Der besondere Fall mit CME

Nekrotisierende Fasziitis odontogenen Ursprungs

Peer W. Kämmerer
,
Bernhard Frerich
,
Tobias Schürholz
Nach einer zahnärztlichen Routinebehandlung entwickelte der Patient eine progredient wachsende Schwellung der rechten Gesichtshälfte sowie eine starke Verschlechterung des Allgemeinzustands. Bei Vorstellung in der Klinik wurden bei bestätigtem Verdacht auf eine Infektion mit fleischfressenden Bakterien mehrere Notfalloperationen durchgeführt. Trotz lokaler Besserung verstarb der Patient an Multiorganversagen.

Ein 89-jähriger Patient wurde mit einer ausgeprägten Schwellung und Rötung der rechten Wange und erheblichen Schmerzen bei Verdacht auf einen dentogenen Wangenabszess in der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Universitätsmedizin Rostock vorstellig. Bei dem verwitweten Rentner war vor acht Tagen alio loco die Extraktion des Zahnes 48 erfolgt. Bereits am folgenden Tag habe dann die Schwellung begonnen, die bis zur Überweisung an die Klinik durch den Hauszahnarzt behandelt worden sei.

Der Patient befand sich in einem reduzierten Allgemeinzustand. Die Mundöffnung war mit einer Schneidekantendistanz von etwa zwei Zentimetern eingeschränkt, enoral fand sich Blut. Der Patient berichtete von progressiven Schluck- und Artikulationsstörungen. Als Nebenerkrankungen lagen eine arterielle Hypertonie und ein Vorhofflimmern vor; der Patient nahm daher Apixaban (Eliquis®, 2,5 mg 1–0–1) ein. Zum Zeitpunkt der Aufnahme hatte der Patient eine Körpertemperatur von 39 °C bei einer Pulsfrequenz von 100/min. Der Blutdruck betrug 130/95 mmHg. Laborchemisch ließen sich eine Hypokaliämie, eine Hyponatriämie und eine Leukozytose nachweisen. Mit einem Körpergewicht von 50 kg war der Patient untergewichtig. In der Ultraschalluntersuchung (Abbildung 1) zeigte sich eine Flüssigkeitsansammlung in der rechten Wange bei Verdacht auf ein Abszessgeschehen. Der Patient wurde zur Abszessinzision und Drainage stationär aufgenommen. Die folgende CT-Untersuchung wies eine massive subkutane Verdichtung im Bereich des Oberlides rechts ohne Einschmelzungsherde oder liquide Anteile sowie eine große (4 cm x 3,5 cm) inhomogene, zum Teil Kontrastmittel aufnehmende Struktur im Bereich der rechten Parotisloge auf, die sich entlang des Unterkieferastes rechts bis nach paramedian erstreckte. Zusätzlich fanden sich multiple Lufteinschlüsse, die sich bis nach temporal fortsetzten (Abbildungen 2a bis 2d).

Bei klinischem und radiologischem Verdacht auf eine nekrotisierende Fasziitis wurde sofort eine chirurgische Intervention in Intubationsnarkose unternommen. Nach chirurgischer Exploration stellte sich das Subkutangewebe graubraun zerfallend dar (Abbildungen 3 und 4), das großflächig debridiert wurde.

Die Glandula parotis war bereits größtenteils aufgelöst. Der histologische Befund von entnommenem Gewebe entsprach bakteriell besiedeltem, vorwiegend nekrotischem faserreichen Binde- und Muskelgewebe mit demarkierender eitriger Entzündung. Die mikrobiologische Untersuchung der OP-Abstriche erbrachte den Nachweis einer bakteriellen Infektion mit kokkoiden und stäbchenförmigen gram-negativen Bakterien. Bei rapider Verschlechterung des Allgemeinzustands vor dem Hintergrund eines fulminanten septischen Schocks nach neuer Definition [Singer et al., 2016] wurde der Patient auf die Intensivstation verlegt. Bei eskalierter antibiotischer Therapie wurden ein intensives Spülprogramm und tägliche Debridements eingeleitet (Abbildung 5).

Aufgrund der voraussehbar langen Intubationsdauer wurde der Patient tracheotomiert. In den nächsten Tagen stellte sich eine deutliche Verbesserung des lokalen Befunds ein. Die Infektions- und Nekrosezeichen ließen sich im Gesichtsbereich schließlich nicht mehr nachweisen. Leider besserte sich der Allgemeinzustand des Patienten nicht unmittelbar, und bei Multiorganversagen wurde vor dem Hintergrund einer bestehenden Patientenverfügung gemeinsam mit den Angehörigen auf eine Eskalation der Intensivtherapie im Sinne einer Organersatztherapie verzichtet. Der Patient verstarb auf der Intensivstation.

Diskussion

Bei der nekrotisierenden Fasziitis handelt es sich um eine sehr rasch-progressive Nekrose von subkutanem Fett und Faszien bakteriellen Ursprungs. Ein Einbezug der Muskulatur ist ungewöhnlich, aber möglich. Am häufigsten betroffen von dieser Krankheit sind die Extremitäten, der Körperstamm oder das Perineum. Ein Befall der Kopf- und Halsbereiche liegt lediglich in drei bis vier Prozent aller Fälle vor [Lazow, 2005]. Noch seltener ist die Beteiligung des Gesichts und des Skalps. Diese – im vorliegenden Fall beobachtete – seltene zervikofaziale nekrotisierende Fasziitis hat ihre Ursache am häufigsten in odontogenen Infektionen (hier vor allem periapikale Abszesse und Parodontitis) gefolgt von Infektionen nach Traumata, Halsabszessen, Osteoradionekrosen und Infektionen der Speicheldrüsen [Fliss et al., 1990].

Wie im vorliegenden Fall sind vor allem die zweiten und die dritten mandibulären Molaren der Fokus [Fliss et al., 1990; Whitesides et al., 2000]. Insbesondere immunkompromittierte Patienten – beispielsweise mit Diabetes mellitus, Tumoren, Alkoholismus, HIV-Infektion, Mangelernährung und schweren Lebererkrankungen – sind gehäuft betroffen.

Proteolytische Enzyme und Toxine erleichtern die Ausbreitung der Bakterien vom subkutanen Gewebe über die oberflächlichen und tiefen Faszienräume, wobei es zu einer Okklusion der Gefäße, zu lokaler Ischämie und zur Gewebenekrose kommt.

Klinisch zeigt sich initial über dem Prozess lediglich eine erythematöse und druckdolente Haut. Eine lokalisierte Anästhesie in dem befallenen Areal kommt durch die Schädigung der dort liegenden Nerven zustande und kann ein frühes Zeichen der Erkrankung sein [Zbaren et al., 1995].

Im Verlauf kommt es zur Nekrose der Haut und schließlich zur systemischen Toxizität [Reed und Anand, 1992]. Klinisch beklagen die Patienten neben dem lokalen Geschehen oftmals Fieber, Abgeschlagenheit, Dysphagie, Dyspnoe und Heiserkeit [Ozdinc et al., 2015]. Laborchemisch liegen oft eine Leukozytose ( 14000 l), eine Hyponatriämie ( 135 mmol/l), eine Hypokalziämie ( 8,4 mg/dl) und eine Azidose (pH  7,35) vor.

Wenn die Erkrankung nicht rechtzeitig erkannt und behandelt wird, führt die zervikofaziale nekrotisierende Fasziitis zu einer fatalen Kompression der Luftwege. Die Ausbreitung dieser lebensbedrohlichen Infektion nach mediastinal, intrakraniell, retropharyngeal sowie pulmonal birgt weitere schwerwiegende Konsequenzen [Umeda et al., 2003].

Die Diagnose der zervikofazialen nekrotisierenden Fasziitis beruht bei Fehlen spezifischer Symptome primär auf den klinischen Zeichen der Infektion, die leicht – wie auch im vorliegenden Fall – beispielsweise als Abszess, Zellulitis oder Erysipel fehlgedeutet werden können. Daher wird die korrekte Behandlung oftmals zu spät begonnen. Da nur bei 15 bis 34 Prozent aller Patienten mit zervikofaszialer nekrotisierender Fasziitis initial die korrekte Diagnose getroffen wird [Lin et al., 2001; McHenry et al., 1995], liegt die Letalitätsrate mit 15 bis 40 Prozent entsprechend hoch [Ozdinc et al., 2015; Jimenez et al., 2004], wobei hier insbesondere die Mediastinitis, der septische Schock und das konsekutive Multiorganversagen ursächlich sind. Sepsis und septischer Schock haben auch heute noch eine Letalität von bis zu 50 Prozent [Group, 2016]. Patienten mit drei oder mehr Risikofaktoren (wie Diabetes mellitus, höheres Alter, Mangelernährung, Hypertension, Drogenabusus) haben ein Letalitätsrisiko von bis zu 50 Prozent [Francis et al., 1993]. Die CT-Untersuchung ist Mittel der Wahl, wobei das Vorliegen von subkutanem Gas spezifisch aber wenig sensitiv ist [Ozdinc et al., 2015]. Sollten bei klinischem Verdacht keine radiologischen Zeichen vorliegen, so ist trotzdem ein chirurgisches Vorgehen indiziert, da eine Verzögerung der Therapie mit einem fatalen Ergebnis assoziiert ist, während ein Eingriff in den ersten 20 Stunden der Erkrankung für das Überleben vorteilhaft ist [Zhang et al., 2010].

Das Vorgehen wird bestimmt zum einen durch die Therapie der Sepsis mit adäquatem Ersatz von Flüssigkeit, Elektrolyten und gegebenenfalls Kreislaufunterstützung durch Katecholamine und zum anderen aus einem frühen und aggressiven chirurgischen Debridement zusammen mit einer frühzeitigen, zielgerichteten Antibiose. Die chirurgische Therapie ist erst vollständig, wenn keine Zeichen einer Infektion mehr vorhanden sind. Als zusätzliche Behandlungsmodalitäten werden die hyperbare Sauerstofftherapie und die Gabe von Immunoglobulin G diskutiert [Whitesides et al., 2000; Skitarelic et al., 2003].

Fazit für die Praxis

  • Die zervikofaziale nekrotisierende Fasziitis ist eine potenziell fatale, schnell progrediente Infektion; es handelt sich um einen chirurgischen Notfall.

  • Die initiale Breitspektrum-Antibiotikatherapie sollte aerobe, gram-positive und gram-negative Bakterien sowie Anaerobier umfassen.

  • Die häufigste Ursache sind dentale Infektionen, wobei insbesondere immunologisch eingeschränkte Patienten betroffen sein können.

  • Eine Verzögerung der Diagnose und der rechtzeitigen Therapie kann zum Tod des Patienten führen.

PD Dr. Dr. Peer W. Kämmerer, MA, FEBOFS,
Prof. Dr. Dr. Bernhard Frerich

Poliklinik und Klinik für MKG-Chirurgie der Universitätsmedizin Rostock
Schillingallee 35, 18057 Rostock

Prof. Dr. Tobias Schürholz

Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie
der Universitätsmedizin Rostock

Literaturliste

Fliss, D. M., Tovi, F. und Zirkin, H. J. (1990). „Necrotizing soft-tissue infections of dental origin.“ J Oral Maxillofac Surg 48(10): 1104–1108.

Francis, K. R., Lamaute, H. R., Davis, J. M. und Pizzi, W. F. (1993). „Implications of risk factors in necrotizing fasciitis.“ Am Surg 59(5): 304–308.

Group, S. C. C. T. (2016). „Incidence of severe sepsis and septic shock in German intensive care units: the prospective, multicentre INSEP study.“ Intensive Care Med 42(12): 1980– 1989.

Jimenez, Y., Bagan, J. V., Murillo, J. und Poveda, R. (2004). „Odontogenic infections. Complications. Systemic manifestations.“ Med Oral Patol Oral Cir Bucal 9 Suppl: 143–147; 139–143.

Lazow, S. K. (2005). „Orofacial infections in the 21st century.“ N Y State Dent J 71(6): 36– 41.

Lin, C., Yeh, F. L., Lin, J. T., Ma, H., Hwang, C. H., Shen, B. H. und Fang, R. H. (2001). „Necrotizing fasciitis of the head and neck: an analysis of 47 cases.“ Plast Reconstr Surg 107(7): 1684–1693.

McHenry, C. R., Piotrowski, J. J., Petrinic, D. und Malangoni, M. A. (1995). „Determinants of mortality for necrotizing soft-tissue infections.“ Ann Surg 221(5): 558–563; discussion 563–555.

Ozdinc, S., Unlu, E., Oruc, O., User, N. N. und Karakaya, Z. (2015). „An unusual infection of cervicofacial area caused by dental pathology: flesh-eating syndrome.“ Am J Emerg Med 33(10): 1543 e1543–1546.

Reed, J. M. und Anand, V. K. (1992). „Odontogenic cervical necrotizing fasciitis with intrathoracic extension.“ Otolaryngol Head Neck Surg 107(4): 596–600.

Singer, M., Deutschman, C. S., Seymour, C. W., Shankar-Hari, M., Annane, D., Bauer, M., Bellomo, R., Bernard, G. R., Chiche, J. D., Coopersmith, C. M., Hotchkiss, R. S., Levy, M. M., Marshall, J. C., Martin, G. S., Opal, S. M., Rubenfeld, G. D., van der Poll, T., Vincent, J. L. und Angus, D. C. (2016). „The third international consensus definitions for sepsis and septic shock (sepsis-3).“ JAMA 315(8): 801–810.

Skitarelic, N., Mladina, R., Morovic, M. und Skitarelic, N. (2003). „Cervical necrotizing fasciitis: sources and outcomes.“ Infection 31(1): 39–44.

Umeda, M., Minamikawa, T., Komatsubara, H., Shibuya, Y., Yokoo, S. und Komori, T. (2003). „Necrotizing fasciitis caused by dental infection: a retrospective analysis of 9 cases and a review of the literature.“ Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol Endod 95(3): 283–290.

Whitesides, L., Cotto-Cumba, C. und Myers, R. A. (2000). „Cervical necrotizing fasciitis of odontogenic origin: a case report and review of 12 cases.“ J Oral Maxillofac Surg 58(2): 144–151; discussion 152.

Zbaren, P., Rothen, H. U., Lang, H. und Becker, M. (1995). „[Necrotizing fasciitis of soft tissues of the face and neck].“ HNO 43(10): 619–623.

Zhang, W. J., Cai, X. Y., Yang, C., Zhou, L. N., Cai, M., Lu, X. F., Zheng, L. Y. und Jiang, B. (2010). „Cervical necrotizing fasciitis due to methicillin-resistant Staphylococcus aureus: a case report.“ Int J Oral Maxillofac Surg 39(8): 830–834.

Univ.-Prof. Dr. Dr. Peer W. Kämmerer

Leitender Oberarzt/
Stellvertr. Klinikdirektor
Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer-
und Gesichtschirurgie – Plastische
Operationen, Universitätsmedizin Mainz
Augustusplatz 2, 55131 Mainz

Prof. Dr. Dr. Bernhard Frerich

Klinik und Poliklinik
für Mund-, Kiefer- und
plastische Gesichtschirurgie,
Universitätsmedizin Rostock
Schillingallee 35,
18057 Rostock

Prof. Dr. Tobias Schürholz

Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie der Universitätsmedizin Rostock

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