Aus der Wissenschaft

Regenerieren statt Extrahieren: gute Prognose für „hoffnungslose“ Zähne

Søren Jepsen
Kann die Prognose von durch fortgeschrittene Parodontitis sehr stark geschädigten Zähnen mit regenerativer Therapie verbessert werden? Oder sollten derartig betroffene Zähne extrahiert und durch eine Brücke oder ein Implantat ersetzt werden? Ein renommiertes italienisches Team hat die lange erwarteten, spannenden Zehn-Jahres-Ergebnisse einer randomisierten klinischen Studie publiziert.

Die parodontale Regeneration von vertikalen Defekten ist mit dem Einzug biologisch fundierter Konzepte und gut untersuchter Biomaterialien mittlerweile aufgrund einer sehr guten Evidenzlage zu einem etablierten Therapieverfahren bei fortgeschrittener Parodontitis (Stadien III und IV) geworden. Die hier vorgestellte Studie entstand mit dem Bestreben, die Grenzen dieser Therapieoption auszuloten, weiter voranzutreiben und die regenerative Therapie auch bei Zähnen anzuwenden, die nach herkömmlichen Maßstäben als „hoffnungslos“ gelten.

In einer randomisierten Studie wurde die Langzeitprognose (zehn Jahre) von „hoffnungslosen“ Zähnen nach regenerativ-parodontalchirurgischer Therapie mit der Extraktion und anschließenden Versorgung mit zahn- oder implantatgetragenem Zahnersatz verglichen. Die Studie wurde bereits in 2020 publiziert, ist aber aufgrund der Corona-Pandemie bislang nur eingeschränkt rezipiert worden.

Material und Methode

Das Team um Sandro Cortellini (Florenz) und Maurizio Tonetti (Hongkong) hat bei 50 Patienten mit Parodontitis im Stadium III oder im Stadium IV jeweils bei einem parodontal stark geschädigten Zahn mit parodontalem Attachmentverlust bis zum Apex oder sogar darüber hinaus nach deren Randomisierung eine der beiden beschriebenen Therapieoptionen angewendet. Es wurde darauf geachtet, dass an den unmittelbar benachbarten Zähnen ein hohes Knochenniveau vorhanden war. In der einen Gruppe wurde nach vorhergehender anti-infektiöser Therapie der regenerative chirurgische Eingriff mit Papillenerhaltungstechnik und Applikation von Biomaterial (Schmelzmatrixproteine, (nicht-)resorbierbare Membranen, Knochenersatzmaterialien) vorgenommen. Zuvor waren gelockerte Zähne geschient und – wenn erforderlich – endodontische Behandlungen durchführt worden. In der anderen Gruppe wurde nach Zahnextraktion und Weich- und Hartgewebsaugmentation ein Implantat inseriert und mit einer Krone versorgt oder alternativ eine zahngetragene Brücke eingesetzt. Anschließend fanden alle drei Monate eine unterstützende Parodontaltherapie und jährliche Nachuntersuchungen statt. Die statistische Auswertung beinhaltete Analysen des Überlebens der Zähne beziehungsweise des Zahnersatzes, des Auftretens von biologischen und technischen Komplikationen, der Kosten sowie der Patientenzufriedenheit.

Ergebnisse

Über die zehn Jahre Beobachtungszeit gingen drei der insgesamt 25 regenerativ behandelten Zähne verloren. Zwei Zähne mussten nach einem Jahr extrahiert werden, da sie nicht positiv auf die Therapie angesprochen hatten, ein weiterer Zahn ging nach acht Jahren aufgrund eines Traumas verloren. Dies entspricht einer Zehn-Jahres-Überlebensrate von 88 Prozent für die behandelten Zähne im Vergleich zu einer Rate von 100 Prozent in der Zahnersatz-Gruppe – hier waren nach zehn Jahren noch alle Versorgungen in situ. Hinsichtlich der komplikationsfreien Überlebenszeit gab es keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen beiden Therapiemodalitäten. 

Bei den regenerativ therapierten Zähnen waren nach zehn Jahren ein klinischer Attachmentgewinn von 7,3 ± 2,3 mm und Sondierungstiefen von 3,4 ± 0,8 mm zu verzeichnen. Bei den 22 erfolgreich behandelten Zähnen hatte sich entsprechend etablierter Kriterien [McGuire & Nunn, 1996; Kwok & Caton, 2007] die Prognose von „hoffnungslos“ in „günstig“ gewandelt. Die Kostenanalyse zeigt, dass die Gesamtkosten der Behandlung (initial und der biologischen und technischen Komplikationen) über zehn Jahre in der Gruppe der regenerierten Zähne signifikant niedriger waren. Messungen der Patientenzufriedenheit und der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität belegten deutliche Verbesserungen in beiden Gruppen.

Diskussion

Die aktuelle S3-Leitlinie zur Behandlung der Parodontitis der Stadien I bis III empfiehlt in der Stufe 3 (chirurgische Therapie) die regenerative Parodontalchirurgie bei vertikalen parodontalen Defekten als Methode der Wahl. Die vorliegende Studie geht bei der Indikationsstellung einen deutlichen Schritt weiter und bezieht erstmals „hoffnungslose“ Zähne mit Attachment- beziehungsweise Knochenverlust bis zum oder über den Apex hinaus ein und zeigt sehr eindrucksvolle, in diesem Ausmaß die Erwartungen weit übertreffende Ergebnisse über einen sehr langen Nachuntersuchungszeitraum. Nicht nur konnten Zähne mit „hoffnungsloser“ Prognose in solche mit „günstiger“ Prognose verwandelt werden – der Zahnerhalt erwies sich darüber hinaus auch als die kosteneffektivere Therapieoption. Auch ist die Länge der Studie zweifellos eine ihrer besonderen Stärken. 

Die erzielten Ergebnisse lassen sich aber nur eingeschränkt auf die Praxisrealität übertragen, was die Autoren selbst betonen. Die Behandlung ist komplex und erfordert spezielle Expertise. Cortellini und Tonetti gelten als ausgewiesene Experten und Pioniere auf dem Gebiet der regenerativen Parodontalchirurgie. Andere Arbeitsgruppen müssen diese Ergebnisse nun bestätigen.

Der Kostenkalkulation lagen mittlere Honorarschätzungen aus neun italienischen Praxen zugrunde, die nur mit Vorbehalt auf die deutsche Versorgungslandschaft angewendet werden können. Dennoch ist zu vermuten, dass sich ein vergleichbarer Unterschied in der jeweiligen Kosten-Effektivität auch in Deutschland errechnen lassen würde.

Bedeutung für die Praxis

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass die Grenzen der regenerativen Parodontaltherapie mit den heute gängigen Indikationen noch nicht erreicht sind und dass diese Therapieoption das Potenzial hat, auch bei schweren parodontalen Erkrankungen erfolgreich angewendet zu werden. 

Folgende Schlussfolgerungen lassen sich für die klinische Praxis treffen:

  • Eine regenerative Parodontaltherapie kann die Prognose „hoffnungsloser“ Zähne verbessern.

  • Sie ist eine kostengünstigere Alternative zu Extraktion und Zahnersatz.

  • Die Komplexität der Behandlung erfordert spezielle Expertise, was ihre breite Anwendung gegenwärtig noch ausschließt.

  • Die Ergebnisse sind ein eindrucksvoller Beweis für das Potenzial parodontaler Regeneration auch bei sehr weit fortgeschrittener Parodontitis.

  • Die sehr vielversprechenden Resultate dieser international ausgewiesenen Experten müssen nun von weiteren Arbeitsgruppen bestätigt werden. 

Cortellini P, Stalpers G, Mollo A, Tonetti MS: Periodontal regeneration versus extraction and dental implant or prosthetic replacement of teeth severely compromised by attachment loss to the apex: A randomized controlled clinical trial reporting 10-year outcomes, survival analysis and mean cumulative cost of recurrence. J Clin Periodontol. 2020; 47:768–776. doi.org/10.1111/jcpe.13289

Literaturliste

Kwok, V., & Caton, J. G. (2007). Commentary: Prognosis revisited: a system for assigning periodontal prognosis. Journal of Periodontology, 78(11), 2063–2071.

McGuire, M. K., & Nunn, M. E. (1996). Prognosis versus actual outcome. II. The effectiveness of clinical parameters in developing an accurate  prognosis. Journal of Periodontology, 67(7), 658–665.

McGuire, M. K., & Nunn, M. E. (1996). Prognosis versus actual outcome. III. The effectiveness of clinical parameters in accurately predicting tooth survival. Journal of Periodontology, 67(7), 666–674.

Univ.-Prof. Dr. med. dent. Dr. med. Søren Jepsen

Direktor der Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde,
Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Universitätsklinikum Bonn
Welschnonnenstr.17, 53111 Bonn

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