Fallbericht

Guided Endodontics

Heftarchiv Zahnmedizin
Benjamin Mahmoodi
,
Anna Lechner
,
Dan Brüllmann
Computergeplante Bohrschablonen für die navigierte Implantation sind mittlerweile Arbeitsroutine. Angelehnt an die Technik wurde das „Guided Endodontics“-Verfahren für die Behandlung obliterierter Wurzelkanäle entwickelt. Dieser Fall zeigt das konkrete Vorgehen und diskutiert die Indikationen für den Einsatz.

Die Therapie obliterierter Wurzelkanäle stellt mitunter auch für erfahrene Endodontologen eine große Herausforderung dar. Oftmals sind kalzifizierte Wurzelkanäle mit einem vorangegangenen Trauma assoziiert [Andreasen et al., 1987; Oginni et al., 2009]. Aber auch kariöse Läsionen [Sayegh et al., 1968], invasive Restaurationen [Fleig et al., 2017] und kieferorthopädische Maßnahmen [Delivanis et al., 1982] können einen chronischen Reiz für die Pulpa bewirken und eine Obliteration begünstigen. Darüber hinaus kann die physiologische, altersbedingte Bildung von Sekundärdentin zu einer Verengung des Wurzelkanals führen [Johnstone et al., 2015]. 

Meist kommt es im Verlauf zu einer gelblichen Verfärbung des Zahns und radiologisch zeigt sich ein verkleinerter Wurzelkanal bis hin zum kompletten Fehlen dieser Struktur. Wissenschaftlich herrscht Konsens, dass die Apposition von Dentin als indirektes Zeichen der Vitalität zu bewerten ist und nicht jede Obliteration eine Therapieindikation darstellt. Eine Wurzelkanalbehandlung von kalzifizierten Zähnen ist nur bei vorliegender klinischer Symptomatik oder einer apikalen Parodontitis indiziert [Andreasen et al., 1987; Oginni et al., 2009; McCabe et al., 2012; Moule et al., 2007]. 

Die zeitintensive Erschließung eines kalzifizierten Wurzelkanalsystems ist selbst unter Zuhilfenahme des OP-Mikroskops technisch schwierig und komplikationsbehaftet [Kiefner et al., 2017]. Die Suche nach dem Wurzelkanal führt zu einem erhöhten Verlust von Zahnhartsubstanz und birgt das erhöhte Risiko von Perforationen, Instrumentenfrakturen und inkompletter Kanalpräparation, was letztendlich im Verlust des Zahns resultieren kann [Hargreaves et al., 2015; Cvek et al., 1982; Wu et al., 2011]. 

Computergeplante Bohrschablonen für die navigierte Implantation haben sich etabliert und gehören mittlerweile zu den Routineverfahren. In Anlehnung an diese Technik wurde das „Guided Endodontics“-Verfahren für die Therapie von obliterierten Wurzelkanälen entwickelt [Connert et al., 2018; Krastl et al., 2016]. Hierbei werden die DVT-Datensätze obliterierter Wurzelkanäle in eine Planungssoftware übertragen, mit den SLT-Daten von Intraoral- oder Model-Scans gematched und eine Navigationsschiene für den optimalen Zugang in das Kanalsystem geplant, die in Folge gefräst oder gedruckt wird. Studien zeigen, dass diese Technik eine präzise und reproduzierbare Methode zur Erschließung obliterierter Kanalsysteme ist [Connert et al., 2017; Zehnder et al., 2016]. 

Anhand des folgenden Patientenfalls soll das klinische und technische Vorgehen bei der „Guided Endodontics“-Therapie demonstriert werden.

Fallbeschreibung

Der 17-jährige Patient stellte sich mit nicht auffindbarem Wurzelkanal Zahn 23 vor. Er war allgemeinanamnestisch unauffällig. Zum Zeitpunkt der Überweisung war die Trepanation bereits erfolgt und der Zahn provisorisch gefüllt. Ein präoperatives Röntgenbild, auf dem keinerlei Kanalstrukturen erkennbar waren (Abbildung 1) sowie ein OPTG (Abbildung 2) lagen vor. Der Patient klagte über spontanen Schmerz, der Zahn war perkussionsempfindlich, reagierte nicht auf den Kältetest. Der Klopfschall war unauffällig, der vestibuläre Knochen im apikalen Bereich druckschmerzhaft. Die Diagnose lautete symptomatische apikale Parodontitis.

Aus der zahnärztlichen Anamnese ging hervor, dass der impaktierte Zahn 23 mittels chirurgisch-kieferorthopädischer Extrusion vor drei Jahren in die Zahnreihe eingegliedert wurde. 

Es erfolgte die Inspektion unter dem OP-Mikroskop. Klinisch zeigte sich kein Anhalt auf Kanalstrukturen. Es erfolgten zwei zeitintensive Sitzungen, in denen der Wurzelkanal nicht dargestellt werden konnte und der Zahn, trotz größter Vorsicht und Verwendung des Mikroskops, perforiert wurde. Die Perforation war vestibulär im mittleren Kanaldrittel nach einer Länge von 18 mm lokalisiert (Abbildungen 3 und 4). Die Therapieentscheidung fiel daraufhin zugunsten einer „Guided Endodontics“-Behandlung.

Zunächst wurde hierfür eine DVT–Aufnahme mit einem FOV von 8 cm x 8 cm angefertigt (Orthophos XG 3D, Sirona, Bensheim) und das Oberkiefer-Modell des Patienten gescannt (3Series Dentaler Modellscanner, Dental Wings, Montreal, Kanada). Die DICOM- und SLT-Datensätze wurden anschließend in die Planungssoftware (coDiagnostiX, Dental Wings, Montreal, Kanada) übertragen, fusioniert, und es wurde virtuell eine optimale Zugangskavität geplant. Der verwendete Endoseal-Bohrer (Atec Dental, Ebringen) mit einem Durchmesser von 1,0 mm sowie die auf den Bohrer abgestimmte Endo-Guide-Innenhülse (Steco Systemtechnik, Hamburg) sind in der Software hinterlegt. Bohrer und Hülse werden in der Software so positioniert, dass die Zugangskavität bis in die apikalen Kanalabschnitte erfolgen kann (Abbildungen 5 bis 7). Nach der virtuellen Planung (Abbildung 8) erfolgte die Herstellung der Navigationsschiene mit dem 3-D-Drucker Form 2 (Formlabs, Berlin). Im Anschluss wurde die Hülse in die Schiene eingesetzt (Abbildung 9).

In der folgenden Sitzung wurde die Schiene angepasst (Abbildung 10), die Trepanationsöffnung ergänzt und die Bohrung mittels Endoseal-Bohrer auf die zuvor am DVT geplante Tiefe vorgenommen. Nach erfolgter Bohrung wurde der Kofferdam angebracht und das erschlossene Kanalsystem mit einer ISO 10 C-Feile sondiert (Abbildung 11). Die Endometrie ergab 23,5 mm. Eine Röntgenkontrastaufnahme mit einer ISO 15 K-Feile wurde angefertigt (Abbildung 12). Die mechanische Wurzelkanalpräparation erfolgte mit Reciproc Blue 25 und 40 (VDW, München), die Desinfektion mit NaOCl 5 Prozent und EDTA 17 Prozent. Die Perforation wurde mit Total Fill BC Root Repair Material (FKG, La Chaux-de-Fonds, Schweiz) abgedeckt (Abbildung 13). Im Anschluss wurde eine Masterpointaufnahme angefertigt (Abbildung 14), der Wurzelkanal mit Total Fill BC Points und Sealer (FKG, La Chaux-de-Fonds, Schweiz) biokeramisch abgefüllt (Abbildung 15) und adhäsiv verschlossen. Bei der klinischen Nachuntersuchung nach vier Wochen war der Zahn symptomlos.

Das postoperative Röntgenbild neun Monate nach Therapieabschluss zeigt gute periapikale Verhältnisse (Abbildung 16), und der Zahn ist nach wie vor ohne klinische Symptomatik.

Diskussion

Der zeitliche und technische Aufwand von „Guided Endodontics“ ist relativ groß und geht mit nicht unerheblichen Kosten für den Patienten einher. Weiterhin ist diese Technik in der Regel auf Frontzähne beschränkt, da der Zugang aufgrund der Länge des Bohrers im Seitenzahnbereich oftmals nicht möglich ist. Allerdings existieren mittlerweile auch einzelne Fallberichte, wonach die Technik erfolgreich Anwendung an Prämolaren [Reich et al., 2018] und Molaren [Lara Mendes et al., 2018] gefunden hat. Ebenso können stark gekrümmte Kanäle eine Limitation für die „Guided Endodontics“-Behandlung darstellen. Doch auch wenn das Indikationsgebiet klein ist, kann durch dieses Verfahren die Extraktion funktionell und ästhetisch wichtiger Zähne verhindert werden. Da Traumata als primäre Ursache für Obliterationen [Andreasen et al., 1987] häufig junge Menschen betreffen, können durch den Zahnerhalt komplikationsbehaftete Eingriffe (wie die frühe Implantation und Knochenaugmentationen in der ästhetischen Zone) verhindert werden und der Zahn kann im Idealfall lebenslang erhalten bleiben.

Im vorliegenden Fall ist die Kalzifizierung vermutlich auf die hohe Krafteinwirkung durch die Extrusion zurückzuführen. Woloshyn et al. fanden bei 21 Prozent der Patienten mit impaktierten Eckzähnen kalzifizierte Kanäle nach chirurgisch-kieferorthopädischer Extrusion [Woloshyn et al., 1994]. Auch Ling et al. fanden mehr kalzifizierte Kanäle an Eckzähnen nach Extrusion als auf der kontralateralen Seite ohne Extrusion [Lint et al., 2007]. Dies lässt darauf schließen, dass gerade forcierte Kräfte ursächlich sein könnten. 

Im vorgestellten Fall wurden bereits Bohrer mit einem Durchmesser von 1,0 mm verwendet. Die erste Version dieser Instrumente wies einen Durchmesser von 1,5 mm auf. Die neuerdings verfügbaren kleinen Durchmesser haben den Begriff der „Micro Guided Endodontics“ geprägt und das Indikationsspektrum für die Technik auf Zähne mit dünnen und grazilen Wurzeln erweitert [Connert et al., 2017]. 

Studien belegen, dass mit dem „Guided Endodontics“-Verfahren reproduzierbare Ergebnisse mit nur minimalen Abweichungen zwischen geplanter und tatsächlicher Bohrung erzielt werden können [Connert et al., 2017; Zehnder et al., 2016; Buchgreitz et al., 2016]. Die präzise Planung ist aufwendig, zeitintensiv und bedarf genauer Kenntnisse der Zahnanatomie sowie der richtigen Interpretation der DVT-Aufnahmen. Die eigentliche Durchführung der Bohrung ist jedoch relativ einfach und zeigt keinen signifikanten Unterschied zwischen erfahrenen Endodontologen und Anfängern [Connert et al., 2017]. 

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das „Guided Endodontics“-Verfahren eine sichere Methode zur Erschließung obliterierter Wurzelkanäle darstellt. Auch wenn der Aufwand aktuell noch sehr hoch ist und die Indikation sich auf komplexe Fälle beschränkt, ist in Anbetracht der rasanten technischen Entwicklung in der Zahnheilkunde zu erwarten, dass diese Technik immer mehr Einzug in die Praxis finden wird.

Dr. Benjamin Mahmoodi, M.Sc.

Praxis für mikroskopische Endodontie Dr. Anna Lechner & Kollegen
Eschollbrücker Str. 26, 64295 Darmstadt
benjamin.mahmoodi@web.de

Dr. Anna Lechner, M.Sc.

Praxis für mikroskopische Endodontie Dr. Anna Lechner & Kollegen
Eschollbrücker Str. 26, 64295 Darmstadt

PD Dr. Dan Brüllmann

Oberarzt, Facharzt für OralchirurgieKlinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
Klinik und Polikliniken für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten
Universitätsmedizin Mainz
Augustusplatz 2, 55131 Mainz

und

Oralchirurgie Weißliliengasse
Weißliliengasse 31, 55116 Mainz

Literaturliste

1. Andreasen FM, Zhijie Y, Thomsen BL, Andersen PK. Occurrence of pulp canal obliteration after luxation injuries in the permanent dentition. Endodontics & dental traumatology. 1987;3(3):103-15.

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3. Sayegh FS, Reed AJ. Calcification in the dental pulp. Oral surgery, oral medicine, and oral pathology. 1968;25(6):873-82.

4. Fleig S, Attin T, Jungbluth H. Narrowing of the radicular pulp space in coronally restored teeth. Clinical oral investigations. 2017;21(4):1251-7.

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10. Hargreaves KM, Berman LH. Cohen's Pathways of the Pulp: Elsevier; 2015.

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15. Connert T, Zehnder MS, Weiger R, Kuhl S, Krastl G. Microguided Endodontics: Accuracy of a Miniaturized Technique for Apically Extended Access Cavity Preparation in Anterior Teeth. Journal of endodontics. 2017;43(5):787-90.

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17. Reich M, Brüllmann D. „Guided Endodontics“ - Einblick in eine neue Therapievariante zur Behandlung obliterierter Zähne mit apikaler Parodontitis. Die Quintessenz. 2018;69(9):1062-9.

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21. Buchgreitz J, Buchgreitz M, Mortensen D, Bjorndal L. Guided access cavity preparation using cone-beam computed tomography and optical surface scans - an ex vivo study. International endodontic journal. 2016;49(8):790-5.

Dr. Benjamin Mahmoodi

benjamin.mahmoodi@web.de
Praxis für mikroskopische Endodontie Dr. Anna Lechner & KollegenEschollbrücker Str. 2664295 Darmstadt

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