Der Fall
Ein 84-jähriger Patient stellte sich etwa acht Wochen nach alio loco durchgeführter Extraktion des lockeren Zahns 27 mit einer zunehmenden Schwellung und Schmerzen der linken Gesichtshälfte und dem Verdacht auf eine dentogene sinusitis maxillaris in unserer Ambulanz vor (Abbildungen 1 bis 3)
Abbildung 1: Unklare Schwellung der linken Wange und der linken Gesichtshälfte (frontal) (rote Pfeile)| Copyright Pabst
Abbildung 2: Unklare Schwellung der linken Wange und der linken Gesichtshälfte (seitlich) (rote Pfeile)| Copyright Pabst
Abbildung 3: Zusätzlich zeigte sich eine derbe Raumforderung der linken Wange. (roter Kreis) | Copyright Pabst
Der Patient klagte zusätzlich links über eine Schwellung des harten und weichen Gaumens, eine Schwellung des Vestibulums und der Wange, eine einseitige Verlegung der Nase mit Behinderung der Nasenatmung sowie eine Hypästhesie im Ausbreitungsgebiet des N. infraorbitalis (Abbildung 4). Aufgrund des bereits reduzierten Allgemeinzustandes und der intraoralen Befundgröße erfolgte die stationäre Aufnahme zur weiteren Diagnostik und Therapieplanung bei bereits bestehendem Verdacht auf ein Kieferhöhlenkarzinom.
Abbildung 4: Derbe Schwellung des harten und weichen Gaumens (weißer Pfeil) mit einer derben Schwellung des Oberkiefervestibulums (roter Pfeil), vergleiche Abbildung 3. | Copyright Pabst
Diagnostik und Befund
Im Rahmen der bildgebenden Diagnostik und des Stagings erfolgte neben einer Panoramaschichtaufnahme (Abbildung 5) ein FDG PET-CT (inklusive Dünnschicht CT Kopf-Hals mit Kontrastmittel) in Kombination mit einem nachgeschalteten FDG PET-MRT (inklusive MRT Kopf-Hals) zur Darstellung der lokoregionären Befundausdehnung, (Hart- und Weichgewebe), sowie dem Ausschluss lokoregionärer Metastasen, Fernmetastasen und möglichen synchronen Zweittumoren (Abbildungen 6 bis 8).
Abbildung 5: In der Panoramaschichtaufnahme zeigt sich eine vollständige Verschattung der linken Kieferhöhle (weiße Pfeile) sowie eine partielle Verschattung der rechten Kieferhöhle (roter Pfeil). Der unklare Befund in der UK-Front (weißer Kreis) konnte in der weiteren, dreidimensionalen Bildgebung nicht bestätigt werden. Nebenbefundlich zeigt sich ein Wurzelrest in regio 18 (roter Kreis) sowie eine apikale Parodontitis am Zahn 42 und Sekundärkaries in der UK Front. Zusätzlich zeigen sich beidseits Tonsillolithen (blaue Kreise). | Copyright Pabst
Abbildung 6: Im CT (axial) zeigt sich eine ausgedehnte Raumforderung im linken sinus maxillaris (rote Pfeile) mit einer Destruktion der knöchernen Wände der linken Kieferhöhle und einem Einbruch in alle Nachbarstrukturen. | Copyright Pabst
In der Bildgebung zeigte sich eine destruktiv wachsende Raumforderung des linken sinus maxillaris mit einer Infiltration der Maxilla links und Destruktion des Alveolarfortsatzes, des palatum durum, der fazialen, medialen und lateralen Kieferhöhlenwand sowie des Orbitabodens und einer beginnenden Infiltration der unteren Augenmuskulatur. Weiterhin bestand ein Einbruch der Raumforderung in die Nasenhaupthöhle, in die Ethmoidalzellen sowie in den sinus sphenoidalis und von medial in die linke Orbita.
Zusätzlich zeigten sich ipsilateral suspekte, prävertebrale und submandibuläre Lymphknoten sowie parapharyngeale und paratonsilläre FDG-Anreicherungen. Es ergaben sich keinerlei Hinweise auf Fernmetastasen oder auf synchrone Zweittumore.
In ITN (Intubationsnarkose) erfolgte eine Probebiopsie aus dem linken Oberkiefervestibulum mit anschließendem Schleimhautverschluss. Weiterhin erfolgte eine Panendoskopie mit Probenentnahmen und beidseitiger Tonsillektomie durch die Kollegen der HNO zur weiteren Befundsicherung.
Die histologische Aufarbeitung ergab die Diagnose eines diffusen, großzelligen B-Zell Lymphoms (Subtyp: Burkitt-like Lymphom) der Kieferhöhle. Für die weitere systemisch-zytostatische Therapie wurde der Patient in die Hämato-Onkologie unseres Hauses verlegt.
Abbildung 7: Im MRT (A koronar, B axial) bestätigt sich die ausgedehnte Raumforderung im linken sinus maxillaris (weiße Pfeile) mit Infiltration der Nachbarstrukturen. | Copyright Pabst
Abbildung 8: Im FDG PET-CT (axial) zeigt sich (A) eine deutliche FDG-Mehrspeicherung im Bereich des linken sinus maxillaris (weiße Pfeile) sowie (B) eine FDG-Mehrspeicherung in der linken submandibulären Loge mit V.a. eine Lymphknotenmetastase (weiße Pfeile). | Copyright Pabst
Diskussion
Raumforderungen in der Kieferhöhle eröffnen eine Vielzahl möglicher benigner und maligner Differenzialdiagnosen (DD) und werden aufgrund der oft erst in fortgeschrittenem Stadium eintretenden Symptomatik häufig erst spät diagnostiziert.
Eine der wichtigsten Differenzialdiagnosen ist das Kieferhöhlenkarzinom - häufig Plattenepithelkarzinome -, dessen Prognose maßgeblich vom Zeitpunkt der Diagnose abhängt. Das Kieferhöhlenkarzinom gilt dabei als wichtigste Differenzialdiagnose unklarer Raumforderungen der Kieferhöhle. Es macht weniger als ein Prozent aller Malignome des Menschen und etwa 55 bis 70 Prozent aller bösartigen Tumore der Kieferhöhle aus. Meist tritt es in höherem Lebensalter auf, Männer und Frauen sind etwa gleich häufig betroffen.
Bezüglich der Entität handelt es sich meist um Plattenepithelkarzinome, bei denen histologisch verschiedene Subtypen unterschieden werden können. Ungefähr zehn Prozent der Kieferhöhlenkarzinome sind dabei in ihrer Entstehung mit einem invertierten Papillom assoziiert, das eine fakultative Präkanzerose darstellt und selbst ein lokal destruktiver Tumor ist [Gibson et al., 2017; Lobo et al., 2017].
Bezüglich der Lokalisation ist die Kieferhöhle deutlich häufiger betroffen als die anderen Nasennebenhöhlen [Gibson et al. 2017]. In der Vielzahl der Fälle (rund 65 Prozent) erfolgt die Diagnose des Tumors erst im UICC Stadium IV. Die durchschnittliche Fünf-Jahres-Überlebensrate liegt bei etwa 23 Prozent und ist damit deutlich schlechter als die des Mundhöhlenkarzinoms [Dubal et al., 2016].
Hinsichtlich der lokoregionären Metastasierung scheinen Kieferhöhlenkarzinome ähnlich aggressiv zu sein wie Mundhöhlenkarzinome. Dubal et al. konnten zeigen, dass bei T2-Tumoren in 22 Prozent der Fälle manifeste zervikale Metastasen vorliegen. Fernmetastasen finden sich bei T4-Tumoren in sieben Prozent der Fälle, während bei T1- bis T3-Tumoren in der Regel keine Fernmetastasen gefunden werden [Dubal et al., 2016].
Hinsichtlich der Assoziation mit invertierten Papillomen konnten Lobo et al. zeigen, dass Patienten mit Plattenepithelkarzinomen der Kieferhöhle ohne invertiertes Papillom im Trend eine höheres Langzeitüberlegen und ein längeres rezidivfreies Überleben zeigen, während gleichzeitig die Metastasierungsrate - vor allem bei fortgeschrittenen Tumorstadien - höher ist [Lobo et al., 2017].
Die Risikofaktoren für die Entstehung von Kieferhöhlenkarzinomen sind unterschiedlich, wobei die Exposition gegenüber Holzstaub und Formaldehyd als gesichert gelten [Kitahara et al., 2017]. Ähnlich wie beim Oropharynxkarzinom scheint auch beim Kieferhöhlenkarzinom die Entstehung zu Teilen HPV-assoziiert zu sein, wobei Plattenepithelkarzinome der Kieferhöhle sowie der restlichen Nasennebenhöhlen deutlich weniger HPV-assoziiert sind als zum Beispiel Plattenepithelkarzinome der Nasenhöhle [Kilic et al., 2017].
Die Therapie des Kieferhöhlenkarzinoms besteht in der radikalen Resektion des Tumors sowie einer elektiven beziehungsweise therapeutischen Neck Dissektion, die in elektiver Intention auch ohne Anhalt suspekter Lymphknoten in der bildgebenden Diagnostik empfohlen werden kann [Jeon et al., 2017].
In Abhängigkeit vom Tumorstadium wird die chirurgische Therapie durch eine adjuvante Therapie, wie Radio- beziehungsweise kombinierte Radiochemotherapie, ergänzt. Da die Tumorlokalisation und Tumorgröße häufig eine ausgedehnte Resektion in Kombination mit einer Hemi- beziehungsweise totalen Maxillektomie erfordern, kann neben einer Versorgung des Defekts mit einer Obturatorprothese auch eine Rekonstruktion, zum Beispiel mit einem mikrovaskulären Fibulatransplantat, erfolgen. Auch Kombinationen sind möglich, häufig auch unter Einbeziehung von Implantaten.
Als DD kommen neben benignen Befunden und anderen Tumorentitäten auch Lymphome in Betracht, bei denen das B-Zell Lymphom eine wichtige Rolle spielt. Weitere Subtypen sind in abfallender Häufigkeit das Natürliche Killer-/T-Zell-Lymphom, das follikuläre Lymphom und das T-Zell-Lymphom [Steele et al., 2016]. Alarmsignale können unter anderem Gesichtsschmerzen, lockere Zähne im Oberkiefer, eine Schwellung des Gaumens und/oder der Wange, eine Hyp-, Par-, Dys- bzw. Anästhesie im Innervationsgebiet des N. infraorbitalis, eine einseitige Verlegung der Nasenatmung, eine Rhinorrhoe, eine Epistaxis sowie Doppelbilder und weitere Sehstörungen sein.
Besonders bei malignen Prozessen ist die frühzeitige Diagnose und Therapieeinleitung der entscheidende Faktor, der nicht nur die Prognose, sondern auch die posttherapeutische Lebensqualität der betroffenen Patientinnen und Patienten deutlich beeinflusst.
Lymphome der Kiefer- oder Nasennebenhöhlen sind insgesamt selten und können entweder in isolierter Form oder im Rahmen einer systemischen Erkrankung auftreten. Hinsichtlich der Lokalisation sind der sinus maxillaris und die Ethmoidalzellen deutlich häufiger betroffen als der sinus frontalis und der sinus sphenoidalis.
Als mögliche Risikofaktoren gelten eine HIV- und/oder EBV Infektion sowie die Chronisch Lymphatische Leukämie (CLL). Die überwiegend beschriebenen Symptome sind die Rhinorrhoe, die Epistaxis und die Diplopie. Die meisten Lymphome werden erst sehr spät im Stadium IV (nach Ann-Arbor Klassifikation) entdeckt. Unterschieden werden verschiedene Subtypen, wobei B-Zell Lymphome in rund 77 Prozent der Fälle die höchste Inzidenz und gleichzeitig die beste Prognose aufweisen (Fünf-Jahres Überlebensrate etwa 56 Prozent). Als besonders aggressiv gelten extranodale, Natürliche Killerzell/T-Zell-Lymphome.
Die Therapie besteht in einer Chemo- bzw. kombinierten Radiochemotherapie [Peng et al., 2014; Lombard et al., 2015; Steele et al., 2016; Gibson et al., 2017]. Hinsichtlich der Diagnose wurde das MRT als ein sinnvolles Instrument hinsichtlich der Differenzierung zwischen Karzinomen und Lymphomen der Nasennebenhöhlen beschrieben [Wang et al., 2014]. Beweisend ist jedoch erst die Histologie.
Als weitere Differenzialdiagnosen unklarer Raumforderungen der Kieferhöhle beschrieben Alves et al. Melanome des sinus maxillaris [Alves et al., 2017]. In Betracht kommen auch das adenoidzystische Karzinom (ACC) sowie Adenokarzinome vom intestinalen Typ als Differentialdiagnosen [Singh et al. 2016, Park et al., 2017]. Hyrcza beschrieb Hypophysenadenome mit einer ausgedehnten Tumormasse im sinus maxillaris [Hyrcza et al., 2017]. Weiterhin finden sich Hinweise auf neuroendokrine Tumore der Kieferhöhle [Kawahara et al., 2017].
Eine weitere wichtige Differenzialdiagnose sind Ameloblastome, die ebenfalls in den Nasennebenhöhlen beschrieben wurden [Hansen et al. 2013]. Zusätzlich kommen auch Fernmetastasen anderer Tumore oder eines CUP (Cancer of Unknown Primary) in Betracht. Weitere benigne Differenzialdiagnosen sind die polyposis nasi, rhinogene/dentogene Sinusitiden und odontogene Infektionen sowie Fremdkörper und Aspergillosen.
Fazit
Raumforderungen der Kieferhöhle bieten eine Vielzahl an möglichen Differenzialdiagnosen, wobei bis zum sicheren Beweis des Gegenteils immer an einen malignen Prozess gedacht werden muss. Unklare oder suspekte Befunde sollten schnellstmöglich einer weiteren Diagnostik zugeführt werden. Die frühzeitige Diagnose und Therapieeinleitung beeinflusst die Prognose aller Entitäten entscheidend.
Dr. med. Dr. med. dent. Andreas Pabst (Oberstabsarzt)
Bernd-Günther Laskowski (Oberfeldarzt)
Prof. Dr. Dr. Richard Werkmeister (Oberstarzt)
Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie
Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz
Rübenacherstr. 170, 56072 Koblenz
andipabst@me.com
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