Videoüberwachung

„Eine Kamera kann Sie nicht schützen“

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden: Videoüberwachung in Behandlungszimmern ist erlaubt, da es sich hierbei nicht um einen öffentlichen Raum handelt. Für Dr. Thomas H. Lenhard, Datenschutzbeauftragter der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK), „absolut nicht nachvollziehbar“.

Die Installation einer Videokamera im Bereich des Wartezimmers war im vorliegenden Fall nicht erlaubt, da es sich dabei um einen öffentlichen Raum handelt – in den Behandlungszimmern ist der Einsatz dagegen gestattet. Was halten Sie davon?

Dr. Thomas H. Lenhard: Gerade in einem Behandlungszimmer die Videoüberwachung nicht zu verwerfen, ist für mich absolut nicht nachvollziehbar. Die Zulässigkeit einer Datenverarbeitung allein am Umstand festmachen zu wollen, ob ein Bereich öffentlich zugänglich ist oder nicht, wird der Intention die hinter einschlägigen Bestimmungen des Datenschutzes steht, meiner Ansicht nach nicht gerecht. Die Videoanlage wäre zumindest theoretisch geeignet gewesen, Videosequenzen auch dauerhaft zu speichern. Unabhängig davon werden Daten erhoben und verarbeitet. Bei der Übertragung von Videosequenzen aus dem Behandlungsraum halte ich es für durchaus möglich oder sogar wahrscheinlich, dass entsprechendes Fachpersonal aus den Abläufen Rückschlüsse auf die Behandlung und/oder die Diagnose ziehen kann. Daher würde ich als Datenschutzbeauftragter hier grundsätzlich davon ausgehen, dass eine Verarbeitung besonderer Arten personenbezogener Daten, im konkreten Fall wären das Gesundheitsdaten, erfolgt. Gesundheitsdaten unterliegen einem besonderen Schutz.

Material zum Download

  • Die Broschüre „Kameraüberwachung durch nicht-öffentliche Stellen“ finden Sie zum kostenlosen Download hier.

  • Das Merkheft zu Videoüberwachung und Webkameras steht hier bereit.

  • Die Polizei bietet Beratung zum Thema Prävention gegen kriminelle Übergriffe an.

Die Zahnärztin im vorliegenden Fall wollte sich doch nur schützen...

Die Zwecke, die als Rechtfertigung für die Kameraüberwachung vorgebracht wurden, sind nicht nachvollziehbar und rechtfertigen meiner Einschätzung nach nicht den Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen. Dieser Meinung bin ich übrigens auch im Zusammenhang mit der Überwachung von Arbeitsplätzen, wie zum Beispiel der Rückseite der Anmeldung. Während der Behandlung eines Patienten, wird sich der Zahnarzt üblicherweise auf diesen Patienten konzentrieren und nicht permanent Bildschirme betrachten. Weder für die Beobachtung von Patienten noch für die Verhinderung von Straftaten erscheinen die beschriebenen Kameras eine geeignete Maßnahme zu sein. Für eine Aufklärung von Straftaten scheiden diese ebenfalls aus, soweit keine Bilder oder Videosequenzen aufgenommen werden.

Im Grunde genommen erfüllen sämtliche hier eingesetzten Kameras nicht ihren Zweck, was letztlich keine Zweifel daran lässt, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen – ganz besonders auch innerhalb der Behandlungsräume – hier deutlich überwiegen dürften. Wäre ich als Datenschutzbeauftragter oder Berater für die entsprechende Praxis tätig, würde ich dringend empfehlen, alle Kameras zu demontieren. Allein schon der Gedanke, bei einer Behandlung gefilmt zu werden, ruft bei mir ein gewisses Unbehagen hervor. Das dürfte bei vielen Patienten nicht anders sein.

Worauf ist generell im Umgang mit Kameras in Bezug auf den Datenschutz zu achten?

Der Kameraüberwachung sind sehr enge Grenzen gesetzt. Der Düsseldorfer Kreis, also die Konferenz der Datenschutzbeauftragten aus Bund und Ländern, hat eigens eine umfangreiche Orientierungshilfe zu diesem Thema herausgegeben. Bei der Überprüfung der Zulässigkeit von Videoüberwachungen wird in der Regel auch hinterfragt, ob ein Vorfall, dem man damit präventiv begegnen möchte, in der Vergangenheit schon einmal eingetreten ist. Hier geht es insbesondere darum, einen konkreten und nachvollziehbaren Zweck zu erkennen, der mittels Videoüberwachung erreicht werden kann, jedoch nicht durch andere Mittel realisierbar wäre, die geringere Auswirkungen auf die Rechte Betroffener hätten. Die Frage, ob entsprechende Daten gespeichert werden dürfen, stellt sich so gar nicht. Denn die Verarbeitung personenbezogener Daten ist grundsätzlich nicht erlaubt, es sei denn, dass eine gesetzliche Verpflichtung, ein gesetzlicher Erlaubnistatbestand oder die Zustimmung des Betroffen vorliegen.

Mit anderen Worten: Keine Erhebung, Verarbeitung oder Speicherung von personenbezogenen Daten ohne Rechtsgrundlage!

Selbst wenn eine Videoüberwachung und die Speicherung der Videosequenzen rechtmäßig wären, bietet der Stand der Technik die Möglichkeit, Gesichter durch Verpixelung unkenntlich zu machen. Ein sparsamer Umgang mit monetären Mitteln ist weder eine Rechtsgrundlage für eine Datenerhebung noch für den Verzicht auf notwendige organisatorische und technische Maßnahmen.

Die Aufsichtsbehörden stehen verantwortlichen Stellen auf Anfrage beratend zur Seite. Bevor also irgendwo eine Kamera in Betrieb genommen wird, sollte man zunächst einmal einen Blick in verschiedene Broschüren und Merkhefte werfen [Anmerkung der Redaktion: siehe Kasten]. Sind dann nicht alle Fragen geklärt, kann man sich an die zuständige Aufsichtsbehörde wenden oder einen Sachverständigen für Datenschutz konsultieren.

Es gibt Alternativen

Die Zahnärztin gab an, sich mit den Kameras vor Übergriffen schützen zu wollen. Können Kameras Ihrer Meinung nach diesen Schutz gewähren?

Der Schutz vor imaginären Gefahren kann kaum die Überwachung durch Videoanlagen und die damit verbundene Einschränkung von Persönlichkeitsrechten Betroffener rechtfertigen.

Wie aus dem Urteil hervorgeht, war kein erhöhtes Gefährdungspotenzial in dem entsprechenden Gebäude festzustellen. Davon abgesehen, wäre es möglich, entweder die Anmeldung permanent zu besetzen oder aber die Tür verschlossen zu halten und erst nach Betätigen einer Klingel Patienten einzulassen. Potenziellem Diebstahl kann auch auf andere Weise begegnet werden. Soweit außerhalb der Dienstzeiten eine Aufzeichnung erfolgt, kann diese einen Einbruch nicht verhindern. Es ist fraglich, ob ein maskierter Täter sich durch das Vorhandensein von Kameras von einem Einbruchsvorhaben abbringen lässt.

Soweit eine konkrete Gefährdung durch gewaltbereite Mitmenschen in einem medizinischen Zentrum wahrscheinlich ist, wäre zu überlegen, welche Maßnahmen die Bedrohung effektiv vermindern könnten. Es ist ebenfalls fraglich, ob sich ein Gewalttäter von einer Kamera von seinem Vorhaben abbringen lässt. Die Intension von Maßnahmen sollte doch eher in der Prävention und Deeskalation liegen und nicht in der filmischen Dokumentation zu Ende geführter Straftaten. Ich halte Kameras nur in sehr geringem Maß für geeignet, Straftaten zu verhindern.

Checkliste

  • Der Begriff der Videoüberwachung umfasst sowohl die Videobeobachtung, bei der eine Live-Übertragung der Bilder auf einen Monitor erfolgt, als auch die Videoaufzeichnung, bei der die Aufnahmen gespeichert werden. Auch die digitale Fotografie lässt sich der Videoüberwachung zuordnen, sofern Fotos in kurzen Zeitintervallen geschossen werden.

  • Die Videoüberwachung beginnt mit der Inbetriebnahme der Kameras, selbst wenn die Geräte erst im Bedarfs- oder Alarmfall aufzeichnen.

  • Bevor eine Videoüberwachung installiert wird, ist zu konkretisieren, welches Ziel damit erreicht werden soll. Ein berechtigtes Interesse für den Betrieb einer Videoüberwachungsanlage kann ideeller, wirtschaftlicher oder rechtlicher Natur sein. Soll die Videoüberwachung dazu eingesetzt werden, vor Einbrüchen, Diebstählen oder Vandalismus zu schützen, ist darin grundsätzlich ein berechtigtes Interesse zu sehen, wenn eine tatsächliche Gefahrenlage nachgewiesen werden kann. Zu fordern sind konkrete Tatsachen, aus denen sich eine Gefährdung ergibt, beispielsweise Beschädigungen oder besondere Vorkommnisse in der Vergangenheit. Ratsam ist es daher, entsprechende Ereignisse sorgfältig zu dokumentieren oder etwaige Strafanzeigen aufzubewahren.

  • Vor dem Einsatz eines Videoüberwachungssystems ist zu prüfen, ob es tatsächlich für den festgelegten Zweck geeignet und erforderlich ist. Die Erforderlichkeit einer Videoüberwachung kann nur dann bejaht werden, wenn der beabsichtigte Zweck nicht genauso gut mit einem anderen (wirtschaftlich und organisatorisch) zumutbaren, in die Rechte des Betroffenen weniger eingreifenden, Mittel erreicht werden kann. Vor der Installation einer Videoüberwachungsanlage muss man sich deshalb mit zumutbaren alternativen Methoden (zum Beispiel Sicherheitsdienst) auseinandersetzen, die in das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen weniger eingreifen.

  • Auch wenn eine Videoüberwachung zur Wahrung des Hausrechts oder zur Wahrnehmung eines berechtigten Interesses erforderlich ist, darf sie nur in Betrieb genommen werden, wenn schutzwürdige Interessen der Betroffenen nicht überwiegen. An dieser Stelle ist eine Abwägung zwischen den Interessen des Überwachenden und dem von der Überwachung Betroffenen vorzunehmen. Grundsätzlich gilt, je mehr persönliche Informationen aufgrund der Überwachung erhoben werden, desto intensiver ist der Eingriff in die Grundrechte und in die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen.

  • Sowohl der Umstand der Beobachtung als auch die verantwortliche Stelle sind durch geeignete Maßnahmen erkennbar zu machen. Der Hinweis kann mithilfe entsprechender Schilder oder grafischer Symbole erfolgen. Er ist etwa in Augenhöhe anzubringen, dass der Betroffene vor dem Betreten des überwachten Bereichs den Umstand der Beobachtung erkennen kann. Der Betroffene muss einschätzen können, welcher Bereich von einer Kamera erfasst wird, damit er in die Lage versetzt wird, gegebenenfalls der Überwachung auszuweichen oder sein Verhalten anzupassen.

  • Die Daten der Videoüberwachung sind unverzüglich zu löschen, wenn sie zur Erreichung des Zwecks nicht mehr erforderlich sind oder wenn schutzwürdige Interessen der Betroffenen einer weiteren Speicherung entgegenstehen. Das bedeutet, dass Videoaufzeichnungen grundsätzlich nach 48 Stunden zu löschen sind.

(aus der Orientierungshilfe „Videoüberwachung durch nicht-öffentliche Stellen“ vom Landesbeauftragten für den Datenschutz Baden-Württemberg)

Wie könnten sich Zahnärzte alternativ schützen?

Der Umfang einer Schutzmaßnahme hängt natürlich auch immer davon ab, in welchem Umfeld sich eine Praxis befindet. Einbruchhemmende Türen und Fenster sind unter Umständen eine deutlich bessere Lösung als eine Videoüberwachung, auf der man sich dann ansehen kann, wie der maskierte Straftäter die Wertgegenstände aus der Praxis trägt. Hier sind wir aber längt in einem Bereich angelangt, der jenseits von Datenschutz und Videoüberwachung liegt. Ich selbst habe mich bezüglich meiner Wohn- und Geschäftsräume schon von der Kriminalpolizei beraten lassen. Viele Bundesländer bieten hier einen exzellenten Beratungsservice an. Die Berater kennen dann in der Regel das lokale Umfeld und beraten sehr kompetent und zielführend. Auch was die Prävention gegen andere kriminelle Übergriffe betrifft, kann eine fachkundige Beratung durch die Polizeibehörden nur empfohlen werden.

Sicherheit durch Kameraeinsatz erreichen zu wollen, ist meistens recht fragwürdig und schafft, wie der konkrete Fall zeigt, häufig mehr Probleme, als man damit lösen möchte. In der Mehrzahl aller Fälle, in denen Verantwortliche eine Überwachung per Kamera erwägen, rate ich daher davon ab.

Alle Artikel der Titelgeschichte zum Thema Videoüberwachung

Videoüberwachung in der Zahnarztpraxis: So urteilt das Gericht

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