Die neue KFO-Vereinbarung

Ein Rahmen für die Transparenz

Was kann, was soll eine solidarisch finanzierte Krankenversicherung leisten? Diese Frage ist durch die Diskussionen um Obamacare einmal mehr in den Fokus gerückt. In Deutschland ist diese Frage im Grundsatz klar beantwortet. Die gesetzliche Krankenversicherung stellt alle ärztlichen und zahnärztlichen Leistungen zur Verfügung, die für die Behandlung einer Krankheit zwingend erforderlich sind. Die Solidargemeinschaft ist aber weder dazu berufen noch dazu in der Lage, jede Neuerung oder Weiterentwicklung einer Behandlungsmethode zu finanzieren, insbesondere wenn auch mit einem geringeren finanziellen Aufwand ein vergleichbares Behandlungsziel erreicht werden kann. Der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ist daher auf das Ausreichende, Zweckmäßige und Wirtschaftliche beschränkt.

Wie in jedem anderen Fachgebiet macht aber der Fortschritt auch in der Kieferorthopädie nicht beim Ausreichenden, Zweckmäßigen und Wirtschaftlichen halt, sondern führt zu Behandlungsmöglichkeiten und -apparaturen, die die Behandlung für den Patienten angenehmer oder schneller machen. Sind diese Leistungen oder Geräte im Sinne der GKV nicht wirtschaftlich oder gehen über das Maß des absolut Notwendigen hinaus, sind sie nicht mehr solidarisch zu finanzieren. In dem hierdurch entstehenden Spannungsfeld zwischen solidarischem Schutz und Eigenverantwortung des Versicherten, aber auch der Therapiefreiheit, bewegt sich die neue Vereinbarung.

Unter dem Eindruck einer medialen Aufbereitung von Einzelfällen, in denen dieses Spannungsfeld einseitig zulasten des Versicherten aufgelöst wurde, haben – nicht zuletzt auf Forderungen der Politik hin – die Kassenzahnärztliche Bundesvereinbarung und der Berufsverband der Deutschen Kieferorthopäden mit dem Letter of Intent aus dem Jahr 2015 und der neuen Transparenzvereinbarung ein Verfahren geschaffen, mit dem einerseits die Therapiefreiheit gewährleistet und die Wahlfreiheit des Patienten sichergestellt wird. Ein solches Verfahren führt darüber hinaus dazu, dass die behandelnden Kieferorthopäden und Zahnärzte die Sicherheit haben, Leistungen, die über die gesetzliche Krankenversicherung hinaus im Einklang mit ihren vertragszahnärztlichen Pflichten sind, vereinbaren, erbringen und abrechnen zu können.

Die Therapiefreiheit, also die Möglichkeit, die Therapie allein anhand zahnmedizinischer Aspekte zu gestalten, ohne auf die Beschränkungen der gesetzlichen Krankenversicherung Rücksicht zu nehmen, hängt unmittelbar mit der Wahlfreiheit des Versicherten zusammen, Leistungen jenseits der Regelversorgung in Anspruch zu nehmen. Wie in allen anderen Bereichen der Medizin kann der Patient eine Wahl nur dann treffen, wenn er umfassend aufgeklärt wurde. Die Aufklärung muss sich dabei einerseits auf die zahnmedizinischen Aspekte beziehen und alle Behandlungsmöglichkeiten umfassen. Darüber hinaus muss auch im Hinblick auf die wirtschaftlichen Folgen einer solchen Wahl Klarheit bestehen. Mit der Transparenzvereinbarung und dem Letter of Intent, auf den die Vereinbarung Bezug nimmt, sind in Anlehnung an das Patientenrechtegesetz die Punkte zusammengefasst worden, über die der Patient zu informieren ist. So regelt der Letter of Intent mit seinen Anlagen insbesondere die medizinische Aufklärung. Die Anlagen zur Vereinbarung stellen sicher, dass der Patient über die wirtschaftlichen Folgen seiner Entscheidung informiert ist.

Mit den konsentierten Vereinbarungsformularen wird aber nicht nur Transparenz hergestellt, es liegt damit zugleich eine Formulierung vor, die sicher Form und Inhalt der bundesmantelvertraglichen Anforderungen an eine solche Vereinbarung erfüllt.

Das eingangs dargestellte Spannungsfeld zwischen Teilhabe am medizinischen Fortschritt auf der einen und Solidarität im Sachleistungssystem auf der anderen Seite führte darüber hinaus in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer wieder zu Diskussionen darüber, ob eine Teilhabe am medizinischen Fortschritt auch unter Erhalt des Sachleistungsanspruchs im Übrigen in Betracht kommt, mit anderen Worten, ob der Patient sich für privatzahnärztliche Leistungen entscheiden konnte und trotzdem die Behandlung grundsätzlich zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden kann.

Auch dies klärt die neue Vereinbarung. Mit der Vereinbarung steht fest, dass die KZVen die Sachleistung auch dann vergüten, wenn Teile der Behandlung nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehören. Notwendige Bedingung ist natürlich, dass die abgerechnete Leistung die Voraussetzungen des BEMA-Z erfüllt und auch tatsächlich erbracht ist. Ist also bei einer einzelnen Leistung die Leistungslegende des BEMA erfüllt, geht aber die konkrete Ausführung oder das eingesetzte Material über die Regelversorgung hinaus, bleibt es bei einem Sachleistungsanspruch des Versicherten, der lediglich die durch diese Mehrleistung entstandenen Mehrkosten zu tragen hat. Die Vereinbarung sichert damit die Abrechnung des Sachleistungsanteils bei Mehrleistungen.

Werden Teile der an sich vertragszahnärztlichen kieferorthopädischen Behandlung durch privatzahnärztliche Leistungen ersetzt, wird also zum Beispiel anstelle eines Headgears ein Non-Compliance-Gerät eingesetzt, bleibt es ebenfalls dabei, dass die übrigen Leistungen, zum Beispiel die Kernpositionen, die diagnostischen Leistungen und die übrigen therapeutischen Leistungen, als Sachleistung vergütet werden.

Zur Sicherheit, die die Vereinbarung schafft, gehört auch ein konsentierter Weg, wie eine – unzweifelhaft unzulässige – Doppelabrechnung der zahnärztlichen Leistung vermieden werden kann. Die Abrechnung sowohl von Mehrleistungen als auch von Zusatz- und außervertraglichen Leistungen erfolgt notwendigerweise nach der Gebührenordnung für Zahnärzte. Um bei Mehrleistungen nur den Mehrkostenanteil abzuziehen, muss der Sachleistungsanteil in Abzug gebracht werden. Dies erfolgt nach der Vereinbarung auf der Grundlage des von der Bundeszahnärztekammer veröffentlichten Rechnungsformulars nach der Anlage 2 zur GOZ.

Werden jedoch Leistungen gleichwohl doppelt abgerechnet, werden Patienten zur Inanspruchnahme von privatzahnärztlichen Leistungen gedrängt oder genötigt oder wird eine Vergütung verlangt, obgleich die Vorschriften des Bundesmantelvertrags nicht erfüllt sind, stellt dies – wie bereits im Letter of Intent klargestellt wurde – Verstöße gegen die vertragszahnärztlichen Pflichten dar. Die Überwachung der Einhaltung der vertragszahnärztlichen Pflichten ist durch den Gesetzgeber den KZVen zugewiesen, die diese Aufgabe jedoch nur dann erfüllen können, wenn sie überhaupt Kenntnis davon haben, dass eine Doppelabrechnung möglich sein könnte. Die Information, dass eine Vereinbarung über Mehrleistungen – nicht betroffen ist die Vereinbarung von Zusatz- und außervertraglichen Leistungen – erfolgt ist, ist daher gegenüber der KZV anzuzeigen.

Weder gegenüber der KZV noch gegenüber der Krankenkasse sind – in dem Beitrag zu dieser Vereinbarung in der zm 3/2017 hatte sich insoweit eine missverständliche Formulierung eingeschlichen – Rechnungsbeträge oder auch nur die vereinbarten Leistungen anzuzeigen. Es müssen ebenso wenig die konkret als Mehrleistung erbrachten Leistungen in der Abrechnung gekennzeichnet werden. Das Recht des Patienten, Leistungen in Anspruch zu nehmen, ohne dass ein Dritter hiervon Kenntnis erlangt, bleibt unberührt. Die Vereinbarung achtet damit das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und die Regeln des Sozialdatenschutzes.

Die neue Vereinbarung erlaubt also dem gesetzlich Versicherten, am zahnmedizinischen Fortschritt auch jenseits der notwendigerweise beschränkten Regelversorgung teilzuhaben. Sie schafft den Rahmen für die Herstellung der Transparenz, die notwendig ist, damit der Patient sich informiert für oder gegen von ihm selbst zu zahlende Leistungen entscheiden kann. Für die Kieferorthopäden und Zahnärzte schafft die Vereinbarung Klarheit und Sicherheit darüber, dass Mehrleistungen ebenso wie Zusatz- und außervertragliche Leistungen im Einklang mit ihren vertragszahnärztlichen Pflichten vereinbart werden können und dass die Vergütung für die erbrachten Sachleistungen gewährt wird.

Dr. Gundi Mindermann ist Fachzahnärztin für Kieferorthopädie und die BDK-Vorsitzende, Stephan Gierthmühlen ist Justiziar des BDK.

Berufsverband der Deutschen Kieferorthopäden e. V.,Ackerstraße 3, 10115 Berlin

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