25 Jahre Speisesalzfluoridierung in der BRD

Fluorid im Salz schmeckt nicht jedem

In Deutschland ist ein grundsätzlicher Einsatz von fluoridiertem Speisesalz in Kitas, Schulen, Kantinen oder auch Pflegeeinrichtungen nicht erlaubt. Andererseits ist die Speisesalzfluoridierung Bestandteil der S2k-Leitlinie „Fluoridierungsmaßnahmen zur Kariesprophylaxe“ (2013). Über die Hintergründe spricht Dr. Andreas Rainer Jordan, Wissenschaftlicher Direktor vom Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ).

Herr Jordan, kann man sich mit fluoridiertem Speisesalz vergiften?

Das ist praktisch ausgeschlossen. Die akuttoxische Dosis für Fluorid liegt bei 5 mg/ Kilogramm Körpergewicht. Ein sechsjähriges Kind, das durchschnittlich 21,5 kg wiegt, müsste rund 350 g Salz essen, was gar nicht möglich ist. Übrigens liegt die Letaldosis für Kochsalz bei einem Kind dieses Alters bei 15–20 g. Ein Erwachsener mit 75 kg Körpergewicht müsste 1,2 Kilo Salz aufnehmen.

Und wird fluoridiertes Speisesalz in der Schul- und Kitaküche verwendet?

Gar nicht, was etwas bedauerlich ist. In Schulen, Kindergärten, Gemeinschaftskantinen, Krankenhäusern und Pflegeheimen ist der Einsatz von fluoridiertem Speisesalz praktisch kaum möglich, da die Hürden der Genehmigung sehr hoch sind. So muss man zum Beispiel sicher stellen, dass für Minderjährige, die an der Verpflegung teilnehmen, eine schriftliche Zustimmung beider Elternteile vorliegt. Auf der einen Seite ist das vor dem Hintergrund eines freiheitlichen Gesellschaftssystems nachvollziehbar. Auf der anderen Seite würde es sich natürlich um eine systematische Grundversorgung an Fluoriden handeln, die zumindest über Kitas und Schulen – unabhängig vom Elternhaus – sichergestellt werden könnte. Denn für Kinder und Jugendliche ist es ja Bedingung, dass überhaupt zu Haus fluoridiertes Speisesalz eingesetzt wird.

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Was hat man denn dann bisher mit der fluoridierten Speisesalzversorgung erreicht?

Das fluoridierte Speisesalz hat in Deutschland einen Marktanteil zwischen 60 und 70 Prozent, was zeigt, dass es offenbar von der Bevölkerung gut angenommen wird. Es hat sicher auch seinen Beitrag zum enormen Kariesrückgang von 90 Prozent bei Kindern geleistet, den wir von der DMS I im Jahr 1989 bis zur aktuellen DMS V beobachten können. Es ist insofern ein zusätzlicher Baustein zur Individual- und Gruppenprophylaxe. Fluoridiertes Speisesalz würde ich im Rahmen der Kollektivprophylaxe verorten, als Maßnahme, die unabhängig von Zahnarztbesuchen von der Bevölkerung aufgegriffen werden kann. Schließlich erreicht das Salz auch Bevölkerungsgruppen, die nicht regelmäßig zum Zahnarzt gehen. Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt in ihren zehn Regeln die Verwendung von Fluoridsalz.

Und wie viel Fluorid wird empfohlen?

Das ist abhängig vom Alter. Kinder zwischen 0,5 und 2 Jahren sollten nach der aktuellen Leitlinie ein Mal täglich als alleinige Fluoridquelle eine Kinderzahnpasta benutzen. Daneben kann zusätzlich eine systemische Fluoridquelle über das fluoridierte Speisesalz benutzt werden. Ab sechs Jahren können Kinder auf eine Junior- oder Erwachsenenzahnpasta mit deutlich höherem Fluoridgehalt wechseln.

In der Schweiz hat man zeitweise Brot mit fluoridiertem Speisesalz gebacken. Wäre das für die BRD eine Maßnahme?

Der Verkauf von Brot mit Fluoridsalz ist auch in der Schweiz lediglich in drei Kantonen möglich. Dort sehen wir allerdings, dass dies die Wirksamkeit der Salzfluoridierung verbessert. Welche Hürden hierfür in Deutschland bestehen, entzieht sich meiner Kenntnis. Möglicherweise findet diese Regelung sogar auf EU-Ebene statt.

Was wissen Sie über die regelmäßige Fluoridanamnese durch Zahnärzte?

Wir haben im IDZ im Jahr 2013 eine Studie zur kinderzahnärztlichen Versorgung in Deutschland durchgeführt. Da haben wir Zahnärzte befragt, wie sie ihre kinderzahnärztliche Versorgung organisieren. 49,7 Prozent aller Praxen haben angegeben, dass sie regelmäßig Fluoridanamnesen durchführen. Bei Kinderzahnarztpraxen lag der Anteil höher, nämlich bei 59,1 Prozent. Immerhin tut es also jeder zweite, gleichwohl könnte man hier noch nachlegen.

Welchen Anteil hat denn die Fluoridierung an der Zahngesundheit, wenn man bedenkt, dass fluoridiertes Speisesalz für alle Bevölkerungsschichten zugänglich ist?

Dazu gibt es nicht so viele Studien, weil in den meisten Ländern noch andere Fluoridträger zur Verfügung stehen. Wir haben das in einer Studie in Gambia untersucht. Dort wurde über ein Jahr der Karieszuwachs in einem Kindergarten beobachtet, wo einmal am Tag mit fluoridiertem Speisesalz gekocht wurde. In einem Vergleichskindergarten wurde traditionell unter anderem mit Fischöl gewürzt. Da hat sich gezeigt, dass in der ersten Gruppe der Karieszuwachs bei 1,3 Zähnen lag, während in der Kontrollgruppe der Zuwachs bei 3,8 Zähnen lag. Insgesamt betrug die kariespräventive Wirkung in dieser Studie 66 Prozent.

Und was besagen die Daten der Deutschen Mundgesundheitsstudien (DMS I-V)?

Während noch in der DMS I/II 4,9 Zähne bei den 13-/14-Jährigen eine Karieserfahrung aufwiesen, liegen wir jetzt bei den 12-Jährigen bei 0,5 Zähnen. Das ist nur noch ein Zehntel der Karieserfahrung von damals. Das fluoridierte Speisesalz hat sicher einen Anteil an dieser Entwicklung. Selbst bei den Senioren ist ja ein Kariesrückgang festgestellt worden. Für ältere Menschen, die in stationären Pflegeeinrichtungen leben, wäre der Einsatz von fluoridiertem Speisesalz sicher besonders interessant.

In Teilen der DDR und in Basel gab es Projekte zur Trinkwasser-Fluoridierung. Welche Vorteile hatten diese und warum haben sich die Projekte nicht durchgesetzt?

Bei Kindern konnte man am Beispiel von Chemnitz feststellen, dass der Anteil der kariesfreien Gebisse nach der Trinkwasser-Fluoridierung deutlich gestiegen ist und dass der DMFT gesunken ist. Bei den Milchzähnen ist es zu einer Reduktion der Karies von 40 bis 50 Prozent gekommen. Allerdings haben die Untersuchungen auch gezeigt, dass diese Wirkung in frühen Lebensjahren besonders ausgeprägt ist und sich dann im Erwachsenenalter deutlich abschwächt. Da spielen offenbar weitere Faktoren eine bedeutsamere Rolle. Zudem bin ich nicht sicher, ob man über das Trinkwasser eine ausreichende Menge an Fluorid aufnehmen kann, weil nicht alle Menschen die tägliche Dosis Flüssigkeit allein über das Trinkwasser aus der Leitung konsumieren.

Und was würden Sie sich im Hinblick für die Gesunderhaltung von Kinder- und Erwachsenenzähnen mittels Salzfluoridierung für Deutschland noch wünschen?

Aus epidemiologischer Sicht wäre es durchaus wünschenswert, wenn in Bildungseinrichtungen fluoridiertes Speisesalz eingesetzt werden könnte. Es müsste aber eben sichergestellt werden, dass man sich freiwillig dafür entscheiden kann. Das ist logistisch schwierig, weil man ja im Grunde das Essen einmal mit und einmal ohne entsprechende Salzzufuhr anbieten müsste. Eher vorstellen kann ich mir das in Kantinen über die Zusalzung durch Streuer. Eine Kampagne wäre allerdings nur möglich, wenn der Gesetzgeber mitspielt. Denn die Regelungen sind im Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch niedergeschrieben.

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