zusammenfassung

Die Alterssichtigkeit führt nach dem 40. Lebensjahr zu unvermeidbaren visuellen Defiziten. Im Laufe der beruflichen Karriere sollte der Nah-Visus deshalb regelmäßig mit geeigneten Tests bestimmt werden. Visuelle Defizite können mit Vergrößerungshilfen kompensiert werden. Dabei muss zwischen Galilei- und Kepler-/Prismen-Lupen unterschieden werden. Die leichten, aber optisch schwächeren Galilei-Lupen ermöglichen eine aufrechte Körperhaltung und nach dem 40. Lebensjahr die Kompensation der Sehleistung auf das Niveau von jungen Zahnärzten. Die optischen Vorteile der Kepler-/Prismen-Lupen erhöhen die Detailerkennung für alle Altersgruppen mit dem Nachteil eines höheren Gewichts. Das Operationsmikroskop besticht mit hervorragender Detailerkennung auch bei geringer Vergrößerung. Für die Visualisierung in der Endodontologie ist das Operationsmikroskop unverzichtbar, es bietet aber auch Vorteile in anderen Fachgebieten.

Dr. Philippe Perrin, Dr. Martina Eichenberger, Dr. Klaus W. Neuhaus, Prof. Dr. Adrian LussiKlinik für Zahnerhaltung, Präventiv- und Kinderzahnmedizin, Universität BernFreiburgstr. 7, 3010 Bern E-mail:

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