Editorial

Die Krux mit den Rettungschirmen

Mit politischen Rettungsschirmen ist das so eine Sache. Während die Politik darunter ein ökonomisches Rettungspaket versteht, ist die Bedeutung im Flugwesen eine andere. Dort ist mit Rettungsschirm ein Fallschirm gemeint, „mit dessen Hilfe sich eine mit einem Fluggerät in der Luft befindliche oder mit einem Fallschirm abgesprungene und in eine Notlage geratene Person unter günstigen Umständen retten kann“. Interessant ist bei dieser Definition der Realitätssinn: unter günstigen Umständen. Womit wir bei den derzeit von der Politik verteilten Rettungsschirmen beim springenden Punkt sind – Beispiel Selbstständige oder Gastronomie. Nachdem bis auf wenige Ausnahmen sämtlichen Restaurants ihre Geschäftsgrundlage per Verordnung genommen wurde, soll nun ein reduzierter Umsatzsteuersatz die Ausfälle kompensieren helfen. Das ist, um im Bilde zu bleiben, in etwa so, als wenn die Bodencrew Fallschirme verteilt – nach dem Aufschlag. Da bekommt die Sentenz „unter günstigen Umständen“ im Verbund mit politischen Rettungsschirmen eine geradezu prophetische Note.

Nachdem die niedergelassenen Zahnärzte beim ersten Rettungsschirm namens COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz im Unterschied zu den Ärzten nicht dabei waren, soll es nun doch noch ein Hilfspaket geben. Aber warum waren die Zahnärzte eigentlich außen vor? Hielt das Bundesgesundheitsministerium die erheblichen Umsatzverluste dieser Berufsgruppe für tragbarer, nach dem Motto sind doch eh Zahnärzte? Oder war man der Meinung, dass die Zahnmedizin nicht (ausreichend) systemrelevant sei? Oder waren die Zahnärzte nicht „laut“ genug? Letzteres kann ich klar verneinen …

Nun soll der Rettungsschirm auch für Zahnärzte gemäß geplanter Rechtsverordnung (Stand 21. April) doch noch kommen. Die Zahlen sind prima vista groß, dass Ergebnis hingegen überschaubar. Dennoch dürfen wir uns wohl auf saftige Schlagzeilen gefasst machen, denn die Zahnärzte sollen 90 Prozent ihres letztjährigen Umsatzes für 2020 bekommen. Und dann auch noch einen Bonus. Den Aufschrei der anderen Berufsgruppen kann man sich gut vorstellen. Doch wie fast immer im Gesundheitswesen täuscht der erste Blick. Denn die 90 Prozent beziehen sich auf den GKV-Honorarumsatz des letzten Quartals 2019, also im Schnitt nur auf die Hälfte des Praxisumsatzes. Von den 90 Prozent müssen 30 Prozent nicht zurückgezahlt werden, stellen somit einen Sockelbetrag dar, gegen den der Umsatz gerechnet wird. Wie realistisch ist es, dass dieser Umsatz nicht erreicht werden wird? Und nur wenn das GKV-Honorar die 30 Prozent von den 90 Prozent nicht erreicht, bliebe so etwas wie ein Bonus. So etwas nenne ich ein grobes PR-Foul. Die anderen 60 Prozent sind Vorschuss, also ein Darlehen, so dass wir im Endeffekt über runde 15 Prozent reden. Doch auch das sei an dieser Stelle angemerkt: Kurzarbeitergeld und Ähnliches werden darauf nicht angerechnet, so dass im Ergebnis die Liquidität der Praxen deutlich gestützt wird. Leider wird eines – auch im BMG – gerne vergessen: Die anderen 50 Prozent des Praxisumsatzes, in großen Teilen von den Privatpatienten und Beihilfeberechtigten kommend, sind keine Bank, sondern ebenfalls massiv unter Druck. Da ist es durchaus eine Hilfe, dass die PKV eine Aufwandspauschale von 14,23 Euro pro Sitzung eines Privatversicherten für die Zeit vom 8. April bis 31. Juli mit BZÄK und BÄK vereinbart hat.

Die „gegebene“ Situation in der Corona-Pandemie ist jedoch nicht die Zeit für kleingeistige Mäkelei. Flexibilität und Pragmatismus sind angesichts der Aufgaben angesagt. Wer hätte je gedacht, dass „eiserne“ Hygieneregeln in Zeiten mangelnder Verfügbarkeit von Schutzmaterialien einmal derart aufgeweicht werden, dass ein MNS mehrfach verwendet darf. Doch keine Bange, das Gesundheitswesen, wie wir es kennen, lebt. So schaffte es der G-BA in kolportierter Tateinheit mit der GKV, die seit dem 9. März bestehende Ausnahmeregelung zur telefonischen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bei respiratorischen Symptomen mir nichts, dir nichts einfach zu beenden – ohne einen Konsens mit den Heilberuflern herzustellen. Mangel an elementaren Schutzmaterialien? Oder Schutz der vor Ort tätigen Ärzte und ihrer Teams? Nach massiven Protesten setzte man die alte Sonderregelung wieder in Kraft. Das alles mit Billigung des Ministeriums und nachdem Jens Spahn wenige Tage zuvor die Arbeit der Niedergelassenen und die dezentrale KV-Struktur als die wesentlichen Gründe bezeichnete, weshalb Deutschland die Corona-Krise bislang so gut gemeistert habe. Ach ja ...

Das war es nun, mein letztes Editorial für die zm. Ich werde mich neuen Aufgaben widmen und übergebe das Ruder an den neuen Chefredakteur Sascha Rudat. Und bevor ich jetzt sentimental werde: Es war mir eine echte Freude, für die zm und Sie gearbeitet zu haben. Ich hatte das große Glück, bei BZÄK und KZBV mit fantastischen Kollegen zusammenarbeiten zu können. Ein besonderer Dank geht an die Vorstände, die mich haben machen lassen – trotz so mancher „Schmerzen“... Stehen Sie zusammen, denn die Zahnmedizin ist und bleibt systemrelevant – gerade aufgrund ihrer enormen Präventionserfolge. Auch wenn Politiker das nicht immer verstehen (wollen).

Dr. med. Uwe Axel Richter

Chefredakteur

Dr. Uwe Axel Richter

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