Kleine Werkstoffkunde für Zahnärzte – Teil 2

Dentale Glaskeramiken

Annett Kieschnick
,
Bogna Stawarczyk
,
Martin Rosentritt
Dentale Keramiken haben eine enorme Entwicklung erfahren – insbesondere durch die subtraktive CAD/CAM-Fertigung. Allerdings herrscht aufgrund der Vielfalt der Materialien teilweise Verwirrung. Glas-, Feldspat-, Leuzit-, Lithiumsilikat-, Lithiumdisilikat- oder Lithiumaluminosilikatkeramik – hier die Übersicht zu behalten, ist eine Herausforderung.

Die Basis für die dentalen Keramiken sind in der Regel Gläser. Silikate bilden dabei die Rohstoffe für die Glas- und Keramikherstellung. Daher werden diese anorganischen, nichtmetallischen Werkstoffe oft auch als Glas- oder Silikatkeramiken bezeichnet. Dentale Keramiken unterscheiden sich von amorphen Gläsern durch ihren kristallinen Aufbau. So kann man durch geeignete Zusätze die Entstehung und das Wachstum von Kristallen forcieren und gezielt steuern und unterschiedliche Keramiken herstellen, deren Kristallstrukturen sich in Form und Größe – jeweils in Abhängigkeit von der stofflichen Zusammensetzung unterscheiden. Die Prozessparameter und die Temperaturführung beeinflussen hierbei die entstehenden Strukturen und werden daher gezielt eingesetzt, um das Anforderungsprofil an den jeweiligen Keramiktyp zu gewährleisten [Rosentritt et al., 2018a]. 

Fluorapatit (IPS Style, Ivoclar Vivadent), Leuzit (Empress 2, Ivoclar Vivadent) oder Lithiumaluminosilikat (n!ce, Straumann) beziehungsweise Lithiumdisilikat (IPS e.max, Ivoclar Vivadent) sind typische Vertreter von Keramiken mit unterschiedlichen Kristalltypen – und ihre Eigenschaften damit stark abhängig von ihrer Zusammensetzung. Die kristallinen Phasen können zur Optimierung der Eigenschaften der dentalen Keramiken modifiziert werden. Das Verhältnis von Li2O (Lithiumoxid) und SiO2 (Siliziumdioxid) entscheidet darüber, welche kristalline Struktur und damit welche Lithium-(X)-silikatkeramik (Lithiumsilikat, Lithiumdisilikat, Lithiumaluminosilikat) aus den Rohstoffen entsteht [Rosentritt et al., 2018b].

Eigenschaften

In jeder Keramik sind Risse latent vorhanden oder können durch die Bearbeitung (Anpassen, Einschleifen) induziert werden. Diese Risse verlaufen jedoch im Unterschied zu jenen in amorphen Gläsern nicht auf direktem Weg durch den Keramikwerkstoff, sondern werden durch die kristallinen Bereiche umgelenkt (Abbildung 1) [Rosentritt/Preis, 2018]. Dadurch entstehen Hindernisse für das Voranschreiten eines Risses, denn es müssen dafür längere Wegstrecken und mannigfaltige Richtungsänderungen überwunden werden, was höhere Krafteinwirkungen und wechselnde Kraftvektoren erfordert. Dieser Mechanismus generiert Festigkeit – die Keramik wird dadurch stabiler, etwaige Risse wachsen deutlich langsamer (unterkritisches Risswachstum). Dennoch erweitern sich Risse kontinuierlich bis zum späteren, dann plötzlich eintretenden Versagen weiter [Shenoy/Shenoy, 2010; Silva et al., 2017]. Das ist auch der Grund dafür, warum manche Restauration ohne erkennbaren Grund „spontan“ versagen kann. 

Eine schonende Bearbeitung (neue feine Diamanten, wenig Druck, Wasserkühlung) kann die Entstehung von Rissen verhindern, eine abschließende Politur und Glasur die Anzahl an Rissen und damit das Frakturrisiko reduzieren. 

Dentale Glaskeramiken besitzen auch andere lichtoptische Eigenschaften als klassische Gläser – durch die kristallinen Anteile wird das Licht im Material anders reflektiert und abgelenkt. Dadurch entsteht die dem natürlichen Zahn oft sehr nahe kommende Transluzenz, weshalb dentale Glaskeramiken aufgund ihrer hervorragenden optischen Eigenschaften besonders in der ästhetischen Zone gern eingesetzt werden. Dabei können Festigkeiten und Ästhetik der dentalen Keramiken in bestimmten Bereichen definiert gesteuert werden (Tabelle 1). Durch keramische Zusätze wie beispielsweise Zirkonoxid können die Eigenschaften weiter verändert und für die jeweilige Indikation angepasst werden (ZLS: Zirkonia-verstärkte Lithiumsilikatkeramik).

Präparation und intraorale Befestigung

Für die Gewährleistung einer zufriedenstellenden Stabilität werden an die Präparation bestimmte Anforderungen wie minimale Wandstärken und Rundungen (keine Kanten oder Ecken) gestellt. Für die Vorbereitung von keramischen Versorgungen gibt es spezielle Präparationsinstrumente (rotierend, Schallpräparation). Von Bedeutung ist, dass Keramiken mit höherer Eigenfestigkeit fast immer geringe Wandstärken besitzen und damit eine minimal-invasivere Präparation gestatten. Die meisten keramischen Versorgungen erreichen eine klinisch ausreichende Beständigkeit allerdings erst durch eine adhäsive Befestigung. Dann entsteht ein fester Verbund zwischen Zahn und Versorgung und ein stabiler Zahn-Keramik-Komplex, der durch eine Zementierung so nicht erreicht werden kann. Die ohne adhäsive Befestigung geringe Eigenfestigkeit ist auch der Grund, warum viele keramische Restaurationen bereits bei der Einprobe frakturieren. Einige hochfeste Glaskeramiken (Biegefestigkeit > 350 MPa) sind je nach Hersteller auch zur selbstadhäsiven oder konventionellen Befestigung freigegeben. Zu empfehlen ist, Brückenkonstruktionen immer adhäsiv zu befestigen.

Konditionierung 

Restaurationen aus Glaskeramiken können mit Flusssäure geätzt und somit für das adhäsive Befestigen im Mund aufgeraut werden. In Abhängigkeit von der Struktur werden allerdings unterschiedliche Ätzzeiten angesetzt, um ein für die optimale Befestigung ausreichendes Ätzmuster zu erzeugen. Die jeweiligen Ätzzeiten liegen bei den gängigen Keramiken zwischen 20 und 60 Sekunden. Dabei empfiehlt es sich, sich eng an die Vorgaben der Hersteller zu halten. Zu kurze Ätzzeiten führen zu einer nicht ausreichenden Retention. Wird zu lange geätzt („über-ätzt“) kann die Struktur nachhaltig beschädigt und damit die klinische Anwendbarkeit deutlich reduziert werden. 

Dentale Keramiken werden in der Regel adhäsiv befestigt. Hierzu müssen die Glaskeramiken zwingend mit einem Silan konditioniert werden. Dieses Adhäsiv stellt eine stabile chemische Verbindung zwischen Keramik (über Si-O-H-Gruppen) und dem Befestigungskomposit (über C=C Bindungen) her [Rosentritt, 2017]. Viele sogenannte Universaladhäsive verbinden verschiedene Konditionierungsoptionen wie Silan oder 10-Methacryloyloxydecyl-dihydrogen-phosphat (MDP) und können daher optional eingesetzt werden. 

Eine Alternative zur Flusssäureätzung mit anschließender Silanisierung können Einflaschenlösungen darstellen. Hier sind meist schwächere Säuren (Ammoniumpolyfluorid) mit einem Silan (Trimethoxysilylpropyl-Methacrylat) in einem Fläschchen (Etch&Prime, Ivoclar-Vivadent) kombiniert. Dadurch kann auf die Anwendung der aggressiven Flusssäure verzichtet werden. Die Applikation erfolgt in einem Schritt und ist daher effektiver und schneller und zeigt gute Haftwerte.

Einteilung dentaler Keramiken 

Für den Fertigungsprozess von keramischen Restaurationen ist eine Einteilung nach ihrer Verarbeitung sinnvoll. Differenziert werden die Schicht- oder Presstechnik und die CAD/CAM-gestützte Fertigung (Abbildung 2). Speziell für die Presstechnik und die CAD/CAM-Fertigung (Abbildung 3) stehen verschiedene aktuelle Lithium-(X)-silikatkeramiken zur Verfügung, die sich allerdings aufgrund der verschiedenen Fertigungsverfahren, ihrer Struktur und ihrer Eigenschaften unterscheiden [Belli et al., 2016; Wendler et al., 2017]. Zusätzlich zu den Herstellungsverfahren bietet sich eine Unterteilung in Verblend- und Gerüstkeramiken sowie in Keramiken für die monolithische Verarbeitung an. Monolithisch bedeutet, dass die Restauration nicht verblendet wird [Sen/Us, 2017]. Hier spielen die gute Politur [Matzinger et al., 2018], die mögliche Individualisierung und die ordnungsgemäße Glasur eine wichtige Rolle. Vorteile einer monolithischen Versorgung sind der geringere Aufwand (Verblendung entfällt) und das Umgehen der Chippinggefahr (Fraktur der Verblendung). Unter klinischen Bedingungen kann eine monolithische Restauration auch bei geringem Platzangebot vorteilhaft sein. 

CAD/CAM-Keramiken

CAD/CAM-gestützt werden in der Regel kleinere Restaurationen (Veneers, Inlays, Onlays, Kronen) mit Rohlingen aus dentaler Glaskeramik (zum Beispiel VITA Mark II, VITA Zahnfabrik) (geringe Festigkeit von circa 150 MPa) monolithisch hergestellt. Auch einige Lithium-(X)-silikatkeramiken (zum Beispiel ZLS) können im finalen Zustand gefräst werden und nach der CAD/CAM-gestützten Fertigung poliert und so direkt eingegliedert werden. Eine zusätzliche Ausstattung (zum Beispiel Brennofen) ist in diesem Fall nicht notwendig. Für höhere Festigkeiten und ein breiteres Indikationsspektrum müssten vom Hersteller Form, Größe und Anteil der Kristalle in der Keramik modifiziert werden. Dadurch wird jedoch die Härte der Keramik erhöht, was die Bearbeitung aufwendiger und schwieriger macht. Um solche Probleme bei der CAD/CAM-Fertigung zu umgehen, werden diese dentalen Keramiken im nicht final auskristallisierten Zustand (zum Beispiel „elfenbeinfarben“ von VITA Zahnfabrik oder „blaue Keramik“ von Ivoclar Vivadent, Abbildung 4) ausgeliefert und für die Restauration bearbeitet. Im vorkristallisierten Zustand sind diese Keramiken leichter sowie effizienter und mit geringerem Werkzeugverschleiß zu bearbeiten. Nach dem CAD/CAM-Schleifen müssen die Restaurationen im Ofen einem Kristallisationsbrand (etwa bei circa 850 °C, systemabhängig) unterzogen werden. Hierbei entstehen die für die finale Festigkeit und Ästhetik benötigten Kristalle. Die Restauration besitzt nun ihre endgültigen Eigenschaften. 

Die Indikation der Keramiken, die einem Kristallisationsbrand unterzogen werden müssen, erstreckt sich neben den klassischen Anwendungen – bis hin zur implantat- und zahngetragenen Krone – auch auf kleinere Brücken mit einem Zwischenglied im Frontzahnbereich (Gerüst) sowie gegebenenfalls im Prämolarenbereich. Eine Keramik aus dieser Materialgruppe (etwa Celtra Duo, Dentsply Sirona) ist für zwei verschiedene Verarbeitungsvarianten verfügbar: Finalisierung über Politur oder über den Kristallisationsbrand. Eine interessante Option für Implantat-getragene Kronen sind keramische Rohlinge, die die Anbindung an das Abutment im Rohling integrieren [Preis et al., 2017]. Durch die industrielle Vorbereitung sind Passungen optimiert und Fertigungszeiten können reduziert werden. 

Verwechslungsgefahr 

Eine Verwechslungsgefahr mit anderen Werkstoffen kann durch Namenszusätze wie „Nanokeramik“ oder „Hybridkeramik“ entstehen. Diese Werkstoffe basieren auf einer Kombination von keramischen und polymeren Komponenten. Der Polymeranteil sorgt dafür, dass derartige Materialien nicht gebrannt werden können und daher eher den Polymerwerkstoffen als den Keramiken zuzuordnen sind. Eigenschaften und Ästhetik und damit Indikation und Verarbeitung derartiger Polymerwerkstoffe können sich von denen der Keramiken deutlich unterscheiden [Sonmez et al., 2018]. 

Fazit

Wichtige Punkte für den erfolgreichen klinischen Einsatz der dentalen Keramiken sind zusätzlich zur umfangreichen Kenntnis der Werkstoffe und deren Verarbeitung folgende Aspekte:

  • indikationsbezogene Auswahl der verschiedenen Keramiken unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Festigkeiten,

  • eine an die Keramiken angepasste Präparation (scharfe Kanten und Frühkontakte vermeiden),

  • eine keramikspezifische Gestaltung der Restauration (rund gestalten, Gerüst und Verblendung funktionell optimieren, Verbinder und Separierungen runden),

  • eine auf ein Mindestmaß reduzierte Bearbeitung der Keramiken, um Defekte und Risse zu vermeiden,

  • eine sorgfältige Politur und Glasur,

  • eine gezielte Auswahl der optimalen Befestigungsstrategie (Ätzen, Silan und bestmöglich adhäsive Befestigung). 

Zahnärzte und Zahntechniker sollten ihr Fachwissen und ihre Erfahrung gemeinsam gezielt einsetzen, um den Überblick über die Vielfalt der dentalen Keramiken zu behalten und diese Materialien im Sinne des Patienten erfolgreich anzuwenden. 

Weitere Informationen unter www.werkstoffkunde-kompendium.de

Prof. Dr. Dipl. Ing. (FH) Martin Rosentritt

Universitätsklinikum Regensburg
Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik
Franz-Josef-Strauss-Allee 11, 93053 Regensburg
martin.rosentritt@ukr.de

Annett Kieschnick

Freie Fachjournalistin
Helmholtzstr. 27, 10587 Berlin

PD Dr. Dipl. Ing. (FH) Bogna Stawarczyk

Klinikum der Universität München
Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik
Wissenschaftliche Leiterin Werkstoffkunde
Goethestr. 70, 80336 München

Zum Abschluss der Werkstoffkunde-Reihe werden die Eigenschaften von Polymeren, dentalen Glaskeramiken und Zirokonoxiden in einem zusammenfassenden Beitrag einander gegenübergestellt und die Vor- und Nachteile für die einzelnen Indikationen dargelegt.

Literaturverzeichnis

Belli R, Petschelt A, Hofner B et al. Fracture Rates and Lifetime Estimations of CAD/CAM All-ceramic Restorations. J Dent Res 2016; 67–73, DOI: 10.1177/0022034515608187

Matzinger M, Hahnel S, Preis V et al. Polishing effects and wear performance of chairside CAD/CAM materials. Clin Oral Investig 2018, DOI: 10.1007/s00784-018-2473-3

Preis V, Hahnel S, Behr M et al. In-vitro fatigue and fracture testing of CAD/CAM-materials in implant-supported molar crowns. Dent Mater 2017, DOI: 10.1016/j.dental.2017.01.003

Rosentritt M. Erfolgreich befestigen. Einige Grundlagen zum Thema festsitzender Verbund. Quintessenz Zahntechnik 2017; 2017 (43 (6)): 744–753

Rosentritt M, Hahnel S, Kieschnick A, Stawarczyk B. Werkstoffkunde-Kompendium „Dentale Glasleramiken". Moderne dentale Materialen im praktischen Arbeitsalltag; 2018b

Rosentritt M, Ilie N, Lohbauer U, Hrsg. Werkstoffkunde in der Zahnmedizin. Moderen Materialien und Technologien. Thieme; 2018a

Rosentritt M, Preis V. Moderne Werkstoffe in der Prothetik. wissen kompakt 2018; 123, DOI: 10.1007/s11838-018-0059-1

Sen N, Us YO. Mechanical and optical properties of monolithic CAD-CAM restorative materials. J Prosthet Dent 2017, DOI: 10.1016/j.prosdent.2017.06.012

Shenoy A, Shenoy N. Dental ceramics: An update. J Conserv Dent 2010; 195–203, DOI: 10.4103/0972-0707.73379

Silva LHd, Lima Ed, Miranda RBdP et al. Dental ceramics: A review of new materials and processing methods. Braz Oral Res 2017; e58, DOI: 10.1590/1807-3107BOR-2017.vol31.0058

Sonmez N, Gultekin P, Turp V et al. Evaluation of five CAD/CAM materials by microstructural characterization and mechanical tests: A comparative in vitro study. BMC Oral Health 2018; 5, DOI: 10.1186/s12903-017-0458-2

Wendler M, Belli R, Petschelt A et al. Chairside CAD/CAM materials. Part 2: Flexural strength testing. Dent Mater 2017; 99–109, DOI: 10.1016/j.dental.2016.10.008

Annett Kieschnick

Freie Fachjournalistin
Helmholtzstr. 27
10587 Berlin

Prof. Dr. Dipl. Ing. (FH) Bogna Stawarczyk

Wissenschaftliche Leiterin Werkstoffkunde
Klinikum der Universität München
Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik
Goethestr. 70, 80336 München

Prof. Dr. Martin Rosentritt

Leiter Forschung
Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik
Universitätsklinikum Regensburg
Franz-Josef-Strauß-Allee 11
93053 Regensburg

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.