Berufseinstieg eines ausländischen Zahnarztes

„Zahnmedizin ist überall gleich – nur die Patienten sind anders“

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Den Status als Flüchtling wollte er nicht haben, deshalb ist der 25-jährige Syrer Ghassan Al Shalak als Sprachstudent nach Deutschland gekommen – mit dem Ziel, hier eine Anstellung als Assistenzzahnarzt zu finden. Zehn Monate später – nach mehreren Sprachprüfungen, zahllosen Formularen und Anträgen – droht ihm die Abschiebung. Doch dann ging plötzlich alles ganz schnell.

Herr Al Shalak, aus welchem Grund sind Sie nach Deutschland gekommen?

Im Oktober 2013 habe ich mein Zahnmedizinstudium in Syrien abgeschlossen. Vor allem zum Ende hin war das nicht mehr leicht. Deshalb bin ich anschließend sofort nach Saudi-Arabien gegangen. Dort habe ich fast eineinhalb Jahre verbracht und in der „medical city king saud“, einem großen Krankenhaus in Riad, eine Art praktisches Jahr gemacht, um erste Erfahrungen zu sammeln. Dort habe ich mich aber nicht wohl gefühlt. Obwohl ich eine relativ lange Zeit dort war, habe ich immer gedacht, „ich pass hier nicht rein“.

Es war immer ein Traum von mir, nach Deutschland zu gehen, seit ich angefangen habe zu studieren. Genauer gesagt, war es der gemeinsame Traum von mir und meinem besten Kumpel Hadi [lacht]. Wir wollten nach Deutschland und uns auf Oralchirurgie spezialisieren. Das war beim Essen immer DAS Thema.

Im Jahr 2015 habe ich mich also dann für einen Implantologie-Fortbildungskurs in der Schweiz angemeldet. Schon ein Jahr zuvor hatte ich diesen Kurs gemeinsam mit meinem Vater, der Oralchirurg ist, gemacht. Beim zweiten Mal war es schon deutlich schwieriger, das Visum für die Ausreise zu bekommen. Ich musste lange darauf warten, aber dann hat es tatsächlich geklappt. Und so bin ich mit dem Flugzeug in die Schweiz geflogen – und habe dann den Zug genommen nach Berlin.

Anfangs kannten sie nur sehr wenige deutsche Wörter. Wie ging es weiter?

Ich bin am 1. September 2015 in Berlin angekommen. Damals war es noch leicht, Asyl zu bekommen. Aber ich wollte dies nicht – ich wollte so schnell wie möglich arbeiten.

Sie haben es also abgelehnt, Asyl zu beantragen?

Ja. Es gibt viele Leute, die ganz anders handeln würden. Und viele sind vermutlich gegen meine Meinung, aber ich stehe noch heute dazu – auch nach all den Schwierigkeiten, die ich bekommen habe.

Was haben Sie denn stattdessen gemacht?

Ich habe mich für einen Sprachkurs angemeldet, bin dann zur Ausländerbehörde gegangen und habe ein Studentenvisum beantragt. Das war gar nicht so leicht. Ich konnte nur ein bisschen Deutsch und habe am Anfang nur Englisch gesprochen. Ich musste unzählige Anträge und Formulare ausfüllen. Zwei- oder dreimal musste ich zur Ausländerbehörde und alles einreichen – und dann hat es geklappt: Ich habe für zehn Monate eine Aufenthaltsgenehmigung als Sprachstudent bekommen.

Sie wollten nun aber länger als zehn Monate in Berlin bleiben. Was mussten Sie tun, damit das klappt?

Zunächst musste ich Deutsch lernen und eine Prüfung mit dem Level B2 ablegen. Das hat gut geklappt und ich hatte eine ganz gute Note. Diese Unterlagen habe ich dann beim Landesamt für Gesundheit und Soziales – kurz LAGeSo – eingereicht. Die Dame dort wollte aber auch Unterlagen aus Syrien haben. Und das ging natürlich nicht. Das große Problem ist, dass die deutschen Behörden dafür – ich würde nicht sagen kein Verständnis, aber zumindest – sehr wenig Verständnis haben. Ich sollte nach Syrien zurück und meine Unterlagen holen. Das darf ich aber nicht mehr. Würde ich jetzt nach Syrien fliegen, würde mich das Militär am Flughafen abholen und sofort verhaften. Punkt. Mehr müsste man dazu gar nicht sagen. Aber den deutschen Behörden reicht das nicht. Ich musste also dem LAGeSo einen Brief schreiben, um genau dies zu begründen. All das hat sehr lange gedauert – und das Problem war: Je länger es gedauert hat, desto weniger Zeit hatte ich, weil ich ja nur zehn Monate in Deutschland bleiben durfte.

Was haben Sie in der Zwischenzeit in Deutschland gemacht?

Nach meinem Deutschkurs habe ich für sechs Monate ein Praktikum in einer Zahnarztpraxis in Zehlendorf gemacht. Leider durfte ich dort nur zugucken, aber ich wollte dies dennoch unbedingt machen, um mich mit deutschen Fachbegriffen vertraut zu machen. Denn ich musste nach meiner allgemeinen Deutschprüfung noch eine Fachsprachprüfung bei der Zahnärztekammer ablegen.

Und da kam dann das nächste Problem: Ich habe einfach keinen Termin bekommen. Ich bin immer wieder zur Kammer gegangen und habe gesagt „Bitte, bitte, gebt mir schnell einen Termin, das hängt von meiner Aufenthaltserlaubnis ab!“ – und alle Mitarbeiter waren sehr hilfsbereit, aber es hat trotzdem zwei, fast drei Monate gedauert, bis ich einen Termin hatte. In dieser Zeit konnte ich einfach nur abwarten und hoffen, dass alles klappen wird.

Dann, nach fast drei Monaten, haben Sie den Termin zur Sprachprüfung bekommen. Wie war die Prüfung?

Ich war sehr nervös, aber die drei Ärztinnen, die mich geprüft haben, sagten später zu mir: „Das war beeindruckend. Wenn wir so arabisch sprechen könnten, wie Sie deutsch sprechen, das wäre wunderbar.“ Das war natürlich sehr schön – und auch eine Art Trost für mich.

Man hört immer wieder, dass viele Teilnehmer durchfallen. Wie haben Sie die Prüfung wahrgenommen?

Was das Lernen von Fremdsprachen betrifft, verlasse ich mich nicht so sehr auf Bücher oder Kurse. Sprache ist Kommunikation zwischen Menschen – man muss die Alltagssprache kennen, um Sprache zu benutzen. Ich habe mich also darauf konzentriert, wie die Deutschen sprechen, und nicht darauf, was in einem Buch steht. Viele denken daher wohl auch, dass ich schon viel länger in Deutschland lebe.

Mein Praktikum hat mir natürlich auch sehr geholfen, Deutsch zu lernen. Zusätzlich habe ich auch noch einen Drei-Wochen-Kurs gemacht – aber ich sage mal so: Der Kurs hilft, aber dennoch muss man selbst lernen. Ich gehe gerne in die Bibliothek und bin dann tatsächlich jeden Tag für fünf, sechs, sogar manchmal sieben Stunden dort gewesen und habe Fachbücher gelesen. Und – wie man jetzt hört – es hat funktioniert und mein Deutsch ist schnell viel besser geworden.

Die Prüfung war dann eigentlich okay – nicht so leicht, aber auch nicht so schwer. Aber ich kann halt nur von mir sprechen und nicht von mir auf andere Kollegen schließen. Bei mir lief es wirklich gut. Ich hatte wirklich nette Prüferinnen, die mir ein gutes Gefühl gegeben haben – das verleiht einem zusätzliche Sicherheit.

Ob eine Fachsprachprüfung überhaupt nötig ist: Ja, auf jeden Fall, sage ich! Der Schlüssel in Deutschland ist die Sprache – vor allem in unserem Bereich. Wir müssen den ganzen Tag mit den Patienten reden – die ganze Zeit. Wenn ich Informatiker wäre, wäre das vielleicht nicht notwendig, aber bei uns muss der Patient ja das Gefühl haben, dass der uns vertrauen kann und das bekommt er, wenn man mit ihm spricht und ihm ständig jeden einzelnen Behandlungsschritt erklärt.

Sie haben die Fachsprachprüfung dann im Juli abgelegt – Ihre Aufenthaltserlaubnis endete im August. Wie ist es weitergegangen?

Es war schon alles sehr knapp – denn jetzt musste das LAGeSo meine Unterlagen ja noch bearbeiten. Und so konnte ich schon wieder nur warten. Ich bin also wieder zu der Dame gegangen und sagte, es sei dringend, mein Aufenthalt ist bald zu Ende und so weiter. Mir wurde dann gesagt, ich müsste eine Stelle haben, um das Verfahren zu beschleunigen. Nur so hätte ich eine Chance, in Deutschland bleiben zu können. Ich hatte nun also drei Wochen Zeit, eine Stelle zu finden – sonst hätte ich ausreisen müssen.

Ganz schön viel Druck. Wie sind Sie vorgegangen?

Ich habe mich natürlich überall beworben – persönlich, telefonisch, per Mail und über die Stellenbörse der Kammer. Und ich wollte nun auch unbedingt bei einem deutschen Zahnarzt arbeiten, damit ich mein Deutsch noch verbessern kann. Ich hatte das Gefühl, dass ich das schaffen kann – und richtig mit deutschen Patienten umgehen kann. Leider hatte ich nicht so viele Vorstellungsgespräche – um ehrlich zu sein nur drei, obwohl ich mindestens 35 Bewerbungen verschickt habe – und dazu noch die ganzen Anrufe. Es ist in Berlin wirklich sehr schwer, als Assistenzzahnarzt eine Stelle zu finden. Ich mag Berlin sehr gerne, aber wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, hätte ich mich für eine andere Stadt entschieden.

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Ihren jetzigen Chef aus der Praxis in Kreuzberg haben Sie dann auf ziemlich ungewöhnliche Weise kennengelernt. Wie kam es dazu?

Ich habe von dem Freund einer Freundin die E-Mail meines jetzigen Chefs bekommen. Ich habe ihn kontaktiert und er war direkt abends zu einem Treffen bereit. Ich sollte zu einer Adresse kommen, die er mir per SMS schickte. Ich habe diese gegoogelt und es hat sich ergeben, dass es sich um eine Shisha-Bar direkt am Mehringdamm in der Nähe seiner Praxis handelte. Ich war sehr verunsichert. Soll ich gehen? Oder lieber nicht? Was soll‘s, dachte ich, ich hatte ja sowieso nichts zu verlieren. Ich hätte in zwei Wochen abgeschoben werden können. Also bin ich da hingegangen.

In der Bar waren zu 90 Prozent Araber und alle saßen auf Sofas – nur in der Mitte stand ein Deutscher. Da hab‘ ich gedacht, das müsste er sein. Also hab‘ ich ihn begrüßt. Er hat aber auf Arabisch geantwortet. Ich dachte, okay, vielleicht kennt er ein paar Wörter und habe weiter mit ihm auf Deutsch geredet – aber er hat immer auf Arabisch geantwortet, bis ich ihn dann gefragt habe, „Sind Sie überhaupt Deutscher?“, „Ich komme aus Bremen“ hat er dann gesagt [lacht].

Das war schon lustig. Ich konnte mir halt überhaupt nicht vorstellen, dass mein Vorstellungsgespräch in einer Shisha-Bar stattfinden wird. Das hätte ich nie gedacht. Aber mein Chef hat lange in Jemen, im Libanon und in Jordanien gelebt und spricht daher perfekt Arabisch und die Männer in der Bar waren alle befreundete Ärzte, darunter viele Internisten und Chirurgen.

Wir haben uns dort auf jeden Fall eineinhalb Stunden unterhalten. Er hat mir eine Chance gegeben – und das weiß ich wirklich sehr zu schätzen. Und das werde ich auch wirklich niemals vergessen – denn ich hatte nur noch für zwei Wochen eine Aufenthaltserlaubnis. Jetzt habe ich den Aufenthaltstitel für insgesamt zwei Jahre bekommen.

Syrien versus Deutschland: Welche Unterschiede gibt es bei der Behandlung?

Ganz so anders ist es nicht. Ich habe jetzt Zahnmedizin in drei verschiedenen Ländern praktiziert: In Syrien, das relativ arm ist, in Saudi Arabien, das ganz, ganz reich ist, und in Deutschland, wo es diese Solidarität gibt. Der größte Unterschied ist eigentlich, dass es hier bald kein Amalgam mehr gibt [lacht].

Und noch ein Unterschied: Bei uns in Syrien wird alles privat gezahlt – und dies ist natürlich auch alles günstiger als in Deutschland, vor allem die Prothetik. Die Grundlagen der Behandlung sind aber in jedem Land die gleichen – und das hat mich wirklich gefreut. Ich kann immer nur meinen ersten Chef zitieren, der gesagt hat: „Zahnmedizin ist gleich überall“.

Und wie ist der Umgang mit den Patienten?

Der ist total anders [lacht]. In Deutschland müssen wir alles erklären, jeden einzelnen Schritt: „Wir machen das, wir machen jenes“. In Syrien machen die Patienten einfach den Mund auf, ich bohre auf, mache die Füllung und sage zum Ende „Wir sind fertig!“. Das war am Anfang in Deutschland schon komisch. Aber jetzt habe ich mich daran gewöhnt. Und jetzt kann ich gar nicht mehr anders. Ich habe hier in der Praxis auch mehrere Araber als Patienten, auch ihnen erkläre ich jeden Schritt während der Behandlung. Und dann fragen mich die Patienten „Warum erklären sie mir das jetzt? Sie können ruhig weiterarbeiten – das interessiert mich gar nicht.“ [lacht].

Gibt es Unterschiede im Zahnmedizinstudium?

Ja – vor allem was Zahntechnik angeht. Soweit ich weiß – ich habe mich mit mehreren Zahnärzten hier unterhalten – lernt man in Deutschland mehr über Zahntechnik als bei uns in Syrien. Von den zehn Schritten eine Prothese herzustellen, lernen wir in theoretisch zehn und praktisch sechs, in Deutschland werden alle zehn praktisch gelernt.

Was die Allgemeinmedizin betrifft, hängt dies wirklich stark von den Personen ab. Ich habe Zahnmediziner kennengelernt, die unglaublich viele Kenntnisse hatten von Allgemeinmedizin – manche aber auch weniger. Wovon ich sprechen kann, ist, was ich in Syrien gelernt habe: Da hatten wir alles – von den Grundlagen über Pharmakologie, Biologie, Pathologie und so weiter. Ich selbst wünschte mir aber, es wäre noch mehr gewesen. Und ich glaube, dies geht den Deutschen auch so. Ich habe neulich einen Artikel gelesen, dass auch in Deutschland bald die Allgemeinmedizin verstärkt unterrichtet werden soll.

Was sind Ihre Pläne? Wie soll es nach den zwei Jahren weitergehen?

Syrien kommt für mich nicht mehr infrage. Im Grunde habe ich nicht viele Möglichkeiten – eigentlich habe ich nur Deutschland.

In zwei Jahren habe ich das Staatsexamen und die Gleichwertigkeitsprüfung – das ist gar nicht so leicht. Wenn ich die Prüfung schaffe, hoffe ich, dass ich eine vorrübergehende Aufenthaltserlaubnis bekomme, bis ich eine Stelle als angestellter Zahnarzt gefunden habe.

Mein Traum ist es, eine Facharztausbildung im Bereich Parodontologie beziehungsweise Implantologie zu machen – und ich sage mir: „Ich schaffe das!“ Es hat bis jetzt ja immer geklappt.

Wenn Sie noch einmal zurückblicken auf ihre ersten Wochen in Berlin. Wie war das?

Manchmal dachte ich, mir werden bewusst Steine in den Weg gelegt, aber es gibt in jeder Geschichte immer zwei Seiten. Meine Dame beim LAGeSo hat immer begründet, dass so viele Leute auf einmal da waren, die alle Hilfe und Unterstützung brauchten. Aber ab und zu hatte ich schon das Gefühl, dass es mir zu viel wird. Das Absurde: Das Problem war immer, dass ich kein Flüchtling bin. Ich finde es einfach unmöglich und ungerecht, dass eine Person wie ich, die sich nicht um Asyl bewerben will, wirklich einen schwierigeren Weg hat, um weiterzukommen als jemand, der Asyl bekommen hätte.

Ihr Statement zum Schluss?

Der Unterschied zwischen Deutschland und Syrien oder den arabischen Ländern ist, dass, wenn man hier den Anspruch hat oder das Recht hat und die Vorschriften verfolgt, man dann im Endeffekt alles erreichen kann. Man muss nur geduldig bleiben, an sich selber glauben und immer das Ziel verfolgen. Es ist nicht leicht, aber es lohnt sich. Weil man im Endeffekt das Gefühl hat: Ich habe dafür gearbeitet – und dann habe ich es auch geschafft! Und dieses Gefühl kriegt man bei uns nicht immer. Das ist halt ein großer Unterschied. In Syrien arbeitet man, strengt sich an und es könnte sein, das man trotzdem einfach völlig ungerecht behandelt wird.

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