Der besondere Fall

Primärverdacht BRONJ zeigt sich als Metastase

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Felix Paulßen von Beck
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Mitte September 2015 stellte sich eine 55-jährige Patientin mit einer spontan aufgetretenen schmerzhaften submentalen Schwellung als Notfall in unserer Ambulanz vor. Aus dem Orthopantomogramm und dem Dental-CT ergab sich der Primärverdacht einer abszedierenden bisphosphonatinduzierten Osteonekrose (BRONJ). Die histologische Untersuchung ergab eine differenziertere Diagnose.

Anamnestisch wurden ein bereits ossär und hepatisch metastasiertes, brusterhaltend operiertes, adjuvant radio- und chemotherapiertes, invasiv ductales Mammakarzinom (ED 2008), ein insulinabhängiger Diabetes mellitus Typ II, eine hereditäre Thrombozytopenie sowie ein Nikotinabusus eruiert.

Außerdem berichtete die Patientin über einen regelmäßigen intravenösen Erhalt von Bisphosphonaten (BP).

Klinisch zeigten sich ein ausgeprägter druckdolenter submentaler Abszess sowie intraoral ein parodontal geschädigtes Restgebiss. Das zunächst angefertigte Orthopantomogramm (Abbildung 1) und das danach erstellte Dental-CT (Abbildung 2A bis 2D) ergaben pathologisch veränderte Knochenabschnitte im Bereich des linken Kieferwinkels und des anterioren Unterkiefers regio 032 bis 45 mit dem Primärverdacht einer abszedierenden bisphosphonatinduzierten Osteonekrose (bisphosphonate-related osteonecrosis of the jaw, BRONJ) mit Abszedierung.

Unter intravenöser Antibiotikatherapie erfolgte die Inzision des submentalen Abszesses von extraoral mit Abstrichnahme und Lascheneinbringung. Darunter zeigte sich die Entzündungssympthomatik stadiengerecht regredient. Am zweiten stationären Tag erfolgte die Entfernung aller verbliebenen Zähne mit anschließender Dekortikation, Sequestrotomie und modellierender Osteotomie der pathologisch veränderten Bereiche der Mandibula. Zeitgleich wurden aus beiden Bereichen repräsentative Proben entnommen, zwei Gentamicin-PMMA- Ketten eingebracht (Abbildung 3), eine epiperiostale plastische Deckung durchgeführt und das gewonnene Material zur histologischen Untersuchung eingesandt.

Der Heilungsverlauf gestaltete sich stadiengerecht, so dass wir die Patientin am fünften postoperativen Tag in die ambulante Nachsorge entlassen konnten.

Die histologische Untersuchung der Proben aus der Unterkieferfront ergab einen Knochensequester im Sinne einer BRONJ. Die Proben aus dem linken Kieferwinkel zeigten ein teils glandulär, teils verstreutzellig wachsendes Karzinom innerhalb der Markräume und im periossären Weichgewebe (Abbildungen 4a und b) mit einer abschnittsweise deutlichen nukleären Östrogenrezeptor-Expression (Abbildung 4c), so dass von einer Metastase des aus der Vorgeschichte der Patientin bekannten Mammakarzinoms ausgegangen werden musste.

Nach einem Monat erfolgte die Entfernung beider Gentamicin-PMMA-Ketten mit anschließender ausgedehnter Dekortikation und Sequesterotomie regio 036 im Sinne eines Tumordebulkings unter erneuter gezielter antibiotischer Abschirmung (Abbildung 5). Zusätzlich wurde ein Obturator für die Unterkieferfront angefertigt. Der anschließende stationäre Heilungsverlauf verlief erneut komplikationslos, so dass die Patientin am fünften postoperativen Tag in die onkologische Weiterbehandlung entlassen werden konnte.

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Diskussion

Medikamenteninduzierte Osteonekrosen sind nach BP-Therapien keine Seltenheit [Hoefert et Eufinger, 2006]. Seit den 1960er Jahren werden die zu den osteotropen Medikamenten zählenden Bisphosphonate bei skelettalen Degenerationen wie der postmenopausalen oder glukokortikoidinduzierten Osteoporose, bei ossär metastasierten soliden Tumoren wie dem Mamma- oder Prostatakarzinom sowie bei Multiplen Myelomen eingesetzt [Body et al., 1998].

Der hierunter auftretende pathogene Prozess einer BRONJ lässt sich gegenwärtig noch nicht vollständig entschlüsseln. Es ist davon auszugehen, dass die verabreichten Bisphosphonate zu einer Kumulation im Bereich der Kieferknochen mit einer möglichen lokalen Suppression der Osteoklasten und Makrophagen führen, bei gleichzeitiger toxischer Schädigung der Osteozyten. Letztendlich kommt es hierdurch zu einer Osteomyelitis mit nachfolgender Osteonekrose [Bartl et al., 2009]. Erst 2003 wurde der erste Fallbericht über eine BRONJ von Marx publiziert [Marx, 2003; Pfammatter et al., 2011].

Anhand ihrer Seitenketten werden Bisphosphonate in Aminobisphosphonate und Nicht-Aminobisphosphonate eingeteilt [Pfammatter et al., 2011]. Sie besitzen im Vergleich zur menschlichen Lebenserwartung eine relativ lange Knochenhalbwerts-zeit. Für Alendronat liegt diese nach heutigen Erkenntnissen beispielsweise bei über zehn Jahren [Sarin et al., 2008].

Eine BRONJ kann lediglich dann vorliegen, wenn sich der Patient oder die Patientin in einer laufenden oder bereits durchlaufenen BP-Therapie befindet, eine für mindestens acht Wochen persistierende intraorale Schleimhautdehiszenz mit Os liber vorliegt und im Defektbereich bisher keine Radiatio durchgeführt wurde [Pfammatter et al., 2011].

Der Unterkiefer wird von der Nebenwirkung nahezu doppelt so häufig befallen wie der Oberkiefer. Vor allem Knochenbereiche mit dünn bedeckter Schleimhaut sind prädestiniert [Marx et al., 2005]. Das Risiko einer BRONJ steigt mit dem Alter, der Höhe des Nikotinkonsums und dem Helligkeitstyp der Haut, aber auch mit dem Vorliegen systemischer Grunderkrankungen wie Adipositas oder Diabetes Mellitus [Zervas et al., 2006, Wessel et al., 2008; Molcho et al., 2013]. Die Inzidenz, an einer BRONJ zu erkranken, liegt nach intravenöser Bisphosphonatgabe zwischen 0,8 und 12 Prozent , wohingegen sie nach oraler Applikation mit 0,7 pro 100.000 Personen pro Jahr deutlich seltener auftritt [American Dental Association Council on Scientific Affairs, 2006; Pfammatter et al., 2011].

Auch steigt mit zunehmender Therapiedauer das Risiko einer BRONJ an [Bamias et al., 2005]. Im Rahmen einer Osteoporosetherapie liegt die Inzidenz unter 1:100.000 Personenjahren und stellt somit eine absolute Rarität dar [Bartl et al., 2009]. Keinen Einfluss haben das Geschlecht und die Art der malignen Grunderkrankung [Bamias et al., 2005].

Aufgrund der Vorgeschichte unserer Patientin musste trotz des Primärverdachts auf eine BRONJ differenzialdiagnostisch gleichzeitig auch an einen malignen Prozess sowie in unserem Fall speziell auch an eine weitere Metastase des bekannten metastasierten Mammakarzinoms gedacht werden. Um Derartiges auszuschließen, ist während der Sanierung einer BRONJ immer zusätzlich eine histologisch repräsentative Probe zu gewinnen.

Im Einverständnis mit der Patientin erfolgte bei ihrem zweiten stationären Aufenthalt eine Redekortikation und Resequesterotomie im Sinne eines Tumor-Debulkings mit anschließender ambulanter adjuvanter Therapie. Ebenso hätte auch eine Kontinuitätsresektion mit ebenfalls adjuvanter Weiterbehandlung erfolgen können, dies hätte jedoch aus Patientensicht einen deutlich komplexeren Eingriff mit größerem Verlust an Lebensqualität bedeutet.

Felix Paulßen von Beck, Dr. Michael Paashaus, Dr. Dr. hc. Andreas HammacherKlinik für MKG-Chirurgie, plastische und ästhetische Operationen, Malteser Krankenhaus St. Josefshospital UerdingenKurfürstenstr. 69, 47829 Krefeld-Uerdingen E-mail:Prof. Dr. med. Claus Dieter GerharzInstitut für Pathologie, Evangelisches Krankenhaus BETHESDA zu Duisburg GmbHHeerstr. 219, 47053 Duisburg

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