SARS-CoV-2-Versorgungsstrukturen-Schutzverordnung

„Schutzschirm“ für Zahnärzte ist nur eine Liquiditätshilfe

Enttäuschung, Wut, Frust: Die Zahnärzteschaft reagierte bestürzt auf die Entscheidung der Politik, die Zahnärzte nicht wie die Ärzte unter den Rettungsschirm zu nehmen. Statt der dringend benötigten Hilfe in der Corona-Krise gibt es für sie jetzt lediglich eine Liquiditätshilfe, die zu 100 Prozent zurückgezahlt werden muss.

Die vom Bundesgesundheitsministerium erlassene SARS-CoV-2-Versorgungsstrukturen-Schutzverordnung trage somit nicht zur Sicherstellung der flächendeckenden zahnärztlichen Versorgung bei, die massiven negativen Folgen der Corona-Krise für die Zahnarztpraxen würden darin nicht abgefedert, stellten die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) fest. „Wir sind absolut geschockt über diese fehlende Solidarität des Staates“, sagte der KZBV-Vorsitzende Dr. Wolfgang Eßer in einer ersten Reaktion bei einem Presse-Hintergrundgespräch am 4. Mai.

Die Verordnung des BMG empfinden wir als Schlag ins Gesicht!

Dr. Carsten Hünecke, Präsident der Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt

Im Vergleich zu den Ärzten und selbst zu den Heilmittelversorgern erfahren Zahnärzte Eßer zufolge damit eine absolut nicht nachvollziehbare Ungleichbehandlung und Herabwürdigung: „Die Bedeutung der zahnmedizinischen Versorgung als Teil der Daseinsvorsorge in unserem Land wird bagatellisiert und in erheblicher Weise diskreditiert. Die wirtschaftlichen Lasten der Krise werden allein den Zahnärzten auferlegt.“

So wird Die Krise für die Praxen nur verlängert

Im Gegensatz zum ursprünglichen Entwurf sieht die Regelung nur noch kurzfristige Liquiditätshilfen vor, die 2021 und 2022 vollständig beglichen werden müssen. „Von einem Schutzschirm kann keine Rede sein, wenn uns lediglich ein Kredit gewährt wird, der in den nächsten zwei Jahren mit viel Bürokratieaufwand vollständig zurückgezahlt werden muss“, verdeutlichte Eßer. „Damit wird die Krise für die zahnärztlichen Praxen nur verlängert.“

Der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Martin Hendges widersprach in dem Zusammenhang auch Äußerungen von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), wonach im Anschluss an die Epidemie „Nachholeffekte“ die Nachfrage antreiben würden. „Viele Leistungen in der Prävention sind nicht nachholbar, das gilt für die Individualprophylaxe und insbesondere auch für Leistungen für Pflegebedürftige.“

„Bislang waren finanzielle Hilfen im Gesundheitsbereich nur für Vertragsärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser, Rehabilitations- und Pflegeeinrichtungen verankert, die Zahnmedizin wurde hier vergessen“, erinnerte BZÄK-Präsident Dr. Peter Engel. Alle Hoffnungen ruhten daher auf der lange diskutierten SARS-CoV-2-Versorgungsstrukturen-Schutz-verordnung, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Zahnärzten und Heilmittelerbringern sichern sollte. „Mit der nun von der Bundesregierung beschlossenen endgültigen Fassung werden aber auch diese Hoffnungen zerschlagen“, stellte Engel fest.

Viele Leistungen sind eben nicht nachholbar

Die Krankenkassen profitierten laut Eßer dagegen gleich doppelt von der Regelung: Zum einen durch die krisenbedingten Einsparungen im Jahr 2020, zum anderen könnten sie in den Folgejahren die vorgegebenen Rückerstattungen auf der Haben-Seite verbuchen. „Ihre Mitverantwortung für die Sicherstellung der Versorgung wird völlig negiert“, rügte Eßer. „Der Erhalt einer hervorragend funktionierenden flächendeckenden und wohnortnahen zahnärztlichen Versorgung scheint für die Politik offensichtlich ohne Bedeutung zu sein.“

Kein zahntechnisches Meisterlabor wird über mehrere Monate ohne Zahlungseingänge überleben.

VDZI-Präsident Dominik Kruchen

Eine hundertprozentige Rückzahlungsverpflichtung treffe in erster Linie junge Zahnärzte, Gründer und Praxen in strukturschwachen, ländlichen Regionen, betonte Eßer. Engel bestätigte, dass viele Praxen die erheblichen Einnahmeverluste bei hohen weiterlaufenden Betriebsausgaben und immensen Investitionskosten nicht länger schultern können. Für junge Praxen mit hohen Krediten sei diese Situation mittlerweile existenzbedrohend.

Es kann nicht sein, dass die Beschäftigten in Zahnarztpraxen anders behandelt werden als unserer Kolleginnen und Kollegen in Facharztpraxen!

Silvia Gabel, Verband medizinischer Fachberufe

Miete, Raten für Geräte, Hygienekosten, Materialien und Ausstattung belaufen sich Engel zufolge oft auf Fixkosten von 10.000 bis 20.000 Euro pro Monat, je nach Lage und Größe. Die Neugründung einer Einzelpraxis koste durchschnittlich 598.000 Euro – überwiegend kreditfinanziert. Zahnarztpraxen hätten außerdem durchschnittlich vier bis fünf Mitarbeiter mit entsprechenden Lohnkosten. Engel: „Der nun beschlossene weitere Kredit hilft nicht weiter!“

Dagegen profitieren die Krankenkassen doppelt

„Der Rückgang des Arbeitsaufkommens in den Zahnarztpraxen liegt laut einer repräsentativen Befragung von 950 Zahnarztpraxen bei über 50 Prozent, zwischen 48 und 86 Prozent der befragten Praxen mussten Kurzarbeit beantragen“, rechnete Engel vor. „Wird nicht endlich gegengesteuert, droht etlichen Praxen die Insolvenz beziehungsweise frühzeitige Aufgabe. Es besteht die Gefahr, dass ein irreparabler Schaden für die Versorgung der Bevölkerung entsteht“, verdeutlichte Engel.

„Liquiditätshilfe für Vertragszahnärztinnen und Vertragszahnärzte“

(1) Zur Überbrückung der finanziellen Auswirkungen der infolge der COVID-19-Epidemie verminderten Inanspruchnahme zahnärztlicher Leistungen wird die Gesamtvergütung vertragszahnärztlicher Leistungen abweichend von § 85 Absatz 2 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch für das Jahr 2020 auf 90 Prozent der gezahlten Gesamtvergütung der vertragszahnärztlichen Leistungen des Jahres 2019 als Abschlagszahlung festgesetzt, sofern nicht die jeweilige Kassenzahnärztliche Vereinigung gegenüber den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen bis zum 2. Juni 2020 dem schriftlich widerspricht. Die Krankenkassen haben die nach Satz 1 anzupassenden Abschlagszahlungen an die jeweilige Kassenzahnärztliche Vereinigung zu entrichten.

(2) Übersteigt die von den Krankenkassen an eine Kassenzahnärztliche Vereinigung gezahlte Gesamtvergütung nach Absatz 1 die im Jahr 2020 erbrachten vertragszahnärztlichen Leistungen, so hat die Kassenzahnärztliche Vereinigung die dadurch entstandene Überzahlung gegenüber den Krankenkassen in den Jahren 2021 und 2022 vollständig auszugleichen. Das Nähere zu dem Ausgleich vereinbaren die Partner der Gesamtverträge nach § 83 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch.

(3) Die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen können in den Jahren 2020 bis 2022 im Benehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen im Verteilungsmaßstab von § 85 Absatz 4 Satz 3 bis 5 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch abweichende Regelungen vorsehen, um die vertragszahnärztliche Versorgung unter Berücksichtigung der Auswirkungen der COVID-19-Epidemie auf die vertragszahnärztliche Tätigkeit sicherzustellen.

(4) Soweit die vertragszahnärztliche Versorgung mit den Abschlagszahlungen nach Absatz 1 nicht sichergestellt werden kann, können die Partner der Gesamtverträge nach § 83 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch für das Jahr 2020 einvernehmlich Abschlagszahlungen bezogen auf den in den Festzuschussbeträgen nach § 55 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch enthaltenen Anteil für zahnärztliche Leistungen vereinbaren. Übersteigt die von den Krankenkassen an eine Kassenzahnärztliche Vereinigung geleistete Abschlagszahlung die im Jahr 2020 tatsächlich erbrachten zahnärztlichen Leistungen nach Satz 1, so hat die Kassenzahnärztliche Vereinigung die dadurch entstandene Überzahlung gegenüber den Krankenkassen im Jahr 2021 vollständig auszugleichen.

(5) Das Bundesministerium für Gesundheit überprüft bis zum 15. Oktober 2020 die Auswirkungen der Regelungen in den Absätzen 1 bis 4 auf die wirtschaftliche Situation der Vertragszahnärztinnen und Vertragszahnärzte.

Die SARS-CoV-2-Versorgungsstrukturen-Schutzverordnung wurde am 4. Mai im Bundesanzeiger veröffentlicht und ist seit dem 5. Mai in Kraft.

Laut KZBV sind zusammen mit den Inhabern deutschlandweit etwa 365.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Zahnarztpraxen tätig, davon rund 32.000 Azubis. „Berücksichtigt man zusätzlich Arbeitsplätze in gewerblichen Laboren, im Dentalhandel und in der Industrie, so geht es um knapp eine halbe Million Arbeitsplätze in Deutschland“, fasste Eßer zusammen.

Es droht ein Praxissterben.

Christian Berger, Vorsitzender der KZV Bayerns und Präsident der Bayerischen Landeszahnärztekammer

Die Versorgung ist akut gefährdet

Er wies darauf hin, dass die Zahnärzte und ihre Praxisteams ununterbrochen und unermüdlich die Versorgung aufrechterhalten haben: „Wir haben – praktisch aus dem Stand – ein bundesweit flächendeckendes Netz von Behandlungszentren in 30 Kliniken und 170 zahnärztlichen Schwerpunktpraxen für die Akut- und Notfallversorgung von Patientinnen und Patienten aufgebaut, die mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert sind oder als Verdachtsfall unter Quarantäne gestellt wurden. Daneben gewährleisten wir mit besonders hohen Hygienestandards inden Praxen maximalen Schutz vor Ansteckungen.“

Der Porsche fahrende Zahnarzt scheint in Politikerköpfen unausrottbar.

Dr. Harald Schrader, Bundesvorsitzender des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte (FVDZ)

Die Politik hat immer noch Vorurteile gegen Zahnärzte

Eßers Fazit: „Die weltweit als beispielhaft anerkannte zahnärztliche Versorgung in Deutschland mit einem flächendeckenden und wohnortnahen Praxisnetz sowie herausragenden Ergebnissen bei der Mundgesundheit wird durch die Verweigerung echter Unterstützung akut gefährdet. Dass man auf Basis alter Vorurteile die Zahnärzteschaft als nicht schützenswert einstuft, hätte ich niemals gedacht!“

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