Editorial

Gesundheitswesen 2.0, 3.0, 4.0 …

Die vielleicht wichtigste Erkenntnis von Alexander von Humboldt, dem gefühlt letzten großen deutschen Universalgelehrten lautete: „Alles hängt mit allem zusammen“. Humboldt interessierte sich für viele Details, aber anders als andere Naturforscher seiner Zeit sammelte er nicht nur naturgeschichtliche Objekte, sondern Ideen* und schuf so ein neues Verständnis der Natur. Gut, wir reden an dieser Stelle nicht über die Natur, sondern über das Gesundheitswesen. Aber die Frage sei erlaubt, welche „Idee“ wir von diesem bald sieben Jahrzehnten alten und mittlerweile größten Wirtschaftszweig in Deutschland haben. 

In Anbetracht stetig steigender Kosten mehr Geld (oft mit guten Absichten!) ins System zu stecken und via umfänglicher Digitalisierung und Kommerzialisierung der Patientenversorgung auf Einsparungen andernorts zu hoffen scheint mir angesichts der gesamtgesellschaftlichen Dimension nicht der richtige Weg zu sein. Gerade in Anbetracht der Gesetzes- und Regelungsflut wäre man schon froh, wenn man den „inneren“ Kompass kennen würde und wüsste, wo Norden ist. Ist das Nord des Polit-Kompasses die Kommerzialisierung? Doch klare Ansagen, an denen man sein Tun und Lassen ausrichten könnte, gibt es leider nicht. Denn leider funktioniert Gesundheitspolitik heutzutage anders, gleicht eher einem Flipperautomaten, bei dem die Ideenkugel zwischen digitalen Utopien und täglich sich ändernden politischen Wunschlisten hin und her geschossen wird. Man weiß vorher nie, in welchen Slot die Kugel fallen und wie viele Punkte es dafür geben wird. 

Dazu ein Beispiel, diesmal nicht Zahnmedizin, sondern von den ebenfalls den Heilberuflern zugehörigen Apothekern, gerne verunglimpft als approbierte Schubladenzieher. Die maximale Punktzahl im Politikflipper würde es zurzeit für den politischen Maßnahmencocktail geben, der den Apothekern gemixt wird. Könnte man aber auch Schierlingsbecher nennen. Denn die Kombination aus dem geplanten E-Rezept, der von vielen Politikern geforderten Aufhebung des Versandhandelsverbots für verschreibungspflichtige (Rx) Medikamente plus das vorgeschlagene Splitting des Beratungshonorars (damit auch Apotheker Rabatte à la DocMorris geben können) hat das Potenzial, die Apothekenlandschaft dramatisch zu verändern. Honorare ade, doch die Anforderungen bleiben natürlich: Sicherstellung der Arzneimittelversorgung, fachliche Beratung, Arzneimittelsicherheit und natürlich die Logistik. Wie die ach so „sichere“ Versandalternative aussieht, konnte man exemplarisch im diesjährigen heißen Sommer betrachten. Während bei den Apothekern vor Ort die Temperaturen in der Offizin akribisch überprüft wurden, kümmerte es keinen, wie lange die Arzneimittelpakete aus Holland von den Paketlieferdiensten ungekühlt über den heißen Asphalt der Landstraße geschaukelt wurden. Oder ob der Hermes-Bote das Medikamentenpaket nur über den Zaun geworfen hat, weil dessen Zeit ja ach so knapp bemessen ist. Macht nichts, funktioniert ja mit den Schuhen von Zalando nicht anders. Deshalb sei es nochmals wiederholt: Wir reden hier über das Gut Arzneimittel und nicht über müffelnde Sneaker. 

Wenn aber Apotheker politisch auf einer Stufe mit Schuhhändlern (man nehme mir bitte den Vergleich nicht krumm) gesehen und bildlich gesprochen als Heilberuf an die Klippe gestellt werden, möchte ich die Frage noch einmal stellen: Was ist das Kompassnord der Politik? Steht dort der Mensch, der Patient? Wenn ja, glaubt man die Arzneimitteltherapiesicherheit auch ohne Apotheker sicherstellen zu können, etwa mittels einer vollständigen(!) elektronischen Patientenakte? Reichen dafür Tools wie der Medikationsplan samt digitalem Nebenwirkungs- und Interaktionscheck aus? Wenn dem so ist, dann kann man in der Arzneimittelversorgung auch den Erstattungspreis zum Maß aller Dinge machen und die Arzneiversorgung aus aller Herren Länder per Post abwickeln. Dann aber haben wir ein anderes Gesundheitswesen, nämlich einen Wirtschaftszweig. Wie sagte Humboldt? „Alles hängt mit allem zusammen“, also auch mit Medizin und Zahnmedizin …

Dr. Uwe Axel RichterChefredakteur

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