Editorial

TI – Die Revolution frisst ihre Kinder

Früher! Ja, da war die Welt noch in Ordnung und „ti“ war für viele Menschen äußerst erstrebenswert. Damals wurde TI noch klein geschrieben, was bedeutete „turismo internazionale“ und für sportliche Autos von Alfa Romeo oder BMW stand. Der Automobil-höchste Gipfel war tii, „turismo internazionale iniezione“ und wer damals so ein Auto fuhr, hatte es wirtschaftlich zu etwas gebracht und es landläufig „geschafft“.

Und wofür steht „TI“ heute? In Deutschland für „Telematik-Infrastruktur“, mittlerweile das Synonym für Pleiten, Pech und Pannen im Gesundheitswesen. Anstatt wie geplant den Informationsaustausch im ambulanten und stationären Sektor zu erleichtern und die vielbeschworene Patientensicherheit zu erhöhen und dabei sogar Geld zu sparen, ist das ganze Unterfangen der sicheren digitalen Kommunikation erneut zum Stillstand gekommen. Die aktuell letzte, aber wohl nicht allerletzte Panne: Der Start des Wirkbetriebs zum 1. Juli musste aufgrund fehlender Konnektoren erneut verschoben werden. Kein Konnektor, kein eGK-Wirkbetrieb, so einfach ist das.

Oder doch nicht? Mit dem von der Politik vorgesehenen Start der ersten Anwendung der TI, dem Versichertenstammdatenmanagement (VSDM) zum 1. Juli 2017 sind weitere im E-Health-Gesetz genannte Fristen und Stichtage verbunden, die eins gemein haben: Je später vom Stichtag aus gesehen man installiert und an der TI teilnimmt, umso weniger Geld gibt es. Einerseits staffelt sich der Kostenersatz für die Hardware und den notwendigen Installationsservice ab, andererseits drohen empfindliche Honorarkürzungen, wenn die im Gesetz fixierte Deadline am 1. Juli 2018 zur Teilnahme am VSDM gerissen wird.

Nur, was können Zahnärzte und Ärzte dafür, wenn die dazu notwendigen Produkte fehlen, weil die Industrie nicht liefern kann?

Was kann die Industrie dafür, wenn als Folge kurzfristiger Änderungen der technischen Spezifikationen die Produkte in Teilen neu entwickelt, geprüft und zugelassen und – halt, da war doch noch was – auch noch hergestellt werden müssen? Was kann das zertifizierende Bundesamt dafür, wenn die zu prüfenden Produkte noch gar nicht vorhanden sind? Was kann die gematik dafür? Was können die Gesellschafter der gematik dafür? Und so weiter und so fort, keiner ist Schuld an dem Desaster, die Politik schon gar nicht.

Keiner? Ach, jemand für den Schwarzen Peter zu finden, ist doch gar nicht so schwer. In Deutschland ist es üblicherweise die Industrie. Denn die will ja Geld verdienen. Und macht deshalb sogar Werbung. Ich weiß gar nicht, ob es so etwas wie den doppelten Schwarzen Peter gibt. Aber der doppelte Schwarze Peter muss es sein, wenn man als letzter im Rennen verbliebener Entwicklungs- und Technikpartner plötzlich als einsamer Anbieter auf weiter Flur steht. Also so wirklich und ganz alleine! Dann ist das betreffende Unternehmen nämlich sofort Monopolist. Und das ist nach landläufiger Meinung ganz kurz vor „Gott sei bei uns…“ Ich nenne so etwas Doppelmoral. Und gestehe gerne zu, dass meine Meinung nicht der Mehrheitsmeinung entspricht. Dass die zahnärztlichen und ärztlichen Körperschaften ihre gesetzlich zur Teilnahme an der TI und damit Zwangsinvestition verdonnerten Mitglieder zur Gelassenheit aufrufen, ist angesichts der Situation nachvollziehbar. Denn: Kein Konnektor, keine Investitionsnotwendigkeit für die Heilberufler. Dass sie dabei auf die erneute Verschiebung von Fristen seitens des Gesetzgebers setzen, ist angesichts der eGK/gematik-Historie noch nicht einmal mutig. Dass Körperschaften und Kassen auf einen Wettbewerber und damit Preisdruck unter den Anbietern hoffen, ist in Anbetracht der aufzuwendenden finanziellen Mittel folgerichtig. Aber auch angesichts der Erfahrungen? Die Zukunft wird es zeigen. Wenn Niedergelassene für den wirtschaftlichen Erfolg ihrer Praxis im Rahmen der gegebenen Regeln selbst verantwortlich sind, werden sie sich von Werbeaussagen nicht zu wenig sinnhaften Investitionen hinreißen lassen. Denn ob kleine Praxis oder großes Unternehmen – Unternehmer sind Entscheider und entschieden wird auf Basis wirtschaftlicher Analysen.

Um auf die Sportautos zurückzukommen: In jedem Rennen kommt irgendwann die erste Kurve. Es gewinnt nicht zwangsläufig derjenige, der als Erster aus der Kurve heraus kommt, aber der Letzte wird nur selten Sieger.

Und bevor ich es vergesse: TI ist auch die chemische Bezeichnung für Titan. Das Metall ist weiß-metallisch glänzend, hat eine geringe Dichte, ist dehnbar, korrosions- und temperatur- beständig. Wenn das mal kein Omen ist …

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