Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ)

Ästhetik geht heute auch non-invasiv!

Kerstin Albrecht
Der Anspruch, unterschiedliche ästhetische Herausforderungen minimal- oder non-invasiv mithilfe der modernen Adhäsivtechnik zu lösen, zog sich wie ein roter Faden durch das Tagungsprogramm der DGZ, die gemeinsam mit der DGPZM und der DGR²Z vom 22. bis zum 24. September 2022 nach Würzburg eingeladen hatte. Auf der Agenda standen Zahnumformungen mit Komposit, die Rehabilitation von Abrasionsgebissen und die Läsionsversorgung im Zahnhalsbereich.

Die Zahnerhaltung ist das zentrale Anliegen der modernen Zahnmedizin“ – mit diesen Worten begrüßte DGZ-Präsident Prof. Rainer Haak aus Leipzig die fast 400 Teilnehmer vor Ort in Würzburg und bundesweit an den Bildschirmen. Ästhetische Verbesserungen unter größtmöglicher Schonung der Zahnhartsubstanz standen bei der 36. DGZ-Jahrestagung mit dem Titel „Ästhetik ohne Kronen“ im Vordergrund.

Tagungspräsident Prof. Gabriel Krastl hatte ein wissenschaftliches Programm mit viel Praxisbezug zusammengestellt. Die Referentinnen und Referenten zeigten anhand zahlreicher Patientenfälle, was adhäsive Materialien heute leisten können. Die Fachgesellschaften Deutsche Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ), Deutsche Gesellschaft für Präventivzahnmedizin (DGPZM), Deutsche Gesellschaft für Restaurative und Regenerative Zahnerhaltung (DGR2Z) und die SIZ (Stiftung Innovative Zahnmedizin) beleuchteten in Vortragsblöcken Themen ihres Fachgebiets.

Auf die Proportionen kommt es an

Einer der Wegbereiter der minimal-invasiven Frontzahnästhetik, Prof. Bernd Klaiber (Würzburg), beleuchtete im ersten einer Reihe von Vorträgen des DGZ-Blocks die verschiedenen Einsatzgebiete additiver, adhäsiver Techniken. Er zeigte Patientenfälle, die beispielhaft den Lückenschluss eines Diastema mediale, das Schließen größerer schwarzer Dreiecke oder einzelne adhäsive Zahnumformungen zur Harmonisierung einer Frontzahnsituation demonstrierten. Um Lücken zu schließen, müssen Zähne verbreitert werden. Damit das möglichst unauffällig geschieht, ist oft eine aufwendige beidseitige Verbreiterung von mesial und distal nötig. „Alles, was einen Zahn breiter macht, lässt ihn aber auch kürzer erscheinen“, gab Klaiber dabei zu bedenken. Bei Zahnverbreiterungen sei darauf zu achten, dass die interinzisalen Zwischenräume nicht ganz verloren gehen. Andernfalls müssten diese wieder eingeschliffen werden, indem die Zähne mit einem Keil separiert werden und dann mit einer Soflex-Scheibe ein interinzisales Dreieck niedrig-tourig und trocken-schleifend eingearbeitet wird.

Der Medizinethiker Prof. Dominik Groß (Aachen) grenzte ästhetische von kosmetischen beziehungsweise wunscherfüllenden Behandlungen ab, für die es jeweils Angebot und Nachfrage gebe. Die Kosmetik diene dem Schmücken des menschlichen Körpers – zahnmedizinische Interventionen mit einem solchen Ziel werden ausschließlich auf Wunsch des Patienten durchgeführt – ohne medizinische Indikation und ohne kurativen Ansatz. Bei Fällen, in denen eine medizinische Indikation mitbeteiligt ist, gilt: „Je weniger eindeutig eine medizinische Indikation eines Eingriffs ist, desto ausführlicher und eindrücklicher müssen der Patient oder die Patientin aufgeklärt werden“, sagte Groß. Dies sei entsprechend zu dokumentieren. 

Passt die Erosion zum Alter des Patienten?

Prof. Thomas Attin (Zürich) beleuchtete in seinem Vortrag die Möglichkeiten, ein Erosions- und Abrasionsgebiss ästhetisch zu rehabilitieren. Zur Frage des Zeitpunkts der Restauration von Erosionen beziehungsweise Abrasionen sei es wichtig, sich zu fragen, ob der Grad der Abnutzung zum Alter des Patienten passe. Gründe, erosive Zahnhartsubstanzdefekte zu behandeln, sind insbesondere dann gegeben, wenn Schmerzen auftreten, die Hygienefähigkeit aufgrund von Läsionen nicht mehr gegeben ist oder die Ästhetik stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die Frage, mit welchem Material – direkt mit Komposit oder indirekt mit Keramik – am besten behandelt wird, wird Attin zufolge in der Literatur sehr kontrovers diskutiert. Daraus lasse sich keine Überlegenheit für ein bestimmtes Material oder eine bestimmte Technik ableiten. Eine Rekonstruktion der Bisshöhe sei mit einer direkten Technik, bei der das Komposit über Schienen eingebracht wird, gut umsetzbar.

Durch eine konventionelle Kronenpräparation gehen 75 Prozent der Zahnsubstanz verloren – mit dieser Information überraschte PD Dr. Alexis Ioannidis, Oberarzt in der Klinik für Rekonstruktive Zahnmedizin an der Universität Zürich, seine Zuhörer. Mittlerweile gebe es auch im indirekten Bereich gut funktionierende, minimalinvasive Konzepte. Er präpariere beispielsweise auch bei keramischen Restaurationen im Frontzahnbereich keine Stufen mehr, sondern lasse die Präparation dünn im Schmelzbereich auslaufen – ein Vorgehen, das sich mit keramischen Restaurationen aus Lithiumdisilikat umsetzen lasse. Je genauer die interne Passung, desto höher sei auch die Belastungsfähigkeit aufgrund des adhäsiven Verbunds. Die Restaurationsränder sollten dabei wann immer möglich in den nicht-sichtbaren Bereich gelegt werden, denn es könne zu Randverfärbungen kommen.

Zahnerhaltung mit Raffinesse

Adhäsivbrücken eignen sich hervorragend zur Versorgung von Einzelzahnlücken. Dr. Britta Hahn (Würzburg) präsentierte ästhetische Lösungen mit vollkeramischen sowie mit faserverstärkten Adhäsivbrücken nach Zahntrauma und KFO. Dr. Sebastian Soliman (Würzburg) sprach über adhäsive Behandlungsmöglichkeiten von Patienten mit Amelogenesis- und Dentinogenesis imperfecta. Die Versorgung mit direkten Restaurationen stelle bei der Amelogenesis imperfecta eher eine Übergangslösung dar, zumindest bis der Zahndurchbruch vollständig erfolgt ist. Mit indirekten Restaurationen lasse sich schließlich die Hypersensibilität dieser Zähne wirksam therapieren, zudem verbesserten sie die Ästhetik und seien langlebig.

1. Jahrestagung der DGZMB

Die aufsuchende zahnmedizinische Betreuung bietet viele Vorteile

„Uns ist es ein wichtiges Anliegen, Prävention und Zahnerhaltung bei Menschen mit Beeinträchtigungen zu betreiben“, sagte Prof. Andreas Schulte (Witten/Herdecke), Präsident der Deutschen Gesellschaft Zahnmedizin für Menschen mit Behinderung oder besonderem medizinischen Unterstützungsbedarf (DGZMB). Die Fachgesellschaft zeigte auf ihrer Jahrestagung in einer Reihe von Vorträgen, was es dafür braucht.

Dr. Peter Schmidt, Oberarzt für Behindertenorientierte Zahnmedizin an der Universität Witten/Herdecke, berichtete von seinen Erfahrungen bei der aufsuchenden zahnmedizinischen Betreuung von Personen mit schwerer Behinderung. Seit 2014 besteht für Zahnärztinnen und Zahnärzte die Möglichkeit, die aufsuchende Versorgung für Patientinnen und Patienten zu Hause zu übernehmen und mit Pflegeeinrichtungen zu kooperieren (nach § 87 Abs. 2j SGB V). Seit dem 1. Juli 2018 sind dafür Zuschläge abrechenbar (172a/172b).

Ein mobiles zahnmedizinisches Team der Zahnklinik Witten/Herdecke realisiert die aufsuchende Betreuung in zwei Wohneinrichtungen der sogenannten „Spezialpflege“ (Wohneinrichtung für Menschen mit komplexer, schwerer Mehrfachbehinderung) mit einem klappbaren Patientenstuhl und zahnärztlichen (rotierenden) Instrumenten, nebst fahrbarem Röntgen für Zahnfilme. Im Rahmen einer zahnärztlichen Ambulanz führt das Team dort einmal pro Woche zahnärztliche Kontrollen, Mundhygieneunterweisungen und Fissurenversiegelungen/Füllungen durch.

Die Versorgung im Heim ist deutlich stressreduziert

Mit Angeboten dieser Art könnten die gesetzlichen Krankenkassen mindestens 100.000 Euro jährlich allein für Transportkosten einsparen, so Schmidt. In einer Evaluation des Projekts mit Fragebögen für die Pflegekräfte, Bewohner und Angehörigen antworteten 93 Prozent, dass ihnen bewusst geworden sei, dass die Anwesenheit eines Zahnmediziners in der Wohnstätte für Menschen mit Behinderung wichtig ist. Für die vulnerablen Menschen war die zahnmedizinische Versorgung in ihrer Lebenswelt deutlich stressreduziert. Schmidt betonte, dass Universitätskliniken für ZMK-Erkrankungen solche Projekte durchführen sollten, um Studierende im Fach Zahnmedizin damit vertraut zu machen und um wissenschaftliche Begleituntersuchungen durchführen zu können.

Prof. Dr. med. Peter Martin, Chefarzt an der Séguin-Klinik und am Epilepsiezentrum der Diakonie Kork bei Straßburg, referierte über die schwierige Schmerzdiagnostik bei Menschen mit geistiger Behinderung, die sich bei Schmerzen nicht wie Menschen ohne Entwicklungsstörungen verhalten. Häufig zeigten jene idiosynkratische Schmerzreaktionen und spezifische Verhaltensweisen – beispielsweise könnten sie sich bei Kopfschmerzen mit der Hand gegen den Kopf schlagen oder schreien. Sie könnten auch sensibler auf schmerzauslösende Reize reagieren. Einer englischen Studie zufolge waren bei 238 Todesfällen von Menschen mit geistiger Behinderung 42 Prozent vermeidbar. Diese seien darauf zurückzuführen, dass Schmerzäußerungen dieser Patienten nicht als solche erkannt wurden und daher als wichtiger auslösender Faktor eines verfrühten Todes angesehen werden müssen.

Dr. Ralf Krug (Würzburg) berichtete über ästhetische Möglichkeiten bei schwierigem Zahnerhalt. Dafür brauche es eine gute Zusammenarbeit mit anderen zahnärztlichen Disziplinen und „eine gewisse Raffinesse“. Bei Trauma, externen Resorptionen oder subgingivaler Karies könnten so Zähne mit einer chirurgisch-konservierend-kombinierten Versorgung erhalten werden. Behandler könnten dafür die Möglichkeiten der kieferorthopädischen Extrusion von Zähnen/Wurzeln oder das Benex-Extraktionssystem (mit nachfolgender Replantation) nutzen.

Die koronale Restauration endodontisch behandelter Zähne ist genauso wichtig für den langfristigen Erfolg der Therapie wie die Wurzelkanalbehandlung selbst – das betonte Privatdozentin Dr. Kerstin Bitter (Berlin) in ihrem Vortrag im Block der Stiftung Innovative Zahnmedizin (SIZ). Gerade im inneren Dentin komme es im Zuge einer endodontischen Behandlung zur Reduktion von ungebundenem Wasser. Das äußere Dentin sei stärker mineralisiert. Beide Punkte machten wurzelkanalbehandelte Zähne anfälliger für Frakturen. Das Spülen mit Natriumhypochlorid trage zu einer Degradation der Kollagenstruktur bis in eine Tiefe von 0,5 Millimetern bei, was die Biegefestigkeit des Dentins ebenfalls reduziere. Sie empfahl daher, im Seitenzahnbereich höckerfassende Restaurationen innerhalb von vier Monaten nach endodontischer Behandlung anzufertigen, insbesondere beim Vorliegen von Rissen. Der Ferrule-Effekt (Fassreifen-Effekt), also das Einfassen des natürlichen Zahnstumpfs um mindestens anderthalb bis zwei Millimeter, sei im Seitenzahnbereich nicht unbedingt notwendig, im Frontzahnbereich jedoch schon. Bei Klasse-I-Kavitäten reiche oft eine direkte adhäsive Versorgung.

Der wichtigste Schritt im Bonding-Protokoll

Wie können zervikale Läsionen am besten behandelt werden? Dazu präsentierte im Vortragsblock der DGR2Z Prof. Marleen Peumans (Leuven, Belgien) ausführlich ihre Vorgehensweise. Zu beachten sei, dass V-förmige (keilförmige) zervikale Läsionen schneller progredieren als U-förmige (abgerundete). Für die restaurative Therapie zeigten Glasionomerzemente und milde SE-(Self-Etch-)Adhäsive sehr gute Haftwerte, wobei GIZ besser im nicht-sichtbaren Bereich zur Anwendung kommen sollte. Peumans betonte die Bedeutung einer guten Isolierung, dazu verwende sie gerne Retraktionsfäden zusammen mit Teflonband oder spezielle Kofferdamklammern. Wenn schmale V-förmige Defekte vorliegen, rundet sie diese Rillen und strahlt die Kavität mit Aluminiumhydroxid (30–50 μm) ab. Als Adhäsiv empfahl sie, nur gut untersuchte Adhäsivsysteme zu verwenden. Als Goldstandard sehe sie entweder ein 3-Schritt-E&R-(Etch & Rinse)Adhäsiv oder ein mildes 2-Schritt-SE-Adhäsivsystem. Das ausreichend lange Auftragen des Primers sei dabei der wichtigste Schritt im ganzen Bonding-Protokoll.

Im DGPZM-Vortragsblock ging es um neue Entwicklungen in der Prävention. Prof. Stefan Zimmer (Witten/Herdecke) stellte ein Forschungsprojekt zur betrieblichen, zahnmedizinischen Prävention vor. Es habe sich gezeigt, dass die Erfolge in der Kariesprävention aus dem Kinder- und Jugendalter im Erwachsenleben nicht erhalten bleiben, wenn die Prävention nicht fortgeführt wird. „Karies und Parodontitis können nicht geheilt, sie können nur kontrolliert werden“, sagte Zimmer, „daher wirken sich Präventionslücken eklatant auf die Mundgesundheit aus.“ Bei dem Projekt wurden in einem Betrieb Schulungsvideos zur Zahnpflege gezeigt sowie Mundspüllösungen und zuckerfreie Kaugummis zur zweimal täglichen Anwendung bereitgestellt. Die Mundhygiene und die Gesundheit der Gingiva hatten sich nach einem Jahr Projektdauer signifikant verbessert. Das erfolgreiche Projekt soll nun ausgeweitet werden.

Einblicke in die Forschung im Bereich Zahnerhaltung

Der Haupttagung war der Tag der Wissenschaft vorgeschaltet, an dem die universitären Standorte Themen aus ihrer Forschungsarbeit präsentierten. In Kurzvorträgen stellten insgesamt 20 Arbeitsgruppen ihre Highlights vor. Zwei Beispiele:

Moritz Martin (Ulm) stellte eine In-vitro-Studie vor, in der die initiale Festigkeit und die Beständigkeit der Dentinhaftung von Klasse-II-Restaurationen untersucht wurde. Dabei setzten die Forscher eine direkte und eine indirekte Restauration (beide aus Komposit) jeweils mit zwei 1-Schritt-Universaladhäsiven (G-Premio Bond, Scotchbond Universal Plus) und einem 2-Schritt-Universaladhasiv (OptiBond eXTRa Universal) ein, bei indirekter Restauration einmal mit und einmal ohne separate Lichthärtung. Als Fazit empfahl Martin die separate Lichthärtung des Universaladhäsivs bei adhäsiver Befestigung indirekter Restaurationen. Die regionale Mikro-Zughaftfestigkeit (μTBS) an der zervikalen Stufe war signifikant geringer als okklusal, diese blieb eine Schwachstelle bei der Dentinhaftung.

Dr. Stefanie Lindner (München) zeigte anhand einer retrospektiven Studie ihrer Arbeitsgruppe, dass Teilkronen und Inlays aus Lithiumdisilikatkeramik (IPS e.max Press) über mehr als fünf Jahre hinweg eine hohe klinische Qualität aufwiesen. Die 143 indirekten Restaurationen, die Studierende zwischen 2012 und 2016 eingesetzt hatten (Durchschnittsalter 5,9 Jahre), hatten nach fünf Jahren eine Erfolgsquote (success) von 97,5 Prozent und eine Überlebensrate (survival) von 98,6 Prozent. Bei sieben Restaurationen (4,9 Prozent) wurden Reparaturmaßnahmen erforderlich und fünf Versorgungen (3,5 Prozent) wurden als Misserfolg klassifiziert. Bei partiellen Defekten kann durch Reparaturmaßnahmen oft ein kompletter Austausch der Restauration vermieden werden.

Dr. Kerstin Albrecht

Medizin-/ Dentaljournalistin

1995 – 2001: Studium der Zahnheilkunde (Hannover/Gießen)
2001 – 2008: Assistenz- und angestellte Zahnärztin in Zahnarztpraxen, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Abteilung für Zahnerhaltung, Präventive Zahnheilkunde und Parodontologie, Georg-August-Universität Göttingen
2006: Promotion
2008 – 2010: Zusatzstudium Journalismus, Freie Journalistenschule Berlin
2009 – 2018: PR-Beraterin in Healthcare-Agenturen, PR-Referentin bei der Initiative proDente e.V., freie Autorin von medizinischen und zahnmedizinischen Artikel
seit 2019: freiberufliche Medizin- und Dentaljournalistin

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