Erlebnisbericht

"Wir dienen Deutschland": Meine Woche beim Sanitätsdienst der Bundeswehr

Heftarchiv Gesellschaft
Fast 20.000 Soldatinnen und Soldaten gehören zum Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr - kurz 'ZSanDstBw'. Ihr Auftrag ist klar definiert: Die Gesundheit der Soldaten schützen, erhalten und bei Bedarf wiederherstellen. Gerade die wachsende Zahl an Auslandseinsätzen stellt die Soldaten vor große Herausforderungen. Leo Hofmeier, Leiter der Pressestelle der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns (KZVB), verbrachte im Rahmen einer Informationsveranstaltung eine Woche beim Sanitätslehrregiment im niederbayerischen Feldkirchen. Hier schildert er seine Eindrücke vom Alltag der Soldaten.

„Haben Sie gedient?“, fragte mich Anfang dieses Jahres der stellvertretende Vorsitzende des Vorstands der KZVB, Dr. Rüdiger Schott. „Selbstverständlich!“, lautete meine Antwort. Der Hintergrund dieser Frage war mir zu diesem Zeitpunkt völlig unklar. Ich wusste zwar, dass sich mein Chef seit vielen Jahren als Reservist bei der Bundeswehr engagiert und den Rang eines Oberstarztes der Reserve hat. Dass ich ein paar Monate später einen „Einberufungsbescheid“ erhalten würde, hat mich dann aber völlig überrascht.

„Vielen Dank für das bereits gezeigte Interesse an der Bundeswehr. Anbei erhalten Sie eine Einladung zu der Dienstlichen Veranstaltung zur Information des Sanitätsdienstes der Bundeswehr (InfoDVag SanDstBw 2018) von Herrn Generaloberstabsarzt Dr. Michael Tempel, verbunden mit der Hoffnung, Sie dieses Jahr als Teilnehmer begrüßen zu dürfen“

, hieß es in der E-Mail, die mich Anfang April erreichte.

Per Einberufungsbescheid geht's nach Feldkirchen

Wenige Tage später folgte mein „Dienstplan“. Ich war einer der 22 Teilnehmer der InfoDVag - Bezeichnungen und Abkürzungen, wie sie sich nur die Bundeswehr ausdenken kann. Die weiteren „Soldaten auf Zeit“ waren Führungskräfte und Multiplikatoren aus den Bereichen Gesundheitswesen, Industrie, Politik und Verwaltung.

Die Bundeswehr macht keinen Hehl daraus, was sie mit den InfoDVags erreichen will:

„Ziel ist es, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die besonderen Aufgaben und die daraus resultierenden Herausforderungen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr als Servicedienstleister für die gesamte Bundeswehr nahe zu bringen. Unmittelbare Eindrücke durch persönliche Teilnahme an ausgewählten Teilen soldatischen Lebens sollen die gewonnenen Erkenntnisse der Teilnehmerinnen und Teilnehmer abrunden, um so künftig im eigenen Einflussbereich als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für den Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr wirken zu können.“

Ich erwartete also eine „Show-Veranstaltung“, die wenig mit dem tatsächlichen Alltag der Bundeswehr und ihrer Soldaten zu tun hat. Doch ich sollte eines Besseren belehrt werden.

"Ich erwartete eine Show-Veranstaltung - und wurde eines Besseren belehrt"

Am Sonntagmittag machte ich mich auf den Weg in meine Kaserne im niederbayerischen Feldkirchen bei Straubing. Am „Meldekopf“ begann das „Inprocessing“. Meine Personalien wurden überprüft und mir wurde meine Unterkunft zugeteilt. Danach folgte die Einkleidung. Schnell stellte ich fest, dass die Bundeswehr im Jahr 2018 nicht mehr viel mit der Truppe zu tun, in der ich 1993 bis 1994 meinen zwölfmonatigen Grundwehrdienst ableistete. Ich bezog ein komfortables Einzelzimmer - Verzeihung: eine Einzelstube - mit Flachbildfernseher und Kühlschrank.

Hier wird die Handschrift Ursula von der Leyens spürbar. Schon kurz nach ihrem Amtsantritt hatte sie das Ziel ausgegeben, die Bundeswehr „zu einem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland“ zu machen. Dabei ging es neben der Frage, wie die Truppe familienfreundlicher werden könnte auch darum, die Wohnsituation der Soldaten zu verbessern.

13,5 Quadratmeter sollen künftig jedem Soldaten zustehen, der in einer Kaserne untergerbacht ist. Doch dafür braucht es noch umfangreiche bauliche Veränderungen. Auch der Ton hat sich verändert. Und zwar nicht nur gegenüber uns „VIPs“.

Unser Spieß hatte nichts mehr gemein mit den griesgrämigen Haudegen, die ich als Wehrdienstleistender erlebt habe. Er sieht sich eher als Partner und Dienstleister der Soldaten in seiner Kompanie. Die Bemühungen der Bundeswehr um ihr „Personal“ sind verständlich.

Der Nachwuchsmangel hat sich seit der Abschaffung der Wehrpflicht extrem verschärft. Alleine bei Offizieren und Unteroffizieren sind dem aktuellen Bericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages zufolge 21.000 Dienstposten nicht besetzt.

Besonders groß ist der Personalmangel in Verwendungen, die mit extremen körperlichen Anforderungen oder mit speziellen Fachtätigkeiten verbunden sind – zum Beispiel Piloten, Kampfschwimmer oder Minentaucher. Vergleichsweise gut sieht es dagegen noch beim Sanitätsdienst aus.

Meine Einheit war die 4. Kompanie des Sanitätslehrregiments Niederbayern, zu dem insgesamt sieben Kompanien gehören. Das Regiment ist der Ausbildungsverband des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Durchgeführt werden sowohl die Grundausbildung für angehenden Offiziere und Unteroffiziere als auch die Einsatzausbildung. Darüber hinaus ist das Regiment Erprobungstruppenteil des Sanitätsdienstes und präsentiert sanitätsdienstliche Fähigkeiten im militärischen und zivilen Umfeld.

Gewöhnungsbedürftig sind für Zivilisten nach wie vor die „Arbeitszeiten“ bei der Bundeswehr. Um 6:00 Uhr morgens wurde unser „Delta-Zug“ zum Frühstück geführt, um 6:45 Uhr hieß es antreten. Danach folgte ein dicht gedrängtes Programm, das einen sehr realistischen Einblick in den Alltag der Sanitätssoldaten gab und meist bis in die späten Abendstunden dauerte. Vorträge zu medizinischen Themen gehörten ebenso dazu wie die Ausbildung im Gelände und an der Waffe. Besonders interessant war die Konvoi-Ausbildung, die Soldaten bekommen, bevor sie in den Auslandseinsatz gehen.

Patrouillen sind ein wichtiger Bestandteil der Einsätze in Afghanistan, Mali und anderen Krisengebieten. In Feldkirchen wurden wir von Unteroffizieren geschult, die alle bereits mehrere Auslandseinsätze hinter sich gebracht hatten. Es wurde klar, dass die Sicherheit der Soldaten an oberster Stelle steht. Und dafür braucht es klare Regeln und Disziplin – auch in der Bundeswehr des Jahres 2018.

Entscheidend ist die durchgängige Rettungskette

Im Mittelpunkt des Sanitätsdienstes steht jedoch die Versorgung verwundeter Soldaten unter Einsatzbedingungen. Die wird im Zentrum für Einsatzausbildung in Feldkirchen so realistisch wie möglich trainiert. Jeder Soldat, der in den Auslandseinsatz geht, verfügt über Grundkenntnisse in Erster Hilfe. Darüber hinaus gibt es Einsatzersthelfer mit verschiedenen Qualifikationsstufen (A-C).

Je nach Qualifikation können die Einsatzersthelfer Blutungen stillen, einen Tubus legen oder schmerzstillende Medikamente verabreichen. Ziel ist es, einen Verwundeten innerhalb der ersten zehn Minuten notzuversorgen. Danach greift die Rettungskette, die uns während der InfoDVag ebenfalls anschaulich gezeigt wurde.

In einer Rettungsstation in der Nähe des Einsatzortes werden die Verwundeten gesichtet und stabilisiert. Zu den Maßnahmen dort gehören die Schock- und Schmerzbekämpfung, die Stillung von Blutungen, das Freihalten der Atemwege und gegebenenfalls die künstliche Beatmung. Im Rettungszentrum können akute chirurgische Eingriffe durchgeführt werden.

Die nächste Stufe bildet das Einsatzlazarett, das über ähnliche Fähigkeiten wie ein Kreiskrankenhaus verfügt. Falls notwendig, wird der Verwundete von dort nach Deutschland verlegt und in einem Bundeswehrkrankenhaus oder einer zivilen Klinik weiter versorgt. Beim Verwundetentransport kann die Bundeswehr auf den Airbus A310 MRTT zurückgreifen, der als fliegende Intensivstation Bekanntheit erlangte. Im Sanitätsdienst verfügt die Bundeswehr über Fähigkeiten wie weltweit nur wenige andere Armeen. Das ist auch dem Anspruch geschuldet, den Soldatinnen und Soldaten eine Versorgung zukommen zu lassen, die im Ergebnis derjenigen im Inland vergleichbar ist.

Defizite bei der Ausstattung

Doch wie eingangs erwähnt, wurde uns bei der InfoDVag kein geschöntes Bild von der Lage der Bundeswehr gezeigt. In vielen Gesprächen mit Soldatinnen und Soldaten wurden auch die Defizite bei der Ausstattung deutlich. Veraltete Technik, zu wenig Fahrzeuge, fehlende Ersatzteile – all das bekommt auch der Sanitätsdienst zu spüren. Auch den Sinn von Auslandseinsätzen stellten einige Soldaten in vertraulichen Gesprächen infrage. Dass sich die Bundeswehr nun wieder stärker auf ihre Kernkompetenzen, nämlich die Landes- und Bündnisverteidigung konzentrieren soll, wird überwiegend positiv gesehen.

Rund 400 Zahnärzte

Als sehr gut wird übrigens die medizinische und zahnmedizinische Versorgung im Inland bewertet. So kümmern sich alleine rund 400 Zahnärzte um die Mundgesundheit der Soldaten. Ihre Fort- und Weiterbildung erfolgt an der Sanitätsakademie in München, die wir ebenfalls besichtigen durften.

Mein persönliches Fazit: Die Bundeswehr ist eine Armee im Umbruch. Ständige Strukturreformen und der Sparkurs der vergangenen Jahre haben ihre Spuren hinterlassen. Doch die Soldatinnen und Soldaten, die dort ihren Dienst tun, sind hoch motiviert und qualifiziert. Trotz schwieriger Rahmenbedingungen leisten sie hervorragende Arbeit.

Die größte Herausforderung der Zukunft wird es sein, wieder mehr junge Menschen zu finden, die bereit sind zum Dienst in den Streitkräften. Doch dazu braucht es mehr als Flachbildfernseher und Kühlschränke in den Stuben.

Mein Dank gilt den Soldatinnen und Soldaten, die uns während der InfoDVag quasi rund um die Uhr betreut und uns einen ehrlichen Einblick in ihren Alltag ermöglicht haben.

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