Entwicklung in den USA

Amazon, Google und Apple gehen ins Krankenversicherungsgeschäft

Amazon, Google und Apple haben Millionen Kunden, genauso so viele Daten über diese und Vertriebsplattformen, um bequem und digital immer neue Gesundheitsprodukte zu verkaufen. Jüngste Investitionen und Partnerschaften legen nahe, dass die Technikriesen jetzt das Geschäft mit Lebens- und Krankenversicherungen wittern.

Insider horchten auf, als Ende August bekannt wurde, dass die Coefficient Insurance Company in den US-Krankenversicherungsmarkt einsteigt. Die Firma ist eine Tochter der Verily Life Sciences – und die wiederum eine Tochter des Google-Mutterkonzerns Alphabet Inc. Über den Umweg der Coefficient erwarb Google eine Minderheitsbeteiligung an der Swiss Re Corporate Solutions. Deren Geschäft: der Rückversicherungsmarkt, der US-Arbeitgeber vor unerwarteten und großen Krankenversicherungsansprüchen ihrer Beschäftigten schützt. Ein Markt, der auch durch Obamacare (siehe Kasten) auf 20 Milliarden US-Dollar pro Jahr gewachsen ist.

Coefficient werde „innovative Gesundheitstechnologielösungen mit neuartigen Versicherungs- und Zahlungs-modellen kombinieren“, teilten beide Unternehmen anschließend mit.

Google: Eine verzweigte Familie mit vielen Töchtern

„Die Arbeitgeber sind seit Jahren mit steigenden und zunehmend unvorhersehbaren Gesundheitskosten konfrontiert“, sagte Verily-Chef Andy Conrad. „Coefficient zielt darauf ab, blinde Flecken zu reduzieren und selbst-finanzierten Arbeitgebern bessere Kostenkontrollmechanismen zur Verfügung zu stellen.“ Im Laufe der Zeit wolle Coefficient „mobile Gesundheitsgeräte und innovative Pflegemanagementprogramme wie die virtuelle Onduo-Diabetes-Klinik“ integrieren.

 Onduo ist ein Joint Venture zwischen der Google-Tochter Verily und dem Arzneimittelhersteller Sanofi. Es wurde 2016 ausgegliedert, arbeitet mit großen US-Krankenversicherern wie Blue Cross Blue Shield zusammen und bietet ein virtuelles Pflegeprogramm mit Coaching-Tools für Typ-2-Diabetes-Patienten. Onduo ist auch Bestandteil einer neuen Lebensversicherung speziell für Diabetiker, die der US-Versicherer John Hancock Financial 2019 mit Verily Life Sciences eingeführt hat. Die Unternehmen wollen ihre Partnerschaft perspektivisch auch auf andere chronische Krankheiten wie Bluthochdruck oder Depressionen ausweiten, erklärte Conrad seinerzeit.

Die Demontage von Obamacare

Medienberichten zufolge stellen in den USA allein die mehr als 30 Millionen Diabetiker eine beträchtliche Marktchance für John Hancock und Verily – also Google – dar. Nach Angaben der US-Behörde CDC hat etwa die Hälfte der Diabetiker einen ungenügenden oder keinen Lebensversicherungsschutz. Diabetes ist die siebthäufigste Todesursache in den USA und wird jedes Jahr mehr als 1,5 Millionen Mal neu diagnostiziert.

John Hancock arbeitet aber auch mit anderen Techriesen zusammen, etwa in seinem „Vitality Program“. Seit 2019 belohnt das Unternehmen Lebensversicherungskunden für ihre Aktivitätsdaten mit der Apple Watch im vergünstigten 24-Monats-Abo. Das heißt, wer sich mehr bewegt und seine Daten mit dem Versicherer teilt, sammelt mehr Vitality Points und reduziert dadurch die monatlichen Kosten für seine Apple Watch. Faulere Kunden zahlen 25 US-Dollar pro Monat, wer regelmäßig mehr als 10.000 Schritte pro Tag sowie einen vordefinierten Kalorien-Schwellenwert von Apple Health schafft, kriegt die Uhr praktisch umsonst. Bonuspunkte sammeln ist auch mit anderen Fitnesstrackern möglich, etwa mit Modellen von Fitbit – der seit Ende 2019 zu Google gehört.

Hauptsache, die Daten fließen

Ab diesem Herbst können alle Kunden von John Hancock Vitality auch das Amazon Halo-Band mit dem Programm verknüpfen und so ihre Herzfrequenz, Schritte, Schlafdaten, Hauttemperatur und Emotionen mit dem Lebensversicherer teilen. Amazons Veröffentlichung der Funktion zur Emotionserfassung rief übrigens selbst in den USA Datenschützer auf den Plan. Das Tracking-Armband hat ein eingebautes Mikrofon, das die Stimme des Trägers beim Sprechen analysieren und so Emotionen erkennen soll.

Außerdem arbeitete Amazon mit sechs Gesundheitsorganisationen zusammen, damit Kunden mithilfe der Sprachassistentin Alexa datenschutzkonform Arztbesuche planen und Rezepte überprüfen können. Zudem besteht eine Kooperation mit dem US-Krankenversicherungsverbund Blue Cross Blue Shield, um das Angebot der 2018 gekauften Online-Apotheke PillPack in die gemeinsame App der 36 Krankenversicherer zu integrieren.

Darüber hinaus weitet Amazon offenbar auch seine Aktivitäten als Krankenversicherer aus: Für die 1,2 Millionen Mitarbeiter von Amazon, Berkshire Hathaway und J.P Morgan wurde im Januar 2018 das Gesundheitsportal Haven gegründet. Darüber bietet Amazon seinen Beschäftigten Telemedizin und Medikamentenlieferungen an. Es heißt, das Unternehmen wolle dieses Angebot auf die Verkäufer seiner Plattform ausweiten. Dafür spricht, dass im April 2020 rund 900.000 E-Commerce-Verkäufer in den USA angeschrieben und nach ihren Krankenversicherungsbedürfnissen befragt wurden.

Ein Großteil dieser Investitionen refinanziert Amazon Branchenkennern zufolge mit Gewinnen aus dem Cloud-Geschäft, IT-Diensten und Speicherplatz im Internet. Die Web-Plattform-Sparte AWS steigerte die Einnahmen 2019 um 40 Prozent auf 10 Milliarden Dollar. Am operativen Gewinn ist AWS mit fast einem Viertel beteiligt.

Doch auch AWS selbst könnte zukünftig im Gesundheitsbereich eine Rolle spielen – etwa bei der Verarbeitung von sensiblen Gesundheitsdaten. Mit Amazon Transcribe Medical bietet AWS seit 2019 einen Spracherkennungsservice an, der im Rahmen der Krankenhaus- und Praxisverwaltungssoftware Arzt-Patienten-Gespräche für die Dokumentation transkribiert. Die KI extrahiert aus diesen Gesprächen automatisch Diagnosen und gibt Abrechnungsempfehlungen. Im deutschsprachigen Raum ist die Technik noch nicht im Einsatz, aber über Rechen-zentren in London, Paris, Irland und Frankfurt am Main verfügbar. Kostenpunkt: 0,00125 US-Dollar pro Sekunde.

Einer Einschätzung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit ist die Nutzung hier aber nicht ohne Weiteres möglich. Denn laut Datenschutz-Grundverordnung haben Arzt und Zahnarzt sicherzustellen, dass Amazon-Mitarbeiter keinen Zugriff auf sensible Patientendaten erhalten und die Daten ausreichend verschlüsselt sind. Genau das will Amazon nach eigenen Angaben garantieren, ebenso eine plattformübergreifende Nutzung. Eingabegeräte für die Arzt-Patientengespräche könnten Computer, Tablets, Smartphones oder Watches mit Mikrofon sein.

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