Zahnärztliche Therapie bei schmerzhafter CMD

Abschied von der Wunderschiene

Daniel Hellmann
,
Hans-Jürgen Schindler
Kiefer- und Gesichtsschmerzen zählen zu den häufigsten Gründen für den Gang zum Zahnarzt. Für eine erfolgreiche Behandlung schmerzhafter kraniomandibulärer Dysfunktionen sind in der Regel keine invasiven und irreversiblen Maßnahmen notwendig. Zeitlich begrenzte Interventionen wie die Schienentherapie und die Physiotherapie beziehungsweise Selbstmanagement liefern vergleichbar gute Ergebnisse.

Okklusionsschienen gehören zum Standardrepertoire der zahnärztlichen Maßnahmen zur Behandlung von schmerzhaften kraniomandibulären Dysfunktionen (sCMD) [Schindler, Nilges et al., 2013]; nicht zuletzt wegen der Vorstellung, dass die Okklusion und die räumliche Konfiguration der Kiefergelenke eine übergeordnete Rolle bei der Entstehung von schmerzhaften Funktionsstörungen spielen könnten. Nach dieser bis heute weit verbreiteten Meinung soll eine ideale Okklusion und Kieferposition, die im Rahmen einer Schienentherapie gefunden wird, eine heilende Wirkung entfalten. Eine Therapie, die dieser Hypothese folgt, endet definitionsgemäß in einer vollständigen Restaurierung aller Zähne des Ober- und des Unterkiefers in der neuen, therapeutischen Kieferrelation – was nach aktuellem Wissensstand kritisch hinterfragt werden sollte.

Der vorliegende Beitrag erläutert die Bedeutung der Schienentherapie, indem er die aktuellen Vorstellungen der Physiologie von Kaumuskulatur und Kiefergelenken erörtert und die pathophysiologischen Hintergründe der sCMD rekapituliert. Die Kenntnis dieser Grundlagen ermöglicht in der Folge ein Verständnis der Wirkung von Schienen und von alternativen Therapiemöglichkeiten und „entzaubert“ vor diesem Hintergrund die Wirkung diverser meinungsbasierter Therapiemodelle bei sCMD.

Der Rückenschmerz im Gesicht

Neben den Odontalgien ist die sCMD eine der häufigsten Gründe für das Aufsuchen des Zahnarztes. Circa 75 Prozent der Patienten mit sCMD leiden unter myofaszialen Schmerzen der Kaumuskulatur, während bei der weiteren Patientenpopulation entweder isolierte Gelenkschmerzen oder Kombinationen aus Muskel- und Kiefergelenkschmerzen vorliegen. Frauen sind etwa viermal häufiger betroffen.

Kaumuskelschmerzen sind durch einen dumpf-drückenden, manchmal auch ziehenden Charakter gekennzeichnet und weisen eine geringe bis mittlere Intensität auf. In manchen Fällen ist die Bewegungskapazität des Unterkiefers eingeschränkt und Belastungen, zum Beispiel beim Kauen, aber auch die Palpation der betroffenen Muskeln, verstärken die Symptome in der Regel. Häufig werden die Schmerzen auch in andere Regionen des Kopfes übertragen und dort dominant wahrgenommen [Schindler et al., 2007]. Kiefergelenkschmerzen bei Myoarthropathie werden um das jeweils betroffene Gelenk wahrgenommen. Die Leitsymptome sind der dumpfe, oft pochende Schmerz bei Ruhe und/oder Bewegung sowie die schmerzhafte Palpation der periartikulären Gewebe [Hugger et al., 2007].

Da Gelenke zu den tiefen somatischen Strukturen zählen, zeigen auch die Kiefergelenke eine für diese Gewebe typische Schmerzcharakteristik. Insbesondere im Rahmen von Schmerzchronifizierung sind hier – wie bei der Muskulatur – Übertragungsphänomene (zum Beispiel Kopfschmerzen) zu beobachten  [Hugger et al., 2007]. Aus den Beschreibungen wird bereits deutlich, dass es sich bei der sCMD in den meisten Fällen um klassische muskuloskelettale Beschwerden handelt – für den Patienten auf einen einfachen, vergleichbaren Nenner gebracht, um unspezifischen „Rückenschmerz im Gesicht“.

Funktion von Muskulatur und Kiefergelenken

Die anspruchsvollen motorischen Aufgaben des Kauorgans haben dazu beigetragen, dass die Evolution dieses System zu einem einzigartigen motorischen Teilsystem entwickelt hat, das über zwei getrennte komplexe Gelenke verfügt und mit einer Muskulatur ausgestattet ist, die sich wesentlich von der Muskulatur der Extremitäten und des Rumpfes unterscheidet.

Muskulatur

Strukturelle Heterogenität

Die Kaumuskeln zeigen eine besondere Zusammensetzung ihrer Muskelfasern. So findet man im erwachsenen Kaumuskel dicht gepackte Muskelfaserbündel einzelner motorischer Einheiten mit unterschiedlichen Zugrichtungen auf engstem Raum [Stalberg et al., 1987; McMillan et al., 1991], ganz im Gegensatz zum Extremitätenmuskel mit großflächig über den Muskelquerschnitt verteilten Territorien. Funktionell hat dies zur Folge, dass innerhalb des individuellen Kaumuskels örtlich sehr unterschiedliche Kraftvektoren erzeugt werden können.

Heterogene Aktivierbarkeit

Weiterhin zeichnet sich die Kaumuskulatur durch eine ausgeprägte heterogene oder differenzierte Aktivierbarkeit aus, das heißt, der individuelle Kaumuskel kann regional unterschiedlich stark aktiviert werden. Vereinfacht bedeutet dies, dass es sich um das Zusammenwirken vieler kleiner „Müskelchen“ in einem übergeordneten großen Muskel handelt. Dieser Kontrollmechanismus gewährleistet eine extrem hohe feinmotorische Kompetenz, durch die an jedem beliebigen Punkt der Zahnreihe ein optimal wirksamer Kraftvektor erzeugt werden kann, der zusätzlich während des Kauakts noch fortwährend angepasst werden muss [Blanksma et al., 1995; Blanksma et al., 1997; Schindler et al., 2006; Phanachet et al., 2003].

Neuroplastizität

Wie die Muskulatur generell zeichnet sich auch die Kaumuskulatur durch eine ausgeprägte „Lernfähigkeit“ aus  [Peck et al., 2010; Hellmann et al., 2011]. So kann schon kurzzeitiges Training die funktionellen Eigenschaften langfristig modifizieren. 

Reparationspotenzial

Die Kaumuskulatur besitzt ein effizientes Reparatursystem, das heißt muskeleigene Stammzellen (Satellitenzellen), die bei einer Mikroläsion innerhalb von Stunden aktiv werden [Korfage et al., 2005]. Dies ist für temporäre therapeutische Maßnahmen (zum Beispiel Okklusionsschienen oder Selbstübungen) von Bedeutung, die sowohl von der Plastizität des motorischen Systems als auch vom ausgeprägten Reparationspotenzial des Muskelgewebes profitieren.

Kiefergelenke

Neurobiologische Funktion und Biomechanik

Die Funktion der Kiefergelenke im Kontext motorischer Aufgaben beschränkt sich im Wesentlichen auf biomechanische Führungseigenschaften, da die Gelenksensorik entgegen der landläufigen Meinung keine signifikante Bedeutung für die motorische Steuerung des neuromuskulären Systems hat  [Türker, 2002]. Das gängige Modell, dass die Kiefergelenke bei ihrer Führungsfunktion entlang der Fossa lediglich starr gleiten, ist jedoch auch eine unzulässige Vereinfachung. Vielmehr kommt es wegen des zwischen Kondylus und Fossa eingebetteten Diskus durch orthogonal zu den protrusiven Bewegungsspuren stattfindende Bewegungen des Kondylus relativ zur Fossa zu einem zusätzlichen Freiheitsgrad des Kondylus, bedingt durch die Interposition verschieden dicker Diskusanteile. Dieser erweiterte Bewegungsraum wurde in der Literatur bereits als „artikuläres Disklusionspotenzial“ beschrieben  [Kubein-Meesenburg, 1985]. Die Größe dieser Orthogonalbewegung ist von den speziell vorliegenden geometrischen Verhältnissen sowie von dem momentan auf den Kondylus ausgeübten Kraftbetrag, der Kraftrichtung und seiner rotativen und translatorischen Bewegungskomponente abhängig. Diese Variabilität der Freiheitsgrade bedeutet allerdings zwangsläufig auch eine Einschränkung der Präzision bei der therapeutischen Positionierung der Kiefergelenke durch die jeweiligen prozeduralen Varianzen während der Registrierung der Kieferposition. Zu diesem kinematischen Phänomen addiert sich die ebenfalls belastungsabhängige elastische Verformung des diskalen Faserknorpels. 

Erklärungsmodelle für den Schmerz

Die Grundlage für die Modellvorstellungen des myofaszialen und artikulären Schmerzes ist der Nozizeptorschmerz. In der Muskulatur soll dieser durch Überlastung einzelner motorischer Einheiten ausgelöst und durch eine Vielzahl disponierender Faktoren begünstigt werden. Als übergreifende pathophysiologische Erklärungsmodelle dienen das Mikrotrauma und die lokale Ischämie [Sessle, 1999] sowie deren klinische Entsprechungen – wie myofaszialer Triggerpunkt, lokale Muskelerschöpfung und Muskelkater. Den Vorstellungen ist gemeinsam, dass am Ende der Kausalkette die Freisetzung Schmerz auslösender Substanzen aus beteiligten Gewebszellen sowie die über sie vermittelte Erregung von Nozizeptoren steht. In ähnlicher Form ist dies für die Kiefergelenkschmerzen zu interpretieren, die im Wesentlichen dem Modell einer unspezifischen Arthralgie mit schmerzhaften artikulären Strukturen wie Ligamenten, Gelenkkapsel und retrodiskalem Gewebe und dem der aktivierten Arthrose folgen [Hugger, 2005]. Letztere beginnt in Form einer Mikroläsion, die über eine initiale Synovialitis und in deren Folge mit einer Sekretion von Zytokinen zur Ausschüttung von algetischen Substanzen aus den beteiligten Geweben führt. Im Folgenden kann es dann zur Zerstörungen der Knorpelmatrix kommen.

Anerkannte pathophysiologische Konzepte [DeBoever et al., 1994; Palla, 1998] unterscheiden im Einklang mit der als multifaktoriell beschriebenen Genese dieser beschriebenen muskuloskelettalen Beschwerden prädisponierende (zum Beispiel genetische, strukturelle, psychische), initiierende (zum Beispiel Mikro-, Makrotraumen) und perpetuierende (zum Beispiel stereotype Aktivitäten) Einflussfaktoren.

Schonhaltung und motorische Adaptation

Klinisch kommt es unter dem Einfluss von Schmerzen im kraniomandibulären System zu Verspannungsgefühlen in der Muskulatur, einer eingeschränkten Unterkieferbeweglichkeit [Magnusson et al., 2000] und einer mit diesen Befunden verbundenen subjektiven und objektiven Funktionseinschränkung [Pereira et al., 2009]. Die Erklärung beruht darauf, dass es unter dem Einfluss von Muskel- und Gelenkschmerzen zu einer Veränderung der physiologischen Bewegungsabläufe hin zu Schonhaltungsmustern kommt. Im Detail betrachtet beschreibt das aktuelle Modell zur Schmerzadaptation [Hodges, 2011; Hodges et al., 2011] eine schmerzbedingte Veränderung der intra- und intermuskulären Rekrutierungsmuster, die zu einer Versteifung der lädierten Strukturen und in der Folge zu einer Reduktion der Vielfalt und des Umfangs von Bewegungsmustern führt. Kurzfristig bewirkt eine durchaus sinnvolle Schienung der schmerzhaften Strukturen die Möglichkeit einer raschen Heilung. Bei länger anhaltenden Schmerzzuständen kann es allerdings unter solchen Bedingungen zu einer bleibenden Einschränkung der physiologischen Bewegungsvielfalt kommen und daraus resultierend zu einer unphysiologischen Belastung der beteiligten Gewebe – im Fall der sCMD nicht selten zu einem unphysiologischen Lastabtrag innerhalb der Kiefergelenke. Diese dauerhafte Etablierung von Schonhaltungsmustern wird vermutlich durch weitreichende Veränderungen auf verschiedenen Ebenen der Motormatrix verursacht, was in der Folge auch eine erhöhte Gefahr für Rezidive und weitere schmerzhafte Beeinträchtigungen bedeutet (Abbildung 2).

Eine wesentliche Erkenntnis aus den dargestellten Fakten für zeitgemäße therapeutische Strategien bei muskuloskelettalen Schmerzen ist die, dass eine Schmerzreduktion [Hodges et al., 1996] oder Entlastung der schmerzhaften Strukturen [Crossley et al., 2002; McGill, 2007; Hides et al., 1996] unter Umständen allein nicht ausreichend ist, um die erworbenen Schonhaltungen aufzulösen. Daher fordern moderne Therapiekonzepte ein, dass solche durch Schmerzadaptationen ausgelösten irreversiblen Koaktivierungsmuster durch aktive Rehabilitationsmaßnahmen korrigiert werden, um so eine normale Koordination und uneingeschränkte Funktion wiederherzustellen  [Crossley et al., 2002; Hides et al., 2001; Stuge et al., 2004]. An dieser Stelle wird bereits deutlich, dass eine zahnärztliche Schienentherapie durch eine Begleittherapie mit aktiven Übungen des Patienten kombiniert werden sollte. In der neuen Heilmittelrichtlinie findet diese Erkenntnis darin Ausdruck, dass das Erlernen eines aktiven Eigenübungsprogramms als generelles Therapieziel festgeschrieben wurde.

Trainings und Therapien

Aktive Eigenübungen

Studien konnten zweifelsfrei belegen, dass bei muskulären Beschwerden des kraniomandibulären Systems Heimübungen gleichwertige therapeutische Effekte bewirken wie etwa das nächtliche Tragen von Okklusionsschienen  [Medlicott et al., 2006]. Ebenso ist aus dem klinischen Alltag bekannt, dass sich mit den fast in Vergessenheit geratenen Übungen nach Schulte [Schulte, 1981], die den Patienten aktiv mit der Durchführung von Bewegungsübungen in die Therapie mit einbinden, gute therapeutische Ergebnisse erzielen lassen. Aktuelle Studien konnten darüber hinaus zeigen, dass sich das kraniomandibuläre System und die Kiefermuskulatur insbesondere durch koordinative Übungen außerordentlich effektiv trainieren lässt  [Hellmann et al., 2011; Kumar et al., 2015; Iida et al., 2015]. Als Folge eines solchen Trainings kommt es zu anhaltenden, die jeweilige Trainingseinheit überdauernden Veränderungen der muskulären Funktionsmuster, begleitet von strukturellen Modifikationen spezifischer kortikaler Regionen [Taubert et al., 2010; Sehm et al., 2014]. Die durch das Training bewirkten intramuskulären motorischen Adaptationen scheinen dabei eine wesentliche Rolle im Rahmen einer erfolgreichen Muskelschmerztherapie zu spielen  [Schindler, Türp et al., 2013; Hodges, 2011].

Okklusionsschienentherapie

Die aktuell am besten gestützte Hypothese zu den therapeutischen Effekten von Okklusionsschienen bietet – sowohl für die Muskulatur als auch für die Kiefergelenke – die Neuorganisation inter- und intramuskulärer sowie intraartikulärer Funktionsmuster (Abbildung 3). Diese ermöglicht die Entlastung lädierter motorischer Einheiten und Gelenkstrukturen [Türp et al., 2003]. Für die intramuskuläre funktionelle Neuorganisation nach experimenteller Lageveränderung des Unterkiefers gibt es eine Reihe von Belegen [Schindler et al., 2005; Van Eijden et al., 1993; Terebesi et al., 2016]. Gleiches gilt für die Veränderung intraartikulärer Funktionswege und für die Positionsänderung der Kondylen nach Inkorporation von Standardschienen  [Ettlin et al., 2008]. Motorische Schmerzadaptationen und therapierelevante neuromuskuläre Effekte in anderen Körpersegmenten werden aktuell in vergleichbarer Weise interpretiert  [Hodges, 2011].

Neuromuskuläre „Trainingseffekte“ nach temporärer Intervention

Die Tatsache, dass zeitlich begrenzte Interventionen wie Schienentherapie und Physiotherapie/Selbstmanagement vergleichbar gute Ergebnisse liefern [van der Glas et al., 2000; Durham et al., 2016] wie eine systematische Einschleiftherapie von Zähnen, belegt, dass in der Regel für eine erfolgreiche Behandlung keine irreversiblen Maßnahmen notwendig sind. Interessanterweise überdauern die therapeutischen Wirkungen die zeitlich begrenzte Tragezeit der Schienen oder die kurzfristigen Übungsphasen im Rahmen einer Physiotherapie. Dieses Phänomen ist durch die langanhaltende neuromuskuläre Adaptation im Sinne einer Reorganisation motorischer muskulärer Funktionsmuster auf der Basis der exzellent entwickelten plastischen Eigenschaften der Kaumuskulatur zu erklären, wie sie insbesondere nach kurzzeitigem Training der Kiefer- und Zungenmuskulatur beobachtet werden konnten  [Hellmann et al., 2011; Svensson et al., 2006]. Darüber hinaus erklärt diese Eigenschaft auch die vergleichbaren Wirkungen solcher Maßnahmen, die Einfluss auf das motorische Verhalten nehmen, wie Selbstübungen, Physiotherapie oder nur den Gaumen bedeckende „Placebo“-Schienen [Türp et al., 2010]. Studien im Bereich der Körpermuskulatur, die den Einfluss von motorischem Training auf Bewegungsparameter von Gesunden und Patienten untersuchten, belegen diesen Sachverhalt ebenfalls. Sogar passive Bewegungen können solche länger anhaltenden motorischen Adaptationen durch kortikale Reorganisationen auslösen. Die therapeutische Wirkung von Vermeidungsmustern im Sinne motorischer Anpassungen an Schmerzen folgt ebenfalls diesem Prinzip [Hodges, 2011].

Empfohlene Ergänzung der Schienentherapie

Eigenübungen der Patienten

Wie bereits erwähnt, ist die Verschreibung von Physiotherapie mit dem Ziel des Erlernens eines Eigenübungsprogramms verbunden. Neben der vom Therapeuten empfangenen Therapie soll der Patient zur aktiven Mitarbeit motiviert werden. Einmal erlernt, können die Übungen bei wiederkehrenden Beschwerden erneut angewendet, aber auch zur Rezidivprophylaxe genutzt werden. Die Ziele sind die Behandlung der verspannten Muskelareale mithilfe von Selbstmassage sowie die Auflösung eventueller koordinativer Defizite bei der Kieferbewegung durch gezieltes Training bestimmter Muskelgruppen  [Schulte, 1981] (Abbildung 4).

Sensomotorisches Training mit dem RehaBite®

Eine aktuelle Studie konnte zeigen, dass mithilfe des sensomotorischen Trainings mit dem Trainingsgerät RehaBite® (Dentrade, Köln) (Abbildungen 5 und 6) eine mit der Okklusionsschienentherapie gleichwertige Schmerzreduktion erreicht werden kann [Giannakopoulos et al., 2018]. Die Wirkung von sensomotorischem Training im Allgemeinen resultiert aus einer Verbesserung der neuromuskulären Ansteuerung und einer damit verbundenen Optimierung der Bewegungs- und Haltungskontrolle. Dies wird durch eine verstärkte Beanspruchung sensorischer Feedbacksysteme und die Stimulation zentralnervöser Integrationsprozesse erreicht [Steib, 2014]. Sehr wahrscheinlich kommen hierbei zu den bereits oben beschriebenen anhaltenden, die jeweilige Trainingseinheit überdauernden Veränderungen der intra- und intermuskulären Funktionsmuster allem Anschein nach strukturelle Modifikationen spezifischer kortikaler Regionen [Taubert et al., 2010; Sehm et al., 2014]. Bei Patienten mit Muskelschmerzen kann das Training zusätzlich eine bewegungsinduzierte Hypoalgesie (exercise induced hypoalgesia), das heißt eine Reduktion der Schmerzempfindlichkeit, bewirken [Koltyn et al., 2014].

Fazit für die Praxis

Die Therapie der sCMD basiert nicht auf der Einstellung einer idealen Verzahnung oder Kieferposition, sondern auf der Wirkung langanhaltender und die jeweilige therapeutische Intervention überdauernder inter- und intramuskulärer sowie intraartikulärer Funktionsmusteränderungen. Aus diesem Grund sind invasive okklusale therapeutische Modelle kritisch zu hinterfragen. Bei einer Chronifizierung der Schmerzen, die durch ausgeprägte psychosoziale Beeinträchtigungen, das heißt durch dysfunktionalen Schmerz, gekennzeichnet ist, zeigen die hier dargestellten Therapieoptionen in der Regel jedoch nur eingeschränkte Wirksamkeit.

PD Dr. med. dent. Daniel Hellmann

Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik
Universitätsklinikum Würzburg
Pleicherwall 2, 97070 Würzburg
Hellmann_D@ukw.de

Prof. Dr. med. dent. Hans J. Schindler

Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik
Universitätsklinikum Würzburg
Pleicherwall 2, 97070 Würzburg

und

Karlsruher Institut für Technologie
Forschungsgruppe Biomechanik
Institut für Mechanik, Gebäude 10.30
Otto-Ammann-Platz 9, 76131 Karlsruhe

Wir danken dem Quintessenz Verlag für die freundliche Genehmigung zum Abdruck der Grafiken/Abbildungen 1, 2, 4 und 6.

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Dr. Daniel Hellmann

Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik, Universitätsklinikum Würzburg
Pleicherwall 2,
97070 Würzburg

Prof. Dr. Hans-Jürgen Schindler


Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik, Universitätsklinikum Würzburg
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