Mit Big Smile e. V. an der Westküste Südafrikas

Draußen wird gemalt, drinnen die Karies verscheucht

Alexandra Wolf
Bereits zum zehnten Mal fliegt ein zehnköpfiges zahnärztliches Team aus Berlin unter der Schirmherrschaft des Vereins Big Smile e. V. nach Südafrika, um dort die Kinder einer Dorfschule ehrenamtlich zu behandeln. Auch dieses Mal gab es neue Hürden für das Team zu überwinden und für die Westcoast-Kids ein Boot zum Bemalen.

Zwei Stunden Autofahrt bringen mich in das 500-Einwohner-Örtchen Paternoster nordwestlich von Kapstadt. Als vor Hunderten von Jahren portugiesische Seefahrer hier nach großer Seenot strandeten, dankten sie Gott mit einem „Vater Unser“ und gaben dem Strandort so seinen Namen.

Vor elf Jahren wollte die dort ansässige Simone Jacke den Kindern aus den hiesigen Armenfamilien einen Zugang zur Zahngesundheit ermöglichen. Als Patientin der Zahnarztpraxis KU64 konnte die ehemalige Berlinerin den Inhaber Dr. Stephan Ziegler für dieses Projekt begeistern. „Ursprünglich wollte ich mit altem Zahngold ein paar Spendengelder aufbringen“, sagt Jacke, „daraus entstand nach und nach dieser zahnärztliche Hilfseinsatz vor Ort.“

Seit mittlerweile elf Jahren fliegt ein zehnköpfiges Team aus der Praxis in den Küstenort im westlichen Südafrika, bestehend aus einem festen Stamm von Zahnärzten, ZFAs und Prophylaxe-Assistentinnen. Jedes Jahr dürfen auch ein paar neue Helfer teilnehmen – so auch ich.

Von Jahr zu Jahr entwickelt sich das Fischerdörfchen mehr zu einem idyllischen Touristenort und Urlauber aus der ganzen Welt suchen dieses Kleinod auf. Doch außerhalb des Ortskerns in den sogenannten Townships zeigt sich ein anderes Bild: Fünfköpfige Familien leben auf beschränktestem Raum in ein bis zwei Zimmern zusammen. Die Eltern vergraben ihre Sorgen in Alkohol und die Kinder bleiben oft sich selbst überlassen. Umso mehr sind wir motiviert, hier zu helfen und etwas zu bewegen, anstatt dem Lauf der Dinge vom Liegestuhl aus zuzusehen.

In der Schule verkaufen die Kinder Süßigkeiten

Auf dem Schulhof empfangen wir am Montagvormittag ein paar der 250 Schulkinder. Einige kommen freudestrahlend auf uns zu oder fallen den bekannten Team-Mitgliedern aus den vergangenen Jahren in die Arme.

Manche Schüler verkaufen kleine Snacktüten mit Chips oder Süßigkeiten an ihre Mitschüler. Die Lehrer haben sie damit beauftragt, um so etwas Geld für die Schule aufzutreiben. Entsetzt schauen wir zu, wie dieser ungesunde Pausensnack in den Kindermündern verschwindet. Das kann so nicht bleiben!

Einstimmig stellen wir fest, dass wir die Ursachen für die hohe Kariogenität eindämmen und ein Bewusstsein für eine gesunde Ernährung bei Lehrern und Kindern schaffen müssen. Schließlich wollen wir, dass unsere ehrenamtliche zahnmedizinische Arbeit auch nachhaltig wirkt. Mit dem Verteilen von Zahnbürsten und Flyern zur Putzanleitung in den Townships versuchen wir, an die Eltern und Familien der Kinder heranzutreten. Auch mit den Lehrern besprechen wir am Runden Tisch, wie sich in der Schule eine gesunde Pausenversorgung und tägliches Zähneputzen erreichen lassen können.

Unsere kleine Praxis besteht aus einem großen Kirchenraum, der sowohl Rezeption, Wartebereich als auch Behandlungszimmer zugleich ist. Der Lautstärkepegel ist dementsprechend hoch. In kleinen Gruppen werden die Kinder aus den jeweiligen Schulklassen nebenan zu uns gebracht.

Das Anfärben der Plaque und das Putztraining der Prophylaxe-Assistentinnen stimmt die Kinder auf die zahnärztliche Behandlung ein. In den Mündern erblicke ich leider zu oft stark zerstörte kariöse Milchzähne, sofern überhaupt noch Milchzähne vorhanden sind. Unsere Priorität liegt im Erhalt der bleibenden Zähne, für alles andere gibt unser Wochenplan kaum Kapazitäten her.

Kiloweise Material – und trotzdem improvisieren

Der Verein Big Smile e. V. unterstützt unser Projekt finanziell. Auf ein kleines Repertoire an zahnärztlichem Equipment aus den vergangenen Jahren und die extra aus dem Gesundheitsministerium des Provinzkreises gelieferten mobilen Zahnarzteinheiten können wir zurückgreifen. Außerdem brachten wir kiloweise Verbrauchsmaterial aus Deutschland mit. Trotzdem müssen wir viel improvisieren!

Obwohl wir gut ausgestattet sind und der Behandlungsablauf ähnlich wie in Deutschland ist, tauchen immer wieder ungeahnte Überraschungen auf. Für mich ist die größte Umstellung nicht nur das krumme Sitzen an der starren Behandlungsliege oder die Kommunikation auf Englisch, sondern die manuelle Bedienung der Einheit. Anstatt Steuerung mit Fußanlasser muss per Schalter auf Winkelstück und Turbine umgestellt werden. Das nicht vorhandene Schwebe-Tray zum Ablegen der Instrumente wird durch die neugierigen Kinder um uns herum ersetzt, in deren Händen wir Spiegel und Sonde ablegen.

Behandeln bei täglichen Stromausfällen

Erschwerend kommt hinzu, dass uns in diesem Jahr ein sogenanntes „load shedding“ auferlegt ist – ein streng geregeltes Stromsparprogramm, das uns zweimal täglich für mehrere Stunden den Strom abschaltet. Ohne Strom dreht sich kein Bohrer und somit ist auch keine Behandlung möglich. Diese Zeiträume nutzen wir, um den Kindergarten im Ort zu besuchen. Wir bringen Zahnbürsten mit und putzen gemeinsam Zähne. Die Erzieherinnen sind gewillt, von nun an auch weiterhin täglich mit den Kindern Zähne zu reinigen. Wir hoffen es sehr, denn bis auf ein Brett, das als Zahnbürstenhalter fungiert, haben die Bürsten aus dem vergangenen Jahr leider keine weitere Verwendung gefunden.

Die Kinder im Ort genießen unsere Anwesenheit

Erstmals ist auch der Berliner Künstler Ali Görmez unter den Ehrenamtlichen. Für ihn bedeutet das künstlerische Gestalten von Dingen zusammen mit Kindern nicht nur Spaß, sondern auch Therapie. Durch seine fachkundige Begleitung möchte er die kreativen Fähigkeiten und sinnliche Wahrnehmung bei Kindern fördern. Zusammen mit den Schulkindern bemalt er ein veraltetes Fischerboot auf dem Kirchenhof, während wir drinnen die kaputten Zähne reparieren.

Die Kinder im Ort genießen unsere Anwesenheit. An den Nachmittagen schauen sie oft in unseren Unterkünften vorbei. Sie singen und tanzen mit uns und überreden auch so manchen, in den frischen Atlantik zu springen.

Ohne Fernseher oder Spielzeug streifen sie lachend und unbeschwert durch die Nachmittagssonne Paternosters. Viel Karies im Mund, viel Lebensfreude im Herzen – mit Tränen in den Augen verabschieden uns die Westcoast-Kids nach dem Hilfseinsatz. Sie hoffen sehr, dass wir sie auch im kommenden Jahr besuchen und unsere Zahnarztstation aufleben lassen.

Dr. Alexandra Wolf

Zahnärztin für Kinderzahnheilkunde in Berlin

Dr. Alexandra Wolf

Zahnärztin für Kinderzahnheilkunde in Berlin

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