Situation des Öffentlichen Gesundheitsdienstes

Noch immer schwach auf der Brust

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Ein finanziell, personell und technisch gut aufgestellter Öffentlicher Gesundheitsdienst (ÖGD) gilt als einer der Schlüssel zur Bewältigung der Corona-Krise. Praktisch gerieten die kaputtgesparten Gesundheitsämter im Zuge der Pandemie allerdings schnell an ihre Grenze. Bund und Länder hatten daher im September 2020 in einem Pakt entschieden, dem ÖGD finanziell unter die Arme zu greifen und diesen zu modernisieren. Eine Standortbestimmung.

4 Milliarden Euro stellt der Bund im „Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“ für Personal, Digitalisierung und moderne Strukturen den Gesundheitsämtern zur Verfügung, für die nächsten sechs Jahre. Davon sind 3,1 Milliarden Euro für die personelle Stärkung des ÖGD vorgesehen. Die Länder haben sich verpflichtet, bis Ende des Jahres 1.500 neue unbefristete Stellen für ärztliches, technisches oder nicht-technisches Verwaltungspersonal zu schaffen und zu besetzen. Bis Ende 2022 soll es weitere 3.500 Stellen geben. Für den digitalen Ausbau des ÖGD ist ein spezielles Förderprogramm des Bundes in Höhe von 800 Millionen Euro vorgesehen. Ziel ist ein „interoperabler Informationsaustausch über alle Ebenen des ÖGD hinweg“.

Die Bundesregierung hatte vor Kurzem auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen zum Stand der Umsetzung des Paktes geantwortet (Bundestags-Drucksache 19/28269 vom 6. April 2021). Fazit: Die Unterstützung sei gerade erst angelaufen – es bleibe noch viel zu tun. Der Pakt habe eine Laufzeit von 2021 bis 2026. Vorgesehen sei, dass Bund und Länder bis Ende 2022 einen gemeinsamen Zwischenbericht und bis Mitte 2027 einen finalen Bericht über die Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen vorlegen. 

Es fehlt das Personal

Inzwischen wächst der Druck in den Gesundheitsämtern beständig. Besonders kritisch ist der Personalmangel. Neben dem Pandemiemanagement bleibt keine Zeit mehr für die originären Aufgaben des ÖGD. Wie Dr. Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), immer wieder betont, ist die Lage sehr angespannt: Die Ämter arbeiteten über die Belastungsgrenze hinaus und die Situation werde sich bei Lockerungen der Corona-Maßnahmen noch verschärfen. Für Teichert ist eine personelle Aufstockung daher unerlässlich – und zwar so rasch wie möglich, dauerhaft, mit qualifiziertem Fachpersonal und mit arztspezifischen Tarifverträgen. Eine aktuelle Unterstützung bieten Studierende, die im Rahmen des Programms „Studis4ÖGD“ an die Ämter vermittelt werden. 

„Wir Zahnärzte fordern Berücksichtigung!“ 

„Die Zahnärztinnen und Zahnärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes haben von Beginn an bis heute in allen operativen, taktischen und strategischen Bereichen in den Gesundheitsämtern gearbeitet, die mit der Bewältigung der aktuellen Pandemie zu tun haben. Deswegen fordern wir eine deutliche und nachhaltige Berücksichtigung im Hinblick auf die Umsetzung des Pakts für den ÖGD ein, um den zukünftigen Aufgaben im Rahmen der aufsuchenden zahnärztlichen Betreuung in den Settings Kita und Schule flächendeckend nachkommen zu können.“

Dr. Michael Schäfer MPH, 1. Vorsitzender des Bundesverbands der Zahnärztinnen und Zahnärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BZÖG)

Das Personal der Gesundheitsämter ist vor allem beim Kontaktpersonen-Management stark involviert. Hinzu kommen die Einbindung der Ämter bei der Schließung öffentlicher Einrichtungen, die Beantwortung von Fragen rund um die Pandemie aus Fachwelt und Öffentlichkeit, die Mitarbeit in regionalen Krisenstäben, die Beratung von Behörden und die Koordination von Behandlungsmöglichkeiten in den Regionen. 

Die Software hakt

Eine weitere Herausforderung in den Ämtern: die bundeseinheitliche Kontaktnachverfolgung mithilfe der vom Bund bereitgestellten Software SORMAS. Am 30. März 2021 war SORMAS bei 318 Gesundheitsämtern im Einsatz, heißt es in der Antwort der Bundesregierung. Damit verfügten nunmehr 85 Prozent der Gesundheitsämter über die Möglichkeit, Fälle standardisiert zu bearbeiten. Doch auch hier hakt es im Detail. Teichert berichtet, dass etliche Gesundheitsämter in den ersten Monaten der Pandemie individuelle, eigene Software-Lösungen umgesetzt hätten. Jetzt müsse um-gerüstet werden, was zusätzliche Arbeit bedeute. 

Derweil werden auf Bundesebene die Aktivitäten zur Weiterentwicklung des ÖGD fortgeführt. Am 28. April hat sich der Beirat zur Beratung zukunftsfähiger Strukturen konstituiert. Vom Bundesgesundheitsministerium im Einvernehmen mit der Gesundheitsministerkonferenz berufen, soll dieser die Umsetzung der im Pakt vorgesehenen Maßnahmen begleiten. Erste Empfehlungen soll es Ende Oktober 2021 geben. Vorsitzende des Beirats ist Dr. Teichert.

„Wir sollten nicht abwarten, bis uns die nächste Pandemie trifft!“ 

„Die praktische Umsetzung des Pakts für den ÖGD muss dringend vorangetrieben und zusätzliches Fachpersonal in den Gesundheitsämtern eingestellt werden. Denn wir brauchen einerseits bei der Pandemiebekämpfung Verstärkung durch ausgebildetes Personal. Andererseits liegen weitere Tätigkeitsbereiche des Öffentlichen Gesundheitsdienstes infolge der Corona-Krise derzeit nahezu brach. Dazu zählen beispielsweise zahnärztliche Untersuchungen, die Trinkwasserüberwachung und aufsuchende Hilfen für psychisch kranke Menschen. Diese Aufgaben müssen wieder kontinuierlich wahrgenommen werden. Außerdem muss die Digitalisierung der Gesundheitsämter vorangetrieben werden. Dafür stehen ebenfalls Mittel aus dem ÖGD-Pakt bereit. Für einen zukunftsfähigen ÖGD ist aber bereits jetzt eine Aufstockung dieser Mittel erforderlich. Denn wir sollten nicht abwarten, bis uns die nächste Pandemie erneut im Stande einer unzureichend ausgestatteten bevölkerungsmedizinischen Versorgung trifft. Zu den notwendigen Maßnahmen gehört überdies eine Angleichung der Facharztgehälter im ÖGD, die derzeit rund 1.000 Euro unter denen etwa von Klinikärzten liegen. Den ÖGD stärken heißt auch, seine Attraktivität für den beruflichen Nachwuchs zu erhöhen.“

Dr. med. Ute Teichert, MPH, Direktorin der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen und Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst (BVÖGD)

Acht Forderungen zum ÖGD-Pakt 

Der Bundesverband der Zahnärztinnen und Zahnärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BZÖG) hat seine Forderungen zur Weiterentwicklung der Zahnärztlichen Dienste im ÖGD benannt.

Von den geplanten 5.000 zusätzlichen Stellen für den ÖGD sind mindestens fünf Prozent durch Zahnärztinnen und Zahnärzte zuzüglich Fachangestellte zu besetzen.

  • Tarifliche Gleichstellung mit den Ärztinnen und Ärzten im ÖGD

  • Stärkung der digitalen Strukturen und der IT-Ausstattung in den Zahnärztlichen Diensten

  • Ausbau der Gesundheitsberichterstattung auf kommunaler, Landes- und Bundesebene; personelle und finanzielle Ausstattung zur Umsetzung einer regelmäßigen Erfassung, Analyse und Publikation epidemiologischer Daten zur Zahngesundheit von Kindern und Jugendlichen

  • Ausbau der Kooperationen mit nichtzahnmedizinischen Professionen

  • bessere Kommunikation im ÖGD; stärkere Berücksichtigung der zahnärztlichen Expertise nicht nur bei der Planung der zahnmedizinischen Versorgung auf kommunaler und regionaler Ebene; zahnärztliche Kompetenz in Landes-und Bundesoberbehörden

  • Förderung neuer bevölkerungsbezogener Konzepte in Studium, Wissenschaft und Praxis im Bereich der zahnmedizinischen Prävention und Gesundheitsförderung

  • Stärkung der zahnmedizinisch-wissenschaftlichen Grundlage für das Öffentliche Gesundheitswesen; Lehrstuhl Dental Public Health

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