Editorial

Sind MVZs kreative Zerstörer?

Disruption ist ein Begriff, der gemeinhin den Wirtschaftswissenschaften zugeschrieben wird, sich nun aber in die Begriffskiste deutscher Gesundheitspolitik einschleicht. Geprägt wurde er 1997 von dem Harvard-Ökonomen Clayton M. Christensen. Sein Buch „The Innovator’s Dilemma – Warum etablierte Unternehmen den Wettbewerb um bahnbrechende Innovationen verlieren“ gilt als eines der 100 wichtigsten Wirtschaftsbücher. Obwohl – die „kreative Zerstörung“ will so gar nicht zu dem von Interessenausgleich und Konsens geprägten deutschen Gesundheitswesen passen. Viel treffender scheint hier das Wort Evolution für die schon Jahrzehnte andauernde „Weiter“entwicklung zu hochgradiger Regulierung und Institutionalisierung. 

Nun gibt es auch in der Evolution den Begriff der disruptiven Selektion. Aktuell kommen neben der Digitalisierung und den MVZs auch noch Investoren und Fremdkapital ins evidenzbasierte(!) gesundheitspolitische Versorgungsspiel. Wenden wir uns kurz der Definition zu. „Disruptionen (von „to disrupt“: unterbrechen bzw. stören) sind Innovationen, die die Erfolgsserie einer bestehenden Technologie, eines bestehenden Produkts oder einer bestehenden Dienstleistung ersetzen oder diese vollständig vom Markt verdrängen.“ So erklärt Wikipedia den Begriff. Ein Beispiel: Heutzutage fotografieren nur noch Fans mit Kameras, meist edel und teuer, wie es sich für ein Hobby gehört, die Massen nutzen ihr Handy. Eine Riesenindustrie mit Hunderttausenden Arbeitsplätzen ist dabei den Bach runtergegangen, daran ändert auch die derzeitige Mode der Fotobücher nichts. 

Zweifellos sind auch im Gesundheitswesen Disruptionen vorstellbar. So hat die zunehmende Digitalisierung das Potenzial, den Markt für die Markteilnehmer vollständig zu verändern. Die erste digitale Krankenkasse ist bereits Realität, und die Konzeption der elektronischen Patientenakte weist den Weg für den Rest der Krankenkassen. Auch die Heilberufe sollten sich nicht in Sicherheit wiegen – künstliche Intelligenz und Diagnoseroboter sind bereits besser als die meisten Ärzte. Auch wenn die Diagnose nicht alles ist, was den Beruf ausmacht … 

Doch zurück zur Gesundheitspolitik und deren derzeitiger Lust an „gestalteter disruptiver“ Marktveränderung. Das ist im zuvor ausgeführten Sinne zwar ein Widerspruch in sich, aber eben typisch für das deutsche Gesundheitswesen. Sind also MVZs für die etablierte zahnärztliche Versorgung disruptiv? Aus meiner Sicht im Sinne der disruptiven Selektion schon. Denn eine politisch induzierte Unwucht im System ist an drei sehr sensiblen, auch versorgungssensiblen Punkten offensichtlich: Zuerst einmal ist ein ZMVZ selbstverständlich nicht gleichbedeutend mit einem zahnärztlichen MVZ. Dann nämlich, wenn man den bis dato uniformen Versorgungs“markt“ Zahnmedizin für Groß- und Finanzinvestoren via MVZ öffnet, ohne gleichzeitig auch den Sicherstellungauftrag der KZVen anzupassen und die den KZVen zur Verfügung stehenden Instrumente zu klären. Ein banales Beispiel: kein Fremdinvestoren-MVZ im Speckgürtel ohne ein auch in der Fläche betriebenes MVZ. Oder das für die Marktteilnehmer unauflösbare Problem, dass die Renditevorstellungen von Fremdinvestoren mit dem ärztlichen Ethos kollidieren. Das kann man als theoretisches Problem abtun, dennoch unterbrechen Fremdinvestoren-MVZs die ethische Einheit der Versorgung. Was man auch daran sehen kann, dass GmbH-MVZs – und Fremdkapital-MVZs sind dies zu 99 % – der Kontrolle der Zahnärztekammern entzogen und Industrie-und Handelskammern zugeschlagen sind, aber die zahnärztlichen Beschäftigten nach wie vor zu 100 % dem Berufsrecht unterliegen. Hätte die Politik vorab alles regeln können, tat sie aber nicht. Oder wieviel Gewinn hält die Politik für angemessen? 

Sie halten das für eine verquere Frage? Dann lesen Sie mal auf Seite 14 die Ansichten der Politik beim Thema Pflege … Es ist ja nun nicht so, dass Zahnärzte in ihren Praxen keine Gewinne machen würden. Ohne Gewinn ist keine helfende und heilende Dienstleistung möglich, selbst dann, wenn wir das Wort Versorgung dafür verwenden. Aber wenn vermehrt Großeinheiten im Markt aktiv sind, wird man für die erbrachte Dienstleistung immer weniger über Honorar reden können, sondern eher über Stückkosten. Abwegig? Ich verweise nur an die verquere „industrielle“ Begründung der Krankenkassen zur Degression, die gerade in der Anhörung zum TSVG zu hören war. Als ob zahnärztliche Tätigkeit mit Fließbandarbeit zu vergleichen wäre. An den vorgenannten Stellen verlaufen meines Erachtens die zukünftigen Bruchlinien, die die Kraft haben, das System zu verändern.

Dr. Uwe Axel RichterChefredakteur

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