Projekt zur hausärztlichen Versorgung auf dem Land

VERAH kommt

Digitale Technologien berühren viele Kernbereiche des ärztlichen Berufsbildes – und gehören längst zum Alltag von Praxen. Wie Telemedizin in die Versorgungsprozesse bei Hausärzten integriert werden kann und teilweise auch schon wird, zeigt das Beispiel des „TeleArzt“-Projekts, mit dem Hausärzte in ländlichen Regionen entlastet werden sollen.

Das Projekt „TeleArzt“ ist seit dem 1. Mai in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Rheinland-Pfalz und Hessen am Start: Um den teilnehmenden Hausarzt zu entlasten, fährt die VERAH (Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis) bei Bedarf zu den Patienten nach Hause. Für diese vom Hausarzt an sie delegierte Tätigkeit wurde sie speziell geschult, eine ärztliche Expertise ist nicht notwendig.

Die VERAH ist ausgestattet mit einem Rucksack mit folgendem Inhalt:

  • ein 3-Kanal-EKG

  • ein Pulsoximeter

  • ein Blutzuckermessgerät

  • ein Spirometer

  • ein Blutdruckmessgerät

  • eine Waage

  • ein Tablet-PC zur mobilen Datenübertragung und zur Videokommunikation mit dem Arzt, falls notwendig.

Mit diesem Equipment kann die Assistentin vor Ort die wichtigsten Vitaldaten eines Patienten – etwa EKG, Puls und Blutdruck – erheben, in die Praxis senden und über ein Videotelefon per Tablet eine Televisite des Hausarztes ermöglichen.

Kontrolle durch Hausarzt via Videotelefonie

Das TeleArzt-Projekt geht auch konform mit dem sogenannten Fernbehandlungsverbot in der ärztlichen Berufsordnung. Danach dürfen Ärzte individuelle Behandlungen und Beratungen nicht ausschließlich über Kommunikationsmedien durchführen. Seit dem E-Health-Gesetz können Ärzte unter bestimmten Voraussetzungen auch Online-Videosprechstunden anbieten. Arzt und Patient müssen sich allerdings zuvor in der Praxis persönlich kennengelernt haben. Die Kommunikation am Bildschirm dient dann eher der Kontrolle.

Die VERAH ist also nicht als Ersatz für den Arzt gedacht. Das betont jedenfalls der Geschäftsführer der TAG TeleArzt GmbH, Dr. Thomas Aßmann, der das Projekt entwickelt und eineinhalb Jahre im Oberbergischen Kreis getestet hat, bevor es in die Fläche ging. Für ihn geht darum, die für den Patienten bewährte hausärztliche Versorgung sinnvoll zu ergänzen: „In vielen Regionen, insbesondere in strukturschwächeren, kann schon heute der Bedarf nach hausärztlicher Versorgung nicht überall gedeckt werden.

Fallbeispiele

Patientenbetreuung

  • Eine 65-Jährige lebt eigenständig zu Hause. Sie ruft in der Praxis an, weil sie Kreislaufprobleme hat. Die VERAH fährt zu ihr nach Hause, um ihren Zustand und ihre Vitaldaten zu prüfen. Der Arzt kann auf diese Daten zugreifen und sich über die weiteren Behandlungsmöglichkeiten mit ihr abstimmen. Bei Bedarf kann er sich über die Videotelefonie aus der Praxis in die Wohnung zuschalten.

  • Ein junger Rollstuhlfahrer lebt zu Hause. Die VERAH kommt regelmäßig zu ihm, um Routineuntersuchungen (Blutdruckmessung, Blutabnahme) vorzunehmen, die sie sonst in der Praxis durchführen würde. Ein persönliches Gespräch zwischen Arzt und Patient ist per Videochat möglich. Der Besuch der VERAH spart dem Patienten Wege, ein Besuch in der Praxis ist jederzeit möglich.

Ein wesentlicher Grund ist der demografische Wandel“, erläutert er. „Hier bietet die Digitalisierung enorme Chancen, um die Hausärzte bei ihrer Arbeit zu entlasten und zugleich eine hohe Versorgungsqualität sicherzustellen. Wichtig ist dabei, dass gerade ältere Patienten mit den telemedizinischen Angeboten nicht alleine gelassen werden, sondern von ihrem vertrauten Hausarzt und dem Praxisteam eng betreut werden. Genau das geschieht beim TeleArzt-Projekt.“

Ergänzung und Stärkung der bewährten Versorgung

Das Projekt wird vom Deutschen Hausärzteverband begleitet und unterstützt. Der Bundesvorsitzende des Verbands, Ulrich Weigeldt, skizzierte auf der Delegiertenversammlung am 2. Mai in Mainz den Vorteil des Projekts aus seiner Sicht: Es wirke arztentlastend, ohne die zentrale Patienten-Arzt-Beziehung zu stören. Weigelt: „Solche IT-Projekte sind kein Selbstzweck. Sie dienen der effektiven Versorgung der Patienten und entlasten den Arzt von unproduktiven Aufgaben. So wird die hausärztliche Praxis als zentraler Ort der Versorgung gestärkt.“ Weigelt ist zuversichtlich, dass das Projekt auch in anderen Regionen und bei weiteren Kassen Anklang finden wird.

Das macht VERAH

Die zur Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis (VERAH) fortgebildete MFA sollen den Hausarzt bei der Versorgung älterer und multimorbider Patienten entlasten, indem sie:

  • ihn mithilfe standardisierter Methoden und Techniken bei der Versorgung unterstützt,

  • delegierte Hausbesuche eigenständig durchführt und ihn bei der Diagnoseunterstützt,

  • Therapie- und Präventionsmaßnahmen ergreift und

  • als Schnittstelle zwischen Arzt, Patient und den sozialen Netzwerken (wie etwa ambulante Pflegedienste, Sanitätshäuser, Fachärzte, Krankenhäuser, Patientenselbsthilfegruppen) fungiert.

Das 200-stündige Fortbildungskonzept für die Praxismitarbeiterinnen vom Institut für hausärztliche Fortbildung im Deutschen Hausärzteverband (IhF) ist mit den Curricula der Bundesärztekammer und dem Verband der medizinischen Fachberufe (VmF) abgestimmt und wird mit einer Prüfung abgeschlossen. Im Anschluss an den elftätigen Kompaktkurs erfolgt ein Praktikum über 40 Einheiten à 45 Minuten bei einer Einrichtung, mit der die Praxis kooperiert (wie das Pflegeheim, das Krankenhaus oder der Pflegedienst), danach folgen eine Hausarbeit und ein mündliches Fachgespräch. Zulassungsvoraussetzung ist die Berufserfahrung in einer Hausarztpraxis.

Voraussetzung für die Teilnahme am Projekt ist, dass die Hausärzte an der Hausarztzentrierten Versorgung mit der GWQ Service Plus AG teilnehmen, einem Dienstleister für mittelständische Betriebs- und Innungskrankenkassen, für die das Unternehmen Selektivverträge abschließt. Das Leistungsangebot der GWQ umfasst Produkte und Dienstleistungen in den Bereichen Einkaufs-, Versorgungs-, Finanz- und Informationsmanagement. Derzeit sind rund 67 Kassen mit mehr als 12 Millionen Versicherten Kunden bei der GWQ.

Honorierung erfolgt extrabudgetär

Für die technische Umsetzung des Projekts ist die vitaphone GmbH verantwortlich, ein im Bereich Telemedizin etablierter Anbieter. Das Unternehmen hat Lösungen erarbeitet, die neben den Anforderungen des Medizinproduktegesetzes und weiteren Normen und Gesetzen vor allem dem Datenschutz eine hohe Priorität einräumen. Patientendaten werden nur verschlüsselt übertragen, beim Hausarzt entschlüsselt und bei ihm gespeichert. Er besitzt den alleinigen Datenzugriff, die Daten unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht. Der Anbieter speichert keine Daten.

Gesellschafter der TAG TeleArzt GmbH sind die ProVersorgung Care AG des Deutschen Hausärzteverbandes, die vituscard GmbH Co KG als zweiter ärztlicher Gesellschafter und die vitaphone GmbH als Technologieentwickler.

Versicherte können sich, unabhängig von einer Teilnahme am Hausarztvertrag, ab dem 1. Juli in den Vertrag des „TeleArzt“ einschreiben. Die Verantwortung für alle Maßnahmen hierzu liegen in den Händen des betreuenden Hausarztes.

Die Honorierung der TeleArzt-Leistungen erfolgt von den Kassen extrabudgetär, berichtet die Ärzte Zeitung. Für den Einsatz der VERAH bekommen die Hausärzte einmal im Quartal eine Hausbesuchspauschale von 96 Euro (in Bayern 76 Euro) und eine kontaktunabhängige Telemedizin-Pauschale von 15 Euro im Quartal. Die Abrechnung läuft über die TAG. Für die Bereitstellung der Rucksäcke, für die Schulung der VERAH und für die Wartung der Geräte zahlen die Hausärzte pro teilnehmendem Versicherten 6,50 Euro im Quartal.

Interview mit BZÄK-Vizepräsident Christoph Benz

„In der Zahnmedizin macht die VERAH keinen Sinn“

Ist ein Tele-Arzt auch im zahnmedizinischen Bereich denkbar, etwa für Hausbesuche bei Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen?

Prof. Dr. Christoph Benz: Wenn die Zahnmedizin einen Patienten an seinem Wohnort besucht, dann fast immer, um zu behandeln: Schmerzen, Füllung, Parodontitis, Prothesen-Probleme oder Zahnreinigung. Vieles davon muss eine Zahnärztin oder ein Zahnarzt selbst durchführen, in anderen Fällen zumindest die Indikation einer Behandlungsmaßnahme stellen und das Endergebnis beurteilen. Nichts davon geht ausschließlich visuell, erst recht nicht in Notfällen. Zum Beispiel können moderne Antikoagulantien schon bei einer Zahnreinigung schwer stillbare Blutungen entstehen lassen. Da helfen dann keine „Tele-Tipps“.

Was ist hier mit dem Delegationsprinzip – darf die DH eine zahnärztliche VERAH sein?

Die Bundeszahnärztekammer und die Deutsche Gesellschaft für Alterszahn¬medizin haben sich mit dem Thema intensiv beschäftigt und sind unabhängig voneinander zu der Überzeugung gekommen, dass in der Zahnmedizin eine VERAH (oder EVA oder NäPA*) keinen Sinn macht. Gesundheitlich kompromittierte Pflegebedürftige oder Menschen mit Behinderungen sind für uns keine Patientengruppe, bei der wir Risiken eingehen und Standards senken wollen. Klare Botschaft: Verantwortungsvolle Delegation ja, Substitution nein!

Was macht das mit dem Arzt-Patienten-Verhältnis?

Theoretisch könnten Tele-Anwendungen in der Zahnmedizin vielleicht Sinn machen, um zu entscheiden, wen der Zahnarzt persönlich behandeln muss. Patienten dürften sich aber sicher zurückgesetzt fühlen, wenn sie hören: „Frau Meier, wir glauben Ihnen jetzt Ihre Schmerzen und machen dann mal einen richtigen Zahnarzt-Termin!“ 

Wie ist hier das Fernbehandlungsverbot zu sehen?

In der allgemeinen Medizin bedeutet ein Fernbehandlungsverbot, dass Patienten telemedizinisch nicht behandelt werden dürfen, die der Arzt persönlich noch nicht erlebt hat. In der Zahnmedizin hilft es aber oft wenig, einen Patienten zu kennen, wenn es um eine neue Schmerzsymptomatik geht. Sollte die Ursache dennoch telemedizinisch identifiziert werden, dürfte eine „dental-VERAH“ sie aber gar nicht behandeln. Die Zahnmedizin hat also eher so etwas wie eine „Fernbehandlungsunmöglichkeit“. 

* NäPa = Nicht-ärztliche Praxisassistentin, EVA = Entlastende VersorgungsAssistentin. Beides sind Fortbildungen für MFA mit unterschiedlichen Levels, um Hausbesuche durchführen zu können.

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