Editorial

Parlamente machen Gesetze

Die erneute Verschärfung der Corona-Pandemie hat in den vergangenen Wochen die Stärken und Schwächen des Föderalismus auf teilweise absurde Weise offengelegt. Oft stündlich änderten sich Verordnungen zur Bekämpfung der Krise; den Überblick zu behalten, was wo wann gilt, fällt auch genauen Beobachtern des politischen Geschehens inzwischen schwer. Rufe nach bundeseinheitlichen Regelungen wechselten sich mit der Forderung nach möglichst regionalen Vorgaben ab, um der Situation vor Ort besser gerecht werden zu können. Auf der anderen Seite wurden Verordnungen gleich reihenweise von den Gerichten wieder kassiert. Ob die von den Richtern getroffenen Entscheidungen dann auch dazu beitrugen, das Infektionsgeschehen besser einzudämmen, steht auf einem anderen Blatt. Die gute Nachricht: Der Rechtsstaat beziehungsweise die Gewaltenteilung funktioniert. Allen Unkenrufen selbst ernannter Untergangsapologeten zum Trotz.

Mitten in dieser Gemengelage hat nun aber das Bundesgesundheitsministerium (BMG) den Versuch unternommen, sich via Große Koalition von Union und SPD im Eilverfahren Sonderrechte in der Corona-Pandemie über den 31. März 2021 hinaus zukommen zu lassen. Eine entsprechende Vorlage eines Gesetzentwurfs zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite aus dem Haus von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn war zu Redaktionsschluss in die Abstimmung zwischen den Ministerien gegangen. Damit sollen dem BMG weitgehende Kompetenzen eingeräumt werden. Gemäß dem Entwurf soll Spahn eigenmächtig Verordnungen erlassen können, sofern dies „zum Schutz der Bevölkerung vor einer Gefährdung durch schwerwiegende übertragbare Krankheiten erforderlich ist“. Vorgesehen ist aber, dass der Bundestag diese Verordnungen ändern und aufheben kann.

Leider aus meiner Sicht ein falscher Ansatz. Gesetzgebung sollte grundsätzlich immer den parlamentarischen Weg gehen. Dass es in besonderen Zeiten Ausnahmen (!) geben kann und muss, sollte eben diese Regel bestätigen. In der Bundesrepublik wurde nach den furchtbaren Erfahrungen in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts aus gutem Grund ein klar ausbalanciertes System der Gewaltenteilung etabliert. Dieses System hat sich die vergangenen 75 Jahre bewährt – und zwar nicht nur in Schönwetterlagen. Natürlich ist die aktuelle Pandemie samt ihren Folgen beispiellos. Gleichwohl sollte man dies nicht zum Anlass nehmen, unser bewährtes Gesetzgebungsverfahren en passant aufzuweichen, um eine Komptenzverschiebung hin zur Regierung umzusetzen. Dass sich ein demokratisches System an die Erfordernisse der jeweiligen Zeit anpassen muss, steht außer Frage. Der eingangs erwähnte Föderalismus darf in einigen Bereichen durchaus als reformbedürftig gelten. Aber derartige Reformen sollten zu gegebener Zeit mit Ruhe und Augenmaß unter größtmöglicher Beteiligung der Parlamente umgesetzt und nicht aus der vermeintlichen Not heraus geboren werden.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Aus meiner Sicht ist die Gefahr, dass Jens Spahn die Gewaltenteilung aushebeln und sich durch Ermächtigungsgesetze an die Macht katapultieren will, recht überschaubar. Und der Wunsch nach größerer und schnellerer Handlungsfähigkeit seitens des BMG ist angesichts der Herausforderungen der Corona-Krise durchaus nachvollziehbar. Aber das darf nicht der Maßstab sein; dazu sind die Einschnitte in das Leben der Bevölkerung zu drastisch. Aus diesem Grund müssen die zur Bekämpfung der Pandemie getroffenen Maßnahmen ständig auf ihre Verhältnismäßigkeit in Abhängigkeit der zu erwartenden Wirkung überprüft werden – und dies muss auf breiter Basis in den Parlamenten geschehen. Andernfalls droht die immer noch sehr hohe Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger zu erodieren. Das wäre fatal. Daher ist es richtig, dass sich nun über Parteigrenzen hinweg deutlicher Unmut über die Verschiebungen von der Legislative zur Exekutive breit macht.

Sascha Rudat

Chefredakteur

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