Aus der Wissenschaft

Frühe radiologische Anzeichen für eine medikamentenassoziierte Kiefernekrose

Peer W. Kämmerer
Gibt es bei Patienten unter antiresoptiver Medikation Veränderungen in der Knochenstruktur, die bereits vor einer Diagnose Hinweise auf die Entwicklung einer medikamentenassoziierten Kiefernekrose geben und in Bildgebungs-verfahren erkannt werden können? Dieser Frage ging ein Team der Universitäten Leuven und Sao Paulo nach.

Antiresorptive Medikamente wie Bisphosphonate oder anti-RANKL-Antikörper werden häufig bei der Osteoporosetherapie eingesetzt, aber auch bei der Osteodystrophia deformans (Morbus Paget), der Hyperkalzämie oder beim multiplen Myelom sowie bei Patienten mit Knochenmetastasen zur Reduktion des durch Osteoklasten vermittelten Knochenabbaus. Im Kieferbereich stellt die Entwicklung einer medikamentenassoziierten Kiefernekrose (MRONJ) oft eine Nebenwirkung der antiresorptiven Medikation dar. Zur Diagnose müssen drei Kriterien zutreffen:

  • exponierter/sondierbarer Knochen über mehr als acht Wochen,

  • aktuelle oder frühere Einnahme antiresorptiver Medikamente,

  • Abwesenheit einer Bestrahlung und offensichtlicher Metastasierung im Kopf-Hals-Bereich.

Das Stadium 0 der MRONJ beschreibt ein Frühstadium der Erkrankung, in dem noch kein freiliegender Knochen sichtbar ist, aber unspezifische Symptome wie Schmerzen und neurosensorische Veränderungen bestehen. Radiologisch liegen hier bereits Veränderungen der Kiefer-knochenstruktur vor.

In ihrer systematischen Literaturübersicht untersuchte die Gruppe um Prof. Dr. Reinhilde Jacobs, ob Bildgebungsverfahren in der Lage sind, solche knöchernen Veränderungen bei Risikopatienten und Patienten im Stadium 0 zu detektieren beziehungsweise festzustellen, welche Veränderungen bei diesem Kollektiv überhaupt vorliegen. Die Frage war auch, wann es zu den ossären Auffälligkeiten kommt, ob eine Assoziation zwischen Knochenveränderungen und Art/Dosis der anti-resorptiven Medikation besteht und ob ein Zusammenhang zwischen ossären Veränderungen und der späteren Entwicklung einer MRONJ besteht. Dazu wurden aus 1.188 Artikeln 42 (39 Studien an Menschen und acht an Tieren) extrahiert und quantitativ ausgewertet.

Im Ergebnis wies die Knochenszintigrafie eine höhere Traceraufnahme in Arealen auf, an denen sich später eine MRONJ entwickelte. Bei Patienten im Stadium 0 zeigte sowohl die 2-D- als auch die 3-D-Bildgebung Sklerosierungen, Veränderungen in der trabekulären Ausrichtung, Osteolysen, fleckig erscheinende Knochenstrukturen, eine verdickte Lamina dura, persistierende Extraktionsalveolen und Veränderungen um den Canalis mandibularis. Die 3-D-Bildgebung konnte periradikuläre Radioluzenzen, kraterartige Defekte, eine verdickte mandibuläre Kortikalis, Knochensequester und Unregelmäßigkeiten in der ossären Kortikalis besser darstellen. Die Frage nach dem Zeitpunkt des Beginns der Knochenveränderungen beantwortete die Literatur nicht. Eine Assoziation zwischen Knochenveränderungen und Art/Dosis der antiresorptiven Medikation ließ sich ebenso wenig wie der Zusammenhang zwischen den knöchernen Veränderungen und der Entwicklung einer MRONJ bei Risikopatienten und Patienten im Stadium 0 aus Einzelstudien nachweisen.

Zusammengefasst verändert die Einnahme antiresorptiver Medikamente radiologisch erkennbar die Kieferknochenstruktur, wobei Sklerosierungen am häufigsten zu finden sind. Die umfangreiche Arbeit unterstreicht die Notwendigkeit, bei Patienten unter antiresorptiver Medikation – am besten vor der ersten Einnahme und vor einer zahnärztlichen Behandlung – eine radiologische Basisuntersuchung im Kieferbereich durchzuführen, die im Verlauf als Grundlage für die Nachsorge dienen kann.

Moreno-Rabié, C., Gaêta-Araujo, H., Oliveira-Santos, C., Politis, C., Jacobs, R., Early imaging signs of the use of antiresorptive medication and MRONJ: a systematic review. Clin Oral Invest (2020). doi.org/10.1007/s00784–020–03423–0

Univ.-Prof. Dr. Dr. Peer W. Kämmerer

Leitender Oberarzt/
Stellvertr. Klinikdirektor
Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer-
und Gesichtschirurgie – Plastische
Operationen, Universitätsmedizin Mainz
Augustusplatz 2, 55131 Mainz

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