Repetitorium: Morbus Crohn und Colitis ulcerosa

Alarm im Darm

Christine Vetter
Die Häufigkeit chronisch entzündlicher Darmerkrankungen (CED) hat in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zugenommen. Anders als die Colitis ulcerosa kann der Morbus Crohn auch für die Zahnmedizin relevant sein, da sich die Entzündungsreaktionen im gesamten Gastrointestinaltrakt bis zum Ösophagus und im Mundbereich manifestieren können.

Chronisch anhaltende oder rezidivierend auftretende Durchfälle sind das Leitsymptom chronisch entzündlicher Darmerkrankungen. Die CED umfassen verschiedene Krankheitsbilder wie den Morbus Crohn, die Colitis ulcerosa und die Colitis indeterminata, bei der nicht zwischen den beiden Erkrankungen differenziert werden kann, und als seltene Form die mikroskopische Kolitis.

Betroffen sind in erster Linie jüngere Menschen, die Krankheiten treten meist erstmals zwischen dem 15. und dem 35. Lebensjahr auf. Es gibt einen zweiten Häufigkeitsgipfel um das 60. Lebensjahr herum. 

Die CED waren früher nahezu unbekannt, erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts werden sie systematisch beobachtet. Seither nimmt die Zahl der Erkrankungen offenbar stetig zu, am höchsten ist sie derzeit nach Informationen des „Kompetenznetz Darmerkrankungen“ in Nordeuropa. 

Die Zahl der Erkrankten wird hierzulande auf etwa 400.000 geschätzt. Männer und Frauen sind in etwa gleich häufig betroffen. CED sind bislang nicht heilbar, allerdings lassen sich die Krankheitsschübe in aller Regel gut behandeln, und es kann oftmals eine lange Remissionsdauer erwirkt werden.

Genetische Prädisposition und Umweltfaktoren

Die Pathogenese der CED ist noch weitgehend unklar. Es gibt offenbar eine ausgeprägte genetische Komponente, wobei verschiedene Gene als ursächlich diskutiert werden. Mittlerweile sind mehr als 260 Suszeptibilitätsgene bekannt.

Daneben scheinen auch Umweltfaktoren bedeutsam zu sein. Die Liste der maßgeblichen Faktoren reicht von der Entbindung (spontan oder als Kaiserschnitt) über die Frage, ob gestillt wurde oder nicht, bis hin zur häuslichen Hygiene, Infektionen, der Einnahme von Antibiotika, Rauchen, der Ernährung und Stress. In jüngster Zeit wird zudem auch ein Einfluss der Mikroflora des Darms diskutiert. So gibt es Hinweise, wonach die Zusammensetzung des Mikrobioms mit dem Befallsmuster der CED korreliert. Zwillingsstudien deuten auf eine größere Bedeutung der genetischen Prädisposition beim Morbus Crohn hin – und von Umweltfaktoren im Fall einer Colitis ulcerosa.

Die (frühere) Annahme, es handele sich beim Morbus Crohn und bei der Colitis ulcerosa um Autoimmunerkrankungen, gilt inzwischen als überholt. Experten gehen vielmehr von einer Barrierestörung aus, die das Eindringen bakterieller Keime in die Darmwand erlaubt, was die Inflammation triggern kann.

Morbus Crohn

Die wohl bekannteste CED-Form ist der Morbus Crohn, was vor allem durch die oft schwere Verlaufsform bedingt sein dürfte. Die Erkrankung verläuft in Schüben, wobei zwischen zwei Krankheitsschüben zum Teil lange Remissionszeiten liegen können. Die Inzidenz des Morbus Crohn wird derzeit mit 2 bis 3 auf 100.000 Einwohner/Jahr angegeben, die Prävalenz wird auf 250 bis 500 pro 100.000 geschätzt.

Die Erkrankung manifestiert sich zunächst meist mit unspezifischen Symptomen wie Müdigkeit und Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust, Leibschmerzen, Blähungen und nicht-blutigen, dünnflüssigen Durchfällen. Es kann zudem zu Fieber kommen sowie zu Bauchkrämpfen, Übelkeit und Erbrechen. Bei Kindern und Jugendlichen sind außerdem Wachstumsstörungen ein häufiges Phänomen.

Beim Morbus Crohn sind anders als bei der Colitis ulcerosa alle Schichten der Darmwand entzündet und können sich beim Fortschreiten der Erkrankung verdicken. Das kann zu Komplikationen wie der Entwicklung von Strikturen und Stenosen führen und operative Eingriffe notwendig machen. Als Komplikationen infolge der chronischen Entzündung gefürchtet sind außerdem Abszesse, Analfissuren und Fisteln. Beim Befall im Mundbereich kommt es nicht selten zur Bildung von schmerzhaften Ulzera und Aphthen.

Zwar kann der gesamte Verdauungstrakt von den Entzündungen betroffen sein, am häufigsten aber ist das terminale Ileum, also der Übergang vom Dünndarm in den Dickdarm, befallen. Anders als bei der Colitis ulcerosa breitet sich die Erkrankung nicht kontinuierlich, sondern segmental aus und kann mehrere, nicht zusammenhängende Stellen des Verdauungstrakts befallen.

Colitis ulcerosa

Bei der Colitis ulcerosa, die charakteristischerweise ebenfalls schubartig verläuft, manifestiert sich die Entzündung im Kolon. Sie breitet sich üblicherweise vom Mastdarm beginnend kontinuierlich in den Dickdarm aus, wobei sich eine Pancolitis, also eine Entzündung des gesamten Kolons, ausbilden kann. Je nach Ausbreitung gibt es verschiedene Krankheitsformen: So ist eine Enddarmentzündung, die Proktitis, von einer linksseitigen Colitis, also einer über die linke Flexur reichenden ausgedehnten Colitis, und einer Pancolitis, die den gesamten Dickdarm betrifft, zu unterscheiden. Der in den Dickdarm mündende Dünndarm kann auf den letzten Zentimetern ebenfalls entzündlich verändert sein, man spricht dann von einer „backwash ileitis“.

Die Inzidenz der Colitis ulcerosa beträgt in Deutschland etwa 4 bis 10 auf 100.000 Einwohner pro Jahr, die Prävalenz etwa liegt bei 40 bis 80 auf 100.000. 

Das Leitsymptom der Erkrankung sind blutig-schleimige Durchfälle. Diese treten ernährungsunabhängig und sehr häufig nachts auf und können von kolikartigen Leibschmerzen (vor allem im linken Unterbauch) und auch von Fieber und einem starken Gefühl der Abgeschlagenheit begleitet sein. Analog zum Morbus Crohn kommt es bei Kindern und Jugendlichen häufig zu Wachstumsstörungen. Gefürchtete Komplikationen der Erkrankung sind Blutungen sowie ein toxisches Megakolon mit dem Risiko einer Perforation des Darms.

Mikroskopische Kolitiden

Unter dem Begriff der mikroskopischen Kolitis werden (als weitere chronisch entzündliche Darmerkrankungen) die kollagene und die lymphozytäre Kolitis zusammengefasst. Es handelt sich um seltene Erkrankungen. Die chronische Entzündung ist im Kolon lokalisiert, jedoch mittels der üblichen Darmspiegelung diagnostisch nicht zu erfassen.

Zu diagnostizieren ist die mikroskopische Kolitis, wie der Name schon andeutet, lediglich aus dem histologisch aufgearbeiteten Biopsiematerial. Dort fällt die lymphozytäre Kolitis durch eine gehäufte Zahl von Lymphozyten in der Darmschleimhaut auf. Bei der kollagenen Kolitis ist eine verdickte Kollagenschicht unter den Epithelzellen zu beobachten.

Bei beiden Krankheitsformen kommt es zu wässrigen Durchfällen, die in aller Regel unter einer Behandlung mit dem topisch wirksamen Steroid Budesonid zurückgehen. 

Therapie

Patienten mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung werden je nach Schwere der Erkrankung üblicherweise mit etablierten Wirkstoffen wie Mesalazin und eventuell Kortikoiden einschließlich dem lokal wirksamen Kortikoid Budesonid behandelt, sowie mit Immunsuppressiva wie Azathioprin oder Methotrexat. Zu unterscheiden ist zwischen der Akuttherapie, bei der es darum geht, eine Remission zu erwirken, und der sich anschließenden Erhaltungstherapie, deren Ziel es ist, das Krankheitsbild anhaltend zu stabilisieren. Die Behandlung erfolgt bei der Colitis ulcerosa infolge der Lokalisation im Mast- und im Dickdarm bevorzugt mittels Zäpfchen, Klysmen und Schäumen.

Zunehmend zum Einsatz kommen Biologika und hierbei in erster Linie Tumor-Nekrose-Faktor(TNF)-Antikörper. In jüngster Zeit sind auch neue Biologika für die Behandlung verfügbar geworden. Etwa der Wirkstoff Vedolizumab, der beim Morbus Crohn und der Colitis ulcerosa angezeigt ist bei Versagen einer TNF-Antikörper-Therapie, sowie der Antikörper Ustekinumab, der zur Therapie des Morbus Crohn zugelassen ist.

Es gibt weitere Substanzen in der Pipeline, so dass in absehbarer Zukunft mit einer Erweiterung der Therapiemöglichkeiten zu rechnen ist. In klinischer Entwicklung sind sogenannte JAK-Antagonisten, Wirkstoffe, die eine zielgerichtete Immunmodulation bedingen, indem sie Kinasen blockieren. Diese fungieren als Schnittstellen der Signaltransduktion bei mehreren Zytokinen. Gehemmt werden speziell Janus-Kinasen, die an der Entzündungsregulation beteiligt sind.

Beim Auftreten gravierender Komplikationen wie relevanten Stenosen, Fisteln oder Abszessen sind operative Eingriffe unumgänglich. Da auch eine Operation die Krankheit nicht heilen kann, ist es beim Morbus Crohn besonders wichtig, möglichst wenig Darm operativ zu entfernen, um Funktionsstörungen, zum Beispiel durch eine unzureichende Nährstoffaufnahme, zu vermeiden. Bei der Colitis ulcerosa kann bei schwerem Verlauf der gesamte Dickdarm entfernt und eine neue Verbindung – mittels einer Dünndarmschlinge in Taschenform – mit dem After hergestellt werden. Vorübergehend kann dabei auch ein künstlicher Darmausgang notwendig werden.

Patienten mit schwerer Verlaufsform brauchen unabhängig von der medikamentösen und der operativen Therapie in aller Regel auch eine gute psychologische und psychosoziale Betreuung und Beratung. Das gilt insbesondere für Themen wie Reisen mit und trotz CED sowie bei Fragen der Fertilität und des Kinderwunschs. Je nach individueller Symptomatik ist außerdem eine supportive Therapie zum Beispiel beim Auftreten von Schmerzen und/oder bei depressiven Verstimmungen erforderlich.

Neben Entzündungen im Gastrointestinaltrakt können chronisch entzündliche Darmerkrankungen auch mit extraintestinalen Manifestationen einhergehen. Besonders häufig kommt es hierbei zu Entzündungen im Bereich der Augen, der Haut und der Gelenke.

Zu bedenken ist außerdem bei der Colitis ulcerosa – beim Kolonbefall auch beim Morbus Crohn – ein erhöhtes Risiko für die Bildung eines kolorektalen Karzinoms. Von zentraler Bedeutung scheinen die Krankheitsdauer sowie das Ausmaß der Entzündungsreaktionen zu sein. Die Patienten bedürfen deshalb einer regelmäßigen Überwachung mittels Darmspiegelungen, um eine Krebsfrüherkennung zu gewährleisten.

Christine Vetter
Medizinische Fachjournalistin

Aus Sicht der Zahnmedizin

Orale Manifestationen gastrointestinaler Erkrankungen

Nicht selten zeigen sich gastrointestinale Pathologien im Kiefer, in der oralen Mukosa oder im perioralen Gewebe. Zeitlich ist ein enorales Auftreten vor der gastrointestinalen Manifestation, während der Erkrankung oder auch nach erfolgreicher gastrointestinaler Therapie möglich.

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Ausgeprägte enorale Manifestation eines Morbus Crohn | Foto: Kämmerer

Morbus Crohn & Colitis ulcerosa

Sowohl beim Morbus Crohn als auch bei der Colitis ulcerosa können orale Zeichen wie eine Xerostomie, Halitosis und/oder ein Reflux vorkommen, wobei diese weder spezifisch sind noch eine Differenzierung zwischen den beiden Erkrankungen erlauben. Nur ein geringer Prozentsatz der Patienten mit Morbus Crohn entwickelt echte orale Läsionen, wobei hier bevorzugt jüngere Männer betroffen sind. Die Manifestationen im Mund sind meistens multifokal, linear, nodulär, polypoid oder bestehen nur aus diffusen Verdickungen der oralen Mukosa mit einer labialen oder buccalen Prädilektion. Charakteristischerweise sind sie fest und auf Palpation schmerzlos, wobei es in Fällen von Ulzerationen durchaus zu Schmerzsensationen kommen kann. Die Schmerzen treten vor allem beim Essen saurer, scharfer oder heißer Nahrung auf. Im Unterschied zu oralen Aphthen sind die mit Morbus Crohn assoziierten Ulcera persistierend, linear und tief. Das Ansprechen auf die systemische Therapie ist hoch-variabel und schlecht vorauszusagen. Insbesondere beim Vorliegen schwerer enoraler Formen kann eine lokale Therapie mit Corticosteroiden (Salbe oder sogar die intraläsionale Injektion) notwendig werden. Mikroskopisch zeigen die Läsionen eine subepitheliale, granulomatöse Inflammation. Da granulomatöse Läsionen auch in Fällen anderer Erkrankungen, zum Beispiel bei der Sarkoidose, histologisch zu beobachten sind, kann die definitive Diagnose eines Morbus Crohn nicht aufgrund der oralen Biopsie allein getroffen werden. 

Weit seltener als der Morbus Crohn führt die Colitis ulcerosa zu einer Einbeziehung des Mundraums. Berichtet wird über eine Prädilektion von Männern jeglichen Alters, wobei es sich klinisch meist um verstreut angeordnete, verklumpte oder linear orientierte Pusteln auf einer erythematös veränderten Schleimhaut handelt. In der Regel ist die dorsale Zunge nicht betroffen. Ähnlich wie beim Morbus Crohn sind die Beschwerden der Patienten proportional zum Grad der Ulzerationen. Neben den Pusteln kommt es bei der enoralen Colitis ulcerosa gelegentlich zu Aphthen-ähnlichen Auffälligkeiten, und ungefähr zehn Prozent der Patienten entwickeln zusätzlich eine mit der entzündlichen Darmerkrankung assoziierte Arthritis der Kiefergelenke. Mikroskopisch liegen kryptische Abszesse ohne granulomatöse Inflammation vor, wobei auch dies nicht spezifisch für die Colitis ulcerosa ist, sondern andere, oral häufigere Erkrankungen wie die Candidiasis differenzialdiagnostisch infrage kommen. Die orale Manifestation der Colitis ulcerosa spricht im Gegensatz zum Morbus Crohn normalerweise gut auf die systemische Therapie an, wobei zusätzlich lokale Corticosteroide und Dapson zum Einsatz kommen können. Im Unterschied zum Morbus Crohn reflektiert die Ausprägung der oralen Läsionen bei der Colitis ulcerosa die generelle Schwere der Erkrankung. 

Fazit für die Praxis

Insbesondere beim Vorliegen persistierender oraler Läsionen ist eine histologische Abklärung indiziert. Neben dem Ausschluss von Malignität kann das Ergebnis der technisch einfachen Biopsie die entsprechende Verdachtsdiagnose erhärten und anschließend zu einer Untersuchung des Gastointestinaltrakts führen. In Fällen einer oralen Manifestation der Colitis ulcerosa kann diese als Maßstab für die Schwere der gastrointestinalen Erkrankung und/oder die Reaktion auf die entsprechende systemische Therapie gesehen werden.

Univ.-Prof. Dr. Dr. Monika Daubländer

Leitende Oberärztin der Poliklinik für Zahnärztliche Chirurgie Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Poliklinik für Zahnärztliche Chirurgie
Augustusplatz 2, 55131 Mainz
daublaen@uni-mainz.de

PD Dr. Dr. Peer W. Kämmerer

Stellvertretender Klinikdirektor
Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie der Universität Rostock,
Schillingallee 35, 18057 Rostock 

Christine Vetter

Medizinjournalistin
Merkenicher Straße 224,
50975 Köln

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