NHS in England

Kinder ohne Zahnarzt

In Großbritannien haben Grundschullehrer offenbar Wohltätigkeitsorganisationen darum gebeten, Kindern Zugang zur zahnärztlichen Versorgung zu verschaffen. Insgesamt 12,5 Millionen Behandlungen für Kinder sind seit dem Lockdown bereits ausgefallen, rügt die British Dental Association (BDA).

Die BDA bezieht sich auf Veröffentlichungen der BBC, wonach sich Lehrer der Trinity-Academy-Grundschule in Calderdale an die örtlichen Behörden gewandt hatten, da es vor Ort keine Zahnarztpraxen gibt, die eine NHS-Versorgung der Schulkinder anbieten können. Die Behörden beauftragten laut BBC daraufhin Dentaid, die Schüler zu untersuchen und zu behandeln. Zuvor hatte die Wohltätigkeitsorganisation im Rahmen eines zweiwöchigen Besuchs bereits 80 Kinder behandelt, unter anderem wegen Karies, abgebrochener Zähne und Abszessen. 

Durch die Pandemie droht noch mehr Karies

Viele dieser Kinder haben der BDA zufolge seit dem Ausbruch der Pandemie keinen Zahnarzt mehr gesehen, was sich sowohl auf deren Gesundheit als auch auf deren Lernfähigkeit auswirkt. Die BDA weist darauf hin, dass seit der Schließung allein in England über 40 Millionen NHS-Termine ausgefallen sind – das entspricht dem Wert von über einem Jahr Zahnbehandlungen in normalen Zeiten, darunter waren über 12,5 Millionen für Kinder.

Angesichts der anhaltenden Aussetzung der zahnärztlichen Versorgung und der öffentlichen Gesundheitsprogramme warnen Experten, dass sich infolgedessen die Ungleichheit im Bereich der Mundgesundheit unweigerlich vergrößern werde. In der Konsequenz bedeute dies, dass die Patienten umfangreichere, zeitaufwendigere und kostspieligere Eingriffe benötigten. Karies ist in Großbritannien seit Langem der häufigste Grund für Krankenhauseinweisungen bei Kleinkindern. 

„Eine wohlhabende Nation des 21. Jahrhunderts sollte sich nicht auf Wohltätigkeitsorganisationen verlassen, um die medizinische Grundversorgung unserer Kinder zu gewährleisten.“

Eddie Crouch, Vorsitzender der British Dental Association

Gegenwärtig arbeiten die Praxen der BDA zufolge aufgrund der anhaltenden Pandemiebeschränkungen immer noch deutlich unter ihrer Kapazität. Zugangsprobleme sind jedoch schon seit einer Generation die Regel: Seit 2006 sind Zahnärzte gezwungen, nach einem weithin diskreditierten NHS-Zielvertrag zu arbeiten, bei dem die Praxen eine bestimmte Menge an Leistungen erbringen müssen. „Dieses perverse System zahlt Zahnärzten den gleichen Betrag für eine Füllung wie für zehn und hat zu Problemen bei der Einstellung und Bindung von Zahnärzten geführt“, kritisiert die BDA.

Der Exodus der Zahnärzte hat längst begonnen

So gibt es keine langfristige Finanzierung, um die Sanierung und Reform des NHS zu fördern. Es gibt zwar eine Zusage der Regierung über 50 Millionen Pfund für bis zu 350.000 Termine extra zum 1. April 2022, doch allein zur Wiederherstellung des Niveaus von 2010 bräuchte der NHS zusätzliche 880 Millionen Pfund – pro Jahr. Zwar laufen derzeit Verhandlungen über einen NHS-Vertrag, doch stellt sich laut BDA die Frage, wie ehrgeizig die Ziele der Regierung sind und ob im Rahmen des derzeitigen Finanzrahmens sinnvolle Verbesserungen der Versorgung erreicht werden können.

Ab dem 1. April 2022 müssen die NHS-Zahnärzte in England 95 Prozent der vor dem COVID-Vertrag erbrachten Leistungen erbringen, was faktisch einer Rückkehr zum „business as usual“ gleichkommt, während die zahnärztlichen Teams weiterhin den Einschränkungen der Pandemie unterliegen. Fast 1.000 Zahnärzte haben den NHS in England im vergangenen Jahr verlassen, ein Trend, der sich angesichts des derzeitigen Drucks voraussichtlich noch verstärken wird. Die BDA hat die Regierung darum aufgefordert, die Dringlichkeit des Problems anzuerkennen und die notwendigen Mittel für den Wiederaufbau und die Reform des Dienstes bereitzustellen. 

Der NHS – überlastet und unterfinanziert

„Wir grüßen diese Freiwilligen, aber wir leben nicht mehr im viktorianischen Zeitalter“, sagte der BDA-Vorsitzende Eddie Crouch. „Eine wohlhabende Nation des 21. Jahrhunderts sollte sich nicht auf Wohltätigkeitsorganisationen verlassen, um die medizinische Grundversorgung unserer Kinder zu gewährleisten. Die Minister müssen wirklich von diesen Lehrern lernen, wie wichtig die Mundgesundheit ist.“

Die NHS-Zahnmedizin liege in den letzten Zügen. Crouch: „Überlastet, unterfinanziert und mit einem noch nie dagewesenen Rückstau konfrontiert, sind viele Zahnärzte am Ende ihrer Kräfte. Einmalige Besuche auf Spielplätzen drohen zur neuen Normalität zu werden, wenn die Regierung nicht eingreift.“

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