Studie der IKK classic

Diskriminierung macht krank

Wir brauchen Schubladen, um im Alltag zurechtzukommen. Vorurteile sind also erstmal „normal“, Sortierung tut gut. Ungesund wird es aber, wenn diese Vorurteile – bewusst oder unbewusst – sich verfestigen und zu diskriminierendem Verhalten führen. Davon ist mehr als jeder Zweite in Deutschland betroffen – mit gesundheitlichen Folgen wie Essstörungen, Migräne oder Depressionen. Eine Studie der IKK classic zeigt erstmals die Zusammenhänge zwischen Diskriminierungserfahrungen und den Auswirkungen auf die Gesundheit.

Alle Menschen haben Vorurteile, doch nicht einmal vier von zehn (38 Prozent) sind sich dessen bewusst. Knapp 60 Prozent wiederum waren selbst schon einmal Vorurteilen ausgesetzt oder haben Diskriminierung erlebt – im Internet, im direkten Umgang, auf der Arbeit, in der Schule oder in der Öffentlichkeit. Vorwiegend handelt es sich dabei um sogenannte Mikroaggressionen wie Tuscheln oder eine unhöfliche Behandlung. Schlimmstenfalls reichen sie bis zu Körperverletzung.

Diskriminierung ist ein behandlungsbedürftiges Problem

Drei Viertel der Befragten sind der Meinung, dass jeder bereit sein sollte, über die eigenen Vorurteile nachzudenken und diese zu überwinden. Vorurteile und die daraus folgende Diskriminierung sind dabei nicht nur ein soziales, sondern für den Empfänger oft auch ein – behandlungsbedürftiges – gesundheitliches Problem. Die Folgen dieser Erfahrungen führen zu körperlichen und seelischen Symptomen: Diskriminierte erleben Gefühle der Unsicherheit, Irritation, Hilflosigkeit und sogar Scham und Schuld. Zu den Krankheitsbildern gehören Schlafstörungen, Burn-out, Depressionen, Angststörungen, aber auch Magen-Darm-Erkrankungen oder chronische Kopfschmerzen als Folgen von Stress.

Clustern lassen sich die am meisten betroffenen Gruppen laut Studie anhand von fünf Schlagworten:

Behinderung:

47 Prozent geben an, von Vorurteilen oder Diskriminierung betroffen zu sein. Die Betroffenen verletzt es am meisten, für schwächer und eingeschränkter gehalten zu werden, als sie es tatsächlich sind. Besser wäre, Menschen mit Behinderungen als Interessengemeinschaft zu sehen: Oft sind es weniger ihre körperlichen Einschränkungen, die sie daran hindern, etwas zu tun, sondern die menschengemachte Umgebung, die ihnen Barrieren in den Weg stellt.

Ethnische Herkunft:

32 Prozent halten Menschen mit Migrationshintergrund in ihrem Bestreben nach gleichen Rechten für zu fordernd. Menschen mit türkischen Wurzeln reagieren eher passiv und fühlen sich häufiger ausgeschlossen und nicht zugehörig (53 Prozent). Personen aus dem asiatischen Raum empfinden eher Entsetzen und Sprachlosigkeit, sind verunsichert oder fühlen sich entwertet (47 Prozent). Eine direkte Begegnung mit den Betroffenen halten die Befragten für am wenigsten problematisch. Zwei Drittel haben kein Problem damit, wenn ein Familienmitglied jemanden mit Migrationshintergrund heiraten würde, 70 Prozent würden sich nicht unwohl fühlen, wenn ihre Führungskraft einen solchen Background hätte.

Aussagen von Studienteilnehmern

Behinderung: „Man hat mir am Anfang auf der Arbeit gar nichts zugetraut, nur leichte Aufgaben zugewiesen. Ohne mich zu fragen, was ich mir selber zutrauen würde.“

Ethnische Herkunft: „Ich wurde in der S-Bahn von einer Gruppe betrunkener Frauen angegriffen, angespuckt und zu Boden gestoßen. Ich wurde beschimpft, was ich als ‚Ausländer‘ hier überhaupt mache [...] Niemand hat mir geholfen.“

Geschlechterrollen: „Als die angefangen haben, mich als Frau im Job zu mobben, da wurde ich wieder so unsicher wie damals in der Schule, als ich verspottet wurde.“

Körperbild: „Jedes Rausgehen ist ein Spießrutenlauf, weil die Leute mich anstarren und zum Teil auch lachen. Manchmal fange ich an, im Lidl laut zu schreien.“

Sexuelle Orientierung: „Ich wollte einem alten Nachbarn wegen Corona mit den Einkäufen helfen. Einem anderen Nachbarn sagte er, dass er nicht will, dass ein Schwuler ihm die Tüten trägt. Das hat mich schon getroffen.“

Geschlechterrollen:

22 Prozent der Befragten sagen, der Ärger über die Diskriminierung von Frauen sei übertrieben – dieser Aussage stimmen 13 Prozent zu, 9 Prozent stimmen voll und ganz zu. 18 Prozent halten Männer für „zu weich“ – der Aussage „Viele Männer sind heutzutage zu emotional, verweichlicht, sensibel.“ stimmen 11 Prozent zu, 7 Prozent stimmen voll und ganz zu. 57 Prozent lehnen diese Aussage ab. 36 Prozent halten Frauen für empathischer als Männer.

Körperbild:

Personen, die sehr groß sind, fühlen sich zu 19 Prozent sehr stark und zu 27 Prozent schwach betroffen. Menschen mit Übergewicht sind zu 16 Prozent sehr stark und zu 26 Prozent schwach betroffen. Nur 29 Prozent der Befragten mit körperlichen Besonderheiten geben an, nicht diskriminiert zu werden – bei Menschen mit höherem Gewicht sind es 39 Prozent. Die Diskriminierung von Übergewichtigen hängt auch vom Alter ab – Jüngere fühlen sich eher betroffen als Ältere. Besonders Menschen mit Übergewicht suchen die Schuld für negative Erlebnisse oft bei sich und verzweifeln an der Schuldfrage.

Sexuelle Orientierung und Identität:

22 Prozent der LGBTQ+-Community fühlen sich von Diskriminierung stark betroffen. Weitere 29 Prozent geben an, zumindest schwach betroffen zu sein. Sie werden auf der Straße oft angestarrt, andere tuscheln über sie. Sie zweifeln an ihrem Selbstwertgefühl und ihre Persönlichkeit wird von außen oft auf ihre Sexualität reduziert. 

Mindestens fünf Kontakte sind nötig, um Vorurteile abzubauen

Laut den Studienautoren ist das effizienteste Mittel gegen Vorurteile der persönliche Kontakt und die Interaktion mit betroffenen Personen und Gruppen. Aufklärung und Information seien der erste Schritt. Allerdings seien mindestens fünf Kontakte nötig, um einzelne Personen nicht als Ausnahme zu sehen und das eigene Vorurteil abzubauen. Doch auch Medien könnten dazu beitragen, egal ob TV-Serien, Kinofilme oder Werbespots. Mit der Studie und einer Kampagne will die IKK classic auf die gesundheitlichen Dimensionen von Vorurteilen und Diskriminierung aufmerksam machen.

Für die Studie wurden in 40 Einzelinterviews mit Erwachsenen die persönlichen Diskriminierungserfahrungen im Alltag erhoben. Mit einer repräsentativen Stichprobe von 1.527 Personen wurden anschließend die aufgestellten Hypothesen überprüft.

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