Patientensteuerung

Der Pförtner unterbindet Ärzte-Hopping

Ist die Gesundheitskarte eine Flatrate für Facharztbesuche? Ist es notwendig, Patienten mithilfe von Sanktionen zu zügeln, wenn sie regelmäßig mehrere Ärzte konsultieren, um eine Diagnose zu erhalten? In einem vielzitierten Interview hat Dr. Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, die Mitnahme-Mentalität deutscher Patienten gerügt und Wahltarife mit und ohne freie Arztwahl ins Spiel gebracht. Eine Übersicht, wie die Patientensteuerung in unseren Nachbarländern funktioniert.

Die Zugangskontrolle – Gatekeeping von Gatekeeper, also Pförtner – zur fachärztlichen Versorgung ist ein wichtiges Instrument in den Gesundheitssystemen vieler europäischer Länder. Sie gilt meist ausschließlich für gesetzlich Versicherte und nicht für Privatpatienten oder Selbstzahler.

So arbeitet der Gatekeeper

Der Pförtner dient zwei Hauptzielen: Erstens, das Wachstum der Gesundheitskosten zu begrenzen, indem die Inanspruchnahme von spezialisierten ambulanten und/oder Krankenhausdienstleistungen kontrolliert und unnötige Interventionen reduziert werden, und zweitens, mithilfe von Hausärzten im Zentrum die Koordinierung und Kontinuität der Versorgung zu gewährleisten. Theoretisch haben Patienten in einem strengen Gatekeeping-System keinen direkten Zugang zur Sekundärversorgung, sondern benötigen immer eine Überweisung von ihrem Hausarzt, um einen Facharzt aufsuchen oder stationär aufgenommen zu werden. In der Praxis umfassen die Regelungen je nach Erstattungspraxis des Gesundheitssystems jedoch unterschiedliche Merkmale und Anreize. Forscher der Technischen Universität Berlin unterscheiden in einer Arbeit diese vier Stufen:

  • kein Gatekeeping:Patienten haben ohne Überweisung freien Zugang zur Sekundärversorgung (Tschechien, Luxemburg).

  • minimales Gatekeeping:Hausärzte überweisen an Spezialisten. Oder finanzielle Anreize ermutigen Patienten, nicht direkt zum Facharzt zu gehen (Österreich, Belgien).

  • Gatekeeping mit Ausnahmen:Hausärzte fungieren zwar als Pförtner, Patienten können aber auf bestimmte Spezialisten ohne Überweisung zugreifen. Dazu gehören etwa Gynäkologen, Augenärzte, Kinderärzte oder Psychiater (Dänemark, Frankreich).

  • vollständiges Gatekeeping:Patienten benötigen immer eine Überweisung von einem Hausarzt, um Zugang zur sekundären Versorgung zu bekommen (Niederlande).

Vollständiges Gatekeeping findet man nur in den Niederlanden. In der Schweiz ist der Versicherungsstatus des Patienten ab: ausschlaggebend: Hier bieten regionale Versorgungsorganisationen (Health Maintenance Organization, kurz HMO) eine private Sonderform des Versicherungs- und Versorgungsmodells nach US-amerikanischem Vorbild an. Im Zentrum stehen interdisziplinäre Behandlungszentren, die zwingend die erste Anlaufstelle sind. Ausnahmen sind Notfälle, Erkrankungen außerhalb des geografischen Zuständigkeitsbereichs der HMO sowie Gynäkologie und Augenheilkunde. Für diese Beschneidung der ansonsten in der Schweiz geltenden freien Arztwahl erhalten HMO-Versicherte einen Prämiennachlasss. Umgekehrt kennt das Modell auch Sanktionen: Wenn ein Patient zu einem externen Arzt geht, kann die Versicherung die Kostenübernahme der Behandlung ganz oder teilweise verweigern.

In Frankreich greift eine ähnliche Logik: Hier haben Patienten die Möglichkeit, bei geringerer Kostenerstattung direkt einen Spezialisten ihrer Wahl aufzusuchen. In den anderen Ländern dieser Stufe (Dänemark, Polen) gelten für bestimmte Spezialisten Ausnahmen, Überweisungen sind vor einem Facharztbesuch ansonsten jedoch obligatorisch. In Ländern mit minimalem Gatekeeping (Österreich, Belgien) gibt es in der Regel nur geringe finanzielle Anreize für Patienten, immer zuerst den Hausarzt aufzusuchen.

Uneinheitlich sind auch die Regelungen, wie streng Patienten an ihren Hausarzt gebunden sind. Fast alle europäischen Gesundheitssysteme ermöglichen es ihren Bürgern, ihren Hausarzt selbst zu wählen. Es bestehen jedoch erhebliche Unterschiede in Bezug auf den Wahlbereich, der den Patienten zur Verfügung steht. Drei Stufen lassen sich unterscheiden:

  • Die Auswahl ist auf vertraglich gebundene Anbieter begrenzt.

  • Die Auswahl beschränkt sich auf ein geografisches Gebiet wie die Region, den Landkreis oder die Gemeinde, in der der Versicherte gemeldet ist.

  • Es gibt eine freie Auswahl.

In Österreich, Polen, der Schweiz und Frankreich sind die Bürger auf vertraglich gebundene Hausärzte limitiert. In Polen werden Behandlungen, die von nicht vertraglich gebundenen Anbietern durchgeführt werden, nicht erstattet. In Österreich und Frankreich müssen Patienten höhere Gebühren zahlen, wenn sie nicht vertraglich gebundene Mediziner besuchen, entweder, weil die Erstattung niedriger ist (Österreich) oder weil die Ärzte ein Extrahonorar verlangen dürfen (Frankreich). In der Schweiz sind Patienten mit HMO-Versicherung – 2011 waren dies 53 Prozent aller Schweizer – an entsprechende Ärzte gebunden.

In einer Reihe von Ländern (Schweiz, Niederlande, Dänemark) ist die Auswahl des Hausarztes auf das Wohngebiet beschränkt. Dänen müssen ihn im Umkreis von 15 Kilometern von ihrem Wohnort wählen, Niederländer können dann einen Hausarzt außerhalb ihres Gebiets wählen, wenn er bereit ist, einen neuen Patienten aufzunehmen. Schweizer müssen dann möglicherweise einen größeren Teil der Kosten selbst tragen. Unbegrenzt den Hausarzt wählen können außer uns nur Belgier und Tschechen.

In Ländern mit Gatekeeping-Systemen und obligatorischer Registrierung beim Primärarzt ist zum Teil auch der Hausarztwechsel beschränkt. Polen dürfen ihren Hausarzt zweimal pro Jahr wechseln – für Dänen ist eine Gebühr von 25 Euro fällig.

 

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