Oralchirurgie

Zufallsbefund großer Speichelstein

Speichelsteine treten selten auf und werden üblicherweise durch akute Symptome wie entzündliche und/oder schmerzhafte Schwellungen durch den Patienten bemerkt. Doch selbst ein ungewöhnlich großer Speichelstein kann asymptomatisch bleiben und erst im Rahmen der gründlichen Erstuntersuchung eines neu aufgenommenen Patienten als Zufallsbefund entdeckt werden, wie dieser Patientenfall zeigt.

Ein 72-jähriger Mann, der wegen Verletzungen, die er bei der Flutkatastrophe im Ahrtal erlitten hatte, im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz stationär behandelt wurde, kam am 19. Juli 2021 zur konsiliarischen Mitbehandlung in der Abteilung XXIII (Zahnmedizin, Spezialambulanz Oralchirurgie und Implantologie) zur Vorstellung. Der Patient berichtete, dass er seinen Zahnersatz – Totalprothesen in Ober- und Unterkiefer – während seiner Flucht vor der Flut verloren hatte und seitdem nur mit enormer Beeinträchtigung Nahrung zerkauen konnte. Er bat um die Herstellung eines neuen Zahnersatzes während seiner stationären Behandlung. Sonstige Beschwerden im Mund-Kiefer-Bereich wurden nicht angegeben. Im Rahmen der Unterstützung der Flutopfer wurde zur Wiederherstellung der mastikatorischen Funktion des Patienten mit der Neuanfertigung einer Ober- und Unterkieferprothese begonnen.

Bei der klinischen Untersuchung vor den Abdrucknahmen wurde ein circa 2 cm großer, harter, nicht druckdolenter und verschieblicher Tumor im Mundboden rechts getastet. Die Mundschleimhaut zeigte im Bereich der Schwellung keinen Anhalt für eine entzündliche Veränderung. Der Ausführungsgang der Glandula submandibularis rechts war über die Plica sublingualis bis zur ventralen Begrenzung zur Schwellung hin ohne Widerstand sondierbar. Bei Druck auf die Gl. submandibularis rechts konnte Speichel über den Ductus submandibularis exprimiert werden. Der bimanuelle Tastbefund ergab einen ovalen, harten und leicht verschieblichen Fremdkörper im rechten Mundboden.

Die radiologische Diagnostik erfolgte mittels Panoramaschichtaufnahme (Abbildung 1). Auf dieser Röntgenaufnahme zeigte sich eine circa 27 mm x 15 mm große, hyperdense ovale Struktur, die sich über den rechten Unterkiefer projizierte.

Auf der Grundlage der Ergebnisse der klinischen und der radiologischen Untersuchung ergab sich mit allergrößter Wahrscheinlichkeit als Diagnose das Vorhandensein eines großen Sialolithen im Ductus submandibularis rechts. Überraschenderweise bestand trotz der außergewöhnlichen Steingröße keine klinisch relevante Beeinträchtigung des Speichelabflusses über den Ductus sublingualis. Auf näheres Befragen gab der Patient an, einmal vor einiger Zeit kurz anhaltende Schmerzen in dem Bereich gehabt zu haben.

Da der Patient bis auf die klinisch erkennbare Schwellung im rechten Mundboden beschwerdefrei war, hatte er deren Ursache nicht weiter zahnärztlich untersuchen lassen. Trotz aktueller Beschwerdefreiheit wurde ihm die operative Entfernung des Speichelsteins zur Vermeidung einer vollständigen Verlegung des Ductus und möglicherweise daraus resultierender Sialoadenitis der Glandula submandibularis und sublingualis empfohlen und angeboten. Nach schriftlich dokumentierter Aufklärung über mögliche Komplikationen und anschließender Bedenkzeit stimmte der Patient zu.

Die präoperative Anamnese ergab bei insgesamt gutem Allgemeinzustand des Patienten lediglich eine leichte COPD, so dass der vorgesehene Eingriff unter Lokalanästhesie durchführbar war. Parallel zum vorgesehenen Termin zur Entfernung des Sialolithen wurde mit fachlicher Unterstützung des zahntechnischen Labors der Abteilung XXIII mit der Herstellung eines neuen Zahnersatzes begonnen. Ziel war es, die Behandlung bis zur Entlassung des Patienten aus der stationären Behandlung abzuschließen.

Am 27. Juli 2021 erfolgte der Eingriff in der oralchirurgischen Ambulanz der Abteilung XXIII wie vorgesehen unter Lokalanästhesie. Es gelang, einen 27 mm x 15 mm großen Sialolithen aus dem Ductus sublingualis zu entfernen. Anschließend erfolgte eine Marsupialisation des Ductus und die Schaffung einer neuen Gangmündung im Bereich des Mundbodens. Der Sialolith wurde aufgrund eindeutiger klinischer Identifikation nicht zur pathologischen Aufbereitung weitergeleitet (Abbildung 2).

Im Rahmen der Abendvisite durch den Operateur war der Patient beschwerdefrei und bot keinen Anhalt für Nachblutungen oder eine pathologische Schwellung im Bereich des Operationsgebiets. Postoperativ wurde für fünf Tage weiche Kost verabreicht. Es erfolgten eine vorsichtige Mundhygiene im Operationsgebiet und Mundspülungen mit 0,2 Prozent Chlorhexidin-Lösung. Zur Analgesie erhielt der Patient Ibuprofen 600 mg und er wurde angehalten, mindestens 2 l Flüssigkeit zu trinken und saure Drops zu lutschen, um eine Oligo- oder eine Xerostomie durch ausreichende Speichelproduktion zu verhindern.

Während der Verlaufskontrolle am ersten postoperativen Tag konnte bei reizfreien Wundverhältnissen durch Druck auf die Glandula submandibularis Speichel über die neue Gangmündung im Mundboden exprimiert werden. Am zehnten postoperativen Tag erfolgte die Nahtentfernung und der Patient konnte – zwischenzeitlich mit dem neu angefertigten Zahnersatz in Ober- und Unterkiefer versorgt und zufrieden mit der dadurch wieder gewonnenen Kaufunktion und Ästhetik – aus unserer Behandlung entlassen werden.

Diskussion

Unter den wichtigen Erkrankungen der großen Speicheldrüsen ist die Sialolithiasis mit einem Anteil zwischen 40 und 50 Prozent aller Fälle vertreten [Capaccio et al., 2017]. Die Inzidenz in der Allgemeinbevölkerung wird zwischen 28 und 59 Fällen pro eine Million Einwohner über ein Jahr angegeben [Escudier & McGurk, 1999]. Das mittlere Alter für das Auftreten von Symptomen im Zusammenhang mit einer Sialolithiasis liegt bei 45 Jahren [Iro et al., 2009], wobei Männer bevorzugt betroffen sind.

Bis zu 80 Prozent der Speichelsteine finden sich in der Glandula submandibularis und deren Ausführungsgang [Sigismund et al., 2015]. Ein Grund dafür ist, dass diese Drüse einen stark seromukösen Speichel bildet und diesen über einen langen und gekrümmten Gang (Wharton-Gang) befördert, was die Kalkausfällung und Steinbildung begünstigt [Huoh & Eisele, 2011]. Die Steine sind dabei häufig im distalen Drittel des Ganges lokalisiert – besonders in der „comma area“, dem Bereich des hinteren Mundbodens, in dem der Wharton-Gang einen knieähnlichen Verlauf mit einem Winkel zwischen 24° und 178° aufweist [Iro et al., 2014]. Weitere diskutierte Ursachen sind Dehydration, ein reduzierter Speichelfluss, eine geänderte Speichelzusammensetzung, Nikotinabusus, primärer Hyperparathyreoidismus und das Eindringen von Bakterien und Nahrungsresten in den Ausführungsgang [Stack & Norman, 2008].

Die meisten Sialolithen werden mit einer Größe von 5 mm bis 10 mm beschrieben. Alle Steine ab einer Größe von 10 mm in einer Achse werden als Sialolithen ungewöhnlicher Größe bezeichnet. Wenn die Größe von 35 mm überschritten wird, werden sie als riesig eingestuft [Rai & Burmann, 2009].

Durch die Verlegung des Ausführungsgangs kann es zu rezidivierenden und typischerweise im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme auftretenden entzündlichen Schwellungen einer Speicheldrüse kommen, die häufig schmerzhaft sind. Diese bilden sich klassischerweise bei Ausbleiben des Nahrungs- beziehungsweise Geschmacksreizes zurück [Al-Nawas et al., 2020]. Durch einen nicht entfernten obstruktiven Sialolithen kann es im ungünstigsten Verlauf zu einer akuten Sialadenitis kommen. Auch wurden Komplikationen wie Abszesse, Fisteln und phlegmonöse Entzündungen beobachtet [Paul & Chauhan, 1995]. Im hier vorgestellten Fall war es trotz der beachtlichen Größe des Steines nur zu einem kurzzeitigen und einmaligen Auftreten von akuten Symptomen gekommen, was als sehr ungewöhnlich anzusehen ist.

Zur klassischen diagnostischen Vorgehensweise gehört zunächst die bimanuelle Tastuntersuchung zur groben Bestimmung von Lage, Größe, Beweglichkeit und Form des Steines. Alle diese Parameter können mit hochauflösendem Ultraschall dargestellt werden, der sich als schnelles, wirksames und gut geeignetes primäres Diagnosemittel erwiesen hat und gleichzeitig für eine angemessene Behandlungsplanung eingesetzt werden kann [Goncalves et al., 2017]. Im vorgestellten Fall war bei Beschwerdefreiheit der Glandula sublingualis die Diagnose klinisch und radiologisch eindeutig zu stellen, weshalb auf die Sonografie verzichtet wurde. Ebenso kann mit der Sialendoskopie die Obstruktion sichtbar gemacht werden [Al-Nawas et al., 2020]. Bei unklaren Befunden und schwieriger Lage kann eine Computertomografie weitere Informationen erbringen [Yousem et al., 2000].

Zur Therapie stehen heutzutage mehrere minimalinvasive Methoden zur Verfügung – wie die interventionelle Sialendoskopie (Entfernung des Steines aus dem Gangsystem der Speicheldrüse), die transorale Ductus-Chirurgie, die extrakorporale Stoßwellenlithotripsie (Zertrümmerung der Steine) und die in den vergangenen Jahren deutlich verbesserte intraductale Stoßwellenlithotripsie. Dabei lassen sich die einzelnen Therapien kombinieren. Durch diese Methoden konnte die Rate der Sialadenektomien deutlich gesenkt werden, dennoch ist sie aber bei besonders proximaler oder intraglandulärer Steinlage vereinzelt indiziert [Koch et al., 2021].

Die zu wählende Therapie ist von der Lage und der Größe des jeweiligen Sialolithen abhängig. Hierbei ist die interventionelle Sialendoskopie umso erfolgreicher, je kleiner und mobiler die Steine sind. Bei größeren Steinen führt die transorale Ductus-Chirurgie in Form einer Gangschlitzung bei einmaliger Anwendung häufig zum Erfolg [Al-Nawas et al., 2020].

Die minimalinvasiven Techniken haben sich zeitgemäß als Therapie der Wahl etabliert [Koch et al., 2021] und weisen bei einer Lage des Steines im Ductus submandibularis Erfolgsquoten von 85 bis 100 Prozent auf. Sie sind verhältnismäßig einfach, lassen sich an unterschiedliche anatomische Gegebenheiten anpassen und können größtenteils in Lokalanästhesie durchgeführt werden [Park et al., 2013; Zenk et al., 2001]. Komplikationen wie Wundinfektionen, Nachblutungen, Verletzungen des Nervus lingualis oder des Nervus hypoglossus und eine Narbenbildung wie nach einer Sialadenektomie werden dabei vermieden [Iro et al., 2009; Preuss et al., 2007].

Im hier vorgestellten Fall bot sich die intraorale Ductus-Chirurgie mit Gangschlitzung und Marsupialisation des Ganges an, die erfolgreich durchgeführt werden konnte. 

Dieser Patientenfall wurde zuerst in der Zeitschrift „Wehrmedizinische Monatsschrift“ publiziert: Marciak P, Boros G: Großer Speichelstein als oralchirurgischer Zufallsbefund. WMM 2022; 66(6–7): 245–248. Der Beitrag wurde für die zm redaktionell bearbeitet.

Fazit für die Praxis

Nicht immer hält sich die Natur an die Erkenntnisse, die aus Studien und Statistiken gewonnen werden. Und selbst wenn in den allermeisten Fällen rezidivierende Schwellungen und Schmerzen im Bereich der von einem Sialolithen betroffenen Speicheldrüse die Betroffenen zum Arzt führen, so zeigt dieser Fall, dass auch ein ungewöhnlich großer Speichelstein asymptomatisch bleiben kann. Gleichzeitig wird ebenfalls deutlich, dass eine gründliche klinische Untersuchung bei jeder Erstvorstellung eines Patienten beim Zahnarzt – auch wenn es „nur“ um die Anfertigung einer neuen Zahnprothese geht – stets geboten ist.

Literaturliste

1. Al-Nawas B, Beutner D: Geisthoff U et al.: S2k-Leitlinie (Langfassung) - Obstruktive Sialadenitis. DGHNO-KHC 2020; <https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/017–025l_S2k_Obstruktive_Sialadenitis_2020–05_1.pdf>, letzter Aufruf 20. April 2022.

2. Capaccio P, Torretta S, Pignataro L, Koch M: Salivary lithotripsy in the era of sialendoscopy. Acta Otorhinolaryngol Ital 2017; 37: 113–121.

3. Escudier MP, McGurk M: Symptomatic sialoadenitis and sialolithiasis in the English population, an estimate of the cost of hospital treatment. Br Dent J 1999; 186(9): 463–466.

4. Goncalves M, Schapher M, Iro H, Wuest W, Mantsopoulos K, Koch M: Value of Sonography in the Diagnosis of Sialolithiasis: Comparison with the Reference Standard of Direct Stone Identification. J Ultrasound Med 2017; 36: 2227–2235.

5. Huoh KC, Eisele DW: Etiologic factors in sialolithiasis. Otolaryngol Head Neck Surg 2011; 145(6): 935–939.

6. Iro H, Zenk J, Koch M, Bozzato A: Das Erlanger Konzept Teil I: Sialendoskopie bei obstruierenden Erkrankungen der großen Kopfspeicheldrüsen. Tuttlingen, EndoPress 2014: 6–7.

7. Iro H,Zenk J, Escudier MP et al.: Outcome of minimally invasive management of salivary calculi in 4,691 patients. Laryngoscope 2009;119(2): 263–268.

8. Koch M, Mantsopoulos K, Müller S, Sievert M, Iro HJ: Treatment of Sialolithiasis: What Has Changed? An Update of the Treatment Algorithms and a Review of the Literature. Clin Med 2021; 11(1): 231.

9. Park HS, Pae SY, Kim KY et al.: Intraoral removal of stones in the proximal submandibular duct: Usefulness of a surgical landmark for the hilum. Laryngoscope 2013; 123: 934–937.

10. Paul D, Chauhan SR: Salivary megalith with a sialo-cutaneous and a sialo-oral fistula: a case report. J Laryngol Otol 1995; 109(8): 767–769.

11. Preuss SF, Klussmann JP, Wittekindt C et al.: Submandibular gland excision: 15 years of experience. J Oral Maxillofac Surg2007; 65(5): 953–957.

12. Rai M, Burman R: Giant submandibular sialolith of remarkable size in the comma area of Wharton’s duct: a case report. J Oral Maxillofac Surg 2009; 67: 1329–1332.

13. Sigismund PE, Zenk J, Koch M, Schapher M, Rudes M, Iro H: Nearly 3,000 salivary stones: Some clinical and epidemiologic aspects. Laryngoscope 2015; 125: 1879–1882.

14. Stack Jr. BC, Norman JG: Sialolithiasis and primary hyperparathyroidism. ORL J Otorhinolaryngol Relat Spec. 2008; 70 (5): 331–334.

Abb. 3: Lokalisation der großen Speicheldrüsen und ihrer Ausführungsgänge (aus [17]) WMM 2022 – 66(6-7) 248A

15. Thews G, Mutschler E, Vaupel P: Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie des Menschen (6. Auflage). Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH 2007.

16. Yousem DM, Kraut MA, Chalian AA: Major salivary gland imaging. Radiology 2000; 216: 19–29.

17. Zenk J, Constantinidis J, Al-Kadah B, Iro H: Transoral removal of submandibular stones. Arch Otolaryngol Head Neck Surg 2001; 127: 432–436.

Oberfeldarzt Dr. Paul Marciak

Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Abteilung XXIII – Zahnmedizin, Spezialambulanz Oralchirurgie und ImplantologieRübenacher Str. 170, 56072 Koblenz

Oberfeldarzt Dr. Gabor Boros

Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Abteilung XXIII – Zahnmedizin, Spezialambulanz Oralchirurgie und ImplantologieRübenacher Str. 170, 56072 Koblenz 

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