30 Jahre Mauerfall

„Als Sicherheit hatten wir nur unseren Trabant“

Kathrin Schlüßler
Vor 30 Jahren öffneten sich nach fast 40-jähriger Trennung die Grenzen zwischen den beiden deutschen Staaten. Für knapp 16,7 Millionen Einwohner der DDR zerfiel ihr gewohntes Staatsgefüge. Das macht 16,7 Millionen Geschichten über Trennung, Mangel, Ungewissheit und Aufbruchsstimmung. Stellvertretend erzählen zwei Zahnärzte und eine Zahnärztin, wie sie diese Zeit erlebt haben.

Studieren in der DDR

 „Wir haben aus Gummihandschuhen Kofferdam hergestellt!“

Die zahnärztliche Ausbildung an den Hochschulen war solide. Es wurde Wert darauf gelegt, den Studenten so viel Wissen und praktische Erfahrung zu vermitteln, dass diese in der Lage waren, nach ihrem Abschluss eine Sprechstunde abhalten zu können. Wir mussten eine bestimmte Anzahl an oralen Operationen durchführen, zahlreiche Zähne extrahieren, Lokalanästhesien – selbstverständlich auch Leitungsanästhesien – setzen, Füllungen legen, Kinder behandeln und Zahnersatz herstellen. Dabei wurde auch an eine zahntechnische Grundlagenausbildung gedacht, das heißt, wir mussten unsere verwendeten Kronen und Totalprothesen selbst anfertigen.

Während des Studiums spürten wir die allgemeine Materialknappheit in allen Bereichen. Wir haben aus Gummihandschuhen Kofferdam hergestellt. Einmalhandschuhe wurde abgewaschen, getrocknet und wiederverwendet, weil einfach zu wenige davon vorhanden waren.

Das Anästhesiemittel war knapp, die Abformmaterialien ebenso, Frasaco-Kronen oder andere Hilfsmittel gab es nur auf Zuteilung. Am schwierigsten war der Bedarf an Edelmetall. Goldlot oder andere Materialien erhielten wir nur auf Zuteilung in einer extra Ausgabestelle. Die Behandlung von Patienten war unproblematisch.

Viele Patienten kamen gern in den Studentenkurs, da sichergestellt war, dass sie durch die entsprechenden Kontrollen korrekt behandelt wurden. Zum Teil war die Versorgung an der Hochschule auch besser, weil dort teilweise hochwertiger Zahnersatz wie Jacketkronen hergestellt werden konnte, welche außerhalb der Hochschule nur sehr schwer zugänglich waren. Das Zeitmanagement war kein Problem – die Patienten wurden von den staatlichen Betrieben für diese Zeit freigestellt.“

Claudia Espig

„Die Internatsmiete betrug 10 Mark!“

„Das Studium in der DDR war straff organisiert, Regelstudienzeit war normal, Abbrüche gab es selten. Medizinisch war das Studium sehr breit angelegt. Eine Voraussetzung, um ein Zahnmedizinstudium beginnen zu können, war die dreijährige Verpflichtung zum Einsatz nach Bedarf des Staates. Eine weitere Bedingung war die ständige Teilnahme Marxismus-Leninismus-Vorlesungen und Seminaren.

Eine Unterkunft in einem Internat war abgesichert. Ab 1981 erhielt jeder Student 200 Mark Stipendium. Die Internatsmiete betrug 10 Mark pro Monat und Person. Wir erhielten zusätzlich 50 Mark für unser Kind. So hatten wir 450 Mark pro Monat zur Verfügung. Auf Bahnfahrten hatten Studenten 75 Prozent Ermäßigung.“

Michael Kirsten

„Für internationale Literatur brauchten wir einen „Giftschein“ für die Deutsche Bücherei.“

„Ich habe von 1985 bis 1990 in Leipzig studiert. Ein Studienplatz war damals schon sehr begehrt. Die medizinischen Grundlagenfächer waren perfekt auf die Zahnmedizin angepasst und damit mehr fokussiert als heute. Anatomie und Histologie wurden hervorragend vermittelt. Die Anforderungen waren hoch, aber der Spaß kam nicht zu kurz.

Engagement für den Beruf wurde immer unterstützt, so dass ich in der Betriebspoliklinik der Uni schon als Student in den Semesterferien arbeiten konnte.

Rückblickend war es richtig und gut, dass wir alle vor der weiteren wissenschaftlichen Arbeit eine Diplomarbeit zu erarbeiten hatten. Bei mir waren das sogar tierexperimentelle Untersuchungen.

Das Arbeiten mit wissenschaftlicher Literatur gestaltete sich dagegen als ungeheuer schwierig. Dazu bedurfte es einer besonderen Berechtigung. Um internationale Literatur lesen zu dürfen, brauchten wir einen „Giftschein“ für die Deutsche Bücherei.

Fachliche Isolation und politische Indoktrination waren an der Tagesordnung. Ohne gesellschaftspolitische Lobpreiserei konnte kaum ein fachlicher Text verfasst werden. Viele haben innerlich über so viel Borniertheit gelacht. Andere haben das nicht länger ausgehalten und sind in den Westen gegangen. Jeder, der gegangen ist, hat eine Lücke hinterlassen.

Als angepasster DDR-Bürger habe ich den Studienplatz bekommen. Ich habe mir oft auf die Zunge gebissen, um keinen Anlass zu geben, dass mir mein beruflicher Traum verbaut werden könnte. Das gelang auch nur mit Not, da ich eine militärische Laufbahn ablehnte.

„Beziehungen sind das halbe Leben“, sagte man. Es war eine Notgemeinschaft im Käfig. Kinder von Ärzten sollten aus ideologischen Gründen nicht Ärzte werden, so dass häufig familiäre medizinische Kompetenz und Erfahrung nicht zur Verfügung stand. Ich glaube, dass das bei all der Mangelwirtschaft ein enormer Fehler war.

Materialien und wichtige Hilfsmittel oder neue Technologien fanden nur auf Umwegen und mit viel Fantasie und Engagement den Weg in die Polikliniken oder Universitäten. So waren Ärzte und Zahnärzte aus der Not heraus Meister im Improvisieren.“

Michael Arnold

Studieren mit Kind

„Im Internat waren Baby-Etagen für Studenten mit Kind eingerichtet.“

„Anfangs – vielleicht die ersten drei Monate – war es kompliziert, einen Platz in der Kinderkrippe zu bekommen. Doch dann bekamen wir einen Platz in der Uni-Krippe und später im Kindergarten. Alles war in der Nähe – optimal. Wir fanden die Studienbedingungen damals in Ordnung.“

Michael Kirsten

„Als feste Plangröße im Staat konnte ich das Studium nicht unterbrechen oder beenden!“

„Wir haben unseren Sohn bereits mit 12 Wochen in eine staatliche Kinderkrippe gegeben, da ich das Studium nicht unterbrechen wollte. Für mich wurde zum Ende der Schwangerschaft ein gesonderter Plan erstellt, mit dem ich Prüfungen vorziehen oder nach der Geburt absolvieren konnte; die zahntechnischen Kurse erledigte ich während der Semesterpause.

Zeitweise saß ich im Kursraum, arbeitete an meinen prothetischen Arbeiten und mein Mann brachte mir unseren Sohn zum Stillen – dann ging es weiter. Die Kurse im vierten und fünften Studienjahr waren so aufgebaut, dass man es einfach zu zweit besser organisieren konnte. (Kind krank, Kind aus Krippe holen etc.)

Nach einem halben Jahr aber waren wir beide mit den Nerven am Ende: Unser Sohn war chronisch krank und damit Krippen-untauglich. Da ich eine feste Plangröße im staatlichen Gesundheitswesen war, konnte ich entgegen meinen Vorstellungen das Studium nicht unterbrechen oder gar beenden. Stattdessen wurde uns eine private Tagesmutter vermittelt – die Kosten übernahm die Medizinische Akademie.

Bei dieser Frau fühlte sich unser Sohn sehr wohl, und wir konnten unser Studium mit Kleinkind fristgemäß beenden. Das bedeutete, wir lebten zu dritt mit unserem kleinen Sohn in einem studentischen Haushalt, wir schrieben unsere Diplom-Doppelarbeit (ein Thema für meinen Mann und mich) und absolvierten unsere Staatsexamina fristgemäß.“

Claudia Espig

Widerstand

„Ich wurde verhaftet und beim Ministerium für Staatssicherheit verhört“

Wir waren jung und voller Tatendrang und in jedem Fall in Aufbruchs-stimmung. Für uns war es der Beginn von etwas völlig Neuem, dem gegenüber wir sehr aufgeschlossen waren. Das Leben änderte sich in fast allen Bereichen. Mit viel Fleiß, Disziplin und hohem Engagement haben wir es vollbracht. Darauf darf man stolz sein.

Michael Kirsten

„Mit 21 Jahren war ich reifer und wollte die täglichen politischen Demütigungen nicht mehr hinnehmen. Ich begann der politischen Linie der SED in der Ausbildung immer mehr zu widersprechen. Zuerst nur in den Seminaren und später dann zunehmend öffentlich. Studenten galten in der DDR als angepasst und duldsam. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich mit meinem Berufswunsch nicht mehr erpressen lassen wollte und begann mehr und mehr politischen Widerstand zu organisieren.

In einer Gruppe mit Gleichgesinnten lernten wir wieder den aufrechten Gang, organisierten Demonstrationen, Diskussionsveranstaltungen, verteilten Flugblätter und versuchten die Grundlagen für eine Demokratie zu schaffen. Die evangelische Kirche gab uns die ersten Möglichkeiten für öffentliche Auftritte, so dass mehr Menschen auf uns aufmerksam wurden und mitarbeiten wollten.

1989 verließen wir die kirchlichen Räume und gründeten eine erste Bürgerrechtsbewegung mit dem NEUEN FORUM. Während dieser Zeit gab es unzählige Versuche seitens der Hochschullehrer mich zu disziplinieren und auch zu exmatrikulieren. Es gab Verhaftungen und Verhöre beim Ministerium für Staatssicherheit, der Polizei und beim Studiendekan.

Durch die Unterstützung meiner Frau, das solidarische Auftreten von vielen Leipziger Freunden und von Politikern aus Ländern aus Ost und West wurden wir im Januar 1989 aus dem Gefängnis entlassen. Honecker wies damals Mielke an, dass alle Verfahren eingestellt werden mussten. So blieb mir und meiner Familie eine langjährige Haftstrafe erspart, ich konnte weiter studieren und am Ende sogar mein Staatsexamen erfolgreich und fristgemäß absolvieren. Das hat Einigen Mut gegeben, auch aufzustehen und nicht alles duldsam hinzunehmen.“

Michael Arnold

„Ein Student wurde im zweiten Jahr aus dem Seminar gerufen und blieb dann verschwunden. Nach der Wende erfuhren wir, dass er in Stasi-Haft geraten war.“

Michael Kirsten

Die Wendezeit

„Das sogenannte Kollektiv zerfiel.“

„Wir waren im Beruf bereits etabliert – seit 1986 arbeiteten wir als Zahnärzte in einer Kreispoliklinik. Wir hatten eine der damals begehrten Neubauwohnungen. In den Jahren vor der Wende war die Stagnation spürbar. Besonders jüngere Kollegen waren unzufrieden. Die Anfangsgehälter waren nicht mehr zeitgemäß und lagen unter denen des mittleren medizinischen Personals. Die Abwanderung in die BRD war für einzelne Kollegen auch ein Thema. Anfangs machten wir uns schon Sorgen. Einmal gab es einen Streik in der Belegschaft. Ab Jahresmitte 1990 orientierten sich alle Kollegen um: Alle dachten nur noch an die eigene Niederlassung. Das sogenannte Kollektiv zerfiel.

Die staatliche Kreispoliklinik war wirtschaftlich marode, die Technik zum Teil veraltet. Materialien und Leistungen – Röntgenbilder, Diamantschleifer, Laborkapazitäten – waren rationiert. 14 Zahnärzte teilten sich sieben zahnärztliche Arbeitsplätze. Diese Situation war sicher auch innerhalb der DDR schlechter als der Durchschnitt.“

Michael Kirsten

„Da wir nun gerade eine neue Wohnung bezogen hatten, beschlossen wir, in Thüringen zu bleiben.“

„Im Sommer 1989 spürten wir die beginnenden Unruhen. Nachdem am 2. Mai 1989 Ungarn die Grenzbefestigungen zu Österreich abbaute und der Eiserne Vorhang fiel, merkten wir natürlich auch, dass ein Umbruch im Gange war. In den Sommermonaten waren wir jedoch so mit unserem Staatsexamen und der Verteidigung unserer Diplomarbeit beschäftigt, dass wir die politischen Ereignisse nur am Rande verfolgen konnten.

Der 9. November 1989 war ein schicksalhafter Tag in unserem Leben. Ich muss vorwegnehmen, dass sowohl die Familie meines Mannes nach dem Krieg infolge der Vertreibung der Sudetendeutschen wie auch meine Familie geteilt waren. Die Großmutter meines Mannes lebte zur damaligen Zeit in Wiesbaden, meine Großeltern in Duisburg.

Meine Mutter verließ 1964 die BRD und gab ihre dortige Staatsbürgerschaft auf, um meinen Vater, der zum dem Zeitpunkt gerade sein Studium in Karl-Marx-Stadt beendet hatte, zu heiraten. Sie konnten lange nicht zu ihrer Familie in den Westen kommen. Das Besuchsrecht wurde erst in den 1970-er Jahren gelockert. Bis zum September 1989 waren auch mein Mann und ich nie bei den Großeltern. Wir kannten es nicht anders. Es gab für sie nur Bilder von uns.

Als nun am 9. November die Mauer fiel, war dies für unsere Familien ein großes Glück – wir waren wieder vereint. Aber die Frage, gehen wir auch „rüber“ oder bleiben wir hier, war schon durch die Überlegung geprägt, ob die Grenze nun offen bleibt oder unsere Familien weiter getrennt sind. Da wir nun gerade eine neue Wohnung bezogen hatten, beschlossen wir, in Thüringen zu bleiben. Es sollte sich später als richtiger Entschluss erweisen."

Claudia Espig

„Das waren wunderbare Tage!“

„Es war eine unglaubliche Befreiung für jeden Einzelnen, die gleichzeitig auch etwas Ohnmacht und Angst erzeugte. Die Freude überwog letztlich. Für Manche hatten die Chaoten mit den stinkenden Trabis aus dem Osten schon auch etwas Bedrohliches. Aber auch dort hat man gespürt, wie sich die Herzen öffneten. Das waren wunderbare Tage – die Begeisterung füreinander zwischen Ost und West.

Wir wollten niemandem etwas an seinem erarbeiteten Wohlstand streitig machen und hatten Sorge, als Bettler dazustehen. Diese Demütigung war Jahrzehntelang Alltag im Osten und war ein unerträglicher Ballast für eine überfällige deutsche Hochzeit von Ost und West, an die schon kaum noch jemand geglaubt hat.

Klar, haben wir uns auch Sorgen gemacht. „Aus der Planwirtschaft in die Marktwirtschaft“ war kein Lehrstoff. Als Absolvent erhielt man seinen Arbeitsplatz für die Facharztausbildung noch über die Universität vermittelt. Das war einerseits bequem, aber andererseits auch von Willkür und Überwachung geprägt. Ich erhielt so einen Arbeitsplatz in einer Poliklinik in Dresden, in der genügend inoffizielle Stasi-Mitarbeiter waren, um mich weiter kontrollieren zu können.“

Michael Arnold

Der Neuanfang

„Die Zusage für den KfW-Kredit erhielten wir, als wir bereits praktizierten.“

„Mit der Wende sahen wir die Chance, eine Praxis nach eigenen Vorstellungen aufzubauen. Unseren ersten Niederlassungsantrag mit zwei weiteren Kolleginnen reichten wir im April 1990 ein. Er wurde vom damaligen Kreiszahnarzt mit lautstarker Empörung abgelehnt. In der eigenen Praxis arbeiteten wir mit großem Elan. Am schwierigsten war es für alle Kollegen, geeignete Räumlichkeiten zu finden. Die Altbausubstanz war in der DDR marode.

Von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), Verbänden und Kollegen aus den alten Bundesländern erhielten wir großartige Unterstützung. Die Bayerische Landeszahnärztekammer, zahnärztliche Verbände und die Deutsche Apotheker- und Ärztebank vermittelten uns in Niederlassungsseminaren wichtige Informationen. Wir besuchten ein Seminar zur Praxisführung. Im April 1990 fuhren wir mit unserem Trabant zu Dentaldepots in Nürnberg; im Mai mit dem Zug zum Bayerischen Zahnärztetag in München.

Wir begannen unsere Tätigkeit im April 1991 in drei Räumen und mit zwei Behandlungsplätzen, wobei ein Behandlungsgerät wegen der großen Nachfrage erst im Mai geliefert werden konnte. Wir arbeiteten zu einem stark abgesenkten Honorar (minus 35 Prozent). Die Nachfrage war enorm, da bis zur Wende die Bevölkerung bei uns qualitativ und quantitativ unterversorgt war. Wir erweiterten die Praxis nach zwei Jahren. Die Arbeitszeiten waren sehr lang. Dadurch gelang es uns jedoch, die wachsenden Kosten zu erwirtschaften. Die Zusage für den KfW-Kredit erhielten wir übrigens, als wir bereits praktizierten.“

Michael Kirsten

„Einen Kredit hatten wir zum damaligen Zeitpunkt noch nicht, dafür einen Einkauf für 200.000 DM getätigt.“

„1989 fiel die Mauer, am dritten Oktober 1990 feierten wir das erste Mal den Tag der Deutschen Einheit und am 31. Dezember 1990 schlossen unsere Polikliniken. Das staatliche Gesundheitswesen der DDR gab es nicht mehr. Nun hatten wir das Problem, dass wir die vorgeschriebene zweijährige Vorbereitungszeit noch nicht beendet hatten.

Damit drohte uns die Arbeitslosigkeit – alle vier Absolventen aus 1989 in Gotha waren betroffen. Wir führten zahlreiche Gespräche mit dem damaligen Landrat.

Im Ergebnis konnten wir bei neu niedergelassenen Kollegen mitarbeiten – wir Zahnärzte und auch unsere Helferinnen wurden komplett vom Krankenhaus Gotha bezahlt. Die erzielten Umsätze blieben bei dem niedergelassenen Kollegen, dadurch war es für sie natürlich sehr lukrativ, uns anzustellen. So absolvierten wir die restlichen acht Monate Vorbereitungszeit und ließen uns dann im Januar 1992 als Gemeinschaftspraxis nieder.

Bereits im Sommer 1991 begannen wir mit den Vorbereitungen. Jung und unerfahren, orderten wir zwei neue Siemens-Einheiten und zwei Röntgengeräte. Durch die zahlreichen Niederlassungen in den neuen Ländern war der Bedarf an Einheiten so hoch, dass es zeitweise keine einzige mehr zu kaufen gab. Unsere beiden Einheiten waren Rückläufer und wir griffen behände zu, ohne uns über die Finanzierung Gedanken zu machen.

Einen Kredit hatten wir nämlich zum damaligen Zeitpunkt noch nicht, dafür einen Einkauf für 200.000 DM getätigt. Die Kreditvergabe stellte sich aber später als unproblematisch heraus, obwohl wir keine Sicherheiten hatten – nur unseren Trabant.

Wir hatten wenig Berufserfahrung, keine betriebswirtschaftlichen Vorstellungen und hohe Schulden. Aber wir waren voller Optimismus und unser Bestellbuch war vom ersten Tag an voll. Dies war auch mit viel Bauchschmerz und Rechnen verbunden, weil wir unsicher waren, ob unser zahnärztliches Tun ausreichte, um die hohen Schulden irgendwann einmal zurückzahlen zu können.“

Claudia Espig

„Aus der Planwirtschaft in die Marktwirtschaft“ war kein Lehrstoff.

„Sorge bereitete uns, wie denn das so alles zu meistern ist mit der Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit. Man konnte ja niemanden im Umfeld groß dazu befragen. Woher sollte das viele Geld für eine Praxis kommen? Bei den Zahlen wurde einem schwindlig! Aber es war genau das, wonach wir eigentlich suchten: nach Autonomie, Freiheit in der Berufsausübung und Selbstständigkeit ohne erneute vertragliche Bindungen und Vorschriften.

Als Gründungsmitglied der Bürgerbewegung NEUES FORUM sollte ich in das erste frei gewählte Parlament der Noch-DDR. Ich wollte aber nun endlich wieder für meine Frau und mein Kind da sein und das Studium ohne Pause abschließen.

Also sagte ich dann zu, 1990 in den ersten Sächsischen Landtag als Abgeordneter für das NEUE FORUM zu ziehen und den ersten Aufbau aktiv als Vollzeitpolitiker zu begleiten. Das war eine spannende und anstrengende Zeit. Nach vier Jahren Landtagstätigkeit existierte die für mich vorgesehene Poliklinik nicht mehr.

Also bewarb ich mich 1995 in der Uniklinik Dresden und durfte dort nach einer Einarbeitungszeit wissenschaftlich arbeiten, Patienten behandeln und Studenten ausbilden. Die Freiheit, die mir dort zur Verfügung stand, führte letztlich dazu, dass ich all das in Ruhe ausprobieren und prüfen konnte, wofür man gewöhnlich in der Praxis keine Zeit hat.

Ich konnte Tag und Nacht in die Uni und in das Labor – das war einfach toll. Leider wurden damals alle Stellen erbarmungslos gekürzt. 2003 war dann auch mein befristeter Arbeitsvertrag beendet und ich konnte mit dem Kapital an Wissen in die eigene Praxis starten: Ich gründete eine Privatpraxis in Dresden.“

Michael Arnold

  • Dipl.-Stom. Michael Arnold, Zahnarzt aus Dresden mit eigener Privatpraxis für Endodontie 1985 bis 1990    Studium an der Universität Leipzig

  • Dr. med. dent. Claudia Espig, Zahnärztin aus Gotha in eigener Gemeinschaftspraxis mit ihrem Mann Dr. med. dent. Andreas Espig 1984 bis 1989 Studium in Jena und Erfurt

  • Dipl.-Stom. Michael Kirsten, Zahnarzt aus Reichenbach (Vogtland) in eigener Gemeinschaftspraxis mit seiner Frau Dipl.-Stom. Simone Kirsten 1981 bis 1986 Studium an der Universität Leipzig

Kathrin Schlüßler


Redaktion Zahnärztliche Mitteilungen
Behrenstr. 42
10117 Berlin
www.zm-online.de

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