Landesweite Querschnittsstudie

Psychische Auswirkungen der COVID-19- Pandemie auf Zahnmediziner

Welche psychische Belastung stellt die Corona-Krise für Zahnmedizinerinnen und Zahnmediziner in Deutschland dar? Beeinflusst sie deren Gefühlswelt? Unsere Studie ermittelte erstmals mögliche Folgen wie Angst, Stress und Depression innerhalb der Zahnärzteschaft.

Seit Januar 2020 bedroht COVID-19 weltweit die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschen. Von der chinesischen Stadt Wuhan aus breitete sich die Viruspandemie innerhalb weniger Monate international aus. Mit dem Anstieg der Infektionszahlen und den teilweise schweren Verläufen und Todesfällen nahmen Sorgen und Angst in der Öffentlichkeit zu.

Im Unterschied zur Allgemeinbevölkerung sind Beschäftigte im Gesundheitswesen aufgrund der direktenBehandlung infizierter Patienten und des damit verbundenen erhöhten Infektionsrisikos zusätzlichen psychischen Belastungen ausgesetzt. Dazu gehören die Angst vor der eigenen Infektion sowie vor einer ungewollten Übertragung des Virus, die Sorge von der Gesellschaft als potenzieller Virusträger diskriminiert zu werden wie auch die hohe Arbeits-belastung mit zum Teil geringen Mengen an Schutzausrüstung.

Wie in anderen Bereichen des Gesundheitswesens ist auch die Ausübung der zahnärztlichen Tätigkeit durch die Pandemie stark eingeschränkt. Zahnärztliche Behandlungen wurden aufgrund des hohen Risikos einer Kreuzinfektion verschoben und oft auf Notfallbehandlungen begrenzt, um die Möglichkeit einer Tröpfcheninfektion zu minimieren. Einige Praxen mussten zusätzlich Mitarbeiter entlassen oder deren Arbeitszeit reduzieren, um den finanziellen Einbußen während der Pandemie entgegenzuwirken.

Studien über die finanzielle Belastung des zahnärztlichen Personals in Deutschland wurden bereits während der COVID-19-Pandemie veröffentlicht. Ergänzend dazu wurden jetzt die COVID-19-bezogenen psychologischen Auswirkungen auf die Zahnärzteschaft in Deutschland untersucht.

Unsere Forschungsgruppe initiierte dazu eine Studie, deren Ergebnisse kürzlich im Journal of Clinical Medicine veröffentlicht wurden. Mittels einer deutschlandweiten Online-Befragung, an der Zahnmediziner/innen über fünf Monate anonym teilnehmen konnten, wurden anhand von „Impact of Event“-Skalen (IES-R) und Depressions-Angst-Stress-Skalen (DASS-21) die psychologischen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie erfasst und die damit assoziierten Faktoren auf deutsche Zahnärzte analysiert.

Material und Methoden

Mittels eines webbasierten Umfragetools wurde eine Online-Umfrage entwickelt, die allen Zahnärzten eine einfache und kontaktfreie Teilnahme ermöglichte. Nach positivem Ethikvotum der Universität Kiel wurde auf die Umfrage in zahlreichen zahnärztlichen sozialen Netzwerkgruppen, auf zahnärztlichen Portalen sowie in Magazinen und Verlagsangeboten aufmerksam gemacht. Zusätzlich erhielten Mitglieder verschiedener zahnärztlicher Fachgesellschaften in Deutschland per E-Mail eine Einladung zur Umfrage. Die Teilnahme war anonym und freiwillig. Die Daten wurden zwischen Juli 2020 und November 2020 erhoben.

Im ersten Teil wurden Informationen zu Alter, Geschlecht, Bundesland, Familienstand, Anzahl der Kinder, Arbeitsplatz, komorbiden Erkrankungen und Raucherstatus der Befragten abgefragt. Die Probanden wurden auch gefragt, ob sie die Pandemie als persönliche finanzielle Bedrohung wahrnehmen. Im zweiten Teil wurden die Teilnehmer entsprechend der validierten Depressions-Angst-Stress-Skala (DASS-21) und der revidierten „Impact of Event“-Skala (IES-R) untersucht. DASS-21 ist ein 21 Elemente umfassendes Selbstberichtsinstrument, das Depression, Angst und Stress bewertet. Jede Subskala enthält sieben Aussagen, die sich auf die Woche vor der Umfrage beziehen.

Die Teilnehmer wurden nun gebeten, die Aussagen emotional zu bewerten. Die Bewertungen wurden auf einer Reihe von 4-Punkte-Likert-Skalen von 0 bis 3 abgegeben. Die IES-R umfasst eine validierte 22-Punkte-Selbstbewertung mit der die durch traumatische Ereignisse ausgelöste psychische Belastung gemessen wird. Diese Bewertung umfasst drei Subskalen (Intrusion, Vermeidung und Übererregung), die enge Assoziationen zu Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung aufweisen. Die Befragten sollten nun die 22 Aussagen jeweils auf einer 4-Punkte-Likert-Skala bewerten. Höhere Punktzahlen bedeuten in beiden Skalensystemen eine erhöhte emotionale und psychische Belastung. Sowohl die IES-R- als auch die DASS-21-Skalen wurden in wissenschaftlichen Studien zur Untersuchung der psychologischen Folgen der COVID-19-Pandemie auf die allgemeine Bevölkerung anderer Nationen und deren Beschäftigte im Gesundheitswesen validiert und zeigten in ihrer deutschen Fassung ebenfalls eine gute Zuverlässigkeit.

Die Daten wurden deskriptiv analysiert und signifikante Zusammenhänge zwischen den DASS-21-/IES-R-Werten sowie den soziodemografischen Eigenschaften der Probanden mittels univariater Analyseverfahren ermittelt. Deren Einfluss wurde anschließend mit linearer Mehrfachregression genauer beschrieben. Das Signifikanzniveau war zuvor auf p < 0,05 festgelegt worden.

Ergebnisse

Insgesamt nahmen 732 Zahnärzte aus allen Bundesländern bis auf Bremen an der statistisch signifikanten Stichprobe teil, davon waren 59,7 Prozent weiblich, 40 Prozent männlich und 0,3 Prozent dritten Geschlechts. Über die Hälfte (53,3 Prozent) waren 18 bis 49 Jahre alt, fast ein Drittel 50 bis 59 und 15 Prozent über 60 Jahre alt. Die Mehrheit war verheiratet oder in einer eheähnlichen Beziehung (82,5 Prozent) und hatte Kinder (66,9 Prozent). Fast alle Befragten arbeiteten in Zahnarztpraxen (95,4 Prozent. 

Knapp zwei Drittel halten den COVID-19-Ausbruch für eine persönliche finanzielle Bedrohung (61,3 Prozent). Insgesamt zeigt sich ein normales psychologisches Verhalten mit leichter Belastung aufgrund der COVID-19-Pandemie. Frauen, in einer Zahnarztpraxis Tätige und Probanden mit systemischen Erkrankungen sowie Befragte, die COVID-19 als finanzielle Bedrohung betrachteten, hatten im Vergleich signifikant höhere DASS-21- und IES-R-Werte. Darüber hinaus zeigten die jüngste (18 bis 49 Jahre) und die älteste Gruppe (≥ 60 Jahre) signifikant niedrigere DASS-21- und IES-R-Werte im Vergleich zur Gruppe mittleren Alters (50 bis 59 Jahre).

Faktoren wie die Wahrnehmung der COVID-19-Pandemie als finanzielle Bedrohung, eine systemische Immunschwächekrankheit, das Geschlecht und das Alter haben somit Einfluss auf den psychischen Status der Zahnärzte (Abbildungen 1 und 2).

Mit 732 teilnehmenden Zahnärzten wies die Befragung eine statistisch signifikante Stichprobengröße auf. Die soziodemografischen Angaben zeigten eine analoge Geschlechterverteilung im Vergleich zur Zahnärztepopulation in Deutschland (60 bis 70 Prozent weiblich). Die Mehrheit war jünger als 50 Jahre und arbeitete in Zahnarztpraxen. Dies entspricht auch dem gemeldeten Durchschnittsalter (48 Jahre) und den beruflichen Merkmalen der Zahnärzte in Deutschland. Darüber hinaus fand sich eine Raucherquote von unter 10 Prozent.

Diskussion und Schlussfolgerung

Dies steht im Einklang mit Angaben aus vorhergehenden Studien zum Raucherverhalten innerhalb der zahnmedizinischen Berufe (5 bis 8 Prozent). Herz-Kreislauf-Erkrankungen wiesen mit einer Rate von 13,9 Prozent die häufigsten systemischen Erkrankungen bei den teilnehmenden Zahnärzten auf, was den Raten der deutschen Bevölkerung (10 bis 13 Prozent) entspricht.

In der Untersuchung zeigten sich insgesamt milde psychologische Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf deutsche Zahnärzte in Bezug auf Stresslevel, Angstzustände, Depressionen, Intrusion, Vermeidung und Übererregung. Entsprechend den unterschiedlichen Inzidenzraten von COVID-19-Erkrankten in den Bundesländern zeigten sich in mehreren Regionen (wie den südlichen Bundesländern) größere psychologische Auswirkungen. Ähnlich wie bei anderen internationalen psychologischen Untersuchungen zeigten Frauen in dieser Studie eine signifikant höhere psychische Belastung als Männer.

Dieser Effekt kann als Folge unterschiedlicher Bewältigungsstrategien erklärt werden. Die Untersuchung ergab auch, dass Probanden in einer ehelichen oder eheähnlichen Beziehung oder mit Kindern weniger psychisch belastet sind als andere Gruppen. Dies wurde bereits in anderen internationalen Studien beschrieben und könnte dadurch erklärt werden, dass familiäre Beziehungen soziale Unterstützung in schwierigen Situationen ermöglichen und somit die psychische Belastung verringern.

In der Umfrage zeigte sich ein wichtiger Zusammenhang zwischen der Altersgruppe und psychischen Belastung von Zahnärzten. So hatten die Befragten der jüngsten Altersgruppe (18 bis 49 Jahre) und der Gruppe über 60 Jahre insgesamt mildere DASS-21- und IES-R-Werte als die Gruppe mittleren Alters (50 bis 59 Jahre).

Ein Grund für die erhöhte psychische Belastung innerhalb der mittleren Altersgruppe könnte sein, dass diese laut Robert Koch-Institut ein erhöhtes Risiko für eine schwere Erkrankung aufweisen und gleichzeitig unternehmerische Verantwortung tragen. Außerdem könnten Ältere weitere gesundheitsbedingte altersabhängige Risikofaktoren haben, die die Wahrscheinlichkeit einer Infektion mit SARS-CoV-2 und einer gefährlichen, gesundheitlichen Komplikation erhöhen können. Interessanterweise zeigte die älteste Altersgruppe noch mildere DASS-21- und IES-R-Werte als die jüngsten Teilnehmer. Dies war eher unerwartet, da COVID-19-Infektionen in dieser Altersgruppe die höchste Morbidität und Mortalität aufweisen. Dazu lässt sich spekulieren, dass Menschen über 60 in ihrer Vergangenheit zahlreiche schwierige Lebensereignisse wie vergangene Pandemien (HIV) oder Finanzkrisen erlebt haben, die ihre psychologische Widerstandsfähigkeit erhöht haben könnten.

In dieser Untersuchung zeigten Zahnärzte mit chronischen Leber- oder Immunerkrankungen eine signifikant höhere psychische Belastung. Dies entspricht auch den Ergebnissen anderer Länder, in denen chronisch erkrankte Mitarbeiter der Gesundheitsberufe signifikant höhere Stress- und Angstwerte aufwiesen. Zusätzlich hatten Zahnärzte, die in Zahnarztpraxen arbeiten, signifikant höhere Stress-, Übererregungs- und Intrusionswerte als ihre Kollegen aus Universitätskliniken.

Diese Beobachtung könnte durch verschiedene Aspekte erklärt werden: Während die Arbeitszeit an Universitätskliniken normalerweise in Lehre, Forschung und Patientenbehandlung unterteilt ist, sind Zahnarztpraxen hauptsächlich auf die Patientenbehandlung ausgerichtet. Dies erhöht das Infektionsrisiko in Zahnarztpraxen und führt somit zu einer höheren psychologischen Belastung ihrer Mitarbeiter.

Ein anderer Faktor könnte die finanzielle Unsicherheit sein, die viele Praxen in der Pandemie belastet. Teilnehmer, die die Pandemie als finanzielle Bedrohung empfanden, zeigten in allen Bereichen eine signifikant höhere psychologische Belastung.

Die Kenntnisse über die psychische Verfassung von Zahnärzten als extrem exponierte Berufsgruppe während der COVID-19-Pandemie sind entscheidend, um negative Auswirkungen frühzeitig zu erfassen und rechtzeitig Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass insbesondere Zahnärztinnen sowie Zahnärzte im Alter zwischen 50 und 59 Jahren, die systemisch erkrankt sind und in einer Zahnarztpraxis arbeiten, während der aktuellen Pandemie eine erhöhte psychologische Belastung aufweisen.

Dr. Mohamed Mekhemar, M. SC.

Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie,
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel,
Arnold-Heller-Str. 3, 24105 Kiel
mekhemar@konspar.uni-kiel.de

Dr. Jonas Conrad, M. Sc.

Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie,
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel,
Arnold-Heller-Str. 3, 24105 Kiel
conrad@konspar.uni-kiel.de

Dr. Mohamed Mekhemar

Klinik für Zahnerhaltungskunde 
und Parodontologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Arnold-Heller-Str. 3, 24105 Kiel

Dr. Jonas Conrad

M. Sc.
Klinik für Zahnerhaltungskunde 
und Parodontologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Arnold-Heller-Str. 3, 24105 Kiel

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