150. Geburtstag von Walther Wolfgang Bruck

Der jüdische Hofzahnarzt

Walther Wolfgang Bruck galt über Breslau hinaus als Koryphäe der Zahnmedizin, unter anderem behandelte er Kaiser Wilhelm II. und dessen Frau. Nach 1933 hatte er zwar Fürsprecher, dennoch verlor er den Boden unter den Füßen und beging mutmaßlich Selbstmord. Am 4. März ist sein 150. Geburtstag.

Am 4. März 1872 wird Walther Wolfgang Bruck als jüngstes von vier Kindern von Prof. Dr. Julius Bruck und seiner Frau Bertha, geborene Vogelsdorff, in Breslau geboren. Eine Schwester stirbt bereits als kleines Kind, der Bruder Friedrich Wilhelm mit 17 Jahren an einer Lungenentzündung.

Die jüdische Familie Bruck ist wohlhabend, an Kultur interessiert und hat Zugang zu den höheren Kreisen der Gesellschaft. Wie Bruck in seinen Aufzeichnungen aus dem Jahr 1936 schreibt, hat Musik in seinem Elternhaus „von jeher eine grosse Rolle“ [Bruck, 1936] gespielt. Neben dem Besuch der Tanzstunde erhält er Cello-Unterricht, Gesangsstunden und gehört zur „Literarischen Vereinigung“ des Theaterkritikers Dr. Erich Freund. In späteren Jahren leitet Bruck die Photographische Sektion der Universität Breslau.

Trotz der vielen musischen Neigungen tritt er in die Fußstapfen von Großvater und Vater: 1890 nimmt Bruck das Studium der Zahnmedizin in Breslau auf, 1892 besteht er sein Staatsexamen mit dem Prädikat „gut“. Bis zu seinem Militärdienst arbeitet Bruck in der Zahnarztpraxis seines Vaters in der Breslauer Innenstadt. Im Oktober 1893 beginnt dann sein Dienst beim Feldartillerie-Regiment von Peuker, den er mit dem Rang des Unteroffiziers 1894 beendet. Anschließend setzt er die Arbeit in der väterlichen Praxis fort, auf Wunsch seines Vaters absolviert er am Baltimore College of Dental Surgery einen „post graduate course“. 

Seine Schriften werden international gerühmt

Seine akademische Laufbahn an der Universität Breslau beginnt im Jahr 1900; 1901 bereits wird er Leiter der Abteilung für Zahnfüllung des Zahnärztlichen Instituts. Die Ernennung zum außerordentlichen Professor für konservierende Zahnheilkunde erhält er 1908 [Kozuschek, 2002]. Seine Habilitationsvorlesung hält er 1912 zur „Bedeutung der Zahnheilkunde für das Volkswohl“. Sein Lehrbuch „Das Füllen der Zähne mit Porzellan“ von 1902 wird ins Englische und ins Russische übersetzt; die Arbeit „Bekämpfung der Zahnkaries“ erscheint 1902/03 auch in ausländischen Fachzeitschriften. Aufmerksamkeit verdient auch sein Buch über „Die Einführung der Zahnpflege in Heer und Marine“ von 1901: „Wären die von ihm bereits 1900 in seinen Schriften gemachten Vorschläge durchgedrungen, so wäre es bei Beginn des Krieges um die zahnärztliche Versorgung unseres Heeres besser bestellt gewesen“, schrieb sein Schüler Dr. Rudolf Neumann in der Zeitschrift für Stomatologie 1925 [Neumann, 1925].

Von 1914 bis 1917 ist Bruck Leiter der Abteilung für Zahnfüllung am Festungslazarett Breslau. Er propagiert die „systematische Untersuchung der Soldaten der Breslauer Garnison“ und die Notwendigkeit der Zahnpflege im Heer [Feiler, 1925]. Danach ist er beratender Zahnarzt der deutschen Militärverwaltung in Bukarest und später in gleicher Position im Oberkommando Mackensen. Geehrt wird er unter anderem mit dem Eisernen Kreuz und dem Ritterkreuz des kaiserlich österreichischen Franz-Josephs-Ordens (Abbildung 2) sowie 1924 mit dem Offizierskreuz des königlichen Bulgarischen Zivil-Verdienstordens von König Boris III. für seine Dienste am Hofe.

Ab 1919 ist auch in Deutschland die zahnärztliche Dissertation möglich. Bruck wird Mitglied der Prüfungskommission und erlangt die Doktorwürde 1920 mit der Arbeit „Der goldene Zahn des schlesischen Knaben, 1593, Ein Beitrag zur Geschichte der Zahnheilkunde“. Von Oktober 1923 bis Oktober 1924 hat Bruck das Amt des stellvertretenden Direktors des Zahnärztlichen Instituts inne.

In zweiter Ehe heiratet er im Dezember 1922 Johanna Graebsch (1884–1963). Davor war er mit Margarethe Skutsch (1872–1942) verheiratet, die in Theresienstadt von den Nazis ermordet wurde. Die erste Tochter Hermine wird 1924 geboren, stirbt aber nach wenigen Wochen. Tochter Renate wird 1926 geboren, sie hat Hermine von Reuß, die zweite Frau von Kaiser Wilhelm II., und die Tochter von Nobelpreisträger Paul Ehrlich (1854–1915), Stephanie Schwerin (1884–1966), als Patentanten. 

Auch der ehemalige Kaiser gratuliert 

Zu seinem 25. Dozentenjubiläum an der Universität Breslau wird Bruck mit Ehrungen überhäuft. Auf der Feier zeichnet ihn die Universität Breslau mit der Ehrendoktorwürde für Zahnheilkunde der Medizinischen Fakultät aus. Viele Ehrenmitgliedschaften in zahnärztlichen Organisationen im In- und Ausland werden dem Jubilar verliehen. Glückwunschtelegramme aus aller Welt treffen ein. Zu den Gratulanten gehören auch der ehemalige Deutsche Kaiser und dessen zweite Frau Hermine, die Bruck zahnärztlich behandelt hat. In ihrem Glückwunschtelegramm kündigt Hermine einen Besuch in Schlesien an. „Ich werde Sie dann jedenfalls aufsuchen und bitte um gnädige Behandlung“ [Privatsammlung Bruck, 1925]. Im selben Jahr besuchen Bruck und seine Frau den Ex-Kaiser in dessen Exil in Doorn in den Niederlanden. Patienten sind neben dem Hohenzollernpaar zahlreiche weitere Adelige, wie Nadejda Herzogin von Württemberg (1899–1958), die Tochter König Ferdinands I. von Bulgarien, nebst Gatte Albrecht Eugen Herzog von Württemberg und deren Schwester, Prinzessin Eudoxia von Bulgarien, der Kronprinz Georg von Sachsen, sein Bruder Friedrich Christian und dessen Gattin Elisabeth Helene, Prinzessin von Thurn und Taxis.

Bei der Würdigung 1925 werden nicht nur seine fachlichen Verdienste hervorgehoben, sondern auch seine menschlichen Qualitäten. Sein Schüler Rudolf Neumann sagt über ihn: „Vierzehn Jahre habe ich an seiner Seite im Institut gearbeitet und muß es rühmend hervorheben, daß in dieser langen Zeit nie auch nur der leiseste Mißton das Arbeiten mit und unter ihm gestört hat, was nicht zuletzt auf seine persönliche Liebenswürdigkeit im Umgang mit seinen Mitmenschen zurückzuführen ist. Er war uns Assistenten ein milder Vorgesetzter, ein väterlicher Freund und Berater, stets bereit, uns mit Rat und Tat zu unterstützen und unser Fortkommen in uneigennütziger Weise zu fördern. Vielen jüngeren Kollegen und Studierenden hat er, wo und wie er nur konnte, den Weg ins Leben geebnet. In der Inflationszeit, als die Not der Studierenden aufs Höchste gestiegen war, war er unermüdlich tätig, ihnen Stipendien und Freitische zu verschaffen, um sie über die schweren Zeiten hinwegzubringen“ [Neumann, 1925].

Sein Amt als Abteilungsleiter für Konservierende Zahnheilkunde gibt er auf, bleibt aber der Lehre im Bereich soziale Zahnheilkunde und Geschichte der Zahnheilkunde erhalten. Auch seine Zahnarztpraxis am Reichspräsidentenplatz in Breslau führt er weiterhin.

Aus Spenden von Kollegen und Studenten zu Brucks 50. Geburtstag 1922 entstand übrigens der Grundstock zur Walther-Bruck-Stiftung zur Unterstützung von Studierenden.

Ein erzkonservativer Feldmarschall hilft ihm

Mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom April 1933 mussten Beamte, die nicht arischer Herkunft waren, in den Ruhestand versetzt werden. Davon waren auch Hochschulprofessoren betroffen, Brucks Karriere drohte das Ende. Anders als viele jüdische Kollegen hatte er jedoch einen prominenten Fürsprecher: den erzkonservativen Generalfeldmarschall August von Mackensen, unter dessen Oberkommando Bruck während des Ersten Weltkriegs gearbeitet hatte. In einer Biografie über den Generalfeldmarschall wird der Sachverhalt so geschildert:

„An Rust [Preußischer Kultusminister Bernhard Rust von der NSDAP, Anm. d. Autors] wandte sich Mackensen auch im Fall von Professor Walther Bruck aus Breslau, eine internationale Kapazität der Zahnmedizin. Wegen jüdischer Abstammung wurde ihm die Lehrbefugnis entzogen, obwohl er sie seit Kaisers Zeiten besaß und schon sein Vater an der Universität Breslau gelehrt hatte. Bruck war evangelisch getauft, christlich erzogen, ‚immer national‘ und als Arzt am AOK [Armeeoberkommando, Anm. d. Autors] Mackensen ausgezeichnet, wie er hilfesuchend versicherte. Zunächst lehnte Rust unter Hinweis auf die Gesetze ab, wonach Juden keine Beamten mehr sein dürften. Allerdings galten für Kriegsteilnehmer auf Wunsch Hindenburgs vorerst Ausnahmen. Nach ‚nochmaliger Prüfung‘ wurde nach mehreren Monaten Bruck die Lehrbefugnis wieder erteilt, was Mackensen ihm telegrafisch mitteilen konnte“ [Schwarzmüller, 2001].

Es muss Bruck schwer getroffen haben so behandelt zu werden. Ob sich der letzte Kaiser und seine Gemahlin zu dieser Zeit für ihn eingesetzt haben, ist zu bezweifeln. Nun ergingen sich die Hohenzollern inklusive des Kronprinzen und seiner Gattin Cecilie in Anbiederung an die braunen Machthaber, wie aktuell in der Abhandlung „Der Kronprinz und die Nazis“ bei Lothar Machtan zu lesen ist [Machtan, 2021].

1936 wird erneut versucht, abermals ohne Erfolg, Bruck die Lehrerlaubnis zu entziehen. Vom Kurator der Universität und der Technischen Hochschule Breslau erhält Bruck am 24. April 1936 folgendes Schreiben (Abbildung 4), dem Anrede und Grußformel fehlen: „Der Herr Minister hat dahin entschieden, dass Sie auch weiterhin berechtigt sind, das mit Patent vom 22. Februar 1908 – UI 10397 – verliehene Prädikat ‚Professor‘ zu führen“ [Privatsammlung Bruck, 1936].

Die Seiten in Brucks Terminkalender lassen darauf schließen, dass er bis kurz vor seinem Tod Patienten behandelt hat. Am 31. März 1937 stirbt er in Breslau mit nur 65 Jahren. Es ist zwar nicht nachgewiesen, aber möglicherweise hat er sich in der verzweifelten Situation das Leben genommen, um Tochter Renate und Ehefrau Johanna vor weiterer Verfolgung zu schützen. Wie aus Brucks Dokumenten hervorgeht, kondolierte Hermine immerhin Johanna Bruck nach dem Tod ihres Mannes. Im Februar 1942 ziehen Mutter und Tochter nach Berlin. Renate heiratet nach 1945 einen britischen Offizier, beide gehen nach Großbritannien. Zwei Enkelinnen Brucks leben heute in Australien. 

An Walther Bruck und seinen Vater Julius erinnert heute eine Gedenktafel, auf der neben den polnischen Kollegen auch an die deutschen Professoren des Zahnärztlichen Instituts der Universität Breslau vor 1945 gedacht wird. 

Literaturliste

Autobiographische Aufzeichnungen von Walther Wolfgang Bruck aus dem Jahre 1936, nicht veröffentlicht, S. 9

Kozuschek, Waldemar, Hg., Geschichte der Medizinischen und Pharmazeutischen Fakultäten der Universität Breslau in den Jahren 1702–2002, Wroclaw 2002, S. 147

Dr. Rudolf Neumann, Walther Bruck, Schlesische Ärzte-Korrespondenz, Sonderdruck, Zeitschrift für Stomatologie, Heft 2, 23. Jahrgang, 1925

A. Feiler, Walther W. Bruck, in: Deutsche Zahnärztliche Wochenschrift, Nr. 4, 28. Jahrgang, 1925

Schwarzmüller, Theo, Zwischen Kaiser und „Führer“: Generalfeldmarschall August von Mackensen, eine politische Biographie, dtv, München 2001

Privatsammlung Bruck: Es handelt sich um Dokumente und Fotos, die sich in einem großen Album befinden

Machtan, Lothar, Der Kronprinz und die Nazis, Hohenzollerns blinder Fleck, Berlin 2021

Kay Lutze

Historiker, M.A.

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