KZBV und BZÄK mahnen dringenden politischen Handlungsbedarf an

„Gesundheitsversorgung gehört nicht in die Hände von Spekulanten!“

Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) fordern die Politik eindringlich auf, den Zustrom versorgungsfremder Finanzinvestoren in die ambulante ärztliche und zahnärztliche Versorgung zu unterbinden. Zuletzt hatten Recherchen des Magazins „Panorama“ (NDR) aufgedeckt, dass Angestellte in investorenbetriebenen Medizinischen Versorgungszentren (iMVZ) einem massiven Umsatzdruck ausgesetzt sind.

Die beiden zahnärztlichen Spitzenorganisationen, die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und die Bundeszahnärztekammer (BZÄK), nehmen die aktuellen Berichterstattungen in zahlreichen Medien zum Anlass, um erneut eindringlich an die Politik zu appellieren, endlich den ungebremsten Zustrom versorgungsfremder Finanzinvestoren aus dem In- und Ausland in die ambulante ärztliche und zahnärztliche Versorgung wirksam zu unterbinden.

Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstands der KZBV, erklärt dazu: „Seit Jahren belegen wir der Politik mit Analysen und Gutachten die fatalen Folgen der Einflussnahme versorgungsfremder Investoren auf die Patientenversorgung, ohne dass bisher wirklich wirksame gesetzliche Maßnahmen ergriffen wurden.“ Eßer verweist auf ein aktuelles Gutachten, das das Berliner IGES-Institut im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) erstellt hat. Dieses belege eindrucksvoll die Richtigkeit der in der Vergangenheit im Auftrag der KZBV erstellten Gutachten. Auch die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) teile die Sorgen der Ärzte- und Zahnärzteschaft und habe in einem Beschluss dringenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf festgehalten, ergänzt Eßer weiter. „Wir schließen uns den Forderungen an, die bestehenden gesetzlichen Regelungen passgenau fortzuentwickeln.“

IGES-Gutachten

Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) hat vor Kurzem (7. April) ein Gutachten veröffentlicht, das sie beim IGES Institut Berlin in Auftrag gegeben hatte. Kernaussagen: In investorengetragenen Medizinischen Versorgungszentren (iMVZ) liegen die abgerechneten Honorarvolumina deutlich über denen in anderen Medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Die Zunahme der Zahl an iMVZ verläuft dynamisch, der Aufkauf von Praxen durch Kapitalinvestoren wird weiter vorangetrieben.

Laut dem 300 Seiten starken Gutachten hat die Betriebsform des MVZ in Bayern in einigen vertragsärztlichen Fachgruppen inzwischen eine erhebliche und noch immer wachsende Versorgungsrelevanz. Innerhalb der MVZ seien Ende 2019 bereits knapp zehn Prozent der Leistungsorte auf von Private-Equity-Gesellschaften betriebene MVZ (PEG-MVZ) entfallen. In den untersuchten zwei Jahren (2018–2019) zeige die Entwicklung der Leistungsorte von PEG-MVZ mit einer Zunahme um 72 Prozent eine enorme Dynamik.

Laut den IGES-Analysen wurden in drei der sieben untersuchten Fachrichtungen (Internisten, Augenärzte, Gynäkologen) von den MVZ im Vergleich zu Einzelpraxen – sowohl fall- als auch patientenbezogen – deutlich höhere Honorarvolumina abgerechnet als unter ansonsten gleichen Bedingungen durch Einzelpraxen. In den übrigen vier Fachrichtungen (Hausärzte, Neurologen, Orthopäden, Urologen) lägen die Honorarvolumina der MVZ auf etwa gleicher Höhe oder unter den Honorarvolumina der Einzelpraxen. Über alle Fachrichtungen hinweg würden die untersuchten MVZ je Behandlungsfall ein im Vergleich zu Einzelpraxen um plus 5,7 Prozent höheres Honorarvolumen aufweisen. In der Teilgruppe der PEG-MVZ liege das Honorar je Behandlungsfall sogar um 10,4 Prozent über dem der Einzelpraxen.

Der Bundesverband medizinische Versorgungszentren (BMVZ) hat inzwischen eine ausführliche Stellungnahme zu dem Gutachten veröffentlicht. Demnach sei der Aussagewert der Studie eingeschränkt und es gebe methodische Mängel. Vor allem ein Vergleich der Abrechnung von MVZ mit ähnlichen Kooperationsstrukturen (BAG und Arztnetze) wäre spannend gewesen, sagt der Verband – auftragsgemäß habe die IGES-Analyse aber allein auf MVZ sowie auf PEG-MVZ fokussiert, die in Bayern nach IGES-Angaben 0,67 Prozent der Versorgungsrelevanz ausmachen. Akzeptiert würden demnach MVZ in Vertragsarztträgerschaft, die als „inhabergeführt“ gälten. Der Verband wörtlich: „Im Umkehrschluss stehen nicht-inhabergeführte MVZ – also alle Zentren, bei denen sich ein zulässiger Träger, wie beispielsweise ein Krankenhaus, mit Hilfe von angestellten Ärzten in der ambulanten Versorgung engagiert – unter dem Generalverdacht, bloße Renditeobjekte zu sein, Sekundärinteressen zu verfolgen und/oder insgesamt die ordnungsgemäße Patientenversorgung zu gefährden. Dass es zu diesem Punkt Versorgungsforschung geben sollte, ist selbstverständlich. Allerdings wäre zur Versachlichung der zum MVZ-Thema grundsätzlich häufig emotional geführten Debatte hilfreich, ein neutrales Studiendesign zu wählen.“

Darüber hinaus fordert Eßer, dass für mehr Transparenz und Patientenschutz auf Bundes- und Landesebene ein verpflichtendes Register für MVZ geschaffen werden sollte. Angaben von gesellschaftsrechtlichen Eigentümerstrukturen auf Praxisschild und Website von MVZ müssten verpflichtend werden. „Ein weiteres Abwarten der Politik führt zu unabwendbaren negativen Folgen für die Patientenversorgung in Deutschland“, so Eßer.

„Es ist bereits fünf nach zwölf!“

Prof. Dr. Christoph Benz, Präsident der BZÄK, fügt hinzu: „Die aktuellen Recherchen des NDR bestätigen, dass es bereits fünf nach zwölf ist. Wenn dort gezeigt wird, wie auf Zahnärztinnen und Zahnärzte in einigen iMVZ massiver Umsatzdruck ausgeübt wird, hat das mit indikationsgerechter Zahnmedizin nichts mehr zu tun, zumal die Zahnärztekammern als Berufsaufsichtsbehörden gegen das Konstrukt iMVZ keine Durchgriffsrechte haben.“ Zahnmedizin sei kein Gewerbe, so Benz, so stehe es schon in §1 des Zahnheilkundegesetzes. Sollte die ungebremste Zunahme von iMVZ weiterhin nicht eingedämmt werden, sei zu befürchten, dass in absehbarer Zeit die zahnmedizinische Versorgung zu einem großen Teil aus renditeorientierten Gesundheitsfabriken bestehe.

„Dies sollte die Politik jetzt aufrütteln“, mahnt Benz. Auch die Erkenntnisse der neuen Studie des IGES-Instituts, nach der die iMVZ deutlich höhere Abrechnungszahlen produzieren, sollten Benz zufolge zu einem raschen Umdenken führen. „Die Zahnmedizin in unserem Land ist international auf Spitzenniveau – und das auch ohne Fremdkapital, welches nur zu Umsatzdruck, Über- und Fehlversorgung und somit Qualitätsverlust führen wird“, betont der BZÄK-Präsident. „Zahnmedizin ist persönliche Dienstleistung am und für den Menschen und keine Fließbandarbeit.“

Weitere Informationen zum Thema iMVZ, darunter zwei Gutachten, sind auf der Website der KZBV unterhttps://www.kzbv.de/zahnmedizinische-versorgungszentren.1280.de.html abrufbar. Die „Panorama“-Sendung ist in der ARD-Mediathek unter https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/Spekulanten-greifen-nach-Arztpraxen 

eingestellt. Das Gutachten der KVB wurde auf der Website der KVB unterhttps://www.kvb.de/ueber-uns/gesundheitspolitik/spekulationsobjekt-gesundheit/veröffentlicht.

Ärzte kritisieren Renditejagd

Auch der Verband der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte (Virchowbund) kritisiert eine verschärfte Renditejagd im Gesundheitswesen. Dr. Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des Virchowbundes, forderte kürzlich konkrete Gesetzesänderungen ein. Betroffen seien neben Zahnarztpraxen inzwischen auch andere Fachgruppen wie Augenärzte, Radiologen, Nephrologen, Gynäkologen und auch Internisten und Hausärzte. Gleichzeitig gebe es deutliche Hinweise, dass MVZ-Ketten in Investorenhand die Behandlungskosten in die Höhe trieben, ohne die Qualität der Versorgung zu verbessern. Eine Hauptforderung des Virchowbundes sei ein Transparenz-Register für MVZ. Zum zweiten sollten MVZ-Neugründungen nur noch als gGmbH möglich sein. Um bloße Spekulation mit raschen Wiederverkäufen zu verhindern, schlägt der Virchowbund zudem vor, MVZ-Trägern die Zulassung zu entziehen, wenn innerhalb von fünf Jahren die Mehrheit der Gesellschaftsanteile veräußert wird oder die wirtschaftlich berechtigten Personen wechseln.

Scharfe Kritik kommt auch von der Ärztekammer Berlin. Sie fordert, die zunehmende Kommerzialisierung in der ambulanten Versorgung zu stoppen. Weiteren Übernahmen von ärztlichen Praxen durch industrielle Fremdinvestoren oder Private-Equity-Gesellschaften sei entschieden entgegenzutreten.

Panorama-Recherche zu i-MVZ

Spekulanten schlucken Deutschlands Praxen

„Wem gehören Deutschlands Arztpraxen? Den Ärzten, die auf dem Türschild stehen?“ Diese Frage stellen Journalisten von Panorama. Ihre Antwort: In vielen Fällen nicht mehr. Internationale Finanzinvestoren kaufen bei uns Kleinstkliniken, um über diesen Umweg hunderte Praxen lukrativer Fachrichtungen zu erwerben und Renditen von bis zu 20 Prozent pro Jahr einzustreichen. Die Behandler stehen unter immensem Druck, Umsatz zu machen. Anonym berichtet auch eine Zahnärztin, was sie getan hat.

Die Panorama-Redakteure sprachen im Verlauf ihrer monatelangen Recherche mit mehreren Zahnärztinnen und Zahnärzten, die in investorengeführten Praxisketten beschäftigt sind oder waren. Eine erzählt schließlich anonymisiert vor laufender Kamera, dass sie hunderte Patienten behandelt und am Ende gekündigt habe. Aus Gewissensbissen, wie sie sagt.

Ein Patient ohne Geld ist kein guter Patient

In der Praxis habe ständig ein enormer wirtschaftlicher Druck geherrscht, immer, jeden Tag. Die Umsätze der Behandler innerhalb der Kette hätten die Chefs vor dem Team regelmäßig verglichen, außerdem hätten sie Behandlungskataloge empfohlen. So kam es nach Darstellung der Zahnärztin in ihrem Fall wiederholt dazu, dass sie gesunde Zähne angebohrt, Patienten ohne medizinische Indikation dringend eine prothetische Versorgung empfohlen oder Leistungen abgerechnet hat, die es gar nicht gab. Die Vorgabe war demnach, dem Patienten besonders lukrative Behandlungen vorzuschlagen, möglichst mit hohen privaten Zuzahlungen. Wenn er sich eine solche Versorgung nicht leisten kann, „dann ist der Patient nichts mehr für uns“.

Der Interessenverband der investorengeführten Zahnarztpraxen bestreitet, dass dieses Prozedere System hat. Ein solches Vorgehen würde „unseren Grundsätzen widersprechen“, schreibt der Bundesverband für nachhaltige Zahnheilkunde (BNZK) auf Panorama-Anfrage,  und wäre darüber hinaus auch nicht im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben. Investorengeführte Zahnarztpraxen würden weder anders abrechnen noch in die Behandlungsfreiheit der Ärzte eingreifen. Das belege eine Studie, argumentiert der Verband. Befragt wurden dafür 24 (sic!) Praxen, an denen Investoren beteiligt sind, Auftraggeber waren die Ketten selbst. Ein Interview lehnt der BNZK ab.

Konstantin von Laffert, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, berichtet den Journalisten, dass man in den Kammern viele Beschwerden von Kolleginnen und Kollegen höre, die in großen investorenfinanzierten Verbünden arbeiten – diese Rückmeldungen erreichten die Standespolitik jedoch immer nur hinter vorgehaltener Hand, da die Betroffenen über entsprechende Vertragsklauseln zur Verschwiegenheit verpflichtet seien.

Ganz ähnlich die Situation in der Augenheilkunde. „Finanzinvestoren übernehmen überall in Deutschland Augenarztpraxen“, heißt es in der Sendung, schon jetzt seien es mehr als 500. Patientenberichte reichten von unnötigen, privat zu zahlenden Vorsorgeuntersuchungen bis hin zu dringenden Operationsempfehlungen, ohne dass diese von der Anamnese oder Therapiefreiheit gedeckt sind. Entsprechende Zweitmeinungen holte die Redaktion bei renommierten Stellen ein. Darauf angesprochen, bestreiten die Praxisketten die Darstellung oder verweigern eine Stellungnahme. Aussage steht gegen Aussage.

Nach monatenlanger Recherche und fast hundert Gesprächen mit Augenärzten kommen die Journalisten zu dem Schluss, dass Selbstzahlerleistungen in investorengeführten Praxen – häufig am Tresen noch vor dem ersten Arztgespräch – systematisch aufgeschwatzt und ertragreiche Operationen überproportional häufig durchgeführt werden. Eine der größten Ketten weist in ihrem Geschäftsbericht von 2020 eine Rendite von knapp 20 Prozent aus – erwirtschaftet hauptsächlich durch die mehr als 160.000 durchgeführten OPs im Jahr, oft wegen Erkrankungen wie dem Grauen Star.

Sie müssen das aber machen lassen – sonst erblinden Sie!

Auch hier äußert sich eine Ärztin mit langjähriger Berufserfahrung anonymisiert: „Auf das Personal war hoher Druck ausgeübt worden, dass jeder Patient, der in die Praxis kommt, auf bestimmte Leistungen angesprochen werden muss.“ Und wenn der Patient sich weigert? „Die Arzthelferin sagt dann: Sie müssen das aber machen lassen – sonst erblinden Sie!“

Das Schlupfloch im Gesetz erlaubt aberwitzige Eigentümerstrukturen erlaubt. Aus dem Hause von Prof. Karl Lauterbach hieß es dazu lediglich, dem BMG sei „nicht bekannt, ob und inwieweit eine beherrschende Marktkonzentration vorliegt“. Ein Interview mit dem Bundesgesundheitsminister oder einem seiner Staatssekretäre bekam die Redaktion nicht, trotz mehrmaliger Anfragen über einen Zeitraum von mehreren Monaten.

Bis dahin ist es keine Ausnahme, dass in manchen Städten bereits die Hälfte der Augenarztpraxen einem Investor gehören – ohne dass das Praxisschild darüber Auskunft gibt. Die freie Arztwahl ist hier wohl nur noch eine Illusion. Oder dass ein internationaler Finanzinvestor eine bayerische Schlafklinik mit vier Betten kauft, der ein paar Jahre später 140 Augenarztpraxen gehören, die pro Jahr 19 Prozent Rendite abwerfen.

Zur Sendung führt dieserLink.

Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) fordern die Politik eindringlich auf, den Zustrom versorgungsfremder Finanzinvestoren in die ambulante ärztliche und zahnärztliche Versorgung zu unterbinden. Zuletzt hatten Recherchen des Magazins „Panorama“ (NDR) aufgedeckt, dass Angestellte in investorenbetriebenen Medizinischen Versorgungszentren (iMVZ) einem massiven Umsatzdruck ausgesetzt sind.

Die beiden zahnärztlichen Spitzenorganisationen, die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und die Bundeszahnärztekammer (BZÄK), nehmen die aktuellen Berichterstattungen in zahlreichen Medien zum Anlass, um erneut eindringlich an die Politik zu appellieren, endlich den ungebremsten Zustrom versorgungsfremder Finanzinvestoren aus dem In- und Ausland in die ambulante ärztliche und zahnärztliche Versorgung wirksam zu unterbinden.

Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstands der KZBV, erklärt dazu: „Seit Jahren belegen wir der Politik mit Analysen und Gutachten die fatalen Folgen der Einflussnahme versorgungsfremder Investoren auf die Patientenversorgung, ohne dass bisher wirklich wirksame gesetzliche Maßnahmen ergriffen wurden.“ Eßer verweist auf ein aktuelles Gutachten, das das Berliner IGES-Institut im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) erstellt hat. Dieses belege eindrucksvoll die Richtigkeit der in der Vergangenheit im Auftrag der KZBV erstellten Gutachten. Auch die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) teile die Sorgen der Ärzte- und Zahnärzteschaft und habe in einem Beschluss dringenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf festgehalten, ergänzt Eßer weiter. „Wir schließen uns den Forderungen an, die bestehenden gesetzlichen Regelungen passgenau fortzuentwickeln.“

IGES-Gutachten

Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) hat vor Kurzem (7. April) ein Gutachten veröffentlicht, das sie beim IGES Institut Berlin in Auftrag gegeben hatte. Kernaussagen: In investorengetragenen Medizinischen Versorgungszentren (iMVZ) liegen die abgerechneten Honorarvolumina deutlich über denen in anderen Medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Die Zunahme der Zahl an iMVZ verläuft dynamisch, der Aufkauf von Praxen durch Kapitalinvestoren wird weiter vorangetrieben.

Laut dem 300 Seiten starken Gutachten hat die Betriebsform des MVZ in Bayern in einigen vertragsärztlichen Fachgruppen inzwischen eine erhebliche und noch immer wachsende Versorgungsrelevanz. Innerhalb der MVZ seien Ende 2019 bereits knapp zehn Prozent der Leistungsorte auf von Private-Equity-Gesellschaften betriebene MVZ (PEG-MVZ) entfallen. In den untersuchten zwei Jahren (2018–2019) zeige die Entwicklung der Leistungsorte von PEG-MVZ mit einer Zunahme um 72 Prozent eine enorme Dynamik.

Laut den IGES-Analysen wurden in drei der sieben untersuchten Fachrichtungen (Internisten, Augenärzte, Gynäkologen) von den MVZ im Vergleich zu Einzelpraxen – sowohl fall- als auch patientenbezogen – deutlich höhere Honorarvolumina abgerechnet als unter ansonsten gleichen Bedingungen durch Einzelpraxen. In den übrigen vier Fachrichtungen (Hausärzte, Neurologen, Orthopäden, Urologen) lägen die Honorarvolumina der MVZ auf etwa gleicher Höhe oder unter den Honorarvolumina der Einzelpraxen. Über alle Fachrichtungen hinweg würden die untersuchten MVZ je Behandlungsfall ein im Vergleich zu Einzelpraxen um plus 5,7 Prozent höheres Honorarvolumen aufweisen. In der Teilgruppe der PEG-MVZ liege das Honorar je Behandlungsfall sogar um 10,4 Prozent über dem der Einzelpraxen.

Der Bundesverband medizinische Versorgungszentren (BMVZ) hat inzwischen eine ausführliche Stellungnahme zu dem Gutachten veröffentlicht. Demnach sei der Aussagewert der Studie eingeschränkt und es gebe methodische Mängel. Vor allem ein Vergleich der Abrechnung von MVZ mit ähnlichen Kooperationsstrukturen (BAG und Arztnetze) wäre spannend gewesen, sagt der Verband – auftragsgemäß habe die IGES-Analyse aber allein auf MVZ sowie auf PEG-MVZ fokussiert, die in Bayern nach IGES-Angaben 0,67 Prozent der Versorgungsrelevanz ausmachen. Akzeptiert würden demnach MVZ in Vertragsarztträgerschaft, die als „inhabergeführt“ gälten. Der Verband wörtlich: „Im Umkehrschluss stehen nicht-inhabergeführte MVZ – also alle Zentren, bei denen sich ein zulässiger Träger, wie beispielsweise ein Krankenhaus, mit Hilfe von angestellten Ärzten in der ambulanten Versorgung engagiert – unter dem Generalverdacht, bloße Renditeobjekte zu sein, Sekundärinteressen zu verfolgen und/oder insgesamt die ordnungsgemäße Patientenversorgung zu gefährden. Dass es zu diesem Punkt Versorgungsforschung geben sollte, ist selbstverständlich. Allerdings wäre zur Versachlichung der zum MVZ-Thema grundsätzlich häufig emotional geführten Debatte hilfreich, ein neutrales Studiendesign zu wählen.“

Darüber hinaus fordert Eßer, dass für mehr Transparenz und Patientenschutz auf Bundes- und Landesebene ein verpflichtendes Register für MVZ geschaffen werden sollte. Angaben von gesellschaftsrechtlichen Eigentümerstrukturen auf Praxisschild und Website von MVZ müssten verpflichtend werden. „Ein weiteres Abwarten der Politik führt zu unabwendbaren negativen Folgen für die Patientenversorgung in Deutschland“, so Eßer.

„Es ist bereits fünf nach zwölf!“

Prof. Dr. Christoph Benz, Präsident der BZÄK, fügt hinzu: „Die aktuellen Recherchen des NDR bestätigen, dass es bereits fünf nach zwölf ist. Wenn dort gezeigt wird, wie auf Zahnärztinnen und Zahnärzte in einigen iMVZ massiver Umsatzdruck ausgeübt wird, hat das mit indikationsgerechter Zahnmedizin nichts mehr zu tun, zumal die Zahnärztekammern als Berufsaufsichtsbehörden gegen das Konstrukt iMVZ keine Durchgriffsrechte haben.“ Zahnmedizin sei kein Gewerbe, so Benz, so stehe es schon in §1 des Zahnheilkundegesetzes. Sollte die ungebremste Zunahme von iMVZ weiterhin nicht eingedämmt werden, sei zu befürchten, dass in absehbarer Zeit die zahnmedizinische Versorgung zu einem großen Teil aus renditeorientierten Gesundheitsfabriken bestehe.

„Dies sollte die Politik jetzt aufrütteln“, mahnt Benz. Auch die Erkenntnisse der neuen Studie des IGES-Instituts, nach der die iMVZ deutlich höhere Abrechnungszahlen produzieren, sollten Benz zufolge zu einem raschen Umdenken führen. „Die Zahnmedizin in unserem Land ist international auf Spitzenniveau – und das auch ohne Fremdkapital, welches nur zu Umsatzdruck, Über- und Fehlversorgung und somit Qualitätsverlust führen wird“, betont der BZÄK-Präsident. „Zahnmedizin ist persönliche Dienstleistung am und für den Menschen und keine Fließbandarbeit.“

Weitere Informationen zum Thema iMVZ, darunter zwei Gutachten, sind auf der Website der KZBV unterhttps://www.kzbv.de/zahnmedizinische-versorgungszentren.1280.de.html abrufbar. Die „Panorama“-Sendung ist in der ARD-Mediathek unter https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/Spekulanten-greifen-nach-Arztpraxen 

eingestellt. Das Gutachten der KVB wurde auf der Website der KVB unterhttps://www.kvb.de/ueber-uns/gesundheitspolitik/spekulationsobjekt-gesundheit/veröffentlicht.

Ärzte kritisieren Renditejagd

Auch der Verband der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte (Virchowbund) kritisiert eine verschärfte Renditejagd im Gesundheitswesen. Dr. Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des Virchowbundes, forderte kürzlich konkrete Gesetzesänderungen ein. Betroffen seien neben Zahnarztpraxen inzwischen auch andere Fachgruppen wie Augenärzte, Radiologen, Nephrologen, Gynäkologen und auch Internisten und Hausärzte. Gleichzeitig gebe es deutliche Hinweise, dass MVZ-Ketten in Investorenhand die Behandlungskosten in die Höhe trieben, ohne die Qualität der Versorgung zu verbessern. Eine Hauptforderung des Virchowbundes sei ein Transparenz-Register für MVZ. Zum zweiten sollten MVZ-Neugründungen nur noch als gGmbH möglich sein. Um bloße Spekulation mit raschen Wiederverkäufen zu verhindern, schlägt der Virchowbund zudem vor, MVZ-Trägern die Zulassung zu entziehen, wenn innerhalb von fünf Jahren die Mehrheit der Gesellschaftsanteile veräußert wird oder die wirtschaftlich berechtigten Personen wechseln.

Scharfe Kritik kommt auch von der Ärztekammer Berlin. Sie fordert, die zunehmende Kommerzialisierung in der ambulanten Versorgung zu stoppen. Weiteren Übernahmen von ärztlichen Praxen durch industrielle Fremdinvestoren oder Private-Equity-Gesellschaften sei entschieden entgegenzutreten.

Panorama-Recherche zu i-MVZ

Spekulanten schlucken Deutschlands Praxen

„Wem gehören Deutschlands Arztpraxen? Den Ärzten, die auf dem Türschild stehen?“ Diese Frage stellen Journalisten von Panorama. Ihre Antwort: In vielen Fällen nicht mehr. Internationale Finanzinvestoren kaufen bei uns Kleinstkliniken, um über diesen Umweg hunderte Praxen lukrativer Fachrichtungen zu erwerben und Renditen von bis zu 20 Prozent pro Jahr einzustreichen. Die Behandler stehen unter immensem Druck, Umsatz zu machen. Anonym berichtet auch eine Zahnärztin, was sie getan hat.

Die Panorama-Redakteure sprachen im Verlauf ihrer monatelangen Recherche mit mehreren Zahnärztinnen und Zahnärzten, die in investorengeführten Praxisketten beschäftigt sind oder waren. Eine erzählt schließlich anonymisiert vor laufender Kamera, dass sie hunderte Patienten behandelt und am Ende gekündigt habe. Aus Gewissensbissen, wie sie sagt.

Ein Patient ohne Geld ist kein guter Patient

In der Praxis habe ständig ein enormer wirtschaftlicher Druck geherrscht, immer, jeden Tag. Die Umsätze der Behandler innerhalb der Kette hätten die Chefs vor dem Team regelmäßig verglichen, außerdem hätten sie Behandlungskataloge empfohlen. So kam es nach Darstellung der Zahnärztin in ihrem Fall wiederholt dazu, dass sie gesunde Zähne angebohrt, Patienten ohne medizinische Indikation dringend eine prothetische Versorgung empfohlen oder Leistungen abgerechnet hat, die es gar nicht gab. Die Vorgabe war demnach, dem Patienten besonders lukrative Behandlungen vorzuschlagen, möglichst mit hohen privaten Zuzahlungen. Wenn er sich eine solche Versorgung nicht leisten kann, „dann ist der Patient nichts mehr für uns“.

Der Interessenverband der investorengeführten Zahnarztpraxen bestreitet, dass dieses Prozedere System hat. Ein solches Vorgehen würde „unseren Grundsätzen widersprechen“, schreibt der Bundesverband für nachhaltige Zahnheilkunde (BNZK) auf Panorama-Anfrage,  und wäre darüber hinaus auch nicht im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben. Investorengeführte Zahnarztpraxen würden weder anders abrechnen noch in die Behandlungsfreiheit der Ärzte eingreifen. Das belege eine Studie, argumentiert der Verband. Befragt wurden dafür 24 (sic!) Praxen, an denen Investoren beteiligt sind, Auftraggeber waren die Ketten selbst. Ein Interview lehnt der BNZK ab.

Konstantin von Laffert, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, berichtet den Journalisten, dass man in den Kammern viele Beschwerden von Kolleginnen und Kollegen höre, die in großen investorenfinanzierten Verbünden arbeiten – diese Rückmeldungen erreichten die Standespolitik jedoch immer nur hinter vorgehaltener Hand, da die Betroffenen über entsprechende Vertragsklauseln zur Verschwiegenheit verpflichtet seien.

Ganz ähnlich die Situation in der Augenheilkunde. „Finanzinvestoren übernehmen überall in Deutschland Augenarztpraxen“, heißt es in der Sendung, schon jetzt seien es mehr als 500. Patientenberichte reichten von unnötigen, privat zu zahlenden Vorsorgeuntersuchungen bis hin zu dringenden Operationsempfehlungen, ohne dass diese von der Anamnese oder Therapiefreiheit gedeckt sind. Entsprechende Zweitmeinungen holte die Redaktion bei renommierten Stellen ein. Darauf angesprochen, bestreiten die Praxisketten die Darstellung oder verweigern eine Stellungnahme. Aussage steht gegen Aussage.

Nach monatenlanger Recherche und fast hundert Gesprächen mit Augenärzten kommen die Journalisten zu dem Schluss, dass Selbstzahlerleistungen in investorengeführten Praxen – häufig am Tresen noch vor dem ersten Arztgespräch – systematisch aufgeschwatzt und ertragreiche Operationen überproportional häufig durchgeführt werden. Eine der größten Ketten weist in ihrem Geschäftsbericht von 2020 eine Rendite von knapp 20 Prozent aus – erwirtschaftet hauptsächlich durch die mehr als 160.000 durchgeführten OPs im Jahr, oft wegen Erkrankungen wie dem Grauen Star.

Sie müssen das aber machen lassen – sonst erblinden Sie!

Auch hier äußert sich eine Ärztin mit langjähriger Berufserfahrung anonymisiert: „Auf das Personal war hoher Druck ausgeübt worden, dass jeder Patient, der in die Praxis kommt, auf bestimmte Leistungen angesprochen werden muss.“ Und wenn der Patient sich weigert? „Die Arzthelferin sagt dann: Sie müssen das aber machen lassen – sonst erblinden Sie!“

Das Schlupfloch im Gesetz erlaubt aberwitzige Eigentümerstrukturen erlaubt. Aus dem Hause von Prof. Karl Lauterbach hieß es dazu lediglich, dem BMG sei „nicht bekannt, ob und inwieweit eine beherrschende Marktkonzentration vorliegt“. Ein Interview mit dem Bundesgesundheitsminister oder einem seiner Staatssekretäre bekam die Redaktion nicht, trotz mehrmaliger Anfragen über einen Zeitraum von mehreren Monaten.

Bis dahin ist es keine Ausnahme, dass in manchen Städten bereits die Hälfte der Augenarztpraxen einem Investor gehören – ohne dass das Praxisschild darüber Auskunft gibt. Die freie Arztwahl ist hier wohl nur noch eine Illusion. Oder dass ein internationaler Finanzinvestor eine bayerische Schlafklinik mit vier Betten kauft, der ein paar Jahre später 140 Augenarztpraxen gehören, die pro Jahr 19 Prozent Rendite abwerfen.

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