Öffentlicher Gesundheitsdienst

Comeback eines Kaputtgesparten

Lange Jahre wurde der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) nahezu unbemerkt kaputtgespart. Personalmangel und schlechte Ausstattung sind die Folge. Mit dem Virusausbruch entdeckte die Politik plötzlich den ÖGD und seine Rolle: die Bekämpfung der Pandemie vor Ort. Doch wie baut man den bis dato völlig vernachlässigten Dienst auf die Schnelle wieder auf?

Im Konjunkturpaket der Bundesregierung vom 3. Juni zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie wurde auch der „Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“ beschlossen. Insgesamt vier Milliarden Euro will der Bund für den ÖGD in den kommenden fünf Jahren aus-geben. Die Gesundheitsministerkonferenz der Länder (GMK) soll bis zum 30. August einen Entwurf erarbeiten, der Bund, Länder und kommunale Träger einbindet. Im Vordergrund stehen eine personelle Verstärkung sowie die bessere technische und digitale Ausstattung der Gesundheitsämter. Es geht darum, die Pläne konkret in Bund- und Ländergesetze zu gießen und darauf zu achten, dass die Mittel in Städten, Gemeinden und in den Gesundheitsämtern vor Ort auch tatsächlich ankommen.

BÄK fordert Personaloffensive

Die Bundesärztekammer (BÄK) drängt auf eine Personaloffensive für den ÖGD mit einer zwingend verbesserten technischen und personellen Ausstattung. Die BÄK hat ihre Forderungen in einem Positionspapier veröffentlicht und gegenüber Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und der Politik in einem Schreiben untermauert. Zu den Forderungen gehören vor allem ein arztspezifischer Tarifvertrag, Maßnahmen zur Gewinnung ärztlichen Nachwuchses, eine zügige Bereitstellung der Finanzmittel aus dem Pakt für den ÖGD, persönliche Schutzausrüstung und eine Beschleunigung bei den Meldeverfahren.

„Den Worten müssen nun Taten folgen“, fordert der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) und legte einen Zehn-Punkte-Plan zur nachhaltigen Stärkung des ÖGD vor. Zentraler Punkt ist für den Verband die Aufstockung des Personals in den Gesundheitsämtern, sagte die BVÖGD-Vorsitzende Dr. Ute Teichert den zm. Hierfür sind nach ihrer Einschätzung bundesweit mehr als 10.000 neue Stellen für Fachkräfte erforderlich.

Das Personal muss auch adäquat bezahlt werden

Teichert: „Es geht ja nicht nur darum, Stellen zu schaffen. Wenn sich herausstellt, dass diese Stellen unattraktiv sind, dann werden wir – wie jetzt auch schon – weiterhin Probleme haben.“ Die Krux dabei: Der Bund will den ÖGD personell stärken, die Stellen in den Gesundheitsämtern werden jedoch von den Kommunen bezahlt. „Die stellen sich jedoch oft quer“, so Teicherts Erfahrung. Zur Personal-gewinnung fordert der BVÖGD schon seit Langem eine den Krankenhaustarifen gleichgestellte Bezahlung der Ärztinnen und Ärzte in den Gesundheitsämtern. Dies werde aber seit Jahren von der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) blockiert, berichtet Teichert.

So viel Geld wie gerade ist noch nie geflossen

Ob die im Pakt vorgesehenen Maßnahmen ausreichen, um den ÖGD nachhaltig zu stärken, ist für Teichert im Moment schwer abzuschätzen. So viel Geld wie jetzt sei noch nie in den Bereich geflossen, sagte sie. Neben personeller Aufstockung seien auf jeden Fall auch strukturelle Veränderungen notwendig. Fehlendes verzahntes Vorgehen mit anderen Ämtern und Gesundheitsämtern vor Ort sei beispielsweise oft ein Problem. Unerlässlich sei aber auch die Koordination auf Bundesebene. Teichert: „Wir brauchen dringend ein Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit.“

Das schlägt der BVÖGD vor

Das Zehn-Punkte Programm des BVÖGD zur Stärkung des ÖGD:

  1. Dauerhafte Personalaufstockung in allen Bereichen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene mit qualifiziertem Fachpersonal sowie Bestandsaufnahme und Analyse der aktuellen Situation des ÖGD

  2. Tarifangleichung der ärztlichen Gehälter im ÖGD

  3. Neues Förderprogramm zur technischen und digitalen Aufrüstung

  4. Kommunikationsverbesserung im ÖGD

  5. Neue Konzepte zur Stärkung des ÖGD über alle Ebenen (Bund, Ländern und Gemeinden)

  6. Deutliche Steigerung der Ausbildungskapazitäten sowie der Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten im ÖGD

  7. Schaffung von Lehrstühlen und Stärkung der wissenschaftlichen Grundlage für das Öffentliche Gesundheitswesen

  8. Feste Verankerung bevölkerungsmedizinischer Lehrinhalte im Medizinstudium

  9. Möglichkeit zur Famulatur und zum Praktischem Jahr im ÖGD als Teile des Medizinstudiums durch Änderung der Approbationsordnung

  10. Berücksichtigung des ÖGD bei der Planung der medizinischen Versorgung auf kommunaler und regionaler Ebene

Alles wurde herunter gespart

Für den Bundesverband der Zahnärztinnen und Zahnärzte (BZÖG) ist das Maßnahmenpaket der Bundesregierung ein positives Signal. „Allerdings kann dies nur ein erster Schritt sein“, sagte der 1. Vorsitzende des Verbandes, Dr. Michael Schäfer, den zm. „Denn neben dem jetzt ganz akut wichtigen Bereich des Infektionsschutzes müssen weitere bevölkerungsbezogene Themen wie Prävention und Gesundheitsförderung, die gemeindepsychiatrische Versorgung der Bevölkerung sowie Gesundheitsberichterstattung und gesundheitliche Chancengleichheit einen ebenso großen Stellenwert erlangen und gleichwertig personell, digital und finanziell gefördert werden. Alles wurde herunter gespart.“

Zurück zur Normalität geht nur mit dem ÖGD

Teichert ergänzt: „Wir weisen schon seit Jahren darauf hin, dass dieser Zweig völlig unterbesetzt ist, zum Beispiel auch im zahnärztlichen Bereich. Es gibt jede Menge Aufgaben, die über Jahre hinweg abgebaut und liegengebleiben sind. Hygiene, Infektionsschutz, zahnärztlicher Dienst ... alles heruntergespart!“

Wenn die Bevölkerung nach dem Lockdown jetzt zu einer neuen Normalität zurückkehren soll, werde der ÖGD stark involviert sein, machte Schäfer klar. Derzeit müssten die Gesundheitsämter binnen kürzester Zeit Umbauprozesse steuern und durchführen, die sonst Jahre dauerten. Dazu gehörten die Personalaufstockung mithilfe anderer Verwaltungseinheiten, die Entwicklung und Durchführung von Teststrategien – beispielsweise in Alten- und Pflegeeinrichtungen, Flüchtlings- und Obdachlosenunterkünften – sowie der Aufbau von „Abstrichzentren“ für die Bevölkerung. Versteht sich von selbst, dass alle Maßnahmen in der Kontaktpersonennachverfolgung stringent ablaufen müssen, um Infektionsketten zu unterbinden.

Für eine zweite Welle muss man sich jetzt wappnen

Wichtig sei auch, das nahende Ende der Sommerferien und damit die Rückkehr von Schulkindern und Kita-Kindern in den Einrichtungen zu bedenken, betonte Schäfer. Bis dann müssten nämlich die hierzu nötigen Maßnahmen stehen.
BZÖG-Vorsitzender

Alles muss mit sehr wenig neuem Personal erarbeitet werden – und dass dieses Personal oft schon nahezu fünf Monate im Dauereinsatz ist, macht es umso schwieriger.

Dr. Michael Schäfer, BZÖG-Vorsitzender

Schäfer: „Dass dies eine gigantische Aufgabe ist, kann ein Außenstehender nur erahnen. Diese Bedingungen müssen jedoch erfüllt sein, bevor nach meinem Dafürhalten an eine Rückkehr zur Normalität gedacht werden kann.“

Und wie sind die Gesundheitsämter aufgestellt, falls eine zweite Pandemiewelle anrollen sollte? „Für diesen Fall muss man jetzt vorsorgen,“ sagte Teichert. „Gebraucht werden Personal, Räume oder Schutzkleidung, den Bedarf kann man jetzt vernünftig planen. Das Gleiche gilt auch dann, wenn ein Impfstoff kommt. Wer wird wann und wo geimpft? Darauf kann man sich gut vorbereiten.“ Nötig dafür ist für Teichert eine Unterstützung durch die Bundesebene: „Wir brauchen zentrale Zuständigkeiten für all diese Themen, wir müssen Kompetenzen und Ressourcen bündeln.“

Arbeit unter suboptimalen Bedingungen

Nicht wenige Gesundheitsämter versuchen derzeit übergeordnete Aufbau- und Ablaufpläne inklusive Aufgabenzuweisungen zu erstellen, berichtete Schäfer. Es werden Verantwortlichkeiten je Organisations- und Prozesseinheiten festgelegt und Führungskonzepte erarbeitet. Außerdem will man vor einer möglichen zweiten Pandemiewelle die digitalen Abläufe systematisch verschlanken, um Medien- und Prozessbrüche zu vermeiden.

Schäfer forderte dazu die Einführung eines digitalen standardisierten Quarantäne-Managements, das auch ein Kontaktpersonennachverfolgungssystem (Kona) beinhaltet. „Gerade dem letzteren wird eine erhebliche Bedeutung zukommen, denn die gezielte Kona dient der Verminderung der Infektionsausbreitung,“ veranschaulicht er. 

Gruppenprophylaxe in der Corona-Krise

„Zahnmedizinische Gruppenprophylaxe lebt von der Interaktion mit der Zielgruppe, der Nachahmung, dem Vorbild und dem Ritual. Dies findet vereinzelt wieder statt. Hier kommt einem momentan die wärmere Jahreszeit zugute. Im Freien, bei guter Durchlüftung und unter weiteren Schutzmaßnahmen findet zahnmedizinische Gruppenprophylaxe statt.

Die Hygienekonzepte der einzelnen Einrichtungsträger haben sich der „neuen Normalität“ angepasst, wurden abgestimmt und gemäß der existierenden Schutzverordnungen für gut befunden, so dass mit mehr Abstand und Schutzmaßnahmen wie zum Beispiel einem Visier gearbeitet werden kann. Ich erwarte aber zu weiteren Details die Ergebnisse von Studien in den Kitas und Schulen ab, aus denen hoffentlich konkrete Hilfestellungen hinsichtlich Risiken und Lösungen abgeleitet werden können. Wir dürfen nicht vergessen, dass es sich bei der SARS-CoV-2-Infektion um eine systemische Erkrankung mit erheblichen Folgewirkungen handelt. Ich empfehle deswegen bei der Aufnahme der Tätigkeiten im Rahmen der Zahnmedizinischen Gruppenprophylaxe die Einbindung des betriebsärztlichen Dienstes, der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes (Infektionsschutz).“

Dr. Michael Schäfer

„Das zeitnahe Zugehen auf mögliche Virusträger kann dazu führen, dass nur noch regional oder gar lokal eine Reduktion des öffentlichen Lebens notwendig wird. Dass dies möglich ist, zeigen die zurückliegenden regional aufgeflammten Infektionsgeschehen. Dies alles muss mit sehr wenig neuem Personal erarbeitet werden – und dass dieses Personal oft schon nahezu fünf Monate im Dauereinsatz ist, macht es umso schwieriger.“

Die Wertschätzung ist gestiegen

Die Pandemie hat bisher aber auch gezeigt, dass der Öffentliche Gesundheitsdienst an vielen Stellen gute Arbeit geleistet hat. Teichert: „Einzelne Gesundheitsämter vor Ort haben sich mit den wesentlichen Akteuren vernetzt – je nach lokalen Gegebenheiten zum Beispiel mit niedergelassenen Ärzten, Feuerwehr oder dem notärztlicher Dienst.“ Als positiv stellte Teichert auch die gestiegene Wertschätzung und das Verständnis für die Arbeit der Gesundheitsämter vor Ort in der Öffentlichkeit heraus: „Hier haben wir einen großen Schritt nach vorne gemacht.“

Die BZÄK hat sich seit Jahren dafür eingesetzt, dass der ÖGD nicht nur erhalten sondern auch die personellen Kompetenzen insbesondere in den vor Ort vorhandenen Strukturen ausgebaut werden müssen. (...) Hätte man bereits damals darauf gehört, wären mehr Ressourcen erhalten geblieben.

Prof. Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer.

Schäfer hebt den „Team Spirit“ der Akteure hervor: „Die Organisation des Ablaufs – angefangen von den Abstrichen bei den Patienten, den Proben- und Datentransfers an die Labore, der Befundübermittlung, der Kontaktaufnahme bei positivem oder negativem Testergebnis, bis hin zur Kontaktwahrung bei positiv getesteten Personen inclusive der sogenannten Ordnungsverfügungen – all das klappt sehr gut. Über allem hat sich das Gefühl breit gemacht, dass man die Pandemie „schaffen“ kann.“

Das Gefühl, man kann die Pandiemie schaffen

Aber es gibt auch Schattenseiten. Teichert nennt den eklatanten Mangel an Material und Schutzausrüstung am Anfang der Pandemie. Und Schäfer verweist auf weitere organisatorische Schwachstellen: „Die Anzahl der Datenbänke ist zu groß. Auch die Anzahl der Stellen, die diese Daten bearbeitet, sollte reduziert werden. Die Landeshauptstadt Düsseldorf erarbeitet zum Beispiel eine detaillierte Matrix für den künftigen Krisenmanagement-Prozess hinsichtlich der Tätigkeit und Verantwortlichkeiten je Organisationseinheit aus.“

Technische Ausstattung wird dringend benötigt

Die Gesundheitsämter benötigten bundesweit eine ausreichende technische Ausstattung, fasste Teichert die Probleme zusammen. Deshalb begrüße der BVÖGD ausdrücklich, dass auch hier in dem Pakt für zusätzliche Mittel bereitgestellt werden sollen. Und die in den Gesundheitsämtern beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssten auch entsprechend aus- und fortgebildet werden: „Auch hierfür sind Kapazitäten einzuplanen.“

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