Aufsuchende Alterszahnheilkunde

Im Netzwerk mobil behandeln

Oft ist nur der mobile Zahnarzt in der Lage, pflegebedürftige und demente Menschen mit Zahnerkrankungen zu Hause und im Heim relativ stressfrei zu behandeln. Ein Projekt in Bayern zeigt, wie sich Zahngesundheit und Wohlbefinden der Patienten steigern, wenn die Zusammenarbeit mit Pflegekräften, Angehörigen und Netzwerken gut funktioniert.

Sie sind alt und krank und können deshalb nicht mehr in die Praxis kommen: Immer mehr Patienten sind auf mobile Zahnarztbesuche angewiesen. Doch obwohl sich zunehmend eine „Bring-Struktur“ entwickelt, bleibt die „Komm-Struktur“ bisher der Standard.

Wie aber kann man immobile Pflegebedürftige – im Heim und zu Hause – zahnmedizinisch besser versorgen? Antworten darauf gibt die „wissenschaftliche Begleitstudie zur Umsetzung ambulanter zahnärztlicher Leistungen in Privathaushalten und stationären Einrichtungen“, die im Auftrag des Bayerischen Gesundheitsministeriums vom Berliner ISGOS-Institut unter der Leitung von Jürgen Dettbarn-Reggentin und Heike Reggentin erstellt wurde.

Vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft bestehen die neuen Anforderungen aus zahnmedizinischer Sicht laut Studie hauptsächlich in

  1. dem erhöhten Zeit- und Personalaufwand bei der Anamnese, der Wegezeit und den Erschwernissen bei der Behandlung in häuslicher Umgebung,

  2. den veränderten individuellen Voraussetzungen der Patienten, die sich in altersphysiologischen Veränderungen und Multimorbiditäten zeigen,

  3. einer bisher unzureichenden (Re-)Finanzierung der Leistungen wie auch

  4. der ungenügenden Verankerung von Präventivmaßnahmen bei erwachsenen Menschen im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen.

Die Folgen „unangepasster“ – will heißen althergebrachter – Praxiskonzepte zeigen sich der Studie zufolge nicht nur in der mangelnden Zahnhygiene, sondern auch im Verlust an gesellschaftlicher Teilhabe und im Rückzug aus sozialen Beziehungen.

Dr. Volker Göbel, fachzahnärztlicher Leiter des Projekts, hat mit seiner Praxis als einer der ersten in Deutschland Patienten ambulant behandelt. Das heißt, sein System ist auf eine vollumfängliche, dezentrale präventive Mundheilkunde ausgerichtet, die mehr als akute Reparaturzahnheilkunde leistet und auch zahnmedizinische Prophylaxe einbezieht.

Voraussetzung dafür ist eine hochtechnisch ausgestattete Behandlungseinheit mit Lichtmotor, Ultraschalleinsatz, integrierter Absaugung und Kompressor, inklusive eines tragbaren Röntgengeräts. Der technisch hoch qualifizierte Ausrüstungsstand ist die eine Säule im Konzept der ambulanten Versorgung, eine andere die effiziente Patientensteuerung und die dritte die Fortbildung der Pflegekräfte in den stationären Einrichtungen.

Die konkreten Schwierigkeiten und Widerstände pflegebedürftiger Menschen gegen Zahnarztbesuche in der Praxis sind in der Studie konkret genannt:

Pflegebedürftigen Patienten mit einer Demenz fehlt die selbstständige Entscheidungsfähigkeit, Zahnkrankheiten behandeln zu lassen beziehungsweise mit Blick auf das Risiko eine Therapie zu unterlassen.

  • Sie können Schmerzen nicht auf ihre Ursachen deuten.

  • In einigen Fällen besteht eine massive Abwehr gegen eine Behandlung.

  • Insbesondere auf dem Land mangelt es oft an der nötigen Mobilität, eine Zahnarztpraxis aufzusuchen.

  • Auch kognitiv rüstige schwer pflegebedürftige Menschen schätzen häufig die Bedeutung der Mundhygiene für ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit insgesamt nicht richtig ein.

  • In der häuslichen Betreuung haben Angehörige keine Zeit, um die Betroffenen zum Zahnarzt zu begleiten.

  • Es besteht Angst vor dem Wechsel aus der häuslichen Umgebung in die entfernte Zahnarztpraxis.

  • Die allermeisten Praxen sind nicht barrierefrei, was auch in diesem Projekt von nahezu allen Befragten angeführt wurde.

  • Angehörige haben kein Problembewusstsein für die Folgen vernachlässigter Mundhygiene und von Zahnerkrankungen.

Hier schließt sich der Kreis: Wenn pflegebedürftige Menschen – mit und ohne Demenz – nicht behandelt werden, kommt es zu negativen Reaktionen durch Zahnschmerzen, schlecht sitzende Prothesen oder Mundinfektionen. Die ohnehin hohe Belastung der pflegenden Angehörigen steigt unverhältnismäßig an, denn Zahnerkrankungen verursachen zusätzlich Unruhe und Unzufriedenheit.

Generell stellt die Mundgesundheit alter und hochaltriger Menschen ein erhebliches gesundheitliches Problem dar. Neuere Untersuchungen zeigen, dass sich Erkrankungen und nicht behandelte Schädigungen des Zahnapparats negativ auf die Demenz auswirken. In der Folge nehmen die sozialen Kontakte ab, die Personen ziehen sich verstärkt zurück, und es kommt zu größerer Unruhe und Schmerzäußerungen.

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Projektziele

Laut Statistik lebten Ende 2013 insgesamt 329.000 Frauen und Männer in Bayern, die nach SGB XI anerkannt pflegebedürftig waren. Davon waren rund 106.000 in vollstationären Pflegeeinrichtungen untergebracht, 223.000 wurden zu Hause versorgt. Jene stehen hier im Vordergrund. Von den Pflegebedürftigen in Privathaushalten wiederum wurden etwa 148.000 allein durch Angehörige und etwa 75.000 zusammen mit ambulanten Pflegediensten betreut und gepflegt [Statistisches Bundesamt, 2016].

Auf die gesundheitliche Versorgung und die Vorsorge dieser pflege- und betreuungsbedürftigen Menschen nehmen unterschiedliche soziale Netzwerke Einfluss. Diese bilden das Potenzial ambulanter hauszahnärztlicher Interventionen.

Ziel ist, mit der Einbeziehung pflegebedürftiger Menschen in stationären Einrichtungen zwei unterschiedliche Versorgungsformen – zu Hause und im Heim – mit sehr unterschiedlichen Strukturen, Kontrollen und Abläufen nebeneinanderzustellen und die Einflüsse auf die Mundhygiene aus diesen sozialen Umfeldern zu vergleichen.

Die praktische Umsetzung erfolgte durch die Zahnarztpraxis von Dr. Volker Göbel, der aufgrund seiner jahrelangen Erfahrung auf dem Gebiet der ambulanten zahnärztlichen Versorgung genügend Probanden in die Untersuchung einbringen konnte. Die Ziele seines Hauszahnarztkonzepts „Zahnarzt auf Rädern“ sind:

  1. den zahngesundheitlichen Status der pflegebedürftigen Patienten zu verbessern,

  2. Wege aufzuzeigen, die das mundgesundheitliche und allgemeine Wohlbefinden erhöhen und somit die Lebensqualität der Patienten steigern,

  3. in der häusliche Pflege zu untersuchen, inwieweit die Angehörigen durch den ambulanten Hauszahnarzt entlastet werden,

  4. Fortbildungsinhalte zur Aufklärung der Angehörigen und der Pflegenden zusammenzustellen.

Die örtliche Verteilung: Die Wohnorte der Patienten liegen in einem Radius von etwa 25 Kilometern um den Ausgangspunkt der beiden Zahnarztpraxen in Marktheidenfeld und Gössenheim. Die Verteilung erreicht den Main-Spessart-Landkreis, den Main-Tauber-Kreis, den Landkreis Bad Kissingen und den Stadt- und Landkreis Würzburg. Im Untersuchungszeitraum wurden 41 Orte einbezogen und angefahren, davon einige mehrmals.

Das Vorgehen: In Pflegeeinrichtungen kündigt die Praxis den ambulanten Zahnarztbesuch per Fax an, der dann vom Heimträger und/oder dem Pflegepersonal vorbereitet wird. Im häuslichen Bereich nehmen überwiegend die Angehörigen Kontakt zur Zahnarztpraxis auf. Dort werden die eingehenden Terminwünsche koordiniert und die Routen für die mobilen Zahnarzttermine zusammengestellt.

Fragestellungen

Umsetzungsbezogen: Geklärt werden sollte, wie die Patienten erreicht werden, insbesondere Alleinwohnende. Welche Wege der sozialen aufsuchenden Arbeit müssen begangen werden? Kann man soziale Dienste, Anrufe der Angehörigen, Allgemeinärzte oder Sozialarbeiter als Vermittler einbeziehen? Welche räumliche und welche häusliche Situation ist förderlich oder hinderlich für die Organisation und Durchführung einer zahnärztlichen Behandlung oder einer Präventionsmaßnahme?

Zielbezogen: Wie sieht das mundgesundheitliche Wohlbefinden bei den Patienten vor und nach der Behandlung aus und welche Rückschlüsse lassen sich daraus ziehen? Wie werden Angehörige durch den ambulanten Hauszahnarzt entlastet? Wo liegt der Fortbildungsbedarf und wie lassen sich örtlich Strukturen einbeziehen? Welche Kooperationspartner sind potenziell als „Netzwerkpartner Gesundheit“ (bestehende Projekte, ambulante Dienste, stationäre Einrichtungen, Gesundheitsdienste, Ärzte, Ehrenamtliche, Alzheimergesellschaft, Vereine) vorhanden? Was muss der Hauszahnarzt an Wissen, Ausstattung und Zeit mitbringen?

Methode

Die Studie stützt sich auf Daten, die während der Haus- und Heimbesuche ermittelt wurden. Alle vier Heime wie auch die Bewohner in den Privathaushalten erhielten einen Brief vom Ministerium und vom Zahnarzt, in dem die Untersuchung und ihre Ziele dargestellt wurden. Einbezogen wurden nur die Patienten, die der Untersuchung zugestimmt hatten. Grundlage war das Datenschutzgesetz Bayerns: Anonymität, Freiwilligkeit und das Recht auf Abbruch an der Studie wurden den Teilnehmern zugesichert. Zwecks Datenschutz wurden alle erhobenen Daten anonymisiert und kodiert.

Problem Immobilität

Alte Senioren in der Praxis

Die Alterspyramide weist Senioren 65+ als die Gruppe mit dem größten Wachstum aus – gleichzeitig ist es zahnmedizinisch der am schwächsten betreute Bevölkerungsteil. Das Problem: die Pflegebedürftigkeit (mit Immobilität gleichgesetzt) und die daraus folgende unzureichende zahnmedizinische Versorgungsstruktur. Zwei Handicaps erschweren die Zahnbehandlung: „Eine generelle zahnmedizinische Versorgung in Praxen oder Kliniken würde hohe Transportkosten verursachen und eine generelle mobile Betreuung zu Hause wäre für die beteiligten Zahnärztinnen und Zahnärzte mit den üblichen Honorarsätzen der gesetzlichen Krankenkassen betriebswirtschaftlich nicht darstellbar“ [KZBV, 2010]. Ende 2013 wurden bereits 1,86 Millionen Pflegebedürftige zu Hause betreut [Destatis, 2016].

Die Zahnarztpraxis von Dr. Göbel koordinierte dann die Patientenkontakte, die Terminabsprachen und die Routenplanung. Die Fahrten begannen jeweils gegen 9 Uhr, endeten um 16.00/16.30 Uhr und schlossen mehrere Zielorte ein. Aufgenommen, analysiert und evaluiert wurden die Daten im Anschluss vom ISGOS-Berlin, das das Projekt wissenschaftlich begleitete. Die Interviews und Begehungen fanden jeweils zu Hause bei den Patienten beziehungsweise in den Wohnbereichen der stationären Einrichtungen statt. Soweit die Patienten nicht selbst in der Lage waren, die Fragen zu beantworten, übernahmen Betreuer oder Pflegekräfte diese Aufgabe.

Erhebungsinstrumente:

  • Mundgesundheit: DMFT-Index

  • mundgesundheitliche Lebensqualität: OHIP-G14

  • gesundheitliche Merkmale: Euro-Qol-5D

  • psychisches Wohlbefinden: WHO-5-Wohlfühltest

  • soziale Situation nach Nikolaus et al. [1994]

Ergebnisse

Im Fokus standen Patienten mit gesundheitlichen Einschränkungen. Die zu Hause betreuten Patienten wurden vom ambulanten Zahnärzteteam aufgesucht, nachdem sie in der Zahnarztpraxis angerufen und um einen Besuch gebeten hatten. Als Vergleichsgruppe wurden Patienten aus stationären Pflegeeinrichtungen mit denselben Einschlusskriterien einbezogen: Auch sie hatten sich mit der Bitte um einen Heimbesuch an das ambulante Zahnärzteteam gewandt. Der Zahnarzttermin wurde häufig mit Unterstützung durch Angehörige, Betreuer, Pflegepersonal oder auch durch das Personal von Kliniken vereinbart.

In Bayern praktizierten 2016 etwa 8.263 niedergelassene und 1.953 angestellte Zahnärzte [KZVB, Stand 30.6.2016], davon boten nach Schätzung der Bayerischen Landeszahnärztekammer einige 100 Zahnmediziner auch Hausbesuche an.

Folgende zahnmedizinische Behandlungen können im Heim durchgeführt werden:

  • Mundhygieneunterweisung

  • Zahnsteinentfernung

  • Zahnfleischbehandlung

  • Zahnextraktion

  • Füllungen

  • Prothesenreinigung

  • Prothesenreparaturen

  • Prothesenneunanfertigungen

Mobile Dienste werden angeboten

  • für immobile Patienten, die zu Hause oder in betreuten Wohnungen leben,

  • bei schwierigen oder zu teuren Transporten,

  • wenn Angst besteht vor einem Besuch in der Zahnarztpraxis,

  • für Behinderte zu Hause oder im Heim,

  • für Schwangere mit Liegepflicht und Zahnschmerzen.

Zusammenfassung

Die Studie zeigt, wie ambulante zahnärztliche Leistungen in Privathaushalten und in Pflegeeinrichtungen praktisch umgesetzt werden können und welchen Einfluss sie auf die Erhaltung des mundgesundheitlichen und des sozialen Wohlbefindens haben.

Was den häuslichen Bereich betrifft, finden die Patienten den Weg zum Zahnarzt durch ein persönliches soziales Netz aus Angehörigen, Freunden, Nachbarn und Diensten, das in sehr unterschiedlicher Ausprägung Unterstützung bietet – etwa indem der Hauszahnarztbesuch organisiert wird. Da der absolut größte Teil dieser Patienten (rund 89 Prozent) in eigenen Immobilien lebt, die häufig bereits an die Kinder überschrieben wurden, ist die Sicherheit des Wohnens und des sozialen Umfelds gegeben.

Im stationären Bereich gestalten sich die Vermittlungen zum ambulanten Dienst ebenfalls unterschiedlich, wenn auch nicht in dieser breiten Palette an Arrangements wie im privaten Haushalt. Hier übernehmen seltener auch Angehörige die Initiative, mehrheitlich sind es die Pflegekräfte – bei Bedarf in Rücksprache mit den gesetzlichen Betreuern. Die Kooperationsverträge bringen auch den ambulanten Zahnarzt verstärkt ins Spiel, der regelmäßig Kontrollen durchführt.

Wie erwartet, hat sich der mundgesundheitliche beziehungsweise zahngesundheitliche Status im Projektverlauf verbessert. Gemessen am DMFT-Vergleichswert der DMS V mit 24,5 Punktwerten bei der Altersgruppe 75 bis 100 Jahre, ältere Senioren mit Pflegestufe, liegen die Werte in dieser Studie mit im Mittel 22,6 leicht darunter.

Bekanntlich ist die Durchführung der Zahnpflege bei schwer bis schwerstpflegebedürftigen Menschen davon abhängig, ob die Person bereit ist, eine Unterstützung bei der Zahn- beziehungsweise Prothesenreinigung zuzulassen. Dabei liegen die DMFT-Werte pflegebedürftiger Patienten in der häuslichen Pflege niedriger als in der stationären Pflege. Die Erfolge häufigerer Zahnreinigungen werden beispielsweise am Kariesindex und am Index für die fehlenden Zähne oder auch für die gefüllten Zähne sichtbar.

Vermutet wird daher, dass sich häufigeres Zähneputzen wie auch der kontinuierliche Einsatz der Hauszahnärzte bereits positiv auf die Mundgesundheit ausgewirkt haben. Zusammengefasst hat sich die Mundhygiene der Patienten nach der Erstaufnahme durch den Zahnarzt in einem privaten Haushalt wie auch in einer stationären Pflegeeinrichtung sowie weiterer regelmäßiger Kontrollen und Behandlungen erheblich verbessert.

Die Studie konnte auch aufzeigen, dass die Einbettung der älteren pflegebedürftigen Patienten in ihr soziales Umfeld einen bedeutenden Einfluss auf das allgemeine Wohlbefinden einnimmt. Ebenso wirkt das soziale Netzwerk auf das mundgesundheitliche Wohlbefinden ein. Patienten mit einem stabilen persönlichen sozialen Netzwerk weisen einen stabilen Verlauf in ihrem Zahnstatus auf. Im Vergleich zu ledigen, geschiedenen und verwitweten Patienten haben sie die größte Anzahl noch vorhandener natürlicher Zähne. Mit durchschnittlich häufigeren Kontakten und einem größeren sozialen Netzwerk scheinen Patienten in Privathaushalten über intensivere Kontakte zu anderen nahestehenden Personen zu verfügen.

Beachtlich ist, dass die sozialen Kontakte der durchschnittlich 80-Jährigen zu ehemaligen Kollegen, Vereinen oder Interessengruppen, denen sie jahrelang verbunden waren, weiterhin bestehen. Darüber hinaus beeinflussen Familienstand und regelmäßige Besuche/persönliche Kontakte („täglich“ bis „mehrmals täglich“) die Mundhygiene positiv (soziale Kontrolle). Während Patienten in Privathaushalten größere soziale Netzwerke mit häufigeren täglichen Kontakten haben, wurde dies bei Patienten in institutionellen Versorgungseinrichtungen nur in Ausnahmen beobachtet (ein sehr schönes Beispiel ist der regelmäßige Besuch einer Kindergruppe bei einer ehemaligen Kindergärtnerin).

Ein persönliches soziales Netzwerk ist ein bedeutender Einflussfaktor für einen selbstbestimmten Alltag bei Pflegebedürftigkeit. Für eine erfolgreiche Alltagsbewältigung sind dabei weniger die Größe des Netzwerks als vielmehr die intensive Teilhabe und der familiale Status der Netzwerkpersonen maßgeblich. Gemessen an der Mundpflege ist dies gut belegt.

Bestätigt wird aber auch der umgekehrte Zusammenhang zwischen zahnmedizinischen klinischen Indikatoren und subjektiv erfahrenen Problemen aufgrund einer eingeschränkten Zahngesundheit, die sich psychisch oder sozial benachteiligend auswirkt. Soziale Aspekte wie Kommunikation sind abhängig von einem suffizienten Zustand der Zähne oder des Zahnersatzes. Ebenso bekräftigt die Studie, dass man durch regelmäßige zahnärztliche Interventionen diesen Problemen erfolgreich und sehr wirksam begegnen kann.

Alle befragten Angehörigen in den Privathaushalten empfinden die Hauszahnarztbesuche als eine erhebliche Erleichterung in ihrem Pflegealltag. Die Entlastung betrifft nicht nur den Tag der Behandlung, denn die externen Arztbesuche müssen Tage vorher geplant werden, somit werden gleich mehrere Tage in Anspannung verbracht.

Um das Problembewusstsein bei Patienten und Angehörigen zu stärken und damit zu einer verbesserten Mundhygiene zu gelangen, informierten die Hauszahnärzte pflegende und betreuende Angehörige mit dem Ansatz des praxisbezogenen Lernens über Pflegetechniken, den Einsatz von Hilfsmitteln und Fragen zur prothetischen Versorgung. Die Einweisung in Putztechniken erfolgte zusammen mit der pflegebedürftigen Person direkt im Anschluss an die Behandlung.

Zahnpflege in Haus & Heim

Die vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege geförderte und im Regierungsbezirk Unterfranken durchgeführte Studie „Mundgesundheit und Lebensqualität mobilitäts¬beeinträchtigter betreuungsbedürftiger Menschen in häuslicher und in stationärer Versorgung – Konzept der aufsuchenden ambulanten zahnärztlichen Versorgung“ beleuchtet die Umsetzung ambulanter zahnärztlicher Leistungen in Privathaushalten und stationären Einrichtungen.

  • fachzahnärztliche Leitung: Dr. med. dent. Volkmar Göbel, Ganzheitliche Zahnmedizin Gössenheim, Spezialpraxis für Alterszahnmedizin im Gesundheitspark Marktheidenfeld

  • ambulante Zahnärzteteams: Dr. med. dent. Kerstin Helmschrott, Fachärztin, Gössenheim; Dr. med. dent. Beate Kern, Fachärztin, Gössenheim; Dr. med. dent. Lennart Ekdahl, Facharzt, Gössenheim

  • Koordination Zahnärzteteams, Patientenkontakte: Irene Vollmuth

Sie lesen hier eine Zusammenfassung des Abschlussberichts.

Eine andere Konstellation ergab sich in den stationären Bereichen. Die Zahnpflege fand zu fast 45 Prozent ausschließlich pflegegestützt und nur zu etwa 30 Prozent selbstständig statt. Die Kenntnisse, der Wille und die Zeit für Mundhygienemaßnahmen des unterstützenden Pflegepersonals werden somit umso bedeutsamer, weil mit steigender Pflegebedürftigkeit die selbstständige Mundhygieneversorgung weiter sinkt.

Die Bewertung der Mundhygiene durch die Zahnärzte im Zeitverlauf belegt für die Pflegeheime eine deutliche Verbesserung bei den Teilnehmern, wenn auch nicht so stark wie in den Privathaushalten. Das bedeutet, es gibt noch Verbesserungspotenzial. Das Pflegepersonal selbst hält sich für kenntnisreich in Sachen Mundhygiene und würde eine praxisorientierte Kenntnisvermittlung einer Fortbildung in Seminarform vorziehen.

Das Personal hat aus eigener Sicht ein Zeitproblem, das die Unterstützung der Zahnpflege häufig erschwert. Denn: Jeder Patient ist individuell und stellt eigene Ansprüche an die Behandlung. Der Wille ist also vorhanden, ebenso die Kenntnis, die Zahnpflege anzuleiten oder durchzuführen. Das scheint auch der Grund zu sein, warum Privathaushalt und Pflegeeinrichtung die Mundhygiene unterschiedlich bewerten. Auch einige Spannungen zwischen Zahnärzten, die hohe Erwartungen an die Zahnpflegeleistungen des Pflegepersonals haben, und dem Pflegepersonal, das über Zeitprobleme klagt, wären vermeidbar, wenn gemeinsam über Lösungen zur Mundhygiene bei Zeitknappheit nachgedacht würde.

Generell hat die Studie aber deutlich gemacht, dass das Problembewusstsein für eine verbesserte Mundhygiene erheblich gestiegen ist. Die Daten belegen signifikante Verbesserungen, selbst bei steigender ausschließlich pflegegestützter Zahnpflege. Die Forschungshypothesen konnten insoweit gestützt werden, als dass der mundgesundheitliche Status im Projektverlauf verbessert wurde. Das mundgesundheitliche Wohlbefinden erhöhte sich, wenn auch der Einfluss auf das allgemeine Wohlbefinden nicht belegt werden konnte. Nicht zuletzt konnte die stärkende Kraft eines stabilen sozialen Netzwerks als hilfreich für die Bereitschaft zur Mundhygiene nachgewiesen werden.

Ganz wichtig ist: Mit dem Projekt wurden die Angehörigen pflegebedürftiger Patienten erheblich entlastet. In Privathaushalten gibt es darum zwei „Gewinner“: die Patienten und deren pflegende Angehörige. Der ambulante Hauszahnarzt hat wesentlich dazu beigetragen, das Problembewusstsein zur Mundhygiene zu stärken – was die Rückmeldungen der pflegenden Angehörigen, aber auch der Pflegekräfte in den Heimen bestätigten.

Zugleich wurden aber auch die Grenzen der ambulanten Behandlungen deutlich: Sie liegen zum einen in den Patienten selbst, insbesondere bei vorhandener schwerer Demenz, und zum anderen im Privatbereich, der für schwere chirurgische Behandlungen nicht geeignet ist. Innerhalb dieser Grenzen kommen die Technik und die Logistik der mobilen zahnärztlichen Praxis sehr effektiv zum Einsatz.

Perspektiven

Eine flächendeckende Verbreitung der ambulanten zahnärztlichen Versorgung wäre aus Sicht der Patienten und ihrer Angehörigen sehr wünschenswert. Die in diesem Projekt zusammengestellten Daten sprechen für das Hauszahnarzt-Modell.

  1. Als Beitrag zum Erhalt der Mundgesundheit sollte der Umzug aus dem Privathaushalt in eine stationäre Einrichtung mit dem Angebot einer zahnärztlichen Erstaufnahme („grundlegender Check“) verknüpft sein. Damit die pflegerische Unterstützung in der Mundhygiene gezielter erfolgen kann, wäre es für das Pflegepersonal hilfreich, zu erfahren, ob eine Zahnprothese vorhanden ist oder ob der Bewohner noch eigene Zähne hat. Wenn die Angehörigen wissen, dass auch die Mundhygiene einen hohen Stellenwert in der Pflege einnimmt, trägt das auch zu ihrer Beruhigung und Entlastung bei.

  2. Soziale Netzwerke fördern nicht nur die Mundhygiene (indirekt), sondern sie bewirken ein höheres Wohlbefinden – bei den Pflegebedürftigen wie ihren Angehörigen. Daher sind Pflegehaushalte gut beraten, wenn sie die Versorgung pflegebedürftiger Angehöriger arbeitsteilig leisten. In der Beratung sollte der Hauszahnarzt solche Pflegearrangements mit anregen.

  3. Im stationären Bereich sollte man schon beim Einzug der Pflegebedürftigen Vereinbarungen mit dem Heim und den Pflegekräften über die Regelung zur Beschaffung von Hilfsmaterial (wie der elektrischen Zahnbürste) sowie über deren Verwahrung im Zimmer (insbesondere bei Doppelzimmern) treffen.

  4. Eine Entlastung der Angehörigen im häuslichen Bereich wird erreicht, indem sie bei der Zahnpflege ihrer pflegebedürftigen Verwandten unterstützt werden. Wenn Betroffene das Zähneputzen verweigern, sind Informationen für die praktische Pflege äußerst entlastend, weil die Situationen mindestens zweimal täglich bewältigt werden oder Alternativen dazu vorhanden sein müssen.

  5. In den Interviews wurden immer wieder Fragen zu den Hilfen gestellt, wie zum Beispiel zur Beschaffung von Hilfsmitteln für die Zahnpflege, wie auch zur Pflege allgemein. Erwünscht waren Informationen zur Kostenübernahme von Prothetik, zum Eigenanteil bei zahnärztlichen Leistungen oder auch für Therapeuten und die Wohnungsanpassung.

Unsicherheiten bestehen bei der Zuständigkeit: Ist es die Krankenversicherung oder die Pflegeversicherung? Wann kann man Sozialhilfe beantragen und was übernimmt diese? Hilfreich wäre eine Übersicht mit den wesentlichen Leistungen und den jeweiligen Leistungserbringern. In ländlichen Regionen liegt der Informationsbedarf höher als in Stadtregionen. Über eine Internetplattform wären Ansprechpersonen in der Umgebung schnell auffindbar. Die Übermittlung der Informationen sollte alle ambulanten Träger – die Dienste, Hausärzte und Hauszahnärzte und Therapeuten – einbeziehen.

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