S3-Leitlinie der EFP

Behandlung der Parodontitis der Stadien I-III

Søren Jepsen
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Bettina Dannewitz
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Moritz Kebschull
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Moritz Kebschull
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Moritz Kebschull
Im Juli 2020 ist eine der zweifellos wichtigsten zahnmedizinischen Publikationen des Jahres erschienen. Erstmals hat die European Federation of Periodontology (EFP), der alle europäischen parodontologischen wissenschaftlichen Fachgesellschaften angehören, unter maßgeblicher Beteiligung deutscher Experten eine umfangreiche S3-Leitlinie zur Therapie der Volkskrankheit Parodontitis veröffentlicht.

 Die insgesamt 62 Behandlungsempfehlungen, die die gesamte Therapiestrecke der Parodontitis abbilden, wurden zusammen mit der ihnen zugrunde liegenden Evidenz aus 15 systematischen Reviews im Juli 2020 in einer frei zugänglichen Sonderausgabe der international hoch angesehenen Fachzeitschrift Journal of Clinical Periodontology veröffentlicht. Es ist zu erwarten, dass diese Therapieempfehlungen in der Zukunft Zahnmedizinern weltweit eine maßgebliche Hilfe bei der Therapieentscheidung zur bestmöglichen Versorgung parodontal erkrankter Patienten in den Praxen sein werden.

Bereits bei der Entwicklung der Neuen Klassifikation parodontaler und periimplantärer Erkrankungen im Jahr 2017/2018 (zm 11/2019, 12/2019, 13/2019, 14/2019) hatte das Workshop Committee der EFP (Sanz, Berglundh, Chapple, Jepsen, Tonetti) den Beschluss gefasst, in einem nächsten Schritt an dieser Klassifikation und dem Schweregrad beziehungsweise der Komplexität der Parodontitis ausgerichtete evidenzbasierte Therapieempfehlungen und einen therapeutischen Stufenplan zu entwickeln. Hier half die Vorarbeit der DG PARO, die zur selben Zeit schon vier Leitlinien auf dem höchsten S3-Qualitätsniveau nach AWMF-Verfahren erarbeitet hatte. Auf Anregung der deutschen Mitglieder des Workshop Committees (Jepsen und Kebschull) beschloss die EFP diesem Verfahren zu folgen.Anfang 2019 begann dieser aufwendige Prozess.

Unterstützt wurden die EFP und die Ko-Vorsitzenden der vier Arbeitsgruppen des Workshops dabei von Prof. Dr. Ina Kopp, einer deutschen AWMF-Expertin für Leitlinienentwicklung mit großer internationaler Erfahrung. Die Expertise deutscher Autoren (Dannewitz, Frankfurt; Dommisch, Berlin; Eickholz, Frankfurt; Kitzmann, Hamburg; Jepsen, Bonn; Wölber, Freiburg) floss dabei in vier der 15 systematischen Übersichten ein. Begleitend wurde ein therapeutischer Stufenplan konzipiert, wobei die Stufen 1 (Kontrolle des supragingivalen Biofilms und der Risikofaktoren) und 2 (subgingivale Instrumentierung) grundsätzlich alle Parodontitis-Patienten durchlaufen. Die Stufe 3 (chirurgische Therapie) wird bei denjenigen Patienten relevant, die bei der Re-Evaluation noch residuale pathologische Taschen zum Beispiel mit Vertikal- und Furkationsdefekten aufweisen. Es wurden therapeutische Endpunkte definiert, die erreicht sein sollten, bevor der Patient sodann in Stufe 4 in die unterstützende PAR-Therapie (UPT) übernommen wird.

Im November 2019 fand dann der Leitlinien-Workshop in Spanien statt, auf dem 90 Experten aus 19 Ländern (Abbildung 1) – darunter auch Vertreter europäischer Fachgesellschaften aus anderen Bereichen der Zahnmedizin (Endodontologie, Konservierende Zahnheilkunde und Prothetik) – unter Moderation von Prof. Dr. Ina Kopp die Evidenz in einem streng regulierten Protokoll nach dem GRADE-Verfahren in Therapieempfehlungen umsetzten und diese dann im Konsensusverfahren abstimmten. Die Arbeitsgruppe 1 unter dem Vorsitz von Iain Chapple und Søren Jepsen bewertete unterschiedliche Methoden und Vorgehensweisen zur subgingivalen Instrumentierung sowie den Nutzen adjuvanter Verfahren. Die Arbeitsgruppe 2 unter dem Vorsitz von Mariano Sanz und Tord Berglundh konzentrierte sich auf die Bewertung von weitergehenden chirurgischen Therapieverfahren sowie auf die adjuvante lokale und systemische Antibiotikagabe. Die Arbeitsgruppe 3 unter dem Vorsitz von Maurizio Tonetti und Anton Sculean befasste sich mit der Entwicklung klinischer Therapieempfehlungen für die Behandlung von vertikalen und Furkationsdefekten mit resektiven oder regenerativen Ansätzen. Die Arbeitsgruppe 4 unter dem Vorsitz von David Herrera und Moritz Kebschull beschäftigte sich mit der Kontrolle des supragingivalen Biofilms und der Risikofaktoren in der ersten Therapiephase und in der unterstützenden Betreuung (UPT) des erfolgreich behandelten Parodontitis-Patienten.

Die Teilnehmer des Workshops gewichteten nicht nur die Stärke der Evidenz für die verschiedenen Behandlungen, sondern einigten sich auch auf ein Maß an Stärke für die Empfehlung dieser Interventionen unter Berücksichtigung anderer Aspekte, wie beispielsweise die Kohärenz der Evidenz, die klinische Relevanz der Ergebnisse, eine Nutzen-Schaden-Abwägung, ethische, rechtliche und wirtschaftliche Erwägungen, Patientenpräferenzen, Anwendbarkeit und Praktikabilität des Routineeinsatzes.

Insgesamt wurden 62 Empfehlungen für die gesamte Behandlungsstrecke der Stadien I-III der Parodontitis verabschiedet. Um nur einige wenige herauszugreifen: Die europäische Leitlinie sieht aus Gründen der global zunehmenden Resistenzentwicklungen einen sehr restriktiven Einsatz adjuvanter systemischer Antibiotika vor (Antibiotic Stewardship), von einem adjunktiven Einsatz von Lasern wird gegenwärtig abgeraten ebenso wie von der Verabreichung von adjunktiven Probiotika – die Evidenz ist nicht ausreichend oder widersprüchlich. Ein Grad-II- oder -III-Furkationsbefall ist kein Grund zur Zahnextraktion – klare Indikationen für regenerative, aber auch resektive Therapieverfahren wurden für diese Zähne definiert. Die große Bedeutung der UPT wurde hervorgehoben mit Intervallen zwischen drei und zwölf Monaten in Abhängigkeit vom individuellen Risikoprofil des Patienten und seinem Parodontalzustand bei Abschluss der aktiven Therapiephase, das heißt nach Therapiestufe 2 beziehungsweise 3.

Nun kann eine europäische Leitlinie ihre Wirkung nur entfalten, wenn sie auch auf nationaler Ebene verfügbar gemacht wird. So hat erfreulicherweise die DG PARO genauso wie die britische und die spanische Fachgesellschaft sehr frühzeitig den Prozess der nationalen Implementierung initiiert. Nach der Übersetzung der S3-Leitlinie ins Deutsche und der Einbeziehung einer großen Zahl (über 30!) von Vertretern anderer wissenschaftlicher Fachgesellschaften, der Standesorganisationen wie BZÄK und KZBV und von Patientengruppen wurden alle 62 Empfehlungen in langen Online-Konferenzen diskutiert, abgestimmt, zumeist adoptiert (übernommen) und einige auch adaptiert (geringfügig abgewandelt und an die deutschen Verhältnisse angepasst). Eine endgültige formale Zustimmung aller beteiligter Organisationen steht noch aus und wird für den Herbst erwartet. Die beiden deutschen S3-Leitlinien der DGPARO/DGZMK zur Prävention und Therapie der Gingivitis bleiben weiterhin gültig, allerdings werden die bisherigen S3-Leitlinien zur subgingivalen Instrumentierung und zur adjuvanten systemischen Antibiotikagabe dann ersetzt werden.

Therapieempfehlungen in Bezug auf Parodontitis im Stadium IV, gekennzeichnet durch umfangreiche Zahnverluste, mastikatorische Dysfunktion und/oder pathologische Zahnwanderung, was in der Regel eine sehr komplexe multidisziplinäre Therapie erfordert, werden im Mittelpunkt des nächsten EFP-Perio-Workshops im Juli 2021 stehen. Schon jetzt wird in der Vorbereitung die Evidenz hierzu in Zusammenarbeit mit internationalen Experten unter anderem aus Kieferorthopädie, Prothetik und Implantologie erarbeitet.

Univ.-Prof. Dr. Med. Dent. Dr. Med. Søren Jepsen, M.S.

Direktor der Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde

Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Universitätsklinikum Bonn,

Welschnonnenstr.17, 53111 Bonn

sjepsen@uni-bonn.de

Prof. Dr. Bettina Dannewitz

Gemeinschaftspraxis Dres. Dannewitz & Glass

Langgasse 36-38, 35781 WeilburgundPoliklinik für Parodontologie, Zentrum der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Carolinum), Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt am Main

Theodor-Stern-Kai 7, 60596 Frankfurt/Main

dannewitz@med.uni-frankfurt.de

Prof. Dr. Moritz Kebschull

Chair of Restorative Dentistry

The School of Dentistry, University of Birmingham

5 Mill Pool Way, Edgbaston Birmingham B5 7EG, England

moritz@kebschull.me

Sanz M, Herrera D, Kebschull M, Chapple ILC, Jepsen S, Berglundh T, Sculean A, Tonetti M. on behalf of the EFP Workshop Participants and Methodological Consultants. Treatment of stage I-III periodontitis – The EFP S3 level clinical practice guideline. J Clin Periodontol. 2020;47:4–60. Downloadlink:<link url="https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/jcpe.13290" import_url="https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/jcpe.13290 - external-link-new-window" follow="follow" seo-title="" target="new-window">doi.org/10.1111/jcpe.13290

Nach Abschluss des Prozesses der nationalen Implementierung der EFP-Empfehlungen in Deutschland werden die zm ausfürlich über die neue Leitlinie berichten.

Univ.-Prof. Dr. med. dent. Dr. med. Søren Jepsen

Direktor der Poliklinik für
Parodontologie, Zahnerhaltung und
Präventive Zahnheilkunde,
Zentrum für Zahn-, Mund- und Kiefer-
heilkunde, Universitätsklinikum Bonn
Welschnonnenstr. 17, 53111 Bonn

Dr. Bettina Dannewitz

Prof. Dr. Moritz Kebschull

Oberarzt
Chair of Restorative Dentistry
The School of Dentistry, University of Birmingham
5 Mill Pool Way, EdgbastonBirmingham B5 7EG, England

Prof. Dr. Moritz Kebschull

Chair of Restorative Dentistry
The School of Dentistry, University of Birmingham
5 Mill Pool Way, Edgbaston Birmingham B5 7EG, England

Prof. Dr. Moritz Kebschull

Chair of Restorative Dentistry
The School of Dentistry, University of Birmingham
5 Mill Pool Way, Edgbaston Birmingham B5 7EG, England

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