Interview mit Dr. Gudrun Rojas, Trägerin der Friedrich-Römer-Ehrenmedaille 2021

„'Kita mit Biss' ist heute ein etablierter Qualitätsstandard“

Dr. Gudrun Rojas, Leiterin des Zahnärztlichen Dienstes in Brandenburg an der Havel und Mitinitiatorin des Präventionsprogramms „Kita mit Biss“, wurde von der Aktion Zahnfreundlich mit der Friedrich-Römer-Ehrenmedaille ausgezeichnet. Im Gespräch hat sie uns mehr über die Ehrung, ihr berufliches Leben und ihr ehrenamtliches Engagement verraten.

Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie erfahren haben, dass die Aktion Zahnfreundlich e. V. Ihnen die Friedrich-Römer-Ehrenmedaille verleihen möchte? 

Dr. Gudrun Rojas: Mit der ersten Überraschung und der Freude über diese Ehrung waren sofort meine Erinnerungen an Herrn Römer verbunden. Er hat uns mit der Aktion Zahnfreundlich beim Aufbau und bei der Etablierung der Gruppenprophylaxe im Land Brandenburg begleitet. Ich erinnerte mich an viele motivierende Gespräche mit ihm, an seine Unterstützung bei Fortbildungsveranstaltungen, an unseren ersten Tag der Zahngesundheit 1991 und an seine Ermutigungen, über unsere Arbeit zu schreiben. Ich habe Herrn Römer viel zu verdanken. Deshalb hat es mich besonders berührt, mit „seiner“ Ehrenmedaille ausgezeichnet zu werden.

Corona-bedingt fand die Ehrung virtuell statt – eine besondere Preisverleihung?

Obwohl digitale Veranstaltungen inzwischen zum Alltag gehören, war es ein besonderes Erlebnis, die Auszeichnung virtuell entgegenzunehmen. Gefreut habe ich mich, dass ich nicht allein vor einem Bildschirm sitzen musste. Die Kolleginnen und Kollegen von Gesundheit Berlin-Brandenburg, insbesondere Frau Bels vom Büro der zahnärztlichen Gruppenprophylaxe, haben den Raum liebevoll dekoriert und waren – unter Wahrung der Abstände – live dabei.

Dass über 30 Teilnehmende bundesweit die Verleihung miterlebten, darunter viele Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter hat mich sehr gefreut. Auch Prof. Dr. Zimmer gehört zu diesem Kreis, wir kennen uns seit einer gemeinsam besuchten Weiterbildung im Jahr 1993. Seitdem haben sich unsere Wege in regelmäßigen Abständen gekreuzt. Dass er nun als 1. Vorsitzender der Aktion Zahnfreundlich die Laudatio gehalten hat, war eine besondere Wertschätzung für mich.

Als Mitinitiatorin und Botschafterin konnten Sie dazu beitragen, dass das Präventionsprogramm „Kita mit Biss“ über die Brandenburger Landesgrenzen hinaus ein Erfolg wurde. Was zeichnet dieses Programm aus?

Ausschlaggebend für die Initiierung war im Jahr 2004 der steigende Anteil der Kinder mit frühkindlicher Karies in Frankfurt an der Oder. Um dem entgegenzuwirken, hat das Team des Zahnärztlichen Dienstes unter Leitung von Dr. Petra Haak im Rahmen der gruppenprophylaktischen Betreuung mit Kita-Erzieherinnen und -Erziehern praktikable Handlungsleitlinien für einen (mund)gesunden Kita-Alltag entwickelt. Dazu gehören tägliches Zähneputzen mit fluoridhaltiger Kinderzahnpasta, ein gesundes Kita-Frühstück, der Verzicht auf gesüßte Getränke und auf Nuckelflaschen sowie der zuckerfreie Vormittag mit Obst-und-Gemüse-Zwischenmahlzeiten sowie das Abschiednehmen vom Nuckel.

Mundgesundheitsförderliche Verhältnisse in der Kita zu schaffen, ist ebenfalls ein Ziel für die Erzieherinnen und Erzieher, das durch Mitwirkung der Eltern gelingt. Handlungsleitlinien freiwillig und selbstverpflichtend umzusetzen und das Präventionsprogramm in Kita-Konzeptionen aufzunehmen, ist heute für 542 „Kitas mit Biss“ im Land Brandenburg ein selbstverständlicher Qualitätsstandard. Darüber hinaus gibt es in Westfalen-Lippe, Berlin und anderen Bundesländern „Kitas mit Biss“. Das Programm wurde mehrfach evaluiert, ist erfolgreich und hat der Gruppenprophylaxe neue Impulse gegeben. Ein Beispiel für die Weiterentwicklung ist der Eltern-Flyer „Kita mit Biss – und Eltern helfen mit ...“, der in sieben Sprachen übersetzt wurde und so gezielt für die Elternarbeit genutzt wird.

Das Programm ist für die Akteure der Gruppenprophylaxe und die Kita-Teams eine Bereicherung. Im Prozess der Umsetzung entwickeln sich wechselseitig eine andere Akzeptanz und ein partnerschaftliches Miteinander, das den Kindern zugutekommt. Diese multiprofessionelle Arbeit in der Lebenswelt der Kinder ist ein Beitrag zur gesundheitlichen Chancengleichheit.

Wie ist das Programm durch die Corona-Pandemie gekommen?

Dass die gruppenprophylaktische Betreuung in den Kindereinrichtungen seit dem Frühjahr 2020 nur eingeschränkt und zeitweise gar nicht durchgeführt werden konnte, hat Auswirkungen auf die Zusammenarbeit mit den Kitas und damit auch auf „Kita mit Biss“. Auf unterschiedliche Weise wurde in dieser Zeit der Kontakt zu den Kitas gehalten – und beispielsweise Prophylaxemittel bereitgestellt, damit unser Thema und die Handlungsleitlinien bei den Kindern und den Erzieherinnen und Erziehern präsent bleiben. Der Hinweis, dass Zähneputzen und Händewaschen zusammengehören, wurde positiv aufgenommen. Hygiene hat einen noch höheren Stellenwert in der pädagogischen Arbeit bekommen.

Dafür haben wir spezielle Informationsmaterialien und ein Konzept entwickelt, wie Gruppenprophylaxe im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie umgesetzt werden kann. Aktuell werden punktuell sogar neue „Kitas mit Biss“ gewonnen. Aus Hamburg wissen wir, dass die Zeit genutzt wurde, um alles für den Start des Präventionsprogramms im neuen Schuljahr vorzubereiten. Noch lässt sich nicht sagen, ob alle „Kitas mit Biss“ das Präventionsprogramm weiter umsetzen, Rückschläge wird es vermutlich geben. 

Inwiefern hat sich die Arbeit mit Kindern, Eltern sowie Erzieherinnen und Erziehern im Laufe der Jahre verändert? Wo liegen heute die größten Probleme in der (Zahn-)Gesundheitserziehung?

Elternarbeit ist und bleibt eine Herausforderung und hat sich verändert. Die Eltern sind informierter und kritischer geworden. Leider sind sie auch empfänglich für Informationen, die für die Gesundheit ihrer Kinder nicht nur gut sind. Diskussionen mit ihnen als Chance zu sehen, Fachwissen konsequent und zugewandt in die Elternarbeit einzubringen, fällt manchmal schwer. Einheitliche Botschaften, wie aktuell die Fluoridempfehlungen für Kleinkinder der Zahnärzte und Kinderärzte, sind daher enorm wichtig.

Die Kinder selbst sind medienaffiner geworden. Unsere Arbeit mit ihnen erfordert auch pädagogisches Wissen, Flexibilität und die Bereitschaft, sich auf Veränderungen einzulassen. Der direkte Kontakt mit den Kindern bleibt wichtig. Emotionales Lernen in der Gruppe prägt das Gesundheitsverhalten und unsere Maskottchen sind dabei wunderbare Begleiter. Und viele Erzieherinnen und Erzieher haben uns und unsere Arbeit bei der Umsetzung ihres gesetzlichen Auftrags zur Gesundheitsbildung und -förderung schätzen gelernt. Die Akteure der Gruppenprophylaxe sind für sie verlässliche Partner.

Welches ihrer Projekte hat einen besonderen Platz in ihrem Herzen?

Das Projekt „Helden mit Biss“, das der Zahnärztliche Dienst der Stadt Brandenburg an der Havel gemeinsam mit der Fouqué-Bibliothek und dem Büro der zahnärztlichen Gruppenprophylaxe zum 25-jährigen „Tag der Zahngesundheit“ durchgeführt hat, bleibt mir in Erinnerung. Die Fünftklässler der Grundschulen waren aufgerufen, Geschichten zu schreiben. Aus den zahlreichen Einsendungen wählte eine Jury unter Leitung der Direktorin der Fouqué-Bibliothek und eines Kinderbuchautors die fantasiereichsten, spannendsten und lustigsten Erzählungen aus. In einer Lese-Show hat ein „echter“ Schriftsteller die Geschichten dann vorgelesen und in einer zauberhaften Veranstaltung in der Bibliothek prämiert.

Den Abschluss fand das Projekt zum Internationalen Kindertag im darauffolgenden Jahr mit der Herausgabe eines Bandes mit den 25 schönsten Geschichten, den man nun auch in der Bibliothek ausleihen kann. Dieses außergewöhnliche Projekt zeigt, dass auch eine Zusammenarbeit zwischen den Ressorts Gesundheit, Bildung und Kultur im Bereich Mundgesundheit möglich ist. Außerdem sind die Geschichten im Gesundheitsbericht „25 Jahre gemeinsam für gesunde Kinderzähne“ veröffentlicht worden.

Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus – beruflich und ehrenamtlich?

Nachdem mfür mich die präventive Arbeit in Kitas und Schulen beendet ist, werde ich meine ehrenamtlichen Aufgaben im Beirat für Zahngesundheit, als Sprecherin der Arbeitsgruppe Mundgesundheit im Bündnis „Gesund Aufwachsen in Brandenburg“, im wissenschaftlichen Beirat der Informationsstelle für Kariesprophylaxe, als Ehrenmitglied der Aktion Zahnfreundlich sowie in der Kammerversammlung und den Ausschüssen der Landeszahnärztekammer Brandenburg weiterführen. Wissen und berufliche Erfahrungen aus 40 Jahren Tätigkeit in der Kinderzahnheilkunde und im Öffentlichen Gesundheitsdienst sind eine Grundlage, um das Gesundheitsministerium im Land Brandenburg auch zukünftig zu fachlichen Themen zu beraten. 

Das Gespräch führte Anja Kegel.

Friedrich-Römer-Ehrenmedaille

Im Jahr 2005 rief der Verein Aktion Zahnfreundlich die Auszeichnung ins Leben. Die erste Ehrenmedaille wurde an Friedrich Römer verliehen. Er hatte 1985 die Aktion Zahnfreundlich gegründet und bis 1999 geleitet. Außerdem ist er der Erfinder des Tages der Zahngesundheit, der jährlich am 25. September bundesweit begangen wird.

Mit der Friedrich-Römer-Ehrenmedaille werden Menschen ausgezeichnet, die sich mit besonderem Engagement der Verbesserung der Zahn- und Mundgesundheit widmen. Der Vorstand hatte sich vor 16 Jahren entschieden, die Medaille nicht regelmäßig, sondern nur zu besonderen Anlässen zu vergeben.

Bisherige Preisträger:

  • 2005 Friedrich Römer

  • 2009 Prof. Dr. Dietmar Oesterreich

  • 2015 Prof. Dr. Dr. Norbert Krämer

  • 2021 Dr. med. Gudrun Rojas

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