Perio & Cardio Workshop

Parodontologen und Kardiologen publizieren erstmals ein Konsensuspapier

Søren Jepsen
,
Henrik Dommisch
,
Burkert Pieske
Rund 45 Prozent der Todesfälle in Europa gehen auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurück. Nach langen Jahren der wissenschaftlichen Forschung gehen führende Parodontologen und Kardiologen inzwischen davon aus, dass eine schwere Parodontitis unabhängig und signifikant mit kardiovaskulären Erkrankungen und mit kardiovaskulärer Mortalität in verschiedenen Populationen assoziiert ist. Das wurde nun erstmals in einem Konsensuspapier beider Disziplinen festgehalten.

Nicht erst seit dem Auftreten von COVID-19 ist bekannt, dass die Mundhöhle die Eintrittspforte für lebensbedrohliche Erkrankungen sein kann. Schon lange werden in der Zahnmedizin die Zusammenhänge zwischen Parodontitis und Herz-Kreislauf-Erkrankungen diskutiert. Erstmals hat nun eine Expertenkonferenz zwischen europäischen Kardiologen der World Heart Federation (WHF) und europäischen Parodontologen der European Federation of Periodontology (EFP) die neuesten Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen den beiden Volkskrankheiten beleuchtet und eine Reihe von praxisrelevanten Empfehlungen für Zahnärzte, Ärzte und Patienten verabschiedet.

Der Konsensusbericht ist vor Kurzem zeitgleich in den Fachzeitschriften Global Heart der WHF und dem Journal of Clinical Periodontology der EFP publiziert worden. Dies ist insofern bemerkenswert, da auf diese Weise die uns Zahnmedizinern bekannten Zusammenhänge nun auch erstmalig Medizinern weltweit ins Bewusstsein gerückt werden. Mit der gemeinsam konsentierten Bewertung der Evidenz durch Mediziner und Zahnmediziner erhalten die Empfehlungen ein großes Gewicht über die Zahnmedizin hinaus und lassen auf eine breite Akzeptanz in der Medizin hoffen.

In Europa sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Cardiovascular diseases, CVD) für 3,9 Millionen Todesfälle pro Jahr (45 Prozent der Todesfälle) verantwortlich, wobei ischämische Herzkrankheiten, Schlaganfall und Bluthochdruck, die zu Herzinsuffizienz führen die Hauptursache für diese CVD-bedingten Todesfälle sind [Wilkins et al., 2017]. Die Parodontitis ist eine Volkskrankheit mit hoher Prävalenz [Jepsen und Dommisch, 2014] und in der Parodontologie werden mögliche Zusammenhänge zwischen Parodontitis und CVD sowie negative Auswirkungen der Parodontitis auf die kardiovaskuläre Gesundheit schon lange diskutiert – auch in den zm [Dommisch et al., 2017; Kebschull und Jepsen, 2011].

Im Februar 2019 kamen im Rahmen eines von der EFP organisierten „Perio & Cardio Workshop“ unter der Leitung von Prof. Mariano Sanz und Prof. Søren Jepsen mehr als 20 Experten der EFP und des WHF zusammen, um die neuesten Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen parodontalen und kardiovaskulären Erkrankungen zu diskutieren und eine Reihe von Empfehlungen zur Prävention und Therapie zu erarbeiten. Der nun vorliegende und publizierte Konsensusbericht [Sanz et al., 2020a, b] basiert auf vier Fachbeiträgen, die systematisch die Evidenz für epidemiologische Zusammenhänge zwischen Parodontitis und CVD, Pathomechanismen zur biologischen Plausibilität in Bezug auf parodontale Bakterien und systemische Entzündung sowie Studien zur parodontalen lnterventionstherapie bewerteten. Der Perio & Cardio Workshop überprüfte auch das potenzielle Risiko und die Komplikationen einer Parodontaltherapie bei Patienten, die Antikoagulanzien einnehmen – der Bericht enthält dazu detaillierte Empfehlungen.

Im Konsensus wurde festgestellt, dass eine schwere Parodontitis unabhängig und signifikant mit kardiovaskulären Erkrankungen und mit kardiovaskulärer Mortalität in verschiedenen Populationen assoziiert ist. Zu den vorgeschlagenen Mechanismen zur Erklärung dieses Zusammenhangs gehören die Bakteriämie und die damit verbundenen systemischen Entzündungsfolgen, einschließlich der Erhöhungen des C-reaktiven Proteins und des oxidativen Stresses.

Stimmen zum Perio-Cardio-Workshop

Aus der Parodontologie:

„Dieser Workshop war eine großartige Gelegenheit sowohl für die Kardiologie als auch für die Parodontologie, die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die hinter Assoziationen stehen, auf rigorose und unvoreingenommene Weise zu überprüfen. Die Empfehlungen des Konsensusberichts können allen Interessengruppen bei der Umsetzung von Maßnahmen zur Prävention sowohl von Herz-Kreislauf- als auch von Parodontalerkrankungen helfen."

Mariano Sanz, Ko-Vorsitzender des Perio-Cardio-Workshops, Professor für Parodontologie an der Universität Complutense in Madrid und Hauptautor des Konsensusberichts

Aus der Kardiologie:

„Dieser Bericht zeigt, dass ein Zusammenhang zwischen Parodontitis und koronarer Herzkrankheit besteht, und Menschen mit Parodontitis viele kardiovaskuläre Risikofaktoren teilen. Es ist wichtig, sich dieses Zusammenhangs bewusst zu sein und zu betonen, dass die Bekämpfung von Risikofaktoren wie Rauchen oder falsche Ernährung gerade bei Menschen mit Parodontitis einen erheblichen Einfluss auf das kardiovaskuläre Risiko hat.“

Burkert Pieske, Professor und Kardiologie-Chefarzt an der Charité und am Deutschen Herzzentum Berlin sowie am Berlin Institute of Health

Die Empfehlungen zu Parodontitis und Herz-Kreislauf-Erkrankungen beinhalten unter anderem:

  • Patienten mit Parodontitis sollten darauf hingewiesen werden, dass sie ein höheres Risiko haben, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen – einschließlich Herzinfarkt und Schlaganfall – zu erkranken.

  • Ihnen sollte deshalb in der ärztlichen und in der zahnärztlichen Praxis geraten werden, aktiv mit Risikofaktoren umzugehen (wie Rauchen, Bewegungsmangel, Übergewicht, Bluthochdruck, Ernährung mit hohem Gehalt an gesättigten Fetten und raffiniertem Zucker).

  • Patienten, die sowohl an Parodontitis als auch an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung leiden, sollten in der ärztlichen und in der zahnärztlichen Praxis darüber informiert werden, dass sie ein höheres Risiko haben, spätere kardiovaskuläre Komplikationen zu erleiden, und dass sie sich daher unbedingt an die empfohlenen zahnärztlichen Maßnahmen zur Prävention, Behandlung und Nachsorge halten sollten.

Fotostatus eines 66-Järigen Patienten

Diagnose: Bluthochdruck, Diabetes mellitus Typ 2, Apoplex und Parodontitis (Stadium IV Grad C). Auf welche Weise hat die Parodontitis den Krankheitsverlauf negativ beeinflusst? Wie gehe ich als zahnärztlicher Behandler mit den Medikamenten um, die der Patient zu sich nimmt? Kann eine PAR-Therapie eine günstige Auswirkung auf die vaskuläre Situation des Patienten haben? Diese und weitere Fragen rund um die interdisziplinären Kontexte von Parodontologie und Kardiologie werden die Autoren ausführlich in einem zm-Fortbildungsbeitrag im September behandeln.

Ausblick

Die EFP wird nun eine Kampagne zur Parodontal- und Herz-Kreislauf-Gesundheit ins Leben rufen, mit der spezifische Aufklärungs- und Informationsmaterialien für Zahnärzte, Ärzte und Patienten bereitgestellt werden. Die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO), die zu dieser Thematik bereits viele Initiativen wie Kongressveranstaltungen und auch parlamentarische Abende mit Gesundheitspolitikern durchgeführt hat, wird die Kampagne in Deutschland begleiten.

Univ.-Prof. Dr. med. Dent. Dr. Med. Søren Jepsen, M.S.

Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Universitätsklinikum Bonn, Direktor der Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde

Welschnonnenstr.17, 53111 Bonn

sjepsen@uni-bonn.de

Univ.-Prof. Dr. med. Dent. Henrik Dommisch

Centrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Charité – Universitätsmedizin Berlin,Direktor der Abteilung für Parodontologie und Synoptische Zahnmedizin

Aßmannshauser Str. 4–6, 14197 Berlin

henrik.dommisch@charite.de

Univ.- Prof. Dr. med. Burkert Pieske

Direktor der Klinik für Innere Medizin mit Schwerpunkt Kardiologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow Klinikum und Klinik für Innere Medizin und Kardiologie, Deutsches Herzzentrum Berlin

Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin

burkert.pieske@charite.de

Konsensusbericht: Mariano Sanz, Alvaro Marco del Castillo, Søren Jepsen, Jose R. Gonzalez-Juanatey, Francesco D’Aiuto, Philippe Bouchard, Iain Chapple, Thomas Dietrich, Israel Gotsman, Filippo Graziani, David Herrera, Bruno Loos, Phoebus Madianos, Jean-Baptiste Michel, Pablo Perel, Burkert Pieske, Lior Shapira, Michael Shechter, Maurizio Tonetti, Charalambos Vlachopoulos, Gernot Wimmer. (2020) Periodontitis and cardiovascular diseases: Consensus report, Journal of Clinical Periodontology, Volume 47, Issue 3, Pages: 267–403, March 2020Der Konsensusbericht ist im Internet unter Open Access-Lizenz frei zugänglich: <link url="https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/jcpe.13189" import_url="https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/jcpe.13189 - external-link-new-window" follow="follow" seo-title="" target="new-window">onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/jcpe.13189

Univ.-Prof. Dr. med. dent. Dr. med. Søren Jepsen

Direktor der Poliklinik für
Parodontologie, Zahnerhaltung und
Präventive Zahnheilkunde,
Zentrum für Zahn-, Mund- und Kiefer-
heilkunde, Universitätsklinikum Bonn
Welschnonnenstr. 17, 53111 Bonn

Prof. Dr. med. dent. Henrik Dommisch

Direktor der Abteilung für Parodontologie und Synoptische Zahnmedizin

CharitéCentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Aßmannshauser Str. 4–6,
14197 Berlin
1996 bis 2002 Studium der Zahnmedizin an der Universität Kiel, 2002 Approbation, 2004 Promotion, 2008 Habilitation, Venia legendi an der Universität Bonn. Seit 2002 angestellt als Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und Präventive ZHK in Bonn, 2006 bis 2007 Postdoctoral Fellowship am Department of Oral Biology University of Washington (Seattle), seit 2007 Affiliate Assistant Professor, Department of Oral Health Sciences, University of Washington (Seattle), seit 2013 dort Affiliate Associate Professor, 2010 bis 2014 OA in der Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und Präventive ZHK in Bonn, seit 2014 Leiter der Abteilung für Parodontologie und Synoptische Zahnmedizin an der Charité. Spezialisierungen: 2010 Spezialist für Parodontologie® der DGP, 2013 Spezialist für Endodontologie der DG Endo und Zahnärztliche Traumatologie\r\n

Univ.- Prof. Burkert Pieske

Direktor der \r\nKlinik für Innere Medizin mit Schwerpunkt Kardiologie, Charité – \r\nUniversitätsmedizin Berlin, Campus Virchow Klinikum und Klinik für \r\nInnere Medizin und Kardiologie, Deutsches Herzzentrum Berlin
Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin

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