Leitartikel

Politik bremst Selbstverwaltung aus

Wolfgang Eßer
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe gibt sich gemeinhin als Verfechter der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitssystem: „Ich bin überzeugt, dass sie besser patientennahe Entscheidungen treffen kann als ein privatwirtschaftliches oder von der Politik geführtes System“, sagte Gröhe auf dem letzten Ärztetag.

Allerdings ist dieser Tage auch der Referentenentwurf des sogenannten Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) verschickt worden. Und der hat es in sich, bedeutet er doch dem Grunde nach eine Abkehr von der bisherigen Politik. Denn die Selbstverwaltung wird damit nicht gestärkt, im Gegenteil: Ihr werden Daumenschrauben angelegt und sie wird in ihren Handlungsfeldern geschwächt (siehe $(LB296938:zm 13: „Es droht die Entmündigung der Körperschaften“)$). Die Liste der Eingriffe in die Selbstverwaltung“autonomie“ ist lang, an dieser Stelle daher nur zwei Beispiele. So soll die Aufsichtsbehörde einen VV-Beschluss ersetzen können, wenn dieser zur Umsetzung gesetzlicher Vorschriften oder aufsichtsrechtlicher Verfügungen erforderlich ist und nicht innerhalb einer gesetzten Frist erfolgt. Des Weiteren hat der Vorstand interne Kontrollsysteme und eine unabhängige interne Revision einzurichten, die an ihn und bei festgestellten Verstößen auch an die Aufsichtsbehörde berichtet.

Mit dem Entwurf stellt die Politik die Grundsatzfrage: Wer soll zukünftig Versorgung wie sicherstellen? Leider atmet der Entwurf den Geist der Fachaufsicht. Er ist mit dem Begriff einer Selbstverwaltung unvereinbar. Vielleicht ist vor diesem Hintergrund zu erklären, dass die Expertise der KZBV als Selbstverwaltungsakteur bei wichtigen versorgungspolitischen Themen von der Politik derzeit verschleppt wird.

Im Bereich der Barrierefreiheit von Praxen etwa haben wir zusammen mit den Allgemeinärzten konstruktive Vorschläge unterbreitet, wie man es gehandicapten Patienten ermöglichen kann, in die Praxen zu gelangen. Dies beinhaltet auch Gutachten zur Errichtung barrierefreier Praxen sowie Kostenschätzungen, die den erheblichen finanziellen Aufwand für die Umbauten darstellten. An die Politik erging die Forderung, als Anreiz für den Umbau von (zahn-)medizinischen Praxen über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ein Zuschussprogramm aufzulegen. Allein: Das hierfür federführende Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi) sieht keine Notwendigkeit dafür. Es verweist auf die bestehenden KfW-Zinsprogramme, mit denen es möglich ist, günstige Darlehen zu erhalten. Doch die Herstellung von barrierearmen Zugängen zur vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung stellt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar, die den Heilberufen nicht alleine auf die Schultern gelegt werden darf, da die Honorare keinerlei finanzielle Anteile zur Herstellung der Barrierearmut in Bestandspraxen enthalten. Insofern benötigen wir Förderungsprogramme, die Finanzierungsbeteiligungen für notwendige Umbaumaßnahmen bereitstellen.

In Zeiten von Negativzinsen kann man das Angebot zinsgünstiger Kredite nur als einen schlechten Treppenwitz verstehen.

Ein anderes Beispiel: Durch die Möglichkeit der Gründung rein zahnärztlicher Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) ohne zahlenmäßige Beschränkung für angestellte Zahnärzte hat der Gesetzgeber 2015 eine Kooperationsform ermöglicht, die keinen Zusatznutzen für die Versorgung erkennen lässt, gleichwohl aber die traditionellen Praxisformen benachteiligt. Nach einer Untersuchung der KZBV siedeln sich MVZ meist nicht in strukturschwachen Gebieten, sondern in Ballungszentren mit einem hohen und einkommensstarken Patientenaufkommen an. Die dynamische Entwicklung der MVZ lässt dort eine Sogwirkung auf potenziell niederlassungs- oder anstellungswillige Zahnärzte befürchten. Arztgruppengleiche MVZ verstärken die ohnehin vorhandene Überversorgung im städtischen Bereich und verschlimmern die Unterversorgung in ländlichen, strukturschwachen Gebieten. Die zukünftige Sicherstellung einer wohnortnahen, flächendeckenden und qualitätsgesicherten vertragszahnärztlichen Versorgung wird durch dieses unsinnige Steuerungsinstrument gefährdet und unnötig aufs Spiel gesetzt. Daher ist eine gesetzliche Regelung nötig, die eine Übertragung der Anstellungsgrenzen für MVZ ermöglicht.

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